Schweitzer Fachinformationen
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Die He 111 war um dreiundzwanzig Uhr zehn vom Flugplatz Rom gestartet, flog genau sechsundvierzig Minuten lang den befohlenen Kurs und durchstieß in der Nähe von Campobasso die Wolkendecke.
Die Maschine trug keine Bomben, sondern drei Männer zum Neapolitanischen Apennin, über dem sie in wenigen Minuten den Sprung ins Ungewisse wagen mussten.
»Fertig machen!«, erscholl es hohl aus dem Bordlautsprecher.
Die Männer erhoben sich und kontrollierten noch einmal den Sitz der Fallschirmgurte; dann begaben sie sich zur Ausstiegsluke.
Die Motoren dröhnten gleichmäßig stark. Die Nacht, in die sie springen mussten, war schwarz wie Tinte.
»Es ist so weit«, sagte der Pilot. »Macht's gut, Kameraden, und Hals- und Beinbruch!«
Die Luke wurde aufgerissen. Rasend fuhr der Fahrtwind herein und zerrte an den dicht hintereinander stehenden Männern. Tenente Pietro Perugio sprang als Erster, dann Sotto-Tenente Michele Garza und als Letzter der deutsche Oberfähnrich Lorenz Gruber.
Der Sturz währte nur ein paar Sekunden - Sekunden, in denen das Denken gelähmt war. Dann öffneten sich mit dumpfem Laut die schwarzseidenen Fallschirme und ließen ihre Last hinabgleiten.
Die Landung der drei vollzog sich glatt. Sie kamen in kurzen Abständen zur Erde, befreiten sich von den Fallschirmen, vergruben sie sorgfältig und trafen sich alsbald am Rande eines Waldes.
»Va bene«, sagte Perugio, »das wäre geschafft. Wir können gehen.«
Hoch am rabenschwarzen Himmel verlor sich das Dröhnen der davonfliegenden Maschine. Im Westen paukte das Feuer der Front.
Es war in der Nacht vom 16. zum 17. April 1944, als sich die drei Sabotagespezialisten auf Geheiß ihrer Dienststellen nach Neapel auf den Weg machten, um dort einen gefährlichen Auftrag auszuführen.
Zwei Tage später hielt ein alter Fiat, aus Richtung Capua kommend, am zerbombten Bahnhof von Neapel und lud drei staubbedeckte Männer ab.
»Mille grazie«, sagte der Älteste der drei zum Fahrer und reichte ihm die Hand, »es war nett von dir, Amico!«
»Prego, prego«, lachte der krausköpfige Neapolitaner. »Bon viaggio!«
Der Fiat klapperte davon und verschwand im regen Straßenverkehr.
Die drei Männer schulterten ihre Rucksäcke und überquerten die Straße, schlenderten ohne Eile die Front der Geschäftshäuser entlang und sahen sich die Auslagen an. Das blanke Glas spiegelte die Gestalten wider.
»Wir sehen wie die Räuber aus«, sagte Gruber. »Es wird Zeit, dass wir in unser Quartier kommen.«
Niemand ahnte, wer durch die vom Krieg gezeichnete Stadt ging. Sie sahen aus wie Landarbeiter, die einen Job suchen wollten. Es fiel nicht auf, dass sie unrasiert und mehr als salopp gekleidet waren. Denn zurzeit besaßen viele Neapolitaner nicht mehr als ein geflicktes Hemd, ein altes Jackett, ausgefranste Hosen und ausgetretene Segeltuchschuhe, wie Seeleute sie bei den Deckarbeiten zu tragen pflegen.
Lorenz Gruber gehörte zum deutschen Abwehramt IIa, Abteilung Sabotage, und betrat die von den Alliierten besetzte Stadt bereits zum dritten Mal. Er war der Jüngste in diesem Dreigespann, 21 Jahre alt, von großer, breiter Statur und betont schmalen Hüften, die den Sportsmann verrieten. Gruber sah älter aus, als er war. Sein Gesicht, von kaum verheilten Narben verunstaltet, war tief gebräunt und markant geschnitten. Er besaß eisgraue, kalt wirkende Augen und blondes Haar, das er unter einer schmierigen Mütze versteckte.
Tenente Perugio war dunkel und ähnelte in der Gestalt Gruber, nur dass sein Kopf wie der eines klassischen Olympioniken wirkte. Michele Garza war der Kleinste und knabenhaft schmal. In seinem hübschen, klugen Gesicht zeigte sich gelegentlich ein Zug von Hochmut; Garza stammte aus Mailand und galt als ehrgeiziger Offizier. Er und Perugio gehörten der DECIMA an, wo sie eine harte Ausbildung als Kampfschwimmer bekommen hatten.
Auch Gruber war ausgebildeter Froschmann. Er hatte bereits erfolgreiche Einsätze auf afrikanischem Boden und in Palermo, Salerno und Bari hinter sich.
Diese Männer hatten den Auftrag, sich nach geglückter Fallschirmlandung auf schnellstem Wege nach Neapel zu begeben, Verbindung mit den Agenten der O. V. R. A. (ORGANISAZIONE VOLONTARI REPRESSALIO ANTIFASCISMO) aufzunehmen und unter der Leitung eines bereits in der Stadt sitzenden Geheimdienstmannes Sabotageakte durchzuführen.
Sie kamen zu einem Zeitpunkt, als Deutschlands Siegessterne im steten Fallen waren, das afrikanische Abenteuer zu Ende war und die Italienfront sich immer mehr nach Norden schob: Sie kamen, um der röchelnden Kriegsbestie noch ein paar Schwertstreiche zu versetzen; sie kamen, um Abtrünnige und Verräter zu bestrafen; sie kamen, um jenes schmutzige Geschäft des Krieges abzuwickeln, dem sie sich einstmals, von der gerechten Sache überzeugt, zur Verfügung stellten; sie kamen in der gleichgültigen Bereitschaft, den Tod zu finden oder noch einmal davonzukommen.
Für Garza war es der erste Einsatz, für die beiden anderen die Rückkehr auf blutgetränkten Boden.
Als am 1. Oktober 1943 die Deutschen Neapel verließen und das Massaker gegen die verhassten Bedrücker durch den Einmarsch der Alliierten zu Ende ging, jubelte das Volk von Neapel den Siegern zu und erhoffte den Anbruch einer besseren Zeit.
Der Sieger ging lächelnd durch die Stadt, wohl genährt, gut gekleidet. Das Volk war arm, verhungert, doch jetzt voll Jubel und demütiger Opferbereitschaft, voll heißem Dank und bereit, den Sieger zu ehren, zu lieben, ihm die Schuhe zu putzen und zu dienen.
Aus der Schmach jahrelanger Bedrückung war plötzlich Freiheit geworden.
Armes Neapel! Armes Volk!
Das Gesicht der Stadt blieb das einer Aussätzigen, einer Bettlerin in Lumpen, der man Almosen schenkt. In den Trümmervierteln lag der Gestank der Gestorbenen, doch ein paar Steinwürfe weiter lachte, trubelte, jubelte das Leben auf den Straßen und Piazzas, wurde gehandelt, betrogen, gemordet und wurden dem Leben die schnöden Genüsse abgebettelt.
Der Sieger gab - und nahm!
Von Capodimento bis Possillipo, auf allen Straßen, vor den Cafés und in den finsteren Kneipen, in den schauerlich engen Gassenschluchten, in den Stundenquartieren, Bordellen, in den armseligen Bassos und übervölkerten Internos - überall sah man die Vertreter des Sieges: Wenig weiße Amerikaner, noch weniger Engländer oder Franzosen, dafür aber umso mehr Farbige: Schwarze, Senegalesen, Madagassen, Marokkaner, Algerier, da und dort auch ein paar Taihitianer, Indonesier, Filipinos.
Wer war Schuld daran, dass Mütter ihre Töchter den Siegern feilboten, betrunkene Väter ihre Söhne den Marokkanern verkauften? Für ein paar dreckige Lirescheine! Für ein paar Büchsen Cornedbeef! Für eine Tafel Schokolade, die man im P. X. um ein paar Cents bekommen konnte! Wer war Schuld daran? Das Volk oder die Sieger?
Die Amerikaner brauchten vielleicht Neapel, um sich amerikanisch zu fühlen, die Engländer, um den Sieg zu kosten, die Farbigen, um das tun zu können, was sie anderswo niemals tun durften. Was war schon dabei, wenn irgendwo ein Toter in der Gosse lag oder die M. P. mit heulender Sirene heranjagte, in eine Kaschemme stürmte und einen Knäuel Soldaten und Zivilisten auseinander knüppelte? Was war dabei, wenn die billigen Waren aus dem P. X. gegen noch billigere ausgetauscht wurden? Wer war es, der ein Schiff aus dem Hafen verschwinden ließ und irgendwohin verkaufte?
Niemand brach über diese abgründige Moral den Stab. Neapel zeigte sich dem Sieger gegenüber aus tiefstem Herzen dankbar und gab, was es zu geben hatte: sich selbst.
Die drei Männer verließen die Hauptstraße und bogen in die winkelige Via Galateo ein. Sie führte in Stufen bergan. Mädchen saßen vor den Haustüren und rauchten amerikanische Zigaretten, freimütig das zeigend, was sich unter den billigen Fähnchen verbarg.
Tenente Perugio marschierte mit zusammengepresstem Mund voran, neben ihm Garza, dessen dunkles Gesicht erschrocken und nachdenklich wirkte.
Ein Mädchen hielt Gruber am Hosenbein fest. »Na, Biondo, wie wär's mit uns zwei?«
Der Deutsche schaute in ein verwüstetes Gesicht und dann in den Kleidausschnitt. Das Mädchen trug keine Unterwäsche und war recht gut gewachsen.
»Ein andermal, Cara mia«, sagte er freundlich. »Muss mir erst mein Bett suchen.«
»Kannst das meine kriegen, Biondo - du bist nämlich genau meine Kragenweite.« Sie lachte schrill, und die anderen Mädchen lachten mit.
»Grazie, Puppetta«, lehnte Gruber ab.
Sie zog die Nase kraus. »Va tal diavolo! - Geh zum Teufel!« Er warf ihr eine Packung »Popolari« zu und eilte den Kameraden nach.
Von dieser schrecklich schmutzigen Gasse bog eine andere ab. Perugio ging auf eine Tür zu, zog einen schmierigen Zettel aus der Tasche und verglich die darauf stehende Zahl mit der Hausnummer. Sie stimmte.
Noch ehe Perugio in das Haus eintreten konnte, kam eine zottelige Alte heraus.
»He, Mama«, sagte Perugio zu ihr, »wohnt hier ein gewisser Umberto Pucci?«
Die Alte warf einen flinken Blick über die drei staubigen Männer. »Was wollt ihr von dem versoffenen Hund?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
»Das geht dich nichts an!«
»So, das geht mich nichts an?« Sie schnäuzte sich mit den Fingern. »Na ja, dann geht mal in den zweiten Stock 'rauf. Dritte Tür links. Ein Schild ist dran.«
»Grazie!«, sagte Perugio und winkte den Kameraden, ins Haus zu kommen.
Sie betraten einen finsteren, übel...
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