Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
In St. Petersburg, Florida, ist es immer warm. Palmenpromenaden säumen das blaue Meer, die Straßen sind gerade und breit und die Häuser von lauschigen Büschen und Bäumen umgeben. Im vornehmen, passiven Teil der Stadt sind die meisten Häuser aus Holz und oft weiß gestrichen, mit offenen Veranden, wo die Schaukelstühle das ganze Jahr über in langen Reihen dicht nebeneinander stehen. Morgens ist es sehr still, und die Straßen liegen im ewigen Sonnenschein leer da. Nach und nach kommen die Gäste auf die Veranden heraus, steigen die Treppen herunter und begeben sich langsam zu The Garden oder einem anderen der besseren Lokale mit Selbstbedienung. Sie bewegen sich oft in Grüppchen oder paarweise. Etwas später setzen sie sich in ihre Schaukelstühle oder machen einen kleinen Spaziergang.
In St. Petersburg gibt es mehr Frisöre als anderswo, alle spezialisiert darauf, dünnes weißes Haar in kleine, luftige Löckchen zu legen. Hunderte von alten Damen wandern mit weiß gelockten Köpfen unter den Palmen, die Herren dagegen sind weniger zahlreich. In den Gästehäusern hat jeder sein eigenes Zimmer, oder man bewohnt es zu zweit, manche nur vorübergehend, um das gleichmäßige, warme Klima zu genießen, die meisten jedoch für die gesamte Zeit, die ihnen noch verbleibt. Krank ist hier niemand, also genau genommen bettlägerig, so etwas wird unglaublich flink von Krankenwagen erledigt, die jedes Mal ohne Martinshorn unterwegs sind. Zwischen und auf den Bäumen hausen viele Eichhörnchen und noch mehr Vögel, alle so zahm, dass ihr Benehmen fast an Frechheit grenzt. Viele Läden führen Hörgeräte und andere Hilfsmittel, in jedem Viertel wird mit leuchtenden, fröhlichen Farben für schnelle Blutdruckmessung geworben, außerdem werden umfangreiche Informationen in Sachen Rente, Einäscherung oder juristische Beratung offeriert. Auch gibt man sich viel Mühe damit, ein vielseitiges Angebot von Strickmustern und Garnen, Gesellschaftsspielen, Material für selbst gebastelte Broschen und Ähnliches vorrätig zu haben. In allen Läden kann der Kunde damit rechnen, immer freundlich und zuvorkommend bedient zu werden.
Wer den Palmenpromenaden bis hinunter ans Meer folgt oder hinauf zum Stadtpark und zur Kirche, begegnet weder Kindern noch Hippies oder Hunden. Nur an den Wochenenden sind Pier und Strandpromenaden voller Leute, die in das schöne St. Petersburg geströmt sind, um das Filmschiff Bounty zu besichtigen. Dann ist das Strandleben fröhlich und bunt, und die letzten Autos fahren erst in der Abenddämmerung weg.
Das Gästehaus Butler Arms liegt drei Blocks aufwärts in der Zweiten Avenue, es hat zwei Stockwerke, und vom Eckzimmer im Obergeschoss kann man ein Stück Meer sehen und die Takelage der Bounty, die abends beleuchtet ist. Die Veranda des Gästehauses Butler Arms ist schöner als die meisten anderen, sie hat ein geschnitztes Geländer und macht einen intimen, freundlichen Eindruck, weil nicht mehr als acht Schaukelstühle dort stehen. Im Übrigen sei erwähnt, dass das Haus sehr alt ist, fast fünfundsiebzig Jahre.
Zwei Mal täglich fährt Bounty-Joe auf seinem Motorrad durch die Straße, kurz vor elf, wenn die Kasse öffnet, und in der abendlichen Dunkelheit, wenn die Beleuchtung der Takelage angegangen ist. Er fährt mit Karacho, rasend schnell. Wenn er die Kurve bei Palmers Ecke nimmt, streckt er das eine Bein aus und lässt die Stiefelsohle über den Asphalt schlittern, danach ist alles wieder still. Bounty-Joe liebt Linda, das Zimmermädchen von Butler Arms.
Mrs. Elizabeth Morris, Nebraska, 77, hatte ihren Platz im zweiten Schaukelstuhl vom Geländer aus, bei der großen Magnolie. Direkt neben der Magnolie saß Mr. Thompson, der vorgab, taub zu sein, und an ihrer anderen Seite Miss Peabody, die sehr scheu war, somit konnte Mrs. Morris ungestört denken. Sie war erst vor Kurzem in St. Petersburg angekommen, ohne Begleitung und mit Halsschmerzen. Bei der Ankunft in Butler Arms hatte ihre Stimme endgültig versagt. Auf einer Seite in ihrem Notizbuch hatte Mrs. Morris ihren Namen und ihre momentane Verfassung notiert sowie die Tatsache, dass ein paar antike Möbelteile später ankommen würden. Das Schweigen hatte sie davor bewahrt, sich in voreiligem Eifer jemandem anzuvertrauen, eine Gefahr, die sonst durchaus bestand, wenn man nach einer langen, einsamen Reise irgendwo ankam. Als ihre Stimme wiederkehrte, war der heikle Zeitpunkt für vertrauliche Mitteilungen verstrichen, die anderen hatten sich daran gewöhnt, dass sie schwieg, und fragten nichts.
Elizabeth Morris war von kräftiger Statur und hielt sich ungewöhnlich aufrecht. Als einziges Zugeständnis an Make-up hatte sie die Augenbrauen mit einer schwungvollen Linie nachgezogen. Unter dem grauen Haar verliefen diese majestätischen Augenbrauen in einem dunklen Blau und verliehen ihrem Blick einen klaren, prüfenden Ausdruck. Allerdings kam es nur selten vor, dass jemand ihre Augen zu sehen bekam.
Miss Peabody beugte sich vor und sagte: »Sie haben so viele verschiedene Sonnenbrillen?«
»Drei«, antwortete Mrs. Morris. »Damit mache ich die Straße blau, braun oder rosa. Die blaue Straße ist die beste.«
Bounty-Joe fuhr auf seinem Motorrad vorbei, nach der Kurve heulte die Maschine auf und schoss in gerader Linie aufs Meer zu. Das hintere Schutzblech war mit einem großen weißen Kreuz bemalt.
»Der furzt noch lauter als ich«, bemerkte Thompson.
Sie warteten auf die Post. Miss Frey kam jeden Morgen mit der Post auf die Veranda, mal trug sie grüne Hosen, mal waren sie rosa, eine dürre alte Echse von fünfundsechzig Jahren in rosa Hosen.
»Weiber!«, grummelte Thompson, machte sich in seinem Stuhl steif wie ein Stock und stieß aus dem einen Mundwinkel einen langen, stöhnenden Heulton aus.
Peabody klammerte sich an Mrs. Morris und schrie: »Ein Anfall! Er hat einen Anfall, tun Sie was!« Elizabeth Morris zog ihren Arm heftig an sich, wie vor einem Biss. Weiter hinten auf der Veranda bemerkte Mrs. Rubinstein, Thompsons Darbietung sei, selbst als Generalprobe betrachtet, misslungen. Miss Peabody sah auf und flüsterte eine Entschuldigung, sie hatte kleine, schmale Schneidezähne und erinnerte stark an eine Spitzmaus. Mrs. Morris müsse verstehen, so sei es immer mit ihr, sie sei viel zu impulsiv, lasse sich viel zu leicht täuschen, dafür könne sie nichts .
Der Morgen war kühl und frisch und roch nach Gras. Der Geruch nach Gras ist überall gleich, wo man einen Rasen mäht, egal wo, dachte Elizabeth Morris. Ich hätte meinen Arm nicht zurückziehen sollen! Jedes Mal, wenn jemand mich anfasst, ist es dasselbe, und jetzt habe ich eine Maus gekränkt. Die Schaukelstühle standen zu eng nebeneinander. Hannah Higgins war die Einzige, die schaukelte, sie schaukelte immer, vor und zurück, friedlich und langsam. Sie hatte ihre Eierschachtel aus Styropor hervorgeholt, dazu Schere und Stift. Mit großem Geschick schnitt sie Lilien mit tiefem Kelch und vier nach außen geöffneten Blütenblättern aus, eine nach der anderen. Diese Lilien standen immer an Ostern auf dem Klavier; zu Weihnachten schnitt Mrs. Higgins Schneeflocken und Ähnliches aus, erstaunlich, was man alles aus Eierschachteln fabrizieren kann. Hinter den starken Brillengläsern folgten ihre kurzsichtigen Augen aufmerksam dem Weg der Schere, das breite Gesicht war von unzähligen mikroskopischen Runzeln überzogen, fein verteilt wie bei Krepp-Papier. Im Juni wurde sie achtundsiebzig.
Mrs. Morris hatte festgestellt, dass einiges an Aufmerksamkeit nötig war, um einen Schaukelstuhl am Schaukeln zu hindern, die kleinste Bewegung setzte ihn in Gang. Sie lernte es schnell, aber immer wenn sie sich aus dem verflixten Möbelstück erhob, waren ihr die Beine von aufgestauter Anspannung steif geworden. Manchmal fragte sie sich, ob es wohl allen so erging. Als Miss Frey aus dem Vestibül trat, sagte sie: »Hallo, alle miteinander! Und wieder ein Tag mit Sonnenschein!« Das sagte sie jeden Morgen, aber heute war sie müde und sagte es mit schärferer Stimme als sonst. Sehr unvorsichtig, wie von Dämonen gesteuert, nahm sie ausgerechnet Mrs. Rubinstein aufs Korn, hielt direkt auf sie zu und äußerte in einem Tonfall, mit dem man sonst sehr kleine Hunde oder die Kinder anderer Leute anspricht: »Ein Brieflein! Die Post hat ein Brieflein gebracht!« Die voluminöse schwarzäugige Frau machte langsam eine halbe Umdrehung und durchbohrte Miss Frey mit dem Blick, sah ihr in das geschminkte, verbrauchte Gesicht unter der Perücke, dann senkte sie genauso langsam die Augen und musterte den Brief, ohne ihn entgegenzunehmen. Jetzt wird sie wieder unanständig, das wussten alle. Miss Freys Hand hatte zu zittern begonnen. Endlich sprach Mrs. Rubinstein, mit vernichtender Liebenswürdigkeit sagte sie: »Meine liebe Miss Frey. Ein ganz eigenes Brieflein mit einem ganz eigenen kleinen Werbeprospekt. Für Plastikartikel. Mein Feingefühl, Miss Frey, einzig und allein mein Feingefühl verbietet mir, Ihnen zu sagen, was Sie mit diesem Brief machen können.« Und mit einem...
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