Schweitzer Fachinformationen
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Liebe Cherie,
ich bewerbe mich um den von Ihnen ausgeschriebenen Job einer Köchin im Comfort Food Café in Dorset.
Das ist mein sechster Versuch, einen Brief aufzusetzen, die anderen sind als feuchte, zerknüllte Bälle auf dem Boden um den Mülleimer gelandet - ich scheine den Mülleimer nicht besser zu treffen als die richtigen Worte. Ich habe mir geschworen, dass das mein letzter Versuch ist, gleichgültig wie lang er wird und wie viele Fehler ich möglicherweise mache. Ein Versuch, der von Herzen kommt, wie Sie das wollen, selbst wenn er mich den ganzen Tag kostet. Und wenn nichts anderes dabei herauskommt, ist er zumindest eine gute Therapie.
Vielleicht ist das nicht die professionellste und genialste Weise, einen ersten Eindruck von mir zu vermitteln, und wahrscheinlich werden Sie meinen Brief unter »V für Verrückte« - oder unter »P für Papierkorb« abheften. Ich kann mich nur entschuldigen - meine Hand ist inzwischen leicht verkrampft, und an meinem Ringfinger bildet sich eine Blase. Seit meinem Abitur habe ich nicht mehr so viel geschrieben, also verzeihen Sie mir, wenn es etwas chaotisch wird.
Um ehrlich zu sein, ist alles in meinem Leben etwas chaotisch. Das ist seit gut zwei Jahren so, seit mein Mann, David, gestorben ist. Er war so alt wie ich - ich bin jetzt fünfunddreißig -, und er war die Liebe meines Lebens. Ich kann mit keiner romantischen Story aufwarten, wie wir uns bei einer Hochzeit oder über ein von Freunden arrangiertes Blind Date kennengelernt haben oder wie sich unsere Blicke in der Menge eines überfüllten Nachtclubs begegnet sind -hauptsächlich weil unsere Blicke sich in Wirklichkeit auf einem überfüllten Spielplatz begegnet sind, als wir beide sieben waren.
David war nicht von Anfang an auf unserer Schule, er ist ein paar Jahre später plötzlich zum Beginn des neuen Schuljahrs wie ein Außerirdischer aufgetaucht. Er konnte gut Fußball spielen, war beim Fangen absolut nicht zu kriegen und hat gerne Cartoons von seinen Hunden Jimbo und Jambo gezeichnet. In Miss Hennesseys Stunden haben wir an dem türkisfarbenen Tisch nebeneinander gesessen - und das hat mein Schicksal besiegelt.
Diese Geschichte klingt heute total verrückt, das weiß ich. Ich sehe meine Kinder an und denke, dass unter ihren gleichaltrigen Freunden bestimmt niemand ist, der die Liebe ihres Lebens werden könnte. Genau das haben meine Eltern nämlich gedacht - und seine auch. Ich kann mich nicht erinnern, wie oft wir zu hören bekommen haben, dass wir zu jung sind. Ich denke, sie haben es süß gefunden, unschuldig und nett, als wir sieben waren und gesagt haben, dass wir miteinander gehen. Doch als wir sechzehn waren und die ganze Highschoolzeit über zusammengeblieben sind, fanden sie es nicht mehr so nett.
Ich habe das verstanden, wirklich. Sie wollten, dass wir etwas von der Welt sehen. Andere Leute kennenlernen. Obwohl sie zu höflich waren, es direkt zu sagen, wollten sie, dass wir uns trennen. Meine Eltern haben sich immer liebenswürdig ausgedrückt, haben Sachen gesagt wie »Wir haben nichts gegen David - er ist ein netter Junge -, aber willst du denn keine Reisen machen? Zur Uni gehen? Ein paar Abenteuer erleben, bevor du einen Hausstand gründest? Deine Träume leben? Und überhaupt, wenn es denn so sein soll, werdet ihr in ein paar Jahren zueinander zurückkommen.«
Er hat von seiner Familie das Gleiche zu hören bekommen. Wir haben darüber gelacht und verglichen, wie sie auf verschiedene Weise alle dasselbe gesagt haben: Du bist zu jung, und du machst einen Fehler. Wir sind nicht sauer gewesen - wir wussten, dass sie das getan haben, weil sie uns liebten, das Beste für uns wollten. Aber was sie nicht begriffen haben - was sie wirklich nicht verstanden haben -, war, dass wir bereits unsere Träume lebten. Wir steckten bereits im größten Abenteuer unseres Lebens. Wir liebten einander über alles seit wir sieben waren, und wir haben nie damit aufgehört. Was wir hatten, war außergewöhnlich und kostbar und so viel wertvoller als alles, was wir sonst hätten erleben können.
Mit zwanzig haben wir geheiratet, und egal, wie glücklich ich war, die Leute haben weiter ihre Kommentare abgegeben. Auf der Hochzeitsfeier habe ich meine Mum sogar weinend auf dem Klo gefunden - sie hat geglaubt, dass ich mein Leben wegwerfe. Meine Abschlussnoten waren okay - einschließlich einer Eins in Hauswirtschaftslehre sollte ich vielleicht anfügen, weil es das erste Wichtige ist, das ich zu sagen habe. Und Davids auch. Er hat eine Lehre bei der Bank vor Ort angefangen, und ich habe in einem schicken Fünf-Sterne-Restaurant gearbeitet, wie ich jetzt gerne anführen würde, doch in Wirklichkeit war es ein McDonald's in einem Einkaufszentrum am Stadtrand von Manchester.
Ich weiß, dass das langweilig klingt, doch das war es nicht. Es war großartig. Wir haben ein kleines Reihenhaus in einem guten Stadtteil gekauft und uns selbst zu diesem Zeitpunkt schon Gedanken über Schulen gemacht - denn wir wollten Kinder, und zwar bald. Nicht lange danach ist Lizzie geboren worden, sie ist jetzt vierzehn. Sie hat sein blondes Haar und meine grünen Augen geerbt und ist im Moment abwechselnd gut gelaunt oder angefressen. Ich kann ihr keinen Vorwurf machen. Es ist hart, seinen Dad zu verlieren. Ich habe mein Bestes getan, um für sie stark zu sein, doch ich vermute, mein Bestes war nicht genug. Sie ist vierzehn. Erinnern Sie sich, wie es war, vierzehn zu sein? Es war nie leicht, nicht? Auch ohne tote Väter und zombieähnliche Mütter.
Nate ist zwölf und ein Herzensbrecher. Im wahrsten Sinne des Wortes, wenn ich ihn ansehe, habe ich das Gefühl, dass mir das Herz bricht. Auch er hat Davids blondes Haar geerbt, aber auch seine funkelnden, blauen Augen. Sie wissen schon, diese Paul-Newman-Augen. Und Davids Lächeln. Und dieses Grübchen im linken Mundwinkel.
Er sieht seinem Vater so ähnlich, dass die Leute ihn Davids Miniausgabe genannt haben. Manchmal umarme ich ihn so fest, dass er sich beschwert, dass ich ihm die Rippen breche. Dann lache ich und lasse ihn los, obwohl ich ihn gern weiterdrücken und dieses kleine perfekte menschliche Wesen für den Rest seines Lebens beschützen würde. Wir alle wissen jetzt, dass das nicht möglich ist, und manchmal denke ich, dass das Schlimmste an Davids Tod ist, dass keiner von uns sich mehr sicher fühlt - und das ist wirklich nicht fair, wenn man erst zwölf ist, nicht wahr?
Aber ich muss mich daran erinnern, dass wir so viel hatten. Wir haben so viel geliebt und so viel gelacht und so viel geteilt. Alles war perfekt, selbst unsere Streitereien. Vor allem die Streitereien - oder zumindest das, was danach kam. Manchmal frage ich mich, ob das das Problem war - wir hatten zu viel, zu Gutes, zu früh. Selbst nach dreizehn Jahren Ehe konnte sein freches kleines Lachen mein Herz noch schneller schlagen lassen, und ich konnte ihm nie lange böse sein. Es war dieses Grübchen, das es mir einfach unmöglich machte.
Eins von den Dingen, die David geliebt hat, waren Ferien. Er hat in der Bank hart gearbeitet, ist befördert worden und hat seinen Job geliebt - aber es war seine Familie, die ihm alles bedeutet hat. Wir haben gespart und jedes Jahr großartige Ferien zusammen gemacht. Er hat das Recherchieren und die Planung fast genauso geliebt wie die Ferien selbst.
Am Anfang waren es »Baby«-Ferien - am wichtigsten war es, einen Ort zu finden, wo wir mit den Kindern sicher und gut aufgehoben waren. Deshalb sind wir in Großbritannien geblieben oder haben nur Kurztrips gebucht, wie nach Mallorca.
Als die Kinder größer wurden, sind wir abenteuerlustiger geworden - oder zumindest er. Wir haben begonnen, unseren Horizont zu erweitern und Campingferien auf dem Kontinent gemacht. Haben in der Toskana gezeltet, sind mit vollgepacktem Auto nach Südfrankreich gefahren und mit einem Wohnmobil durch Holland. Die letzten beiden Ferien vor seinem Tod waren die aufregendsten - ein Segeltörn in der Türkei, bei dem die Kinder das Segeln gelernt haben und ich, mich zu sonnen, und drei Wochen in Florida, wo wir die Freizeitparks besucht haben und den ganzen Weg bis zu den Keys heruntergefahren sind und dort eine Woche wie die Einheimischen gelebt haben.
Für jede Ferien und jedes Jahr haben wir ein eigenes Fotoalbum angelegt, wenn wir wieder zu Hause waren.
Es hat ihm nicht gereicht, die Bilder online zu haben, er hat sie alle ausgedruckt und jedes Album mit einem Aufkleber auf dem Rücken versehen, auf dem das Urlaubsziel und das Jahr stehen.
Sie sind alle noch da, in dem Regal im Wohnzimmer. Ordentlich aufgereiht - eine fotografische Reise durch Zeit und Raum. Lizzie als Baby; Lizzie als Kleinkind und ich schwanger; Nate, der sich zu uns gesellt. In diesen Fotoalben kann man sie aufwachsen sehen, direkt vor unseren Augen - wie sie ihre Milchzähne verlieren, ihr Geschmack sich ändert und ihre Frisuren, wie sie jedes Jahr größer werden.
Ich nehme an, dass auch wir älter geworden sind - ich habe definitiv mit den Jahren etwas zugenommen, David sind ein paar Haare ausgefallen, er hat mehr Lachfalten bekommen. Doch unser Lächeln ist uns nie vergangen - das ist eins der Dinge, die sich nie geändert haben.
Das einzige Jahr, in dem wir nicht in Urlaub gefahren sind, war das Jahr, in dem die Kinder zu groß geworden waren, um sich ein Zimmer zu teilen und wir ein größeres Haus kaufen mussten. Wir waren...
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