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Religion ereignet sich nicht im luftleeren Raum. Religion, und umso mehr die Rede vom Glauben in praktischer Absicht, ist darum durchdrungen von der Welt, in der wir leben. In einer Welt, in der sämtliche Unterdrückung, ungerechte Herrschaft, Gewalt und Machtausübung überwunden wären, wäre auch die religiöse Sprache selbstverständlich eine inklusive Sprache, die niemanden ausgrenzt, abwertet, marginalisiert oder einengt, fremdbestimmt oder unsichtbar macht. Sie wäre eine Sprache, die das Gottesgeheimnis schillernd und farbenprächtig zum Ausdruck brächte und alle, die sie hörten, ohne Umwege zur Herzensweite und in die Freiheit führte.
Religion ereignet sich nicht im luftleeren Raum. Und zugleich sollen die eigenen religiösen Räume - ich begrenze mich an dieser Stelle auf die Räume im römisch-katholischen Zweig des Christentums - Räume der Begegnung mit nichts weniger als der Wirklichkeit Gottes selbst sein. Gebet, Bibellektüre, Gottesdienst oder Gemeindegesang sind einige solcher Räume - in diesem Buch wird insbesondere von den liturgischen Räumen die Rede sein. Die Räume der Gottesbegegnung sind keine Sonderräume in einem Paralleluniversum, sondern sie sind Räume in dieser unserer Welt. Darum können sie gar nicht anders als durchdrungen sein von der Ordnung dieser Welt, von den Bedingungen, unter denen wir leben, und von den Erfahrungen, die wir machen. Es ist darum einerseits unvermeidlich und anderseits mit Trauer verbunden, sich einzugestehen, dass die eigenen religiösen Räume nicht immer schon inklusive Räume sind. Die eigenen religiösen Räume sind ja die privatesten Räume, in denen die Seele sich ausrichtet auf das Geheimnis des Lebens, auf das Mehr-als-Alles. Hier geht es um die Erfahrung des unbedingten Angenommenseins, und noch dazu um das Versprechen, dass diese Erfahrung keine Einbildung ist und nichts rein Subjektives bleibt, sondern dass sie wirklich ist, von einem Grad an Wirklichkeit, vor dem noch die handfesteste Realität in etwa so viel Bestand hat wie eine Seifenblase. Diese Räume der Gottesbegegnung sind Räume unserer Welt, und es hat sich allerhand darin angesammelt, was die Gottesbegegnung erschwert, anstatt sie zu ermöglichen. Die eigenen religiösen Räume enthalten Vorstellungen von Gott, die Menschen einengen, anstatt sie in die Freiheit zu führen, sie enthalten Sprachspiele, die Gott fremd statt nahbar machen, und sie enthalten Praktiken, die menschlich-männliche Herrschaftsordnungen reproduzieren, anstatt sie zu überwinden. Alles das disqualifiziert aber diese Räume nicht, sondern nimmt sie ernst als Teil unseres Lebens. Und dieses Eingeständnis nimmt auch die Erfahrungen ernst, die wir als Menschen in einer nicht- perfekten Welt- und Wirtschaftsordnung als Unterdrückte oder als Privilegierte (oder beides) machen.
Wenn das Gottesgeheimnis etwas mit dieser Welt zu tun hat, dann wird es notwendig mit den Strukturen der Unterdrückung konfrontiert, in ihnen ausgedrückt und dabei verformt, verdunkelt und verzerrt. Und doch bleibt es widerständig und verweist in aller Gebrochenheit des menschlichen Ausdrucks auf eine Wirklichkeit, in der alle diese entwürdigenden Strukturen überwunden sind.
Religion ereignet sich nicht im luftleeren Raum: Darum ist die liturgische Sprache als Sprache des religiösen Ausdrucks im ersten Drittel des 21. Jahrhunderts in Westeuropa eine Sprache, die alle Begrenzungen dieses Sprach- und Kulturraums in sich trägt. Sie ist durchdrungen von einer patriarchalen Tradition, die auch in den demokratisierten Gesellschaften noch nicht völlig überwunden ist, sondern fortlebt und fortgeschrieben wird. Und natürlich ist sie auch geprägt von allen anderen privilegierenden bzw. unterdrückenden Strukturen, die sie in unterschiedlichem Maß reflektiert und überwunden hat, wie Rassismus, Kolonialismus, Klassismus und Eurozentrismus, um nur die prägendsten zu nennen.
Nun ist der Titel dieses Buches aber "Gotteswort, weiblich" und nicht "Nichtpatriarchale Gottesrede". Denn der Ausgangspunkt war nicht ein Sturmangriff auf das Patriarchat, sondern schlicht der Versuch, Alternativen zu den vorherrschenden männlich-dominanzorientierten Gottesanreden und -bildern für die liturgische Anwendung zu entwickeln. Dabei zeigte sich sehr schnell, dass hier mehr im Argen liegt als ein männlicher Artikel. Die gleichen Bilder nur zu verweiblichen schien nicht sinnvoll, wenn nicht gar widersinnig. Gott "Königin und Herrscherin" zu nennen statt "König und Herrscher" klingt zwar ungewohnt, und die Formulierung hebt, weil sie noch nicht zur Floskel geworden ist, die Bedeutung der Herrschaftsanrede ins Bewusstsein. Aber damit wird gleichzeitig auch klar: Dass Gott Herrscherin und Königin ist, ist nur ein sehr kleiner Ausschnitt dessen, was sich über Gott sagen ließe. Darin kann sich das Gottsein Gottes nicht erschöpfen. Gottesanreden geschlechtlich flexibler zu machen - was ja kein Problem sein dürfte, weil Gott ja jede Grenze der Geschlechtlichkeit übersteigt - reicht also nicht. Der Versuch, Gott weiblich ins Wort zu bringen, führt weiter, nämlich zur Entdeckung, wie tief das Patriarchat mit seinen ihm innewohnenden Vorstellungen von Binarität und Polarität, von Herrschaft und Unterordnung in unsere Gottesrede eingeschrieben ist. Und diese Entdeckung führt dann wiederum zum Versuch, diese Grenzen der patriarchalen Gottesbilder zugunsten einer inklusiven Gottesrede zu überwinden.
Das Patriarchat ist dabei nicht das einzige Problem einer inklusiven Gottesrede. Hier ließe sich noch mit dem von Elisabeth Schüssler Fiorenza etablierten Begriff des "Kyriarchats" ausführen, welche Wechselwirkungen es zwischen dem Patriarchat und anderen Diskriminierungsformen wie Rassismus oder Ableismus (Diskriminierung von Menschen mit Behinderung) gibt. Ich werde im Fortgang trotzdem von Patriarchat bzw. vom Versuch einer nichtpatriarchalen Gottesrede schreiben. Ich bin mir der Begrenztheit dieser Perspektive bewusst. Aber zum einen ist schon das Unternehmen groß genug, eine liturgische Sprache ohne sexistische Diskriminierung zu entwickeln, und zum anderen scheint mir der "Knotenpunkt Patriarchat" die prägende Diskriminierung in der römisch- katholischen Kirche zu sein. Theologie und Religion zielen aber auf die Freiheit. Ich bin davon überzeugt, dass diese befreiende Dimension bei aller Gebrochenheit der kirchlichen Gottesrede noch vorhanden und erfahrbar ist. Darum ist in der kirchlichen Sprache selbst grundgelegt, dass sie immer wieder kritisiert und weiterentwickelt werden kann und muss. Diese Bewegung wird nie abgeschlossen sein. Nur im Bewusstsein der je eigenen Begrenztheit und Vorläufigkeit lässt sich das Gottesgeheimnis ins Wort bringen. Wo umgekehrt das menschliche Wort der Weiterentwicklung entzogen wird, wird es vergöttlicht und steht damit der Gottesbegegnung selbst im Weg, und es wird dabei letztlich zu einer leeren Hülle, die nicht mehr mit der Wirklichkeit der Sprechenden gefüllt ist - und auch nicht mehr mit einem Abglanz der Wirklichkeit Gottes.
Wenn sie nicht ungehört verhallen soll, muss die Rede vom Gottesgeheimnis immer neu entwickelt werden. Und wenn patriarchale Strukturen immer klarer als unterdrückende und zu überwindende Strukturen begriffen werden, dann ist die Entwicklung einer nichtpatriarchalen Gottesrede eine unumgängliche Aufgabe. Diese Aufgabe ist umso schwieriger, als das Patriarchat die römisch-katholische Gottesrede so durchdringt, dass es zumindest aus der Innenansicht gar nicht mehr selbst auf den ersten Blick wahrzunehmen ist. Elizabeth Johnson stellt das Problem in wenigen Sätzen umfassend dar, wenn sie schreibt:
"Auch bei flüchtiger Betrachtung ist es offensichtlich, dass sich die christliche Gemeinschaft normalerweise am Modell des herrschenden männlichen Menschen orientiert, wenn sie über Gott spricht. Sowohl die benutzten Bilder als auch die sie begleitenden Begriffe spiegeln die Erfahrung der Männer wider, die innerhalb eines patriarchalen Systems Verantwortung tragen. Die Schwierigkeit liegt nicht darin, dass männliche Metaphern verwendet werden, denn Männer sind ebenfalls nach dem Bilde Gottes geschaffen und eignen sich folglich, begrenzt als Ausgangspunkt für das Sprechen über Gott zu dienen. Vielmehr besteht das Problem darin, dass diese männlichen Begriffe ausschließlich, wortwörtlich und patriarchal gebraucht werden."1
Die Entwicklung einer nichtpatriarchalen Gottesrede verlangt ein neues Sich-ins-Verhältnis-Setzen zu Gott und eine genaue Prüfung der Denkmuster und Sprachspiele, die zur Anwendung kommen. Sie ist dazu eine praktische Angelegenheit, bei der die Sprache im Entstehen schon dem liturgischen Ernstfall ausgesetzt und auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft wird: Die Möglichkeit nichtpatriarchaler Gottesrede lässt sich nicht unabhängig von der Praxis der Gottesrede, also im besonderen Maße nicht unabhängig von der liturgischen Sprache erörtern. Denn in der liturgischen Sprache findet die Rede von Gott erst einen Resonanzraum. Natürlich gibt es andere Resonanzräume, und es werden mehr, je leerer die Räume der Liturgie bleiben. Trotzdem muss eine kirchliche Gemeinschaft diese gottesdienstlichen Resonanzräume pflegen und besonders beachten, weil hier die Selbstvergewisserung als Glaubensgemeinschaft stattfindet. Liturgische Sprache setzt, prägt, aktualisiert und reproduziert, wie wir unseren Glauben buchstabieren. Mit "wir" ist in diesem Fall die Glaubensweise innerhalb der römisch-katholischen Kirche gemeint, Vergleichbares lässt sich für andere kirchliche Traditionsgemeinschaften aber auch...
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