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Montag, 7. August, 16:00 Uhr
Als Johanna ihren Wagen diesmal auf dem Parkplatz der Wittekindsburg abstellte, bot sich ihr ein völlig anderes Bild als noch vor zwei Tagen. Nur ein paar vereinzelte Wagen standen verlassen auf dem grauen Kies. Dunkle Wolken hingen tief am Nachmittagshimmel und raubten den Sonnenstrahlen die Kraft. Der Waldboden war vom Regen der letzten Nacht aufgeweicht und schlammig. Der Geruch von feuchter Erde, Moos und Baumrinde hing schwer in der Luft.
Vor der Drachenfliegerrampe stand eine kleine Gruppe von Menschen beisammen. Einer von ihnen war Robert Kuhn. Er trug einen klassischen schwarzen Anzug, der, wie Johanna vermutete, maßgeschneidert war und ziemlich teuer aussah. Als der Anwalt sie entdeckte, löste er sich aus der Gruppe und kam ihr entgegen. Förmlich gab er ihr die Hand. Johanna fielen die zahlreichen Schlammspritzer auf, die auf seinen schwarzen Lederschuhen ein bizarres Muster zeichneten. Es passte so gar nicht zu seinem restlichen Auftreten.
"Frau Neumann. Danke, dass Sie gekommen sind."
Als ob du daran gezweifelt hättest, dachte Johanna. Sie war völlig überrascht gewesen, als Robert Kuhn sie am Morgen in ihrem Büro angerufen hatte. Anders als ihre berufliche E-Mail-Adresse war ihre Telefonnummer den Lesern nicht öffentlich zugänglich. Darum hatte sie ausdrücklich gebeten. Manche Kollegen gaben jedoch beides preis.
Doch ihr reichte es für den Anfang, schriftlich erreichbar zu sein. Robert Kuhn musste also speziell nach ihr verlangt haben.
Es tue ihm sehr leid, dass ihre erste Berichterstattung ein so tragisches Ende genommen habe. Ob sie den Schock einigermaßen verarbeitet habe? Wie vorbildlich es sei, schon wieder am Schreibtisch zu sitzen. Er selbst sei ein Freund des verstorbenen Manuel Nowak gewesen und er wolle sie wissen lassen, dass sich am Nachmittag ein paar Freunde von Manuel verabschieden werden. Wäre es möglich, dass sie einen kurzen, angemessenen Bericht darüber schriebe? Ihm würde es viel bedeuten, vorausgesetzt natürlich, sie fühle sich dazu in der Lage.
"Herr Kuhn", nickte sie ihm nun zu. Er hielt ihre Hand etwas zu lange und deutete dann in Richtung der kleinen Gruppe: "Bitte."
"Das ist Frau Neumann vom Mindener Tageblatt", stellte er sie der Runde vor. Einige der Umstehenden nickten ihr zu, manche murmelten eine leise Begrüßung. Johanna krallte ihre Finger in das weiche Leder ihrer Handtasche. Erinnerungen an eine Beerdigung, die niemals hätte stattfinden dürfen, krochen aus ihrer Vergangenheit hervor. Erinnerungen, die sie wieder und wieder verdrängte und die doch immer einen Weg nach oben in ihr Bewusstsein fanden. Nicht jetzt, ermahnte sie sich.
"Mein Beileid", sagte sie leise und an niemanden Bestimmten gerichtet.
Robert Kuhn räusperte sich.
"Ich denke, wir sollten beginnen."
Die Gruppe versammelte sich im Halbkreis um die grüne Rampe herum. War grün nicht die Farbe der Hoffnung?, überlegte Johanna. Falls es die Hoffnung auf einen guten Flug war, hatte sie sich für Manuel Nowak jedenfalls nicht erfüllt. Unauffällig betrachtete sie die Umstehenden. Neben dem Anwalt waren noch drei weitere Männer und drei Frauen anwesend. Vermutlich alle in den Dreißigern, schätzte Johanna. Die gut aussehende Blondine neben Robert Kuhn erkannte sie wieder. Sie war Johanna bereits am Samstag auf dem Fest aufgefallen. Bestimmt handelte es sich um seine Ehefrau. In ihren zierlichen Händen trug sie einen Strauß langstieliger, roter Rosen. Langsam schritt sie nun von einem zum anderen und überreichte jedem Anwesenden eine der Blumen. Als sie vor Johanna stehen blieb, zog sie ihre Mundwinkel zu einem missglückten Lächeln nach oben. Johanna lächelte zaghaft zurück. Es kam ihr nicht richtig vor, hier zu sein. Der schwere Rosenduft stieg Johanna in die Nase und ihr wurde übel. Kaum war die Blumenträgerin an ihren Platz zurückgekehrt, ertönte aus dem Smartphone ihres Mannes leise Klaviermusik.
"Manuel, der Song ist für dich", verkündete er und eine zerbrechlich klingende Frauenstimme begann zu singen.
Alle senkten den Kopf und lauschten der langsamen Melodie. Es war eine Version von Over the Rainbow, die Johanna nicht kannte. Das Schweigen und die zarten Klänge des Liedes legten sich wie eine unsichtbare Kuppel über die Trauernden. Nach ein paar Takten mischte sich ein leises Schluchzen unter die Musik. Johanna beobachtete, wie Robert Kuhn den Arm um die Frau zu seiner Linken legte. Ihre Haut war beinahe ebenso dunkel wie das Schwarz ihrer Bluse. Ihre Schultern bebten und mit schmerzverzerrtem Gesicht starrte sie ins Nichts. Sicher war dies die Frau oder die Freundin des Verunglückten. Sofort verspürte Johanna den Wunsch, sie irgendwie zu trösten. Doch was hätte sie tun können?
Nachdem die letzten Töne des Liedes verklungen waren, herrschte für einen Moment eine gespannte Stille, bevor Robert Kuhn kurz einige Etappen aus dem Leben des Verstorbenen schilderte.
Mit den Worten, "Manuel, wir werden dich vermissen", beendete er seine Ansprache und nickte der noch immer weinenden Frau zu seiner Linken zu. Gemeinsam legten sie ihre Rosen auf der Rampe ab. Nach und nach taten die anderen es ihnen gleich. Johanna schluckte. Ihr Hals fühlte sich plötzlich wie zugezogen an. Ihre Beine zitterten, als sie sich langsam der Rampe näherte. Sieh auf dein Ziel, schärfte sie sich ein. Fixier einen festen Punkt, und dort legst du deine Blume ab. Du kannst das. Während sie ihre Rose langsam auf den grünen Belag bettete, machte sie den Fehler und blickte nach vorn. Als sie die Weser weit unter sich sah, wurde ihr augenblicklich schwindelig und sie schaffte es nur mühsam, sich abzuwenden und zu den anderen zurückzukehren.
"Bitte."
Robert Kuhn zog sie sanft, aber bestimmt am Ellenbogen mit sich, bis sie ein wenig abseits von der Gruppe standen.
"Für einen kurzen Beitrag dürfte das reichen, nicht wahr?"
Während er sprach, ließ er seine Hand auf ihrem Ellbogen ruhen. Die vertrauliche Nähe empfand Johanna als unangenehm.
"Wir werden jetzt noch Erinnerungen an Manuel austauschen. Das ist sehr persönlich. Ich glaube nicht, dass Sie hier dabei sein sollten. Für Claire, seine Freundin - mein Gott, die beiden waren über zehn Jahre ein Paar -, wäre es zu viel."
Er nickte vielsagend in ihre Richtung.
"Ein Foto von den Rosen wäre noch passend."
Es war keine Bitte oder Frage, einfach eine Aufforderung. Unter anderen Umständen hätte Johanna ihm gerne ihre Meinung gesagt. Ganz bestimmt musste er ihr nicht erklären, wie sie ihren Job zu machen hatte. Stattdessen brachte sie ein Lächeln zustande, von dem sie hoffte, es würde freundlich wirken.
"Natürlich."
Sie trat einen Schritt zurück, um sich endlich aus seinem Griff zu befreien.
"Ich mache noch das Foto und dann gehe ich direkt. Ich möchte nicht stören."
"Danke. Ich habe Ihnen noch eine E-Mail mit ein paar Daten zu Manuel gesendet. Vielleicht können Sie davon noch etwas gebrauchen. Ich melde mich noch mal bei Ihnen. Vielen Dank."
Mit diesen Worten ließ er sie stehen.
Mit klopfendem Herzen stand sie wieder an dieser elenden Rampe. Da die Konstruktion relativ hoch war, musste sie noch einmal nah an diese herantreten. Mit schweißnassen Händen machte sie einige Bilder.
"Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie gekommen sind."
Robert Kuhns Frau stand plötzlich neben ihr und betrachtete mit seltsam leerem Blick die einzelnen Rosen. Ein angenehmer, leicht blumiger Duft ging von ihr aus. Ihre blonden Haare fielen in perfekten Wellen um ihr Gesicht.
"Ich bin Laura Kuhn, Roberts Frau."
Sie lächelte Johanna an, ohne dass diese Geste ihre Augen erreichte.
"Es tut mir sehr leid, was passiert ist", antwortet Johanna, und dann, ohne weiter darüber nachzudenken, fragte sie: "Kannten Sie den Verstorbenen gut?"
"Manuel war ein Freund meines Mannes."
Täuschte Johanna sich oder warf Laura einen ängstlichen Blick in seine Richtung?
"Manuel war ein sehr sympathischer Mann. Die arme Claire."
Die beiden Frauen schauten zu ihr herüber. Robert Kuhn hatte bereits wieder schützend seinen Arm um sie gelegt.
"Eigentlich hätte er an diesem Tag springen sollen."
Laura fixierte noch immer ihren Mann, während sie dies sagte.
"Bitte?"
Johanna verstand nicht richtig.
Es schien Laura viel Kraft zu kosten, ihren Blick von den beiden zu lösen.
"Oh, es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen."
Sie wirkte abwesend und schüttelte leicht den Kopf, als würden ihre Worte nicht der Wahrheit entsprechen.
"Wissen Sie, eigentlich wäre Robert an diesem Tag gesprungen. Aber er musste in die Kanzlei."
Sie strich sich mit der Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Bewegung wirkte fahrig. Ihr Blick gläsern.
"Manuel ist für meinen Mann an den Start gegangen. Mit seinem Drachen. Wäre der Anruf des Mandanten nur etwas später gekommen, würde ich vielleicht dort stehen."
Johanna wusste nicht genau, woran es lag, an der merkwürdigen Stimmlage oder dem intensiven Blick, aber der Gedanke, dass es nicht so war, schien Laura Kuhn traurig zu stimmen.
Auf dem Weg zurück zu ihrem Wagen wurde Johanna das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Als würden sich zwei Augen glühend heiß in ihren Rücken bohren. Sie schaute nochmals zurück zu der Trauergemeinde, doch niemand aus der Gruppe sah zu ihr herüber. Obwohl die Sonne sich...
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