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Sie sind wahrhaftig schwarz. Sieh dir das an, schwarz am ganzen Körper, soweit sich das sagen lässt.«
»Aber da sind auch sehr viele weiße Menschen, wahrscheinlich zum größten Teil deutsche Landsleute. Du brauchst also keine Angst zu haben.«
»Ich habe keine Angst.« Wilhelmina sah ihren Mann überrascht an. »Ich konnte es mir nur nicht vorstellen.«
Da standen sie nun an Bord von Seiner Majestät Schiff Schwalbe, jenem Schiff, das, wie sie schon am ersten Tag ihrer Reise erfahren hatten, im Mai des Jahres an der Einnahme der Stadt Kilva im Süden Ostafrikas beteiligt gewesen war. Drei Kanonen habe man erbeutet, teilte ihnen ein Reisender mit, der ihres Wissens nichts mit dieser Militäraktion zu schaffen hatte, dessen Brust dennoch vor Stolz schwoll. Die seien der Direktion des Bildungswesens der Marine zur Aufnahme in die Trophäensammlung übergeben worden. Wilhelmina hatte sich gefragt, ob es nicht gescheiter gewesen wäre, die Kanonen zu verwenden, anstatt sie nur zur Schau zu stellen. Doch sie war bloß eine Frau und verstand nichts von diesen Dingen.
»Ich bete zu Gott«, sagte Alexander Paulsen plötzlich leise, »dass wir das Richtige getan haben.«
»Dessen bin ich mir ganz sicher«, gab Wilhelmina ohne jedes Zögern zurück. »Dich selbst zu töten hätte dir einen Platz in der Hölle eingebracht. Dies hier sieht nicht nach der Hölle aus. Es ist wunderschön.« Sie betrachtete die Insel, die ihre vorletzte Station sein würde. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie Palmen. Den Strand von Travemünde oder Grömitz kannte sie von einigen seltenen Ausflügen. Was sie dort in der Heimat zu sehen bekommen und durchaus hübsch gefunden hatte, war mit dem Anblick, der sich ihr hier bot, in keiner Weise zu vergleichen. Der Sand war so weiß, dass er sie blendete, und auch das Meer glitzerte so kräftig, dass sie eine Hand über ihre Augen legen musste, um sie zu schützen. Das Wasser schillerte in allen erdenklichen Blau- und Türkistönen. Sie konnte nicht fassen, dass es so etwas gab.
Der Dampfer machte neben Segel- und anderen Dampfschiffen fest. An Land standen Männer mit schwarzer Haut und schwarzen Augen, die Turbane auf den Köpfen trugen und lange Gewänder, die bis hinunter zu den offenen Sandalen reichten. Andere hatten Hüte auf den Köpfen, die wie mit Stoff bezogene, falsch herumgedrehte Eimer aussahen. Die weißen Männer trugen eigentümliche runde Helme. Es roch nach Salz und fremden Gewürzen, und es war heiß.
Zu Hause war jetzt Winter, hier strahlte die Sonne vom Himmel, die Luft war feucht. Es fühlte sich an wie beim Waschtag, wenn sie Stunde um Stunde Kleider und Bettwäsche in beinahe kochendes Wasser getaucht, geknetet und schließlich ausgewrungen hatte. Dann war die Luft ähnlich, nur dass sie da in der Küche des Forsthauses, also in einem geschlossenen Raum gestanden hatte, in dem der Dampf aus den Schüsseln aufstieg und sich unter der Decke sammelte, bevor er allmählich durch die Fenster und die Ritzen in den Wänden nach draußen waberte. Hier war sie im Freien, der Schweiß lief ihr von der Stirn und den Rücken hinab. Ob sie sich daran würde gewöhnen können?
»Das sind Daus«, erklärte Alexander und deutete auf kleine Boote mit großen Segeln, die seltsam schief standen. »Die Eingeborenen benutzen sie schon seit Hunderten von Jahren und können damit hoch am Wind segeln.«
Wilhelmina kannte ihren Mann besser als er sich selbst. Sie wusste, dass die Begeisterung, mit der er sprach, nicht echt war. Er war lediglich darauf bedacht, ihr das Gefühl zu geben, sie würden einer guten Zukunft entgegenblicken, woran er selbst jedoch gründlich zweifelte. Dabei benötigte sie weder Trost noch Ermunterung. Noch immer war sie froh, dass sie, nachdem sie seinen Abschiedsbrief auf seinem Kopfkissen entdeckt hatte, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken aus dem Bett gesprungen und in ihrem Nachtkleid aus dem Haus gestürmt war. Sie brauchte nicht zu überlegen, sie wusste genau, wohin er gegangen war. Und sie hatte recht gehabt. Als sie außer Atem den kleinen Weg hinunter zur Wiese lief, auf der seine geliebten Apfelbäume standen, konnte sie ihn schon sehen. Er hatte ein dickes Seil in der Hand.
»Du willst dich also einfach so davonmachen?«, schrie sie ihn an. »Du willst dich aufknüpfen und mich alleine zurücklassen?«
»Aber .« Er musste nach Worten suchen. »Ich habe es dir doch erklärt«, sagte er kleinlaut.
»Schöne Erklärung!«, stieß sie hervor. »Denkst du denn wirklich, eine Stelle als Köchin und ein Zimmer zählen für mich mehr als das Leben meines Mannes?«
»Ich weiß nicht.«
Bevor er nur ein weiteres Wort hatte sagen können, hatte sie ihm ins Gesicht geschlagen. So erschrocken sie darüber gewesen war, so heilsam schien die Ohrfeige sich auf ihn ausgewirkt zu haben. Alexander war immerhin so weit zu Verstand gekommen, dass ein Gespräch zwischen den Eheleuten möglich gewesen war.
»Es gibt immer einen Ausweg«, hatte sie schließlich eindringlich gesagt.
»Und welchen?«
Selbst Wilhelmina hatte einen Augenblick überlegen müssen. Doch dann war es ihr auf einmal ganz klar gewesen. Die ganze Welt sprach immerhin von diesem Carl Peters, der in Ostafrika eine Kolonie gegründet hatte.
»Der braucht ständig gute Leute, vor allem Botaniker und Landschaftsmaler. Damit kennst du dich aus. Gehen wir also nach Ostafrika!«
Keine sechs Wochen später hatten sie die SMS Schwalbe betreten. Sie gehörte zur Kaiserlichen Marine, war also kein klassisches Passagierschiff. Daher waren es nicht viele, die neben der Besatzung an Bord waren. Außer Wilhelmina und Alexander waren fünf Dienstboten in der zweiten Klasse von Hamburg nach Neapel und von dort weiter nach Sansibar gereist. Sie begleiteten ihre Herrschaften, die selbstverständlich in der ersten Klasse logierten.
Alexander legte ihr einen Arm um die Schultern. Sie erschrak, so tief war sie in ihre Erinnerungen versunken.
»Sie nehmen frischen Proviant an Bord und laden die Post ein, dann geht es weiter nach Dar es Salaam. Heute Abend werden wir eintreffen.«
»Dann ist es auch genug«, sagte sie und seufzte. »Fünfundzwanzig Tage sind wir nun unterwegs. Ich bin froh, wenn ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen habe.«
»Du bist eine sehr tapfere Frau. Nicht einmal hast du geklagt, wenn die Wellen das Schiff auch noch so sehr herumgeworfen haben. Jetzt hast du es bald überstanden.«
Sie nickte. »Ja, heute Abend beginnt unser neues Leben.« Zu Hause würde sie jetzt Gebäck für Weihnachten vorbereiten, das Haus gründlich sauber machen und es für das Fest schmücken. Ob sie hier überhaupt Weihnachten feiern konnten? Die Landschaft ihres geliebten Holsteins fehlte ihr jetzt schon, die Anstrengung des vergangenen Monats, den sie fast komplett auf See verbracht hatten, machte sich bemerkbar. Sie war erschöpft und niedergeschlagen. Es fiel ihr schwer, zuversichtlich zu sein. Aber eine bessere Alternative gab es für sie eben nicht. Mit diesem Schicksal zu hadern würde also nichts nützen. Um sich abzulenken, beobachtete sie wieder aufmerksam das Geschehen im Hafen. Mit einem Mal entdeckte sie ausgemergelte schwarze Männer. Sie trugen nur weiße Tücher um ihre schmalen Hüften, sonst nichts. Dicht standen sie beieinander mit bloßen Füßen auf engem Raum.
»Sieh nur, Alexander, die Männer dort. Sie sind gefesselt. Und sieh nur, wie dürr sie sind. Das sind doch nicht etwa Sklaven!«
»Gewiss nicht, mein Herz.« Er hatte geantwortet, ohne überhaupt gesehen zu haben, wovon seine Frau sprach. Jetzt blinzelte er und versuchte etwas zu erkennen.
»Ich dachte, wir gründen Kolonien, um den Sklavenhandel zu unterbinden. Ist es nicht so?«
»Ich sage dir doch, es sind keine Sklaven. Das glaube ich nicht. Vielleicht sind es Strafgefangene, Männer, die sich etwas haben zuschulden kommen lassen.«
»Aber sieh doch nur, einige von ihnen sind beinahe noch Kinder. Was sollten sie wohl verbrochen haben, dass man sie in Ketten legt? Gehört es sich nicht unter zivilisierten Leuten, diesen Menschen einen Prozess zu machen, wenn sie wirklich Schuld auf sich geladen haben?«
»Das sind keine Menschen, das ist Vieh!«
Wilhelmina gab einen spitzen Schrei von sich. Sie war so konzentriert gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie ein Mann neben sie getreten war.
»Verzeihung, ich wollte Sie nicht erschrecken.« Der Fremde hatte blonde dünne Haare und ein vernarbtes Gesicht. Da hatte wohl jemand die Finger nicht von juckenden Windpocken lassen können, vermutete Wilhelmina. »Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Dr. Gregor Martius. Vor sechs Jahren bin ich mit dem hochverehrten Carl Peters nach Afrika gekommen. Glauben Sie mir, ich kenne die Eingeborenen.« Alexander stellte seine Frau und sich ebenfalls vor, ohne jedoch dazu zu kommen, weitere Angaben zu machen. »Sie sind neu hier, das sieht man«, sprach Martius sogleich weiter. »Was haben Sie verbrochen, dass man Sie in dieses unwirtliche Schattenreich abgeschoben hat?«
»Ich muss doch sehr bitten«, ereiferte sich Alexander. »Es gibt überhaupt keinen Grund, warum wir nicht in unserer Heimat hätten bleiben können.« Wilhelmina merkte, wie er nach Worten rang, wie er nach einer Erklärung suchte. Martius ersparte ihm eine Notlüge.
»Verzeihung, Sie sind noch ein wenig angeschlagen von der langen Reise, nehme ich an. Mir war mein Humor auch abhandengekommen, als ich vor Jahren zum ersten Mal hergereist bin.« Er lachte, ohne tatsächlich amüsiert zu wirken. »Mein Bester, es war nur ein Spaß. Natürlich sind wir alle freiwillig hier. Wer wollte nicht an einem solch großen Abenteuer teilhaben?« Er öffnete die...
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