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Aus: Politische Studien - Fabian Schmidmeier - Vol. 72 (2021 März/April) [.] So bietet das Buch von Mahmoud Jaraba einen sehr lesenswerten, tiefen und detailreichen Einblick in die weltweite und auch die bayerische Salafistenszene. Ein tieferes Verständnis von Genese und Inhalt salafistischer Ideologie, das Jaraba erfolgreich vermittelt, ist grundlegend für ein wirkungsvolles Entgegentreten gegen den Extremismus der salafistischen Ideologie.
Aus: ekz-Bibliotheksservice - Christoph Gärtner -2.11.2021 [.] Die fundierten wissenschaftlichen Ausführungen werden durch eine historische Einordnung mit detaillierten Begriffsdefinitionen und durch ein umfangreiches Glossar und Quellenverzeichnis ergänzt. Flüssig geschriebene aber auch sprachlich anspruchsvolle Abhandlung für (...) Fachpublikum und interessierte Leserschaft..
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Kapitel 2
Die Narrative des modernen, rückwärtsgewandten Salafismus (Salafiya)7 sind keine Neuerfindung des postkolonialistischen Zeitalters, welche die arabischen und die islamischen Gesellschaften im Allgemeinen gewissermaßen aus dem Nichts infiltriert hat, sondern sie wurzeln in einer historischen, sunnitisch-islamischen Denktradition. Davon zeugt eine Fülle von Schriften, fatwas (Fatwas)8 und religiösen Diskursen, die sich über viele Jahrhunderte kontinuierlich angesammelt hat und einen eigenständigen ideologischen, normativen und dogmatischen Ansatz widerspiegelt. Die Bewegung des Neo-Salafismus ist hingegen ein typisches Kind der Moderne. Ihre Triebe sprießen aus den Sehnsüchten der arabischen Bevölkerung und haben tiefgreifende politische, soziale und kulturelle Konsequenzen zur Folge (Abu Rumman 2014: 27).
[36]Im vorliegenden Kapitel werde ich zunächst einen groben Abriss zur Begriffsgeschichte des Terminus Salafismus geben und demonstrieren, warum dieser Schritt für unser Vorhaben relevant ist. Daran anschließend werde ich die Schwierigkeiten aufzeigen, welche mit der Definition dieses Begriffs einhergehen. Im dritten Schritt werde ich mich darauf fokussieren, wie sich Salafisten in Deutschland selbst definieren. Auf der Basis dieser Begriffsannäherung werde ich dafür argumentieren, dass die in Forschungskreisen weit verbreitete dreiteilige Klassifizierung des Salafismus nach ihrer vorrangig entweder missionarischen, dschihadistischen oder politischen Ausrichtung im Kontext westlicher Lebensrealitäten (in diesem Fall in Deutschland) wenig hilfreich erscheint. Stattdessen schlage ich eine alternative Einteilung vor, welche die mentalen Konzepte des Salafismus im westlichen Kontext realistischer abbildet.
Im Folgenden fragen wir: Aus welchen Narrativen wurde der historische Salafismus konstruiert? Wie konnten sich diese Narrative durch die gesamte islamische Ideengeschichte hindurch bis ins 21. Jahrhundert behaupten? In welchen historischen Epochen konnte sich der Salafismus in besonderer Weise entfalten?
Die Herkunft des Begriffs Salafismus wird unter Islam- und Religionswissenschaftlern kontrovers diskutiert (über weitere Streitigkeiten bezüglich des Begriffs unter Gelehrten siehe Nafi 2014 auf Arabisch und Lauzière 2010 auf Englisch). Freilich liegt es mir im Rahmen dieser praktisch orientierten Studie fern, eine theoretisch fundierte historische Kontinuität dieses Begriffes zu postulieren und nachzuweisen. Ziel meiner Darstellung ist es vielmehr, einige besonders prägende historische Konzepte und Vordenker dieser Denkschule zu charakterisieren, welchen ich während meiner Feldforschung immer wieder in Befragungen und Freitagspredigen begegnete und die also im gelebten Alltag des Salafismus in Deutschland präsent sind. Mir geht es in erster Linie darum, dem interessierten Laien einen stringenten Überblick über ideengeschichtlich einflussreiche Terminologien und Persönlichkeiten zu geben, welche in bestimmten Epochen zu beobachten sind und einen wichtigen Referenzrahmen für die Narrative des modernen Salafismus bilden. Diese wiederum wirken sich unmittelbar auf weltanschauliche Haltungen, religiöse Einstellungen und den Lebensalltag ihrer Anhänger und deren Umfeld aus.
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Das Derivat Salafiya ist von der Wortwurzel salaf abgeleitet. Laut Basheer Nafi, einem der renommiertesten arabischen Historiker im Bereich der islamischen Geistesgeschichte und ihrer prägenden Bewegungen, entstand die Verklärung der salaf (als salaf werden im sunnitischen Islam die ersten drei Generationen des Islam bezeichnet, siehe Abschnitt 2.5) im Zuge eines heftigen theologischen Richtungsstreits in der Formierungsphase des Islam zwischen der sogenannten Mu?tazila, einer zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert n. Chr. einflussreichen, an einem rationalen Verständnis der religiösen Texte orientierten geistigen Bewegung, und den ahl al-?adi?, den auf die Sunna des Propheten (die Hadithe/Prophetenüberlieferungen) fokussierten Traditionalisten, welche sich vehement gegen die aus ihrer Perspektive drohende Vergeistigung der islamischen Lehre zur Wehr setzten (Nafi 2014: 15). Stark vereinfacht gesagt interpretierten die Anhänger der Mu?tazila den Wortlaut der Offenbarungstexte mittels rationaler Messinstrumente und Methoden (Imara 1994: 11). Demgegenüber räumten die ahl al-?adi? dem Wortlaut der Offenbarungsquellen - dem Koran und den Hadithen - eindeutige Priorität gegenüber anderen Texten bzw. rationalen Erwägungen ein (Imara 1994: 21).
Im 9. Jahrhundert n. Chr. war Ahmad Ibn Hanbal (gest. 855 n. Chr., zum Leben und Wirken Ibn Hanbals siehe Schneiders 2014) der vielleicht herausragendste Verfechter dieser minimalistischen Textdeutung, welche sich im Wesentlichen auf die tradierten Aussagen der salaf stützt (Imara 1994: 12; Nafi 2014). In den Reihen der Traditionalisten genießt Ahmad Ibn Hanbal einen märtyrerhaften Heldenstatus, da er die durch die abbasidische Herrschaft9 protegierten Spekulationen der Mu?tazila über die Erschaffenheit des Koran und ihre Negierung der göttlichen Attribute trotz massiver Einschüchterungsversuche ablehnte und sich dabei auf die Auslegung des Koran und der Sunna des Propheten durch die salaf berief und umgekehrt jede Form des Zuwiderhandelns und Denkens gegen das Islamverständnis der salaf als gefährliche häretische Neuerung (bid?a) brandmarkte. In dem Theologiestreit, aus dem letztlich das traditionsorientierte Sunnitentum als Sieger hervorging, profilierten sich die ahl al-?adi? mit ihrer textbezogenen, puristischen und asketischen Haltung als die Bewahrer der unverfälschten Lehre der salaf, während sie die Anhänger der Mu?tazila als ahl al-bida?, also als von [38]diesem Weg in gefährlicher Weise abgewichene "Sekte", abwerteten (Nafi 2014: 16).
Indes muss angemerkt werden, dass manche Forscher die inhaltliche Verbindung zwischen Taqi ad-Din Ahmad Ibn Taimiya10 und dem Gedankengut des Neo-Salafismus als fraglich betrachten und Ibn Taimiya als eher progressiven Denker beurteilen, den die auf Simplizität gründende Lehre des modernen Salafismus selektiv und verzerrt darstellt. Dazu gehört Muhammad Imara, ein profilierter zeitgenössischer muslimischer Intellektueller, der besonders die Tendenz des modernen Salafismus zum takfir, d. h. der Aberkennung des islamischen Glaubens aufgrund bestimmter abweichender Glaubensüberzeugungen, als Fehlverständnis von Ibn Taimiyas Schriften betrachtet. In Wahrheit habe Ibn Taimiya sogar vor unüberlegtem takfir gewarnt. Er habe Meinungsverschiedenheiten in weiterführenden Angelegenheiten theologischer und juristischer Natur als das Resultat von rationalen Erwägungen der Gelehrten gesehen. Die Berechtigung zum Aussprechen des takfir erfordere dagegen zwingend einen unzweideutigen Textbeweis auf Basis des religiösen Rechts, der Scharia.
Ein solcher Textbeweis existiere aus Ibn Taimiyas Perspektive jedoch schlicht und ergreifend nicht, weshalb er explizit die Aberkennung des Glaubens jeder Person ablehnt, welche die Schahada (as-sahada) ausgesprochen hat. Die unter den Gelehrten umstrittenen Fragen drehten sich nicht um die elementaren Glaubensgrundsätze oder die Säulen der Glaubenspraxis, welche in den Offenbarungsschriften unzweideutig und verbindlich (qa??iya ad-dalala) festgelegt seien. Die Zuweisung des Unglaubens (kufr) sei ein schwerwiegendes rechtliches Urteil (?ukm sar?i) und könne nur durch einen unzweideutigen Beweis aus den Offenbarungstexten oder durch eine eng am Text orientierte Schlussfolgerung aus einem solchen Text getroffen werden. Persönliche Erwägungen (igtihad) religiöser Autoritäten seien in dieser Frage irrelevant.
Aus dieser Argumentation lasse sich wiederum indirekt ablesen, dass Ibn Taimiya das Urteil des takfir sowohl in Bezug auf Individuen als auch auf islamische Gruppierungen ablehnt, solange deren Unglaube nicht auf der Hand liegt oder nicht von den Beschuldigten selbst bezeugt wird. Hinsichtlich der Spannung zwischen polemischer Schärfe und abmildernder Relativierung bewegt sich Ibn Taimiyas Argumentation [39]hier absolut im Rahmen der zeitgenössischen ideologischen Debatten innerhalb des Sunnitentums.
Interessanterweise erfuhren Ibn Taimiya und sein wissenschaftliches Erbe nach Ansicht mancher Experten vor dem Ausbruch des Ibn Taimiya-Booms in der Moderne, der auch durch den Neo-Salafismus mitausgelöst wurde, in den ersten Jahrzehnten nach seinem Tod ein eher verhaltenes Echo. Nafi begründet das wohl zu Recht damit, dass Ibn Taimiyas Visionen an der Dominanz der scholastischen Rechtsschulen und der Sufi-Bruderschaften im 14. Jahrhundert abprallten und somit in den ersten drei Jahrhunderten nach seinem Tod auf keine nennenswerte Resonanz stießen oder gar als exotische Außenseiterposition belächelt wurden. Zwar gab es immer wieder Versuche der Wiederbelebung seiner Thesen, allerdings handelte es sich dabei stets um das Engagement Einzelner, das sich nicht zu einer einflussreichen Denkschule auswachsen konnte (Nafi 2014: 20).
Im 18. und 19. Jahrhundert traten im Zuge gewaltiger zeitgeschichtlicher Umwälzungen in der islamischen Welt bedeutende religiöse...
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