Schweitzer Fachinformationen
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Bei ihrem Praktikum in Finnland hatte Clemencia gelernt, dass es praktisch unmöglich war, einen Menschen in einem Auto zu transportieren, ohne dabei Spuren zu hinterlassen. So sorgfältig konnte man hinterher gar nicht saubermachen, dass jedes Haar, jede Hautpartikel, jede mikroskopisch kleine Stofffaser restlos beseitigt wäre. Und klinisch rein sah es im Innern von Kausikus Ford Escort sowieso nicht aus.
Andererseits wusste Clemencia natürlich, dass die Männer der Windhoeker Scenes of Crime Unit weder die Ausbildung noch die technischen Möglichkeiten hatten, um solche Mikrospuren nach den Regeln der Kunst zu sichern oder gar auszuwerten. DNA-Proben zum Beispiel konnten nur in Südafrika untersucht werden. Bis das Ergebnis vorlag, dauerte es mindestens zehn Tage, meistens deutlich länger. Dazu kamen die nicht unerheblichen Kosten. Wenn Clemencia etwa die Blutflecken auf dem Rücksitz des Escort analysieren lassen wollte, würde ihr Chef das mit der Begründung ablehnen, eine solche Analyse mache nur Sinn, wenn man die Ergebnisse abgleichen könne. Dazu müsse sie den verletzten Mittäter Kausikus erst einmal haben. Kriegte sie ihn nicht, wäre sowieso alles umsonst. Und wenn sie ihn kriegte, würde er bei einem geschickten Verhör doch wohl zugeben, im Wagen gesessen zu haben. Also brauchte man die namibische Staatskasse nicht unnötig zu belasten.
Doch die Blutspuren interessierten Clemencia sowieso nicht. Sie hätte nur gern gewusst, wer sie belogen hatte, die Farmer oder Tobias Kausiku. Deswegen hatte sie den Escort noch am Vorabend auf den Polizeiparkplatz hinter dem Präsidium schleppen lassen, deswegen war sie am Morgen persönlich bei den Scenes of Crime Leuten erschienen und hatte so lange genervt, bis sie einer sofortigen Untersuchung zugestimmt hatten. Ein einziges hellblondes Haar wäre Clemencia Indiz genug. Dann müsste Kausiku erst einmal erklären, wen er denn da in der Gegend herumgefahren hatte, wenn nicht den jungen Rodenstein.
«Und auf der Rückbank war auch nichts?», fragte Clemencia.
«Eine 5-Cent-Münze, Zigarettenasche, eine Camel-Kippe, Kronenkorken und jede Menge Sand und Dreck.»
«Kein Haar, kein Stofffetzen?»
«Nein», sagte der Spurensicherungsmann.
«Dann sucht noch einmal auf dem Beifahrersitz!» Clemencia hatte nicht daran gedacht, die Zeugen zu fragen, ob man Thomas Rodenstein vorn oder hinten in den Wagen gezwungen hatte. Wahrscheinlich nicht direkt neben den Verletzten. Vorn konnte man Rodenstein auch leichter mit dem Gewehr in Schach halten.
«Da war nichts.» Der Spurensicherungsmann schlug demonstrativ die Beifahrertür zu. Die aufgesprengte Motorhaube wippte nach unten und schlug gegen das Chassis des Escort.
Gut, dann gab es eben kein Indiz dafür, dass Thomas Rodenstein mit diesem Wagen entführt worden war. Ausschließen konnte Clemencia es aber auch nicht. Dazu traute sie der Spurensicherung einfach zu wenig. Sie rief im Büro an und erreichte Robinson. Er versicherte ihr, dass die Suche nach dem Verschwundenen auf vollen Touren lief. Bisher hätten sie allerdings erst einen Hinweis erhalten, und der habe sich als falsch herausgestellt. Ein weißer Tourist, der sich nach Katutura gewagt hatte, war nach Verlassen des Soweto Market zusammengeschlagen und ausgeraubt worden. Sein Ausweis war weg, er selbst hatte unter Schock seinen Namen nicht mehr herausgebracht, und so waren die Polizisten, die ihn aufgelesen hatten, nicht sicher gewesen, ob es sich bei ihm vielleicht um Rodenstein handelte. Er sei es aber nicht gewesen, und überhaupt habe die Sache nichts mit ihrem Fall zu tun. Ein ganz normaler Überfall, nichts weiter.
Am Telefon verteilte Clemencia die Aufgaben für ihre Leute. Die Krankenhäuser waren wegen des angeschossenen Täters abzuklappern, die Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchung sollten angemahnt werden. Clemencia selbst wollte noch einmal Farm Steinland besuchen. Da sie von Robinsons Fahrkünsten genug hatte, ließ sie sich an Inspector Tjikundu weiterverbinden. Der solle sich einen Wagen besorgen und sie abholen.
Gut zwei Stunden später kamen Tjikundu und Clemencia am Farmhaus der Rodensteins an. Der Wind hatte sich gelegt, sodass heute kein aufgewirbelter Staub die Luft trübte. Die Berge schienen zum Greifen nah, ihre Umrisse wirkten wie aus dem blauen Himmel ausgestochen. In der Sonne war es warm, fast zu warm, doch sobald man in den Schatten trat, spürte man, dass die winterliche Kälte sich nur vorübergehend zurückgezogen hatte und es kaum erwarten konnte, wieder aus ihren Schlupfwinkeln zu kriechen.
Die Verandatür stand offen. In der Küche wusch das Hausmädchen das Mittagsgeschirr. Clemencia fragte die Frau, ob es irgendwo hier in der Gegend Hererogräber gebe. Sie war eine Damara, wusste davon nichts, hielt es aber für unwahrscheinlich, denn . Sie zögerte. Erst nach längerem Bohren bekam Clemencia heraus, dass die Frau ihren vor elf Jahren verstorbenen Vater eigentlich auf der Farm bestattet haben wollte. Schließlich habe er fast sein ganzes Leben lang hier gearbeitet. Meneer Rodenstein habe das damals aber abgelehnt. Sonst könne man darauf warten, bis irgendwann einmal ein Nachkomme auftauche und das Grab als Beleg dafür anführe, dass es sich bei Farm Steinland um das traditionelle Land eines Damara-Familienclans handle. Bis zur Einforderung eines Wohnrechts oder gar der Übereignung von Grund und Boden sei es dann nicht mehr weit. Solche Schwierigkeiten wolle er gar nicht erst entstehen lassen.
«Meinen Vater haben wir dann bei Khorixas begraben, wo mein Bruder lebt.» Die Frau nahm einen Teller aus dem Spülwasser und wischte mit einer langsamen, kreisförmigen Bewegung darauf herum.
«Solange du lebst, darfst du für sie arbeiten, und dann verweigern sie dir ein Grab?», fragte Tjikundu.
«Nein, nein, die Rodensteins sind gute Menschen. Auch als mein Vater nicht mehr arbeiten konnte, durfte er hier bleiben und bekam zu essen. Nur als er starb .»
«Trotzdem», sagte Tjikundu.
«Ich hätte es nicht erzählen sollen», sagte die Frau. Sie legte den Teller zum Abtropfen hin und wies durchs Küchenfenster. «Mevrou Rodenstein ist draußen im Garten.»
Frau Rodenstein trug Arbeitskleidung und kudulederne Veldschuhe. Sie war gerade dabei, irgendwelche kahlen Büsche zurückzuschneiden. Als sie Clemencia und Tjikundu bemerkte, ließ sie die Gartenschere sinken und sagte: «Man muss das im Winter machen. Bevor die Zweige wieder Saft bekommen.»
«Alles zu seiner Zeit», sagte Clemencia. Der Winter war noch lange nicht vorbei. Aber selbst wenn durch ein Wunder morgen alles zu sprießen und zu blühen begänne, gab es für Frau Rodenstein jetzt nichts Wichtigeres als den Garten?
Als hätte sie Clemencias Gedanken erraten, sagte sie: «Es nützt niemandem, wenn man die Arbeit schleifenlässt. Ganz im Gegenteil, ich denke, ich bin es meiner Familie schuldig, dass der Betrieb läuft. Es ist unser Zuhause hier.»
Sie schnitt einen dürren Ast ab, fügte hinzu: «Noch.»
«Sie wollen wegziehen?»
«Wollen?» Frau Rodenstein lachte bitter. «Die Regierung hat uns eine Verkaufsaufforderung zugestellt. Im Zuge der Landreform ist unsere Farm dazu auserkoren worden, in den Besitz ehemalig Benachteiligter überzugehen. Weil sie dafür so geeignet sei, war die Begründung. Geeignet ist alles, was Weißen gehört und einigermaßen floriert. Wir sind auch nicht die Einzigen hier in der Gegend, die enteignet werden sollen.»
«Aber Sie werden doch entschädigt?», fragte Tjikundu.
«Wenn Sie mit Entschädigung meinen, dass uns ein paar Dollar pro Quadratmeter bezahlt werden sollen, dann ja. Aber was bekommen wir für den Schweiß, in dem die Farm aufgebaut wurde? Was ist mit all dem, was wir in diesem Garten gepflanzt und hochgepäppelt haben? Mit den Sonnenuntergängen, die wir nicht mehr von der Veranda aus werden beobachten können? Was mit den Freuden und Leiden von Generationen? Mit den Erinnerungen, die uns hier auf Schritt und Tritt begleiten?»
Und was war mit den Leuten, die hier auch lebten und arbeiteten, aber damit nicht einmal ein Anrecht auf ein Grab erwerben konnten? Clemencia wusste, dass Tjikundu diese Frage auf der Zunge lag. Sie berührte ihn leicht am Arm. Nein, nicht jetzt. Schließlich waren sie nicht hergekommen, um über die Landreform zu diskutieren, sondern um in einem Kriminalfall zu ermitteln. Clemencia sagte, dass sie leider noch keine Spur von Thomas Rodenstein hätten. Aber es gebe Fortschritte. Sie zeigte das Foto vor, das bei der erkennungsdienstlichen Behandlung von Tobias Kausiku gemacht worden war. «Haben Sie den Mann schon mal gesehen?»
Frau Rodenstein legte die Schere auf den Boden. Sie ergriff das Bild mit beiden Händen und studierte es genau. Dann sagte sie: «Ja, das ist einer der drei.»
«Welcher?» Clemencia hatte schon Weiße erlebt, für die ein schwarzes Gesicht wie das andere aussah. Sie wollte gern wissen, ob Frau Rodenstein zu ihnen gehörte. Davon hing jede Menge ab.
«Welcher? Was meinen Sie?»
«Der Angeschossene, der Fahrer des Fluchtwagens oder vielleicht der, der Ihren Sohn mit dem Gewehr bedroht hat?», präzisierte Clemencia.
«Der Angeschossene nicht.»
«Und von den anderen beiden?»
«Ich weiß nicht. Als sie dann alle ins Auto stiegen .» Frau Rodenstein schüttelte den Kopf. «Ich habe nur auf meinen Sohn geachtet. Das werden Sie doch verstehen, oder?»
«Natürlich», sagte Clemencia. «Und wo musste Ihr Sohn einsteigen?»
«Wieso ist das denn wichtig?»
«Vorn oder hinten?», fragte Clemencia.
Frau Rodenstein schloss für ein paar Sekunden die Augen, als könne sie sich nur so die Szene wieder vergegenwärtigen. Dann sagte sie....
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