Schweitzer Fachinformationen
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Die Begriffe ziviler Ungehorsam, direkte Aktion (oder wahlweise Direct Action) und Militanz stehen allesamt für einen politischen Protest, in dem die eigene Überzeugung ungefiltert und ohne Rücksichtnahme auf die Akzeptanz bei denen, an die er sich richtet, zum Ausdruck kommen. Das ist das Unterscheidungsmerkmal zu Formen des eingebetteten Protests, zu dem es ansonsten auch viele Schnittmengen geben kann. Denn sowohl diese als auch jene Aktionen können langweilig oder aufregend, ritualisiert oder kreativ, legal oder illegal sein, können ihre politische Position auffällig oder kaum sichtbar präsentieren. Eingebettet ist eine Handlungsform, wenn sie nicht in Konfrontation zum Adressaten steht, sondern Teil des herrschenden Systems ist, also dessen Regeln, Strukturen und Mittel nicht nur taktisch oder gar subversiv nutzt, sondern sich als Teil der politischen Abläufe versteht. Ein Beispiel ist die Anfang Januar gestartete Petition, das »N-Wort« zu verbieten. Damit würde nicht Rassismus bekämpft, sondern das System von Überwachung und Strafe legitimiert.24 In solchen Fällen stützen die Akteur*innen, ob nun Firma, Partei, NGO oder kleine Gruppe ihre Hoffnung auf Veränderung darauf, zu beraten, zu warnen oder zu appellieren. Der plurale Rechtsstaat stellt eine Menge von Handlungsformen für solche Aktivitäten bereit oder wirkt sogar selbst als Initiator oder zumindest erster Unterstützer bei der Umsetzung. Mit Förderprogrammen, Personal, Räumen und Beteiligungsangeboten schafft er Rahmenbedingungen für Aktivitäten, die von externen Gruppen genutzt werden. Auf diese Art assimiliert der Staat viele seiner Kritiker*innen und formt Bedenken zu einem Hilfsprojekt für effizientes Regieren. Fehlentwicklungen und Unmut lassen sich dann frühzeitig berücksichtigen, kanalisieren oder das damit verbundene Know-how in die eigenen Planungen integrieren.
Die Nähe zu Staat und/oder Wirtschaft verschafft dem eingebetteten Protest Annehmlichkeiten in Form von Fördergeldern, Teilhabe an Informationen und Gremien. Das erweitert zwar Handlungsmöglichkeiten, aber nur innerhalb der festgelegten Abläufe politischer Entscheidungsfindung. Gleichzeitig verändern institutionelle Verknüpfungen oder bereits die Gewöhnung an, noch mehr aber die Abhängigkeit von Fördergeldern die internen Prozesse derer, die für konkrete Veränderungen eintreten. Besonders krass tritt das auf, wenn Hauptamtliche eingestellt werden. Deren Jobs sind regelmäßig von hohen Geldflüssen in die sie einstellenden Organisationen abhängig. Sind es Fördergelder, werden viele dazu neigen, gegenüber den Geldgeber*innen vorsichtig aufzutreten, um den eigenen Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Ebenso können Konzernspenden eine Zurückhaltung in der Kritik oder sogar Korruption bewirken. So haben einige große Entwicklungshilfeorganisationen millionenschwere Partnerschaften mit umstrittenen Konzernen abgeschlossen, obwohl das Geschäftsmodell dieser Unternehmen teils in extremem Gegensatz zu den Kernanliegen der NGOs steht.25 Das Gleiche gilt für Verbände, die ihre Hauptamtlichen aus Spendengeldern finanzieren. Sie müssen auf Empfindlichkeiten der zahlenden Klientel Rücksicht nehmen. In der Hauptsache sind das Angehörige aus bildungsbürgerlichen oder noch besser situierten Kreisen, die vom Wohlstand profitieren, der auf Kosten der Umwelt und des ärmeren Teils der Weltbevölkerung entsteht. Privilegien infrage stellende oder gar systemkritische Haltungen werden mit Rückgang der Einnahmen quittiert, weshalb Hauptamtliche und oft die ganze Führungsebene von Organisationen diese vermeiden. Sie setzen auf Detailkritik oder technische Lösungen, die individuellen Reichtum und Wirtschaftswachstum unberührt lassen. Kritiker*innen sehen darin »eine Parallele zur Entwicklung von grünen Parteien [.]. Im letzteren Fall professionalisieren sich politische Aktivisten, indem sie zu beruflichen Parteipolitikern und Parlamentariern werden.«26 Harald Welzers Kritik ist noch zugespitzter: »In den Jahrzehnten seit dem Aufkommen der Umweltbewegung hat sich eine Öko- und Nachhaltigkeitsindustrie mit einem Betriebssystem etabliert, in dem die NGOs, Stiftungen, Kommissionen, Think-Tanks und Räte in einem Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Mittel stehen.« Er verweist darauf, dass sich die tatsächliche Lage der Umwelt gleichzeitig weiter verschlechtert und sogar das Tempo der Zerstörung zunimmt. Konzerne und NGOs befinden sich in einer Win-win-Situation: Profite sind weiter und besser möglich, während die Folgen den warnenden Organisationen hohe Spendenflüsse garantieren.27
Ähnlich wie Abhängigkeit oder Gewöhnung an größere Geldflüsse kann die Einbindung in Gremien wirken. Personen, meist aus Führungspositionen, nehmen an Beratungszirkeln von staatlichen Stellen oder Firmen teil. Sie haben dort direkten Zugang zu Entscheidungspersonal und internen Informationen. Das verleiht einen Hauch von Mitentscheidungsbefugnis. Da moderne Entscheider*innen heute gut geschult sind, erzeugen sie selbst in völlig machtlosen Labergremien den Eindruck des Mitredenkönnens. Dann wollen die Beteiligten ihre Zugehörigkeit nicht aufgeben - und verhalten sich entsprechend unkritisch bis unterwürfig. Verschlimmert wird das durch einen Drehtüreffekt, der einsetzt, wenn Menschen aus eigentlich gegensätzlichen Intentionen tätig sind, aber grundsätzlich ähnlichen Arbeitsformen nachgehen oder sich dabei bereits begegnen. Wer sich in der Gremienarbeit bewährt, kann übergangslos die Seite wechseln. Es gibt keine Anpassungsprobleme, weil der Arbeitsstil ähnlich ist - es ist nur die andere Seite des Tisches. Folglich beziehen Firmen und Staaten ihr Personal immer öfter aus ihrer eigenen Opposition, vor allem, wenn sie diese schon länger an sich gebunden und in die Betriebsabläufe integriert hat. Selbst Personalunion, also das gleichzeitige Mitmachen auf beiden Seiten, ist dann vorstellbar, was Ämterhäufungen mit Tätigkeit in Parteien, Verwaltung oder Firmen und gleichzeitig in den scheinbar unabhängigen NGOs zeigen.
Politische Einmischung folgt meist aus konkreter Betroffenheit. Hier wird ein Wald gerodet, dort eine unerwünschte Einrichtung gebaut oder an noch anderer Stelle erfolgen Entlassungen. Einige große Organisationen bearbeiten zudem Themen auf Bundes- oder gar internationaler Ebene, stellen dort konkrete Forderungen auf oder begleiten das politische Geschehen mit ihrer eigenen Expertise in der Hoffnung, dadurch Abläufe oder Entscheidungen beeinflussen zu können. Dabei arbeiten sie in der Regel in doppelter Weise »im System«. Zum einen zielen ihre Vorschläge auf Korrekturen oder Ergänzungen des Bestehenden, ohne das Gesamte infrage zu stellen. Sie kämpfen gegen eine Straße, aber nicht für eine umfassende Verkehrswende. Sie kämpfen gegen ein Gewerbegebiet, aber nicht für ein anderes Wirtschaftssystem. Sie streiten um höhere Löhne, aber nicht für eine Vergesellschaftung der Firma. Oder gegen Abschiebungen, aber nicht für das Ende der Nationalstaatlichkeit. Zum anderen orientieren sich ihre Vorschläge an dem, was die aktuellen Rahmenbedingungen hergeben. Sehr oft pochen sie auf die Einhaltung der Gesetze, das heißt, sie fordern nur ein, dass wenigstens das auch eingehalten werden soll, was ohnehin schon gilt. Andere setzen sich für eine Detailveränderung an bestehenden Normen und Vorgaben oder an der Verteilung von Geldern ein, immer schön nach den geltenden Spielregeln. Ein solches Vorgehen ist für eine konkrete Sache oft naheliegend und zielgenau, also nicht nur nachvollziehbar, sondern in vielen Fällen auch von Erfolg gekrönt. Problematisch kann ein solches Vorgehen aber aus mehreren Gründen sein. Zum einen kann so stets nur ein kleiner Fortschritt erreicht oder die weitere Verschlimmerung der Lage verlangsamt werden. Da die Distanz zu den Sphären der Macht fehlt, gelingt es dieser oft, durch das Nachgeben an kleinen Details das bürger*innenschaftliche Engagement aufzusaugen und in seinen Betrieb zu integrieren. Beteiligte am Protest gelangen auf Posten im ursprünglich angegriffenen System oder lassen sich für PR-Veranstaltungen einspannen. Das kann den erreichten Fortschritt im Details aufwiegen, wenn zum Beispiel das kleine Projekt dem Greenwashing der Zerstörung im Großen dient. Solche Mechanismen sind längst in modernes Verwaltungshandeln integriert. So regeln sogenannte Ökokonten, dass Naturschutzmaßnahmen, die irgendwo durchgeführt werden, »bei späteren Eingriffen in Natur und Landschaft im Rahmen von Kompensationsmaßnahmen zur Verfügung« stehen - im Klartext: jeder Naturschutz an einer Stelle ermöglicht die Naturzerstörung an einer anderen.28 Aktiver Naturschutz verkommt so zum Steigbügelhalter für das genaue Gegenteil.
Nehmen wir als anderes Beispiel den großen Player Greenpeace. Der ist zwar weitgehend unabhängig von staatlichen Organen und Fördermitteln, aber er muss auf die Spender*innen achten. Jede Kampagne, die denen nicht gefällt, bedeutet einen Knick in der Einnahmekurve. Genaue Marktbeobachtung, Auswertung von Rückläufen auf Spendenmails und vieles mehr gehören zum Standardrepertoire solcher NGOs und Öko-Agenturen mit hohem Finanzbedarf. Vor vielen Jahrzehnten beendete Greenpeace eine Aktion für den zeitweisen Verzicht auf Autos vorzeitig, weil das Spendenbarometer sank. Stattdessen wurde der Smile, ein Prototyp für E-Autos präsentiert.29 Aktuell kämpft Greenpeace wieder mit aller Kraft für den Wechsel vom...
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