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Mist!, dachte Clara. Vicki hatte den Finger auf eine Wunde gelegt, die sie bisher noch gar nicht gespürt hatte.
»Ich verstehe kein Wort«, sagte Rachel und nahm das Kühlpad in die andere Hand. »Ich dachte, wir reden von Kristian.«
Vicki stieß ein empörtes Schnauben aus. »Von Kristian, von Samba, von Caipirinha und von heißblütigen halb nackten Frauen.« Obwohl sie so schnodderig daherredete, entdeckte Clara Mitleid in ihren Augen. Sie wusste nicht, was von beidem schlimmer war.
»Hat sie schon was getrunken?«, wandte Rachel sich an Clara.
»Der Prosecco ist noch nicht kalt genug«, gab sie zurück und rieb sich dabei immer wieder über die Schläfen. Bis eben hatte sie nur damit fertig werden müssen, dass Kristian Lachner, der große blonde sportliche Mann, der ihr - ähm - vertrocknetes Herz im Sturm erobert hatte, für ein Jahr aus beruflichen Gründen weit, weit weg sein würde. Jetzt hatte sie plötzlich ganz andere Bilder im Kopf. Ziemlich üble Bilder.
Sie erklärte Rachel die Sache mit dem Großauftrag in Brasilien.
Die zeigte daraufhin Vicki einen Vogel. »Sonst hast du keine Vorurteile?«
»Oh doch, eine ganze Menge sogar, und meistens sind sie wahr.« Das Mitleid in ihren Augen wurde jetzt unerträglich. »Sorry, liebstes Clärchen. Ich will dir nicht wehtun, aber du musst den Gefahren ins Auge sehen. Dein Kristian entschwindet eben nicht nach Usbekistan oder Nordkorea. Wann eigentlich?«
»Wie bitte?«
»Wann geht der gute Mann fort?«
»In drei Tagen«, gab Clara kleinlaut Auskunft.
»Wow! Der hat dich aber frühzeitig informiert!«
»Vicki«, mahnte Rachel leise.
»Na, komm schon, Rachel«, sagte diese sanft. »Wir sind Claras beste Freundinnen, und wir lieben sie. Und manchmal muss man ein bisschen grausam sein, wenn man die Wahrheit sagen will.«
»Er ist bestimmt furchtbar beschäftigt vor der Abreise«, verteidigte Clara ihn.
Darauf sagte Vicki nichts mehr, sondern lief in die Küche.
Rachel und Clara hörten kurz darauf einen Korken knallen. In den Sektflöten, die Vicki mit zurückbrachte, schwammen Eiswürfel.
»Ist sonst noch zu warm«, erklärte sie. »Prost, Mädels. Auf uns!«
Es war noch gar nicht so lange her, da hatten sie auf die Liebe angestoßen.
»Ich hätte dir so gewünscht, dass du glücklich wirst«, sagte Rachel.
»Danke.« Clara wusste, es war ehrlich gemeint. So etwas wie Neid kannten die drei untereinander nicht. Vielleicht, weil jeweils um die zehn Jahre zwischen ihnen lagen, vielleicht, weil sie einfach zu eng miteinander verbunden waren.
Sie hatten sich alle drei auf einem Flohmarkt in Eppendorf kennengelernt. Clara bot dort ihre ersten, noch nicht ganz perfekten Schaukelpferde an. Sie setzte schon damals ihren ganzen Ehrgeiz darein, besonders schöne Unikate zu schaffen, die an die bunten Pferdchen auf Kinderkarussells erinnerten. Vicki und Rachel hatten je ein Exemplar erstanden und großzügig über leicht schielende Augen, zerlaufene Farben und wackelige Kufen hinweggesehen. Auch die Tatsache, dass sie keine Kinder hatten, war ihnen unwichtig gewesen. Vicki hatte behauptet, die Pferdchen seien auch wunderbare Dekorationsstücke, Rachel hatte von ihren Nichten und Neffen erzählt, die sich bestimmt riesig freuen würden.
Dann waren sie gemeinsam einen Kaffee trinken gegangen und hatten dabei überrascht festgestellt, dass sie alle drei etwas gemeinsam hatten: Sie liebten Spaziergänge an der Außenalster, und zwar ganz früh am Morgen, wenn sonst kaum jemand unterwegs war. So machten sie einen Treffpunkt aus, das Alsterufer Höhe Milchstraße, morgens um sechs Uhr. Nicht immer waren alle drei dabei. Mal wohnte Rachel bei ihrer Mutter in Glashütte, mal war Vicki nach einem späten Restaurantbesuch zu müde, mal musste Clara schon ganz früh morgens auf einer Baustelle sein. Aber wann immer sie konnten, gingen sie gemeinsam spazieren. Ihre Freundschaft hatte schon manche steife Brise und auch den einen oder anderen Sturm überstanden.
Und genau so, dachte Clara, wird es auch heute sein. Ich bin todunglücklich, aber Vicki und Rachel sind bei mir. Ich bin nicht allein.
Überhaupt waren Frauen die verlässlicheren Menschen im Leben, fand sie. Claras Großmutter hatte ihren Mann im Krieg verloren und ihre einzige Tochter allein großgezogen. Claras Mutter wiederum hatte Ende der Sechzigerjahre Männer durchaus geschätzt, aber einen Ehemann und Vater für unnötig gehalten.
Clara selbst - na ja, sie hatte nicht vorgehabt, mit zweiundzwanzig eine alleinerziehende Mutter zu werden. Aber es war nun mal so gekommen. Doch sie hatte nie, niemals aufgehört, an die große Liebe zu glauben.
Bis heute.
»Wann seht ihr euch?«, fragte Rachel.
»Wer wen?«
»Na, du deinen Architekten.« Sie legte das warm gewordene Kühlpad weg und hielt stattdessen ihre Sektflöte an die Wange.
Clara schaute ihr halb fasziniert, halb erschrocken dabei zu. »Das gibt einen dicken Bluterguss«, stellte sie fest.
»Ich weiß. Hat leider ein Äderchen getroffen.«
»Äderchen?«, mischte sich Vicki ein. »Das sieht mir schon mehr nach der Hauptschlagader aus.«
Rachels Augen funkelten wütend. »Die sitzt nicht im Gesicht.«
Vicki machte ein zerknirschtes Gesicht. »Sorry, liebste Rachel. Ich bin heute wirklich unausstehlich.«
»Das bist du.« Rachel bemühte sich um einen beleidigten Tonfall, aber sie musste schon wieder lächeln. »Übertreib es bloß nicht mit deiner Wahrheitsliebe.«
»Ich werde mich bessern, großes Pfadfinderehrenwort.«
»Du warst nie bei den Pfadfindern.«
Beide lachten, und auch Claras Mundwinkel zuckten. Es tat so gut, mit ihren Freundinnen zusammen zu sein!
Vicki wandte sich Clara zu. »Mich würde übrigens auch interessieren, wann du Kristian triffst.«
Ihr wurde heiß und kalt zugleich, und sie schwieg betroffen.
»Etwa gar nicht mehr?«, hakte Vicki nach. »Will er sich nicht von dir verabschieden?«
»Er schreibt, er sei furchtbar im Stress.« Ihre Stimme war auf einmal kaum mehr als ein Flüstern. »Und er hasst große Szenen.«
»Große Szenen? Spinnt der? Als ob du heulend vor ihm auf die Knie fallen und ihn anflehen würdest, dich nicht zu verlassen.«
So ganz abwegig fand Clara den Gedanken nicht, aber sie nickte pflichtschuldig.
»Was hast du ihm überhaupt auf seine große Ankündigung geantwortet?«, wollte Vicki dann wissen. »Hoffentlich, dass er sich dahin scheren soll, wo der Pfeffer wächst? Wobei, wächst der in Brasilien? Das müsste ich mal googeln.«
Clara hielt sich an ihrem Glas fest. »Gar nichts. Ich habe gar nichts geschrieben. Wusste nicht, was, und dann war sowieso mein Smartphone tot.«
»Vollkommen verständlich. Soll der ruhig schmoren und sich fragen, ob du ihn mit einem Voodoo-Zauber belegst. Verdient hätte er es.«
Clara musste kichern. Oh ja, sie hätte große Lust gehabt, sich an Kristian zu rächen, bloß war sie nicht der Typ dafür, und außerdem war sie im Augenblick auch viel zu traurig.
Rachel, die eine Weile geschwiegen hatte, warf ein: »Ein bisschen mehr Anstand hätte ich von dem Mann schon erwartet.«
Das Wort »Anstand« klang aus Rachels Mund seltsam, und so sagten Vicki und Clara nichts dazu.
Aber sie haben ja beide recht, überlegte Clara. Es ist nicht in Ordnung. Kristian hätte mich früher informieren und sich anständig von mir verabschieden müssen.
Sie dachte an ihr letztes Treffen zurück. Das war vor fünf Tagen, am Samstag, gewesen. Sie hatte sich Mühe gegeben mit einem schönen Spargelessen, und dann waren sie ziemlich schnell im Bett gelandet.
War etwas anders gewesen als sonst? Nein, dachte sie. Außer, dass er ihr nicht in die Augen gesehen hatte.
»Seltsam«, murmelte sie. »Wenn ich nicht so verliebt gewesen wäre, hätte ich vielleicht etwas bemerkt.« Ihr fiel selbst auf, dass sie über ihre Gefühle in der Vergangenheit sprach, doch in Wahrheit waren sie noch fest in der Gegenwart verankert.
»Liebe macht blind«, sagte Rachel.
»Und durstig«, entschied Vicki. »Besonders diese dumme Liebe, die nicht mehr das ist, was sie mal war, und sich nur noch entfernt so anfühlt.«
Woraufhin die drei Freundinnen nach der ersten Flasche die zweite öffneten.
»Wie hast du das gemeint?«, fragte Clara dann. »Kristian und ich sind erst seit einem Monat zusammen, aber das klang eben nach einer langjährigen Beziehung.«
»Bin ganz Claras Meinung«, bemerkte Rachel. »Von wem hast du geredet?«
Vicki starrte angestrengt in ihr Glas und schwieg eine Zeit lang beharrlich.
»Komm schon«, forderte Clara sie auf. »Erzähl uns, was los ist.«
»Aber wir sind hier, um dich aufzumuntern. Nicht, um über unsere eigenen Probleme zu...
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