Schweitzer Fachinformationen
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»Immer nur trifft man aufgrund einer geistigen Verfassung, die nicht von Dauer sein wird, die wichtigsten Entscheidungen.«
Marcel Proust
Schon wieder Spargel mit Kartoffeln und Schinken? Das wäre das vierte Mal in den letzten zwei Wochen. Oder lieber zur Abwechslung eine Pizza? Nein, bloß nicht. Wenn Franziska noch häufiger zu Fertigfutter griff, sähen Niklas und sie bald aus wie die gläsernen Ballons, in denen der Sanddornlikör reifte. Sie pustete sich eine Strähne aus der Stirn. Gedankenverloren tänzelte sie zwischen der Tiefkühltruhe und dem Gemüseregal hin und her.
»Entschuldigung«, stammelte sie und ließ eine Kundin passieren, die versucht hatte, links an ihr vorbeizuziehen, abrupt hatte bremsen müssen und dann den gerade frei gewordenen Weg rechts angepeilt hatte. Die Frau verdrehte die Augen und schob ihren Einkaufswagen eilig davon.
Pasta mit Gorgonzolasoße! Das war schnell gemacht und gehörte obendrein zu Niklas' Lieblingsgerichten. Allerdings auch ganz schön gehaltvoll und außerdem eine wahre Kohlenhydratorgie. Ein tiefer Seufzer stieg in Franziska auf. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie einen gräulichen Käse mit Schimmelflecken vor Augen, der fetttriefend über einem Nudelberg schmolz. Jetzt stieg etwas ganz anderes in ihr auf - fiese würgende Übelkeit. Und zwar so schnell und unerwartet, dass sie erschrocken eine Hand vor den Mund presste und sich mit der anderen an einem Stapel Eierkartons festklammerte. Der nächste Schreck fuhr ihr in die Glieder, als das zu einer Pyramide aufgetürmte Gebilde ins Schwanken geriet.
»Ist Ihnen nicht gut?« Frau Olschewski sah sie prüfend an. In ihrem Blick lag eine interessante Mischung aus echter Besorgnis und einer Todesdrohung. Auch ihre Stimme verriet, dass ihr Mitgefühl in dem Moment endete, in dem Franziska sich auf die beige-grau gesprenkelten Fliesen übergeben oder die Eierberge umreißen würde. Beides würde mitten im Gang zwischen Äpfeln, Möhren, Salat und abgepackten Brotsorten zweifellos zu einer hässlichen Sauerei führen. Die gute Olschewski war diejenige, die die Bescherung beseitigen müsste. Kein Wunder, dass sie, gelinde ausgedrückt, ein wenig beunruhigt war. Das war Franziska selbst auch. Glücklicherweise war sie aber ein echter Profi, wenn es darum ging, anderen Leuten einen guten Rat zu erteilen.
»Wir machen das so«, murmelte sie zwischen den Fingern hervor, die sie noch immer an ihre Lippen presste, als könnten sie dort im Fall einer Katastrophe irgendetwas ausrichten, »Sie passen auf meine Sachen auf, und ich gehe kurz an die frische Luft. Bestimmt geht's gleich wieder.« Sie hoffte inständig, dass Frau Olschewski mit der klaren Anweisung etwas anfangen konnte und sie augenblicklich umsetzen würde, sonst könnte Franziska für nichts garantieren. Sie reichte der zögernden Supermarktmitarbeiterin den Plastikkorb und brachte gerade noch ein Lächeln zustande, ehe sie auch schon losrannte.
»Und Sie kommen sicher wieder, ja?«, rief Frau Olschewski hinter ihr her.
Franziska nickte, ohne auch nur eine Ahnung zu haben, ob die Mitarbeiterin es erkennen konnte, riss die Tür auf und hastete ins Freie. Sie musste sich an den grauen Metallstangen eines Fahrradständers festhalten, weil ihr schwindlig wurde. Tief einatmen, langsam durch die Nase ausatmen. Sie wiederholte die Prozedur mehrmals und spürte, wie es ihr von Mal zu Mal besser ging. Die Luft, die von allen Seiten gleichzeitig das salzige Meeresaroma der Ostsee über den kleinen Ort Altenkirchen an der Nordspitze Rügens zu wehen schien, tat ihr gut. Sie musste lächeln. War es wirklich schon anderthalb Jahre her, dass sie sich entschieden hatte, der Großstadt den Rücken zu kehren und ständig auf diesem verträumten Eiland zu leben? Na ja, verträumt war vielleicht das falsche Wort. Immerhin handelte es sich um die größte deutsche Insel. Trotzdem. Noch immer fand Franziska, dass die Uhren hier einfach anders tickten, dass sich das Leben immer ein wenig nach Urlaub anfühlte, gerade im Sommer. Obwohl . von Urlaub konnte nun wirklich keine Rede sein. Apropos Uhr, sie warf einen Blick auf das Zifferblatt an ihrem Handgelenk. Höchste Zeit, dass sie nach Hause kam, sonst wäre ihr Klient noch vor ihr da. Ein letztes Mal atmete sie tief durch, dann ging sie zurück in den Laden, kaufte Spargel, Kartoffeln, Schinken, Pizza und Gorgonzola und beschloss, Niklas die Entscheidung zu überlassen, was am Abend auf den Tisch käme.
»Sehen Sie, Herr Meyer, es ist essenziell, sich für einen Weg zu entscheiden und diesen dann auch zu gehen.« Franziska faltete die Hände und sah ihrem Klienten fest in die Augen. »Das gilt für Ihre Frau genauso wie für Sie.«
»Tja, das sagen Sie. Aber meine Frau hat offenbar gemerkt, dass ich in ihrem Betrieb eben doch eine nicht so ganz unwichtige Position innehatte. Ich bedaure, dass sie mich erst vor die Tür setzen musste, um das zu kapieren, doch ich freue mich, dass sie es überhaupt eingesehen hat.«
»Wissen Sie, lieber Herr Meyer«, Franziska seufzte, »das Problem ist doch, dass Ihre Frau erst mit ziemlicher Verzögerung kapiert hat, was sie an Ihnen hatte, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat sie inzwischen drei Buchhalter verschlissen. Verzeihung, eingestellt und wieder entlassen.«
»Das ist richtig.« Da war ein gewisser Stolz in seinen Augen. »Es ist nicht so einfach mit ihr. Ich bin ihr Ehemann, ich weiß sie zu nehmen.«
»Hatten Sie mir nicht erzählt, dass Sie Ihre Arbeit in der Künstleragentur sehr mögen, dass sie Ihnen noch mehr Freude macht als Ihr alter Job bei Ihrer Frau? Apropos«, sprach sie weiter, ehe er antworten konnte, »was für eine Firma hat Ihre Frau noch genau?«
»Sie hat im pädagogischen Bereich zu tun. Im weitesten Sinne.«
»Aha.« Dieser Herr Meyer machte geradezu ein Staatsgeheimnis aus der Branche seiner Frau. Franziska hatte schon mehrfach versucht, ihm auf den Zahn zu fühlen, doch in diesem Punkt blieb er vage.
»Sie haben schon recht«, kam Meyer auf ihre Frage zurück, »die Tätigkeit in der Agentur füllt mich ganz und gar aus.« Er lächelte selig.
»Sie sind zu mir gekommen, um Ihre berufliche Orientierung auszuloten. Sie sagen deutlich, dass Ihre derzeitige Position Sie glücklich macht. Die Antwort liegt auf der Hand, oder nicht?«
Franziska lächelte freundlich. Vor bald zwei Jahren war sie nach Rügen gegangen, um von ihrer Coaching-Tätigkeit Abstand zu gewinnen, um sich selbst neu zu orientieren. Zum Unverständnis einiger ihrer Freunde. Sie war im Karrierehimmel ihrer Branche angekommen gewesen. Alle bedeutenden Managermagazine hatten über sie, ihre Methode und vor allem über ihre hohe Erfolgsrate berichtet. Sie hatte Spitzenhonorare fordern und sich vor Klienten nicht retten können. Und ausgerechnet sie war unzufrieden? Das war für die wenigsten nachvollziehbar gewesen. Doch sie wollte mehr. Sie hatte es sattgehabt, Menschen von ihren Luxusproblemen zu befreien und ihnen zu helfen, noch ein wenig mehr Geld zu verdienen, noch eine Sprosse in der Hierarchie aufwärtszuklettern. Sie wollte etwas Sinnvolles tun. Es war goldrichtig gewesen, sich eine Auszeit zu gönnen. Auf Rügen hatte sie ihre Bestimmung gefunden. Und noch viel mehr .
»Lieber Herr Meyer, unsere Zeit für heute ist um.« Sie warf einen schnellen, aber unübersehbaren Blick auf ihre Armbanduhr. »Sie sagen, dass Ihre Frau Sie als Mitarbeiter nie richtig zu schätzen wusste. Und Sie sagen, dass das in dieser Agentur völlig anders ist, dass man Sie dort beinahe jeden Tag spüren lässt, wie wertvoll Ihre Arbeit ist, wie froh man darüber ist, dass Sie da sind. Sie müssen an sich denken, Herr Meyer. Sie können Ihre Frau als Ehemann unterstützen, aber Sie dürfen Ihre eigenen Bedürfnisse dabei nicht aufgeben.«
»Na ja, aber wenn .«
Franziska unterbrach ihn. »Das besprechen wir morgen. Gehen Sie runter nach Vitt, essen Sie bei Heinrich frischen Fisch, lassen Sie sich die gute Ostseeluft um die Nase wehen. Morgen, wenn Sie eine Nacht geschlafen haben, sehen wir weiter«, schloss sie in einem Ton, der keinen weiteren Widerspruch duldete.
Herr Meyer sprang eilig auf, was der weiße Korbstuhl mit überraschtem Knarzen quittierte. Beinahe unterwürfig verabschiedete er sich und beteuerte, dass er genau das tun werde. Fisch bei Heinrich sei immer eine gute Idee, dort sei er am besten. Und dann Wind um die Nase. So werde er es machen. Franziska folgte ihm durch die Tür ihrer Praxis. Während er in den Gebäudeteil der Villa Sanddorn verschwand, in dem die Gästezimmer und der Frühstücksraum untergebracht waren, trat sie ins Freie.
Herr Meyer war einer ihrer ersten Klienten, die Auszeit mit Einsicht - Coaching im Urlaub gebucht hatten. Schon lange wollte Franziska sich intensiv um die Vermarktung kümmern, doch ihr fehlte schlicht die Zeit dazu. Streng genommen hatte sie den Aufwand unterschätzt, den die Sanierung des alten Hauses bedeutet hatte und noch immer bedeutete. Dabei hätte sie es ahnen können. Welcher andere Grund hätte dafür sorgen sollen, dass Niklas nicht längst die Büroräume von Rügorange in den Bau im Stil der Bäderarchitektur verlegt hatte, der am Rand seiner Sanddornplantage mehr und mehr verfiel? Das Firmengebäude war zu klein geworden, es wäre schon lange ideal gewesen, einige Büros von der Produktion und den Lager- und Kühlräumen zu trennen. Obendrein hätte sich Niklas in der zweistöckigen großzügigen Villa eine tolle Wohnung ausbauen können. Hätte. Hatte er aber nicht. Sowohl die Kosten als auch die riesige Aufgabe hatten ihn davon abgehalten. Er hatte schon genug...
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