Schweitzer Fachinformationen
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Akka, bei den Christen bekannt als Akkon
Syrien
Sommer 1187
So viele Verführungen und nie genügend Geld. Trotz der Ausdünstungen der Tiere und des beißenden Gestanks nach zu vielen schwitzenden Menschen auf dem Markt kitzelten Zohra Najib bereits die ersten Düfte von Sayedi Efraims Parfümstand in der Nase. Während Sorgan ihnen einen Weg durch die Menschenmenge bahnte, schlug ihr Herz schneller. An geschäftigen Markttagen war ihr Bruder ein guter Rammbock, ansonsten eher eine Last.
Als sie in die Nähe des Stands kamen, drückte sie ihm eine Münze in die Hand. »Für Zuckermandeln.« Er wusste, wo die Leckereien verkauft wurden, und würde dort unschlüssig herumlungern und nicht wissen, wofür er sich entscheiden sollte, bis sie ihn abholte. Sie sah, wie er die Hand hob, um die Silbermünze in seiner Hand zu begutachten, und ein breites Grinsen auf seinem Gesicht erschien. Dann schloss er gierig die Hand um die Münze und konnte sie gar nicht schnell genug verlassen. Mehr als einer der Passanten schrie empört auf, als sie rücksichtslos beiseitegeschoben wurden, während Sorgan sich zu dem Stand mit den Süßigkeiten drängelte.
Sie zwängte sich zwischen zwei gebeugten Frauen hindurch. Sie ächzten unter der Last ihrer übervollen Körbe, deren Tragriemen in ihre Stirn schnitten. Zohra wäre um ein Haar gegen zwei große Tempelritter geprallt, die durch die Menschenmenge patrouillierten. Ihr älterer Bruder Malek, Offizier im syrischen Heer, hatte sie vor den christlichen Kriegsmönchen gewarnt. »Sie geloben Keuschheit, halten sich aber nicht immer daran«, hatte er gesagt, und sein hübsches Gesicht war plötzlich streng geworden. »Geh ihnen lieber aus dem Weg.«
Doch die Ritter interessierten sich gar nicht für sie. Ihre wölfischen Augen konzentrierten sich auf die Menschenmenge. Am Parfümstand ließ Zohra ihren Blick begehrlich über die ausgestellte Ware schweifen. Manches Räucherwerk - Weihrauch, weiße Benzoe, Myrrhe - lag jenseits ihrer Möglichkeiten, doch es gab auch andere, weniger kostspielige Optionen. Sie liebte es, ihre Zeit hier zu verbringen, Patchouli-Blätter zu zerreiben, bis sie ihren Duft verströmten, an den Kristallen und Harzen zu schnuppern, aromatische Hölzer und getrocknete Rosenblüten zwischen den Handflächen zu rollen und sich eine Zeit lang in einer Welt aus herrlichen Möglichkeiten zu verlieren, ehe ihr langweiliger Alltag sie erneut einholte.
Der Besitzer Sayedi Efraim war ein kleiner Mann mit einer zerknitterten braunen Robe und einem gehäkelten Käppchen. Er hatte nur ein Auge; die andere Augenhöhle war verkümmert und abgedeckt. Doch dieses eine Auge war wachsam und schlau. Es hieß, es könne das Geld sehen, egal, wie gut es versteckt war. Jetzt musterte es seine Kundin und strahlte vor Freude über das Funkeln der Silbermünze in ihrer Hand. »Lass dir Zeit, mein Vögelchen. Lass dir alle Zeit, die du brauchst.«
Zohra wusste, dass es gut für das Geschäft war, ein hübsches Mädchen am Stand zu haben. Es zog andere Kunden an. Sie erwiderte sein Lächeln. »Zeig mir etwas, das nicht so teuer ist, Sayedi.«
Er breitete die Hände aus. »Wie soll man einem Haus, das wie ein Palast riecht, einen Preis geben oder einem Mädchen, das wie eine Prinzessin duftet? Der Preis ist eine Sache des Verstands, mein Vögelchen.«
Sie warf ihm einen Blick zu, den ihre Mutter als »direkt« bezeichnet hätte. »Der Preis steckt in meiner Tasche, Sayedi. Ich habe nur einen Dinar und muss noch eine Menge mehr kaufen als Parfüm.« Sie öffnete die Hand. Ihre Münze funkelte verführerisch im Sonnenlicht.
In der Mitte des Silberlings war ein Kreuz eingeprägt. Es stammte aus dem Königreich Jerusalem; so nannten die franj ihr bedrängtes Gebiet. Nicht dass es eine Rolle spielte. Zohra wusste, dass der Händler über jede Münze froh war - byzantinische Goldmünzen aus Zypern und Tripolis, silberne Dirhams aus Aleppo, Sindschar und Bagdad, Deniers aus Antiochia und Jerusalem . Akka war schon immer stolz auf seine kosmopolitische Tradition gewesen. Am Ufer des Mittelmeeres gelegen, bildete es einen Knotenpunkt für den Handel. Vom Norden, Osten und Westen, aus Venedig, Marseille, Indien, China, Trapezunt und Sarai kamen Kaufleute hierher, um mit Gold und Gewürzen, Seide und Safran, Fischeiern und Harzen, Glas und Singvögeln zu handeln.
Die Bucht von Haifa bot eine Zuflucht während der berüchtigten Winterstürme, und der tiefe, sichere Ankerplatz gewährte einer ganzen Flotte von Handelsschiffen Schutz. Im Norden lag die befestigte Stadt Tyrus, im Osten die Straße nach Nazareth und Jerusalem und dazwischen fruchtbares Land. Akka war ein strategisches Juwel, daher wechselte die Stadt oft ihren Besitzer, doch egal, wer über sie herrschte, der Handel blühte. Waren wechselten ihre Besitzer, das Geld zirkulierte, und alle waren zufrieden. Nun ja, »zufrieden« ist vielleicht übertrieben, dachte sie, als sie sich vor Augen hielt, wie die Tempelritter mit Schwertern und von riesigen Kreuzen geschmückten Waffenröcken - ein unerträglicher Affront für jeden guten Muselmanen - durch die Straßen marschierten. Wenn man die Ohren spitzte, konnte man auf dem Viehmarkt Schweine quietschen hören, und jeden Tag läuteten die Glocken, die die Christen ins Minarett der Freitagsmoschee gehängt hatten, und huldigten mit ihrem abscheulichen Klang dem Shaitan. Jeden Tag betete sie, dass Salah ad-Din die Stadt zurückerobern und die verfluchten Glocken einschmelzen würde.
Der Händler nahm ein Stück Weihrauch - einen schimmernden Kristallklumpen - und hielt es Zohra unter die Nase. Dem anfänglich kräftigen Duft nach Moschus folgte eine hochgerühmte balsamische Note. Benommen roch sie daran.
»Das ist mein erlesenster Al-Hojari«, erklärte Sayedi Efraim. »Der erste Anschnitt vom Harz der fernen heiligen Bäume von Dhofar, der von den Karawanen durch das Leere Viertel und die Große Sandwüste hierhergebracht wurde. Stell dir bloß einmal vor, welche Gefahren die tapferen Kamelreiter auf sich nehmen mussten, damit ein alter Mann ein junges Mädchen glücklich machen kann. Ist ihr Mut nicht den niedrigen Preis wert, den ich verlange?«
»Lass das Theater, Efraim! Siehst du nicht, dass sie deine Wucherpreise nicht bezahlen will?«
Zohra drehte sich um und sah einen jungen Mann vor sich stehen. Er war hochgewachsen und schlaksig, hatte ein lebendiges Gesicht und dichtes schwarzes Haar, das ungebändigt unter der in die Stirn gezogenen Kappe hervorlugte. Außerdem ein energisches Kinn, geheimnisvolle dunkelbraune Augen und ein spöttisches, schräges Grinsen. »Warte lieber ab, bis eine Kaufmannsfrau mit der prall gefüllten Börse ihres Mannes vorbeikommt. Außerdem ist Weihrauch viel zu schwer für so viel Schönheit. Wie wäre es mit Veilchen oder Kassia?«
Zohra öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der Mann beugte sich vor und legte ihr den Finger auf die Lippen. Beschämt trat sie einen Schritt zurück.
Der Mann griff nach ihrem Arm. »Du musst nicht gleich weglaufen, mein Täubchen. Hier, das brauchst du, Amber, passend zu deinen Augen.« Er nahm ein Stück Bernsteinharz und rieb es zwischen den Fingern. »Schließ die Augen«, sagte er und wärmte das Harz in den Händen, um seinen Duft freizusetzen. »Atme ganz aus, und wenn ich es dir sage, atme wieder ein.«
Zohra tat wie befohlen, obgleich sie sonst nicht so fügsam war. Als der Mann die Hände öffnete, atmete sie tief ein. Der süße, moschusartige Duft überflutete ihre Sinne. Sie streckte die Hand aus, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und schlug die Augen wieder auf. Da erst wurde ihr bewusst, dass sie sich am Arm des Mannes festhielt. Wie konnte sie bloß in aller Öffentlichkeit einen fremden Mann berühren? Hastig zog sie die Hand zurück. Doch er lächelte, und es war, als strahlte sein ganzes Ich auf. In diesem Augenblick kam die Sonne hinter einer Wolke hervor und ließ seine blasse Haut wie Weihrauch schimmern. Der Duft des Bernsteinharzes hüllte sie in eine Wolke. Es kam ihr vor, als wären sie die einzigen Menschen auf der Welt.
»Ich nehme vier Stücke«, erklärte der Mann dem Händler und feilschte so lange, bis er für die vier weniger bezahlte, als Zohra für zwei bezahlt hätte. »Pack sie einzeln ein«, sagte er gebieterisch, und als der Verkäufer fertig war, nahm er Zohras Hand in die seine und schloss ihre Finger um zwei der Stücke. Sie blickte auf ihre ineinander verschränkten Hände und spürte unter ihrer Haut, wie das Blut in seinen Adern pochte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
Dann ließ er sie plötzlich los, und als sie blinzelnd aufblickte, merkte sie, dass er sie nicht länger ansah, sondern den Hals reckte und über die Menschenmenge hinwegstarrte. Sie empfand einen Anflug von Enttäuschung, bis sie das Geschrei hörte. Wütende Stimmen, laut und eindringlich.
O nein, war ihr erster Gedanke, was hat Sorgan jetzt wieder angestellt?
Doch es hatte nichts mit ihrem Bruder zu tun. Sie hörte deutlich: »Hattin«, »Niederlage« und dann »Saladin« - so verunstalteten die franj den Namen ihres Sultans. Ihr Herz krampfte sich zusammen. War das Heer der Muselmanen besiegt worden? Die Vorstellung, dass ihr Bruder Malek von den Schwertern des Feindes zerstückelt worden sein könnte, raubte ihr einen Moment lang den Atem.
»Was rufen sie?«, fragte sie schließlich.
Der Fremde hob ihren Korb auf und nahm ihren Arm. »Wir müssen hier weg. Sofort.«
»Mein Bruder ist noch im Basar.«
»Dein Bruder kann auf sich selbst aufpassen.«
»Nein, das verstehst du...
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