Schweitzer Fachinformationen
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In der Dschungelschule gab es keine Glocke, die am Ende des Unterrichts läutete. Es gab auch keinen Gong und keine Pfeife, in die irgendein erschöpfter Lehrer mit letzter Kraft hineinblies. Nein. In der Dschungelschule gab es Ara, den roten Schulpapagei, der jeden Mittag seine Runde flog, von einer Hütte zur nächsten, um durch ein offenes Fenster die einzigen Worte zu schreien, die er kannte: »Aus, aus, Schule aus!«
Nur leider ließ Ara an diesem Tag noch auf sich warten.
Es war heiß. Henry wischte sich den Schweiß von der Stirn und dachte an das kühle blaue Meer, in das er jetzt am liebsten mit dem Kopf voraus hineinspringen wollte. »Nachher Perlenbucht?«, kritzelte er auf einen Zettel und schob ihn zu seinem besten Freund Gecko hinüber, der neben ihm saß. »Am liebsten gleich«, schrieb Gecko zurück.
Henry nickte und malte drei große Buchstaben auf das Blatt: »ARA! Komm endlich!«
Aber der Schulpapagei tat ihnen den Gefallen nicht. Dafür kam ihre Lehrerin Miss Wood auf die seltsame Idee, in der letzten Stunde bei 33 Grad noch ein neues Thema anzufangen.
»Oh nein, echt jetzt?« Gecko stöhnte.
Miss Wood warf ihm einen strengen Blick zu und zeigte der Klasse vier Bilder von verschiedenen Tieren: Auf einem war eine Schlange zu sehen, auf dem nächsten eine Spinne mit haarigen Beinen, danach ein Skorpion und ein leuchtend gelber Frosch. »Na, was meint ihr?«, fragte die Lehrerin. »Welches von diesen Tieren ist das giftigste?«
Viele Arme schnellten in die Höhe, aber es gab wie immer ein paar Kinder, die sich nicht meldeten, sondern die Antwort einfach so in den Raum riefen: »Der Frosch! Der Frosch! Es ist der Frosch!«
»Danke«, sagte Miss Wood. »Schön, dass ihr es alle wisst. Aber jetzt darf Lou noch etwas dazu sagen, sie hat sich nämlich als Erste gemeldet.« Lou war ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren, das immer still in der letzten Reihe saß und nicht viel mit den anderen Kindern sprach. Deshalb war Henry jedes Mal überrascht, wenn er ihre Stimme hörte.
»Das ist ein Pfeilgiftfrosch«, sagte sie leise. »Man darf ihn nicht berühren, weil das Gift auf seiner Haut sitzt. Und manche Frösche sind so gefährlich, dass ihr Gift zehntausend Mäuse töten kann.«
»Ganz genau«, lobte Miss Wood. »Zehntausend Mäuse oder zehn Menschen. Das Gift des Schrecklichen Pfeilgiftfrosches wirkt so stark, dass es eure Muskeln lähmt und eure Atmung. Nach ein paar Minuten hört euer Herz auf, zu schlagen - und bumm! Das war's.«
Henry zuckte zusammen. Eigentlich mochte er seine Lehrerin, aber manchmal sprach sie unangenehme Dinge so klar und offen aus, dass es ihn verstörte.
»Ich mag keine Frösche«, knurrte Gecko und wiederholte diesen Satz noch ein paarmal, während Miss Wood weiter von den gefährlichen bunten Tieren erzählte. Die Kinder erfuhren, dass sie auf der Krakeninsel sehr selten waren, aber schon ein paarmal gesichtet wurden, und sie besprachen, welche Möglichkeiten sie hatten, wenn sie im Dschungel mal einen Pfeilgiftfrosch entdeckten:
Stehen bleiben und staunen, weil er so schöne Farben hat (nicht empfehlenswert).
Jagen und fangen (blöder geht's nicht).
In Ruhe lassen und weglaufen (gute Idee).
Zum Schluss verlangte Miss Wood von ihren murrenden Schülern, noch einen Frosch in ihr Heft zu zeichnen. Aber da hörten sie zum Glück das vertraute Flattern von Papageienflügeln. Ein roter Vogel landete neben der Lehrerin auf dem Fensterbrett und krächzte, so laut er konnte: »AUS, AUS! SCHULE AUS!«
Henry und Gecko jubelten und packten schnell ihre Sachen ein. Aber sosehr sie sich auch beeilten: Sie waren nicht die Ersten, die die Hütte verließen. Denn das war wie immer Lou, das Mädchen aus der letzten Reihe. Henry sah ihr nach, wie sie hinter dem blauen Hauptgebäude verschwand, und fragte sich, warum sie nicht mal länger auf dem Schulhof blieb wie alle anderen Kinder auch. Sie kam morgens immer als Letzte und ging mittags als Erste, während andere Schüler noch in kleinen Gruppen zusammenstanden und redeten, Fangen spielten oder auf dem großen Lianenbaum herumkletterten, der in der Mitte des Schulhofes stand. Auch Henry und Gecko schnappten sich nun zwei Lianen und schwangen schreiend hin und her, während über ihren Köpfen zwanzig andere Kinder an den Ästen des Baumes hingen. Die Dschungelschule befand sich auf einer hellen Lichtung und bestand aus mehreren bunt angestrichenen Hütten, die in einem großen Kreis um den Lianenbaum angeordnet waren. Vor manchen Hütten wuchsen sogar farblich passende Pflanzen: Um den Eingang der lilafarbenen Hütte rankten sich lila Passionsblumen, und neben der gelben Hütte ragte eine große Bananenstaude in die Höhe - was sehr praktisch war, wenn ein Kind mal sein Pausenbrot vergessen hatte. In jeder Hütte wurde eine Klasse unterrichtet, außerdem gab es noch ein Außencamp mitten im Dschungel. Hier lernten die Kinder, wie man eine Schutzhütte aus Palmwedeln baute, wie man Werkzeuge schnitzte und welche Pflanzen sich zum Essen eigneten. Neben dem Wildnisunterricht gab es auch Fächer wie »Segeln« und »Meereskunde«, denn die Dschungelschule befand sich nicht auf dem Festland, sondern auf einer Insel.
Man nannte sie die »Krakeninsel«, und sie trug diesen Namen wegen ihrer besonderen Form, die an einen riesigen Oktopus erinnerte. Steile Klippen und Landzungen ragten wie Fangarme ins Meer hinein, und in der Mitte der Insel erhob sich ein Berg, der mit dichtem Regenwald bewachsen war. Es gab türkisfarbene Buchten mit weißen Stränden, aber auch dunkle und gefährliche Orte, um die man lieber einen Bogen machte. In Klippenstadt im Westen versteckten sich einige finstere Gestalten, und in der Tintenbucht im Osten waren immer wieder unheimliche Schatten im tiefblauen Wasser zu erkennen. Man erzählte sich, dort würde ein Seeungeheuer leben, das Schiffe zu sich in die Tiefe zog. Aber Henry war sich nicht sicher, ob das stimmte. Er hatte sich einmal mit Gecko stundenlang hinter einen Felsen gesetzt, um die Tintenbucht zu beobachten, aber außer Wasser hatten sie nichts gesehen.
»Was ist? Gehen wir jetzt zum Strand?«, fragte Henry.
»Klar!« Gecko ließ im Schwingen seine Liane los. In einem hohen Bogen flog er durch die Luft und landete auf der Wiese. Auch Henry sprang von seinem Ast und schnappte sich seine Schultasche.
»Aber ich muss vorher noch zu meinen Eltern auf den Markt«, sagte Gecko. »Sie waren heute Morgen sauer, weil Pimpam wieder den Armreif von Mama versteckt hat. Und wenn der Reif noch nicht aufgetaucht ist, muss ich ihn suchen.«
Henry stöhnte. »Na toll. Das kann ja ewig dauern!«
»Ich kann nichts dafür!« Gecko hob entschuldigend die Hände, aber Henry wusste, dass sein Freund sehr wohl etwas dafür konnte. Er war es schließlich gewesen, der den kleinen Affen so lange angefüttert hatte, bis er wieder und wieder in seinen Garten gekommen war. Gecko hatte ihn Pimpam genannt. Er hatte mit dem Affen gespielt und ihm Kunststücke beigebracht - und irgendwann war Pimpam einfach geblieben. So wie es auf der Krakeninsel oft vorkam. Hier kaufte man sich keine Haustiere, sie liefen oder flogen einem einfach zu.
Gecko liebte seinen Affen, auch wenn Pimpam ein paar anstrengende Eigenschaften hatte. Er klaute immer wieder Essen von den Marktständen und schnappte sich alle möglichen Dinge, um sie an andere Orte zu tragen, am liebsten auf Bäume. Gecko hatte schon mehrmals Ketten und Löffel von einer Palme herunterholen müssen, weil Pimpam sie dort abgelegt hatte. Zum Glück konnte er gut klettern - deshalb wurde er auch von allen Gecko genannt, obwohl er eigentlich Geronimo hieß.
»Der Affe macht nur Ärger«, sagte Henry, als sie den schmalen Pfad entlanggingen, der nach Goldhafen führte.
»Stimmt doch gar nicht«, verteidigte sich Gecko. »Pimpam hat schon viel gelernt! Er kann mit seinem Finger Löcher in Orangen bohren und sich Kokosnussschalen auf den Kopf setzen.«
»Aha.« Henry sah seinen Freund zweifelnd an, aber Gecko strahlte vor Stolz. »Er kann die Orange sogar hochwerfen und mit der Kokosnussschale wieder auffangen! Du wirst schon sehen: Irgendwann treten wir zusammen auf dem Markt auf.«
»Kannst du Pimpam nicht mal was Nützliches beibringen?«, fragte Henry. »Ich meine, so was wie Kartoffeln schälen oder Wäsche aufhängen?«
Gecko schüttelte den Kopf. »Hab ich doch versucht! Ich hab Pimpam sogar mal einen Besen gegeben, damit er den Boden aufkehrt.«
»Und?«, fragte Henry.
»Jetzt ist der Besen weg. Keine Ahnung, wo er ihn hingetragen hat.«
Sie hatten den Dschungel hinter sich gelassen und liefen nun an einem alten, verfallenen Wachturm vorbei, der auf einem Hügel oberhalb der Bucht stand. Von hier hatte man eine wunderbare Aussicht über die größte Stadt der Insel: Goldhafen. Überall auf den umliegenden Hängen breiteten sich bunte Häuser und Hütten aus, in den Gärten wuchsen neben Palmen und Blumen auch Mangobäume und Melonenpflanzen. Doch das üppige Grün verschwand, je näher man dem Hafen kam. In der Altstadt von Goldhafen standen die Häuser dicht gedrängt. Enge, verwinkelte Gassen führten zu einem großen Platz in der Mitte: dem Marktplatz, auf dem jeden Tag Waren aus aller Welt verkauft wurden. Auch entlang der Hafenstraße herrschte ein geschäftiges Treiben, denn vor Goldhafen lagen viele Schiffe vor Anker, große Handelsschiffe und kleine Fischerboote.
»Heute keine Piraten?«, fragte Gecko, als sie den Blick von oben über die Bucht schweifen ließen. Henry sah sich aufmerksam um und zählte die großen Segelschiffe: »Sieben,...
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