Schweitzer Fachinformationen
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Wenn ich Memoiren oder Biographien anderer Leute lese, frage ich mich oft, wie genau die wiedergegebenen Erlebnisse sind. Und woher sie die Daten haben. Ob sie vielleicht nur rekonstruiert sind.
Bei mir weiß ich es sicher. Ich habe Tagebuch geführt und Andenken aufgehoben. Fotos, Zettel, Sachen, um mich zu erinnern. Weil es schön war. Aufregend. Nacherlebenswert. Konnte ich einfach nicht wegschmeißen. Ich dachte immer, dann würde auch das Erlebte auf den Müll fliegen. Und irgendwie stimmte das auch.
Denn wenn man alle diese Dinge in die Hand nimmt, passiert etwas Erstaunliches: Plötzlich werden die Erinnerungsbilder scharf, Szenen, die vergessen schienen, tauchen wieder auf.
Mit einem Mal gibt es wieder Namen, Orte, Eindrücke, ganze Sätze. Das ist schon irre. Und ich genieße es, detailliert in mein Leben hineinschauen zu können.
Damit das alles nicht durcheinanderkommt, habe ich Ordner angelegt. Manche Inhalte sogar von Hand gebunden. Die Jahre 1965 bis 1979 sehen aus wie Bücher. Leider nicht so pedantisch, wie ich es manchmal dann gewünscht hätte. Aber dazu hätte man viel mehr Platz benötigt, und nicht nur ein Regal. Und natürlich Zeit, in der man auch durchaus andere Dinge tun konnte.
Nein, ich war nicht hyperaktiv, wie man heute mutmaßen würde. Ich habe nur nicht herumgesessen oder -gelegen. "Abchillen", sagt mein erwachsener Sohn dazu. Nein, das war nichts für mich. Auch Fernsehen war indiskutabel, das Programm etwas für die Elterngeneration.
Ich brauchte alles live. Filme musste ich selbst machen. Etwas abzubilden und zu manipulieren, das war sehr spannend. Vielleicht trifft mich heute der Blitz der Erinnerung, weil alles so intensiv war.
Und ich weiß ja, es ging gut aus. Nicht für jeden, aber für mich letztlich schon. Sonst würde ich das heute nicht schreiben können. Andere dagegen .
Ja, gut, handeln wir das schnell ab. Ich behalte Menschen lieber lebendig in Erinnerung als tot. Aber einige dieser Schicksale führen zu Rückschlüssen für die eigene Lebensführung. Die Erkenntnis ist einfach: Um etwas erzählen zu können, muss man es erleben. Das Geheimnis, viel zu erleben ist, dass man alt genug wird. Dazu muss man alle gefährlichen Situationen überleben. Man benötigt das Glück, sich nicht beim ersten Stolperer den Hals zu brechen. Auch nicht beim zweiten, beim dritten . und so weiter.
Einer meiner besten Freunde war Jacki.
Wir haben eine Menge zusammen ausgeheckt, seit ich ihn auf dem Gymnasium kennengelernt habe. Im Sandkasten machten wir chemische Experimente. Wo sonst? Dort konnte wenigstens nichts abbrennen. Jacki war auch der Star meiner frühen Filme. Die ungelenke Art, mit der er sich bewegte, wie er seinen viel zu langen, schmalen Körper zu beherrschen versuchte, ergab manchmal eine sehr unfreiwillige Komik. Aber er war hochintelligent und vor allem - witzig. Nie laut, immer bescheiden, hintergründig und konnte über den Dingen stehen. Leider war er, wie ich erst später erfuhr, Epileptiker. Und einer dieser Anfälle wurde ihm zum Verhängnis.
Er war 19, hatte Abitur gemacht und wollte studieren. Und wie es viele taten, nahm er auch einen Nebenjob an. In einer Fabrik für Leitz-Ordner. Man fand ihn leblos in einem Lagerkeller. Niemand war im entscheidenden Moment da gewesen, um Hilfe zu organisieren. Ich war sehr angefressen über die Art, wie es passiert war. So beiläufig, einfach knips! Und weg.
Dabei kannte ich das schon. Sieben Jahre vorher war mein Vater nach Feierabend nicht nach Hause zurückgekehrt. Stunden später klingelte ein Zeitungsreporter und erzählte, er wäre mit seinem Moped gegen einen Baum gefahren und sofort tot gewesen. Ich konnte das nicht glauben. Mit 40 km/h gegen einen Baum und sofort tot, was für ein Blödsinn! Auch, dass der gerade herrschende Sturm nachgeholfen hätte, war dafür nicht plausibel genug. Später stellte sich heraus, dass es genau umgekehrt war. Der Baum war auf ihn gefallen, als er gerade vorbeifuhr, genau aufs Genick.
Das war meine erste Lektion in Sachen Wahrscheinlichkeit. Dieser Fall hatte mathematisch gesehen kaum eine Existenzberechtigung. Aber es war passiert.
Nun gut, er war zu diesem Zeitpunkt 51, hatte den Russlandfeldzug im Zweiten Weltkrieg überlebt und dort auch viel erlebt. Aber es waren keine Inhalte, an die man sich gern erinnert. Krieg, Gefangenschaft, und dann die harten Jahre des Wiederaufbaus. Er starb, nachdem er ein paar Wochen vorher gesagt hatte: "Und dieses Jahr machen wir mal Urlaub. Die ganze Familie, zum ersten Mal!" Und dafür hatte er extra ein Auto gekauft. Aber das Benzin für das Moped war billiger. Hätte er einfach nur das Auto genommen, wo doch das Wetter sowieso keine Freude für Zweiradfahrer gewesen war!
Man kann also selbst etwas tun, um sein Leben zu verlängern. Ich bin dann auch nie Motorrad gefahren und ehe ich mich entschloss, den Schein für die gefährlichste aller frei verfügbaren Waffen, das Auto, zu bekommen, wurde ich 25. Diese gefährliche Lebensphase - jung und motorisiert - ging also folgenlos an mir vorüber.
Von Rockstars kennt man spektakuläre Abgänge im Drogenrausch. Haben sie deshalb besonders viel erlebt, wenn sie an einer Überdosis von allem Möglichen sterben? Wahrscheinlich nicht! Zu schnell zu viel von allem, das ist auch nicht das Konzept, dachte ich nach dem Tod von Janis Joplin und Jimi Hendrix. Und als Toppi, den ich schon im ersten Kapitel vorgestellt habe, starb, war er auch erst 25. Als seine durch übermäßigen Alkoholgenuss erworbene Leberzirrhose sein nahes Ende andeutete, sagte er: "Tut mir einen Gefallen, ja? Schreibt auf meinen Grabstein: Er lebte, so schnell er konnte!"
Er hatte es genau auf den Punkt gebracht. Eigentlich muss man das Leben nicht auffordern, sich zu beeilen. Man kann es passieren lassen.
Oder Yogi, der sich aus Langeweile auf Heroin einließ. Wir kriegten ihn nicht wieder von der Nadel runter. Viel älter war er auch nicht, als er daran draufging.
Also dachte ich, man kann viel machen, aber man muss sich nicht in die erste Reihe vordrängeln. Dort, wo die fetten Ereignisse versteigert werden. Besser ist es, sich erst einmal anzuschauen, was dort angeboten wird, und wie es sich auswirkt. Also sozusagen sich in die zweite Reihe zu stellen. Dort kann man immer noch viel erleben.
Natürlich ist es unmöglich, immer Zurückhaltung zu üben. Manchmal kann man einfach nicht Nein! sagen. Dann braucht man etwas Glück.
Und manchmal passt man einfach nicht auf. Dann wird es kritisch.
Das kenne ich auch.
Ich glaube, ich war 27 oder 28, jedenfalls fuhr ich einen Renault R4, da geschah eines jener Ereignisse, über die man später immer wieder den Kopf schüttelt.
Ich hatte getankt, die Tankstelle existiert inzwischen nicht mehr, Ringbahnstraße in Berlin-Tempelhof, und wollte bezahlen gehen. Ich zog also mein Portemonnaie und stiefelte los. Das nächste, an das ich mich erinnern kann, ist, dass ich mitten im Kassenraum stand. Um mich herum ein Haufen kleiner Glasscherben. Die Frau hinter dem Tresen hatte die Augen aufgerissen und schrie. Dann sagte sie sehr unsicher: "Sind Sie verletzt?"
Ich schaute sie ausgesprochen dumm an. Ich weiß schon, wann ich dumm dreinblicke!
Das war einer jener Momente.
Ich war einfach durch die frisch geputzte, aber leider geschlossene Glastür gelaufen. Ein Kung-Fu-Trainer wäre stolz auf mich gewesen, aber solch einen Lehrgang hatte ich nie absolviert. Ich hatte die Tür einfach nicht ernstgenommen. Kann ja mal vorkommen.
"Nein", sagte ich, "ich habe nichts. Keine Schramme. Es tut mir auch sehr leid. Ich bin aber versichert!"
Die Kassiererin hatte ihre Fassung wiedergefunden. Sie versuchte, mich zu beruhigen, aber ich war ja ruhig. Ich bedauerte lediglich mein Missgeschick. Ich gab ihr meine Adresse, aber es kam nichts. Keine Rechnung, kein Brief. Als ich dort eine Woche später wieder vorbeikam, hatte man neu verglast - und zwei von den beliebten Raubvogelschatten drauf geklebt. Ich habe die Tür auch nie wieder übersehen.
Aber kurze Zeit später schlug der Echo-Effekt zu. Sie wissen ja, alles im Leben passiert zweimal. Wahrscheinlich, damit man merkt, dass da was Wichtiges war.
Die Fenster in meinem Haus gingen nach innen auf und es war noch immer Sommer. Irgendetwas fiel mir auf den Boden. Ich bückte mich und suchte, krabbelte auf dem Teppich herum, und schließlich fand ich es. Also konnte ich mich wieder aufrichten.
Es gab ein paar undefinierbare Geräusche, ein heftiges Klirren und ich saß schon wieder inmitten von Glassplittern, diesmal aber mit einem Rahmen um mich herum.
Meine damalige Langbeziehung stürmte herein und rief - na, was wohl?
Nein, ich war nicht verletzt. Lediglich ein kleiner Splitter steckte in meinem Unterarm. Ich zog ihn heraus und betrachtete den winzigen Tropfen Blut, der aus der Wunde drang. Dann stieg ich aus dem Rahmen und beruhigte meine etwas panische Liebste.
Soll ich weiter erzählen? Ja, klar, dazu habe ich ja dieses Buch angefangen.
Zwei Jahre später, ich fuhr inzwischen einen Lieferwagen Marke "Hanomag", Hochkasten und "zum drin Wohnen" ausgebaut, passierte das nächste "Wunder" oder wie man es nennen sollte.
Wir waren auf dem Weg nach Hause, nachmittags um kurz vor sechs. Es war wieder Sommer. Ich hatte meine Freundin von der Arbeit abgeholt und mit ihr kam eine Kollegin, die mit einem Freund von mir verbandelt war. So ein Lieferwagen hat oft vorn drei Sitze und sie saß in der Mitte, aus irgendeinem Grund...
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