Schweitzer Fachinformationen
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»Nach Aussage des Fahrers ist Mrs. Wolfe ihm direkt vor den Bus getorkelt, als er sich der Haltestelle näherte.«
»Getorkelt?«, hakte Adrian nach.
»Nun ja. So drückte er es aus. Offenbar hat es nicht den Eindruck erweckt, als hätte sie vorgehabt, die Fahrbahn zu überqueren. Er sagte, dass sie torkelte.«
»Also war es ein Unfall?«
»Gut möglich. Aber natürlich brauchen wir den Abschlussbericht des Rechtsmediziners mit der Feststellung der Todesursache. Bislang wissen wir lediglich, dass ihr Blutalkoholspiegel sehr hoch war.« Detective Hollis warf einen prüfenden Blick auf ein Papier, das auf dem Schreibtisch vor ihm lag. »Zwei Promille. Eine gewaltige Menge, zumal für eine so zierliche Frau wie Mrs. Wolfe. Trank sie regelmäßig?«
Die Frage ließ Adrian zusammenzucken. »Äh, ja schon, wie man's nimmt«, antwortete er zögernd. »Allerdings nicht übermäßig. Nicht mehr als jede andere dreiunddreißigjährige Lehrerin, die gestresst von einem langen Unterrichtstag heimkommt, denke ich. Ein Glas am Abend, manchmal zwei. Am Wochenende auch mal mehr.«
»Und das regelmäßig, Mr. Wolfe?«, insistierte der Detective.
Adrian stützte den Kopf in die Hände, rieb sich übers Gesicht. Er war seit halb vier in der Frühe wach, seit sein Telefon geklingelt und ihn aus einem wirren Traum gerissen hatte, in dem er mit einem Baby im Arm durch halb London geirrt war und immer wieder Mayas Namen zu rufen versuchte, ohne indes einen Ton herauszubringen.
»Halt«, sagte er. »Ihre Vermutungen gehen in die falsche Richtung. Meine Frau war keine Alkoholikerin oder in irgendeiner Weise abhängig.«
»Was dann? Warum war sie dann unterwegs und hat sich die Kante gegeben? Um ein bisschen Party zu machen? Etwas außer der Reihe zu erleben?«
»Nein, nein.« Er spürte, dass alles, was er sagte, kein Bild ergab, nichts erklärte. »Nein. Es war ganz anders. Eigentlich hat sie auf meine Kinder aufgepasst. In Islington .«
»Auf Ihre Kinder?«
»Ja.« Adrian stieß einen Seufzer aus. »Ich habe drei Kinder aus einer früheren Ehe. Meine Ex musste arbeiten, obwohl sie sich freinehmen wollte, und konnte kurzfristig niemand für die Kinder organisieren. Deshalb bat sie Maya, das zu übernehmen. Es bot sich an, weil noch Osterferien sind. Also war meine Frau tagsüber dort und wollte gegen halb sieben zurück sein. Aber sie kam nicht und ging auch nicht an ihr Telefon. Etwa alle zwei Minuten habe ich probiert, sie zu erreichen.«
»Ja, das haben wir bei der Überprüfung Ihres Handys gesehen.«
»Irgendwann nahm sie endlich ab, so gegen zehn, und da merkte ich, dass sie getrunken hatte. Sie erklärte, sie sei noch in der Stadt. Mit wem, sagte sie nicht. Angeblich wollte sie sich kurz darauf auf den Heimweg machen. Also blieb ich auf und wartete. Zwischen Mitternacht und eins probierte ich erneut, sie zu erreichen. Mehrmals. Anschließend bin ich wohl eingeschlafen. Um halb vier weckte mich dann das Telefon.«
»Wie klang sie, als Sie gegen zehn mit ihr gesprochen haben?«
»Sie klang .« Adrian kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. »Sie klang vergnügt. Fröhlich. Angeheitert. Sie war in irgendeinem Pub aus, wie unschwer an dem Lärm im Hintergrund zu erkennen war. Wie gesagt, behauptete sie am Ende, dass sie noch austrinken und danach gleich nach Hause kommen wolle.«
»Wie es halt so ist, nicht wahr«, meinte Hollis. »Wenn man einen gewissen Pegel erreicht hat, lässt man sich leicht zu einer Menge letzter Gläser verleiten. Und die Stunden vergehen wie Minuten.« Er schwieg eine Weile. »Haben Sie wirklich keine Idee, mit wem sie dort gewesen sein könnte?«
Adrian schüttelte den Kopf.
»Okay, macht nichts«, erwiderte der Detective. »Bislang weist sowieso nichts auf verdächtige Umstände hin. Sobald sich Anhaltspunkte für eine Fremdeinwirkung ergeben, müssten wir allerdings die letzten Stunden zu rekonstruieren versuchen, die Wirte der Pubs im Umkreis des Unfallorts befragen sowie die Freunde Ihrer Frau, um ein genaueres Bild zu bekommen.«
Hollis sah Adrian eindringlich an. »Eine letzte Frage, Mr. Wolfe: War zwischen Ihnen beiden alles in Ordnung?«
»Oh mein Gott, ja«, antwortete Adrian, der übermüdet und völlig durcheinander war. »Wir waren erst zwei Jahre verheiratet. Alles lief wunderbar.«
»Keine Probleme mit der anderen Familie?« Der Detective zögerte. »So etwas kann für Ehefrau Nummer zwei mitunter recht belastend sein. Sie verstehen, was ich meine?«
»Genau genommen war sie .«, setzte Adrian an. »Also, sie war meine dritte Ehefrau. Ich war vorher zweimal verheiratet.«
Sein Gegenüber zog die Brauen nach oben und musterte ihn so ungläubig, als hätte er ein Kaninchen aus dem Hut gezogen.
Für Adrian nichts Neues. Er war solche Blicke gewohnt. Sie besagten: Wie hat ein alter Sack wie du überhaupt eine Frau rumgekriegt, geschweige denn drei?
»Ich war mit allen Frauen immer gerne verheiratet«, fügte Adrian erklärend hinzu und merkte, noch bevor er den Satz zu Ende gebracht hatte, wie unpassend er klang.
»Und das lief alles ganz wunderbar, sagten Sie? Mrs. Wolfe hatte keine Schwierigkeiten mit einer solch .sagen wir mal komplizierten Situation?«
Seufzend strich Adrian sich eine Strähne seiner Haare, die er ziemlich lang trug, aus dem Gesicht.
»Es war und ist nicht kompliziert«, verteidigte er sich. »Wir sind eine große, glückliche Familie und fahren jedes Jahr alle gemeinsam in den Urlaub.«
»Alle?«
»Ja. Alle zusammen. Drei Frauen. Fünf Kinder. Jedes Jahr.«
»Und alle in einem Haus?«
»Ja. In ein und demselben Haus. Scheidungen müssen keine Katastrophe sein, wenn alle Beteiligten bereit sind, sich wie erwachsene Menschen zu benehmen.«
Der Detective nickte bedächtig. »Nun«, sagte er, »gut zu hören.«
»Wann kann ich sie sehen?«
»Weiß ich noch nicht.« Hollis schlug einen weicheren Ton an. »Ich werde mich im Büro des Rechtsmediziners erkundigen, mal sehen, wie die dort vorankommen. Jedenfalls dürfte es bald so weit sein. Sie sollten jetzt nach Hause gehen, duschen, einen Kaffee trinken .«
Adrian nickte. »Ja, das werde ich tun. Danke.«
Als er die Wohnungstür öffnete, gab es ein schrecklich misstönendes Geräusch. Der Schlüssel kratzte und knarzte im Schloss wie ein Folterinstrument, weil er ihn absichtlich langsam drehte. Adrian wollte nämlich das Betreten der Räume, in denen sie gemeinsam gelebt hatten, hinauszögern. Er wollte nicht ohne sie hier sein.
Die Katze begrüßte ihn im Flur, fordernd und sichtlich hungrig. Ausdruckslos starrte er sie an. Mayas Liebling. Mitgebracht vor drei Jahren in einer braunen Plastikbox zusammen mit ihren wenigen Habseligkeiten. Er hatte es nicht so mit Katzen, doch er akzeptierte sie in seiner Welt wie Mayas andere Sachen auch - die grellbunt geblümte Tagesdecke, den uralten CD-Player.
»Billie«, sagte er, während er die Tür hinter sich schloss und sich dann bleischwer dagegenlehnte. »Sie ist weg. Deine Mummy. Sie ist weg.«
Den Rücken fest gegen das Holz gepresst, ließ er sich langsam in die Hocke gleiten, drückte die Handballen gegen die Augenhöhlen und weinte. Die Katze kam neugierig näher, rieb sich an seinen Knien und gab ein klägliches Maunzen von sich. Er zog sie an sich, schluchzte noch heftiger.
»Sie ist tot, Miezchen. Unsere schöne, schöne Mummy. Was machen wir bloß ohne sie? Was machen wir nur?«
Die Katze wusste keine Antwort - sie hatte Hunger.
Adrian rappelte sich langsam hoch und folgte ihr in die Küche. Wühlte in Schränken und Regalen nach irgendetwas Essbarem für sie. Er hatte Billie nie gefüttert und nicht die geringste Ahnung, was sie normalerweise fraß. Schließlich öffnete er einfach eine Dose Thunfisch, die er zwischen den anderen Lebensmittelvorräten fand.
Inzwischen war es hell, die Morgensonne schien in den spartanischen, wenig anheimelnden Raum, der den größten Teil des Tages dunkel war, und tauchte ihn in ein grelles Licht, das das schmuddelige Braun der Holzdielen und den allgegenwärtigen Staub unbarmherzig zum Vorschein brachte. Ebenso die schwarzen Katzenhaare auf Billies Lieblingsplätzen, die klebrigen Ränder auf der Tischplatte, wo Maya gestern ihr morgendliches Glas Smoothie abgestellt hatte, sowie die feuchten Stellen und Risse auf Wänden und Decke.
Die Entscheidung für diese Wohnung war ein Schnellschuss gewesen. Maya musste aus ihrer Wohngemeinschaft raus, weil überraschend schnell ein Nachmieter gefunden worden war, und bei ihm drängte es damals, weil er nicht mehr allzu lange mit Caroline unter einem Dach wohnen mochte, nachdem er ihr bereits seine Scheidungsabsicht angekündigt hatte. Es war also allerhöchste Zeit gewesen, etwas Neues zu suchen. Und so hatten sie an einem schönen Vormittag drei Wohnungen besichtigt und sich dann spontan für die schlechteste in der hübschesten Straße entschieden.
Aber das war ihnen beiden in diesem Augenblick egal. Völlig egal. Weil sie verliebt waren. Und wenn man verliebt ist, sehen selbst hässliche Wohnungen hübsch aus.
Er sah Billie zu, die mäkelig von ihrem Thunfisch aß. Er würde sie weggeben müssen. Mayas Katze ohne Maya - ein unmöglicher Gedanke.
Er zog sein Handy aus der Jackentasche und starrte es eine ganze Weile unschlüssig an. Er musste Telefonate führen. Schreckliche Telefonate. Mit Mayas Eltern; mit Susie in Hove, mit Caroline in Islington und mit seinen Kindern, den großen wie den kleinen....
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