1 - Macht Bewegung wirklich schlau? [Seite 1]
1.1 - Inhalt [Seite 7]
1.2 - Einleitung [Seite 11]
2 - 1 Ausgangslage [Seite 15]
2.1 - 1.1 Bewegung in der Mediengesellschaft [Seite 15]
2.2 - 1.2 Was bedeutet schlau u?berhaupt? [Seite 20]
2.3 - 1.3 Was bedeutet Bewegung? [Seite 25]
2.4 - 1.4 Der Boom der Neurowissenschaften [Seite 28]
2.5 - 1.5 Die populärwissenschaftliche Hoffnung [Seite 30]
2.6 - Zusammenfassung Kapitel 1 [Seite 31]
3 - 2 Grundlagen der Bewegung und Kognition [Seite 33]
3.1 - 2.1 Exekutive Funktionen [Seite 33]
3.2 - 2.2 Visuell-räumliche Fähigkeiten [Seite 41]
3.3 - 2.3 Zentrale motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten [Seite 46]
3.4 - 2.4 Motorische Entwicklung [Seite 49]
3.5 - Zusammenfassung Kapitel 2 [Seite 56]
4 - 3 Wie verarbeitet das Gehirn Bewegung? [Seite 57]
4.1 - 3.1 Das Gehirn als informationsverarbeitendes Organ [Seite 57]
4.2 - 3.2 Das Neuron und die Informationsu?bertragung [Seite 57]
4.3 - 3.3 Der Kortex [Seite 64]
4.4 - 3.4 Die Struktur des Gehirns [Seite 68]
4.5 - 3.5 Der Muskel und die Spinalmotorik [Seite 70]
4.6 - 3.6 Willku?rliche Motorik [Seite 72]
4.7 - 3.7 Interne motorische Modelle [Seite 80]
4.8 - Zusammenfassung Kapitel 3 [Seite 90]
5 - 4 Wie zeigt sich die Kognition im Gehirn? [Seite 91]
5.1 - 4.1 Neuronale Korrelate visuell-räumlicher Fähigkeiten [Seite 91]
5.2 - 4.2 Neuronale Korrelate Exekutiver Funktionen - Rolle des präfrontalen Kortex [Seite 108]
5.3 - Zusammenfassung Kapitel 4 [Seite 113]
6 - 5 Bewegung und kognitive Fähigkeiten [Seite 115]
6.1 - 5.1 Korrelative Studien [Seite 116]
6.2 - 5.2 Quasi-experimentelle Designs (z. B. Experten-/Novizen-Vergleich) [Seite 122]
6.3 - 5.3 Experimentelle Designs [Seite 140]
6.4 - Zusammenfassung Kapitel 5 [Seite 154]
7 - 6 Andere Einflu?sse auf kognitive Fähigkeiten - Bewegung ist nicht alles! [Seite 157]
7.1 - 6.1 Geschlecht [Seite 157]
7.2 - 6.2 Motivation [Seite 162]
7.3 - 6.3 Emotion [Seite 171]
7.4 - 6.4 Bindung, Entwicklung und Lernen [Seite 184]
7.5 - Zusammenfassung Kapitel 6 [Seite 191]
8 - 7 Bewegung und Alter [Seite 193]
8.1 - 7.1 Veränderungen im Alter [Seite 194]
8.2 - 7.2 Der Einfluss der Bewegung auf die Kognition im Alter [Seite 198]
8.3 - 7.3 Studien zum Einfluss körperlicher Aktivität auf die neuronale Verarbeitung bei älteren Menschen [Seite 203]
8.4 - 7.4. Einfluss der Bewegung bei Menschen mit einer Demenz [Seite 206]
8.5 - 7.5. Andere Faktoren, die das Altern positiv beeinflussen können [Seite 207]
8.6 - Zusammenfassung Kapitel 7 [Seite 210]
9 - 8 Bewegung und Embodiment [Seite 211]
9.1 - 8.1 Embodiment und Kognition [Seite 215]
9.2 - 8.2 Die Rolle des Körpers in verschiedenen Bewegungsformen und ihr Einfluss auf die Kognition [Seite 221]
9.3 - 8.3 Embodiment bei Kindern [Seite 224]
9.4 - Zusammenfassung Kapitel 8 [Seite 228]
10 - 9 Bewegung und Emotion [Seite 229]
10.1 - 9.1 Emotionale Entwicklung [Seite 231]
10.2 - 9.2 Einfluss von Bewegung auf den Selbstwert [Seite 233]
10.3 - 9.3 Einfluss von Bewegung auf Emotionen und Stimmung [Seite 234]
10.4 - 9.4 Einfluss von Bewegung auf emotionale Störungen [Seite 238]
10.5 - 9.5 Warum beeinflusst Sport die Emotion? [Seite 241]
10.6 - Zusammenfassung Kapitel 9 [Seite 242]
11 - 10 Bewegung und Schule [Seite 243]
11.1 - 10.1 Bewegung und schulische Leistung [Seite 243]
11.2 - 10.2 Die Politik, der Sportunterricht und die Vereine [Seite 246]
11.3 - Zusammenfassung Kapitel 10 [Seite 255]
12 - 11 Resu?mee [Seite 257]
13 - Dank [Seite 259]
14 - Literaturverzeichnis [Seite 261]
15 - Die Autorinnen [Seite 297]
16 - Personenregister [Seite 298]
17 - Sachregister [Seite 301]
2 Grundlagen der Bewegung und Kognition
Die Kognition gibt es nicht, das wurde in Kapitel 1.2 schon deutlich. Wie unterschiedlich sind doch die kognitiven Fähigkeiten! Und wie sehr lassen sie sich in der Tiefe noch differenzieren! Für unser Thema sind besonders zwei Arten von kognitiven Fähigkeiten relevant, da diese einen Einfluss auf die Bewegung zu haben scheinen: die sogenannten Exekutiven Funktionen und die visuell-räumlichen Fähigkeiten. Im folgenden werden beide näher vorgestellt.
2.1 Exekutive Funktionen
Unter den Exekutiven Funktionen versteht man «Kontrollprozesse, die es einem Individuum erlauben, sein Verhalten situationsgerecht zu optimieren, indem die grundlegenden psychischen Funktionen zielführend eingesetzt werden» (Jäncke, 2013, S. 388). Jäncke fasst den bisherigen, recht unübersichtlichen Forschungsstand bezüglich der Exekutiven Funktionen treffend zusammen, indem er auf die zahlreichen psychischen Funktionen verweist, die sich unter diesem Begriff verstecken, wie das Setzen von Zielen, das Planen und Entscheiden, das Setzen von Prioritäten etc., aber auch größere Themengebiete wie das abstrakte Denken oder die motorische Kontrolle.
In einer sehr weit gefassten Definition unterscheidet Drechsler (2007) bei den Exekutiven Funktionen Regulationsprozesse auf bestimmten Ebenen: der kognitiven Ebene, der Aktivitätsebene, der Emotionsebene und der sozialen Ebene. Auf die kognitive Ebene werden wir in den späteren Kapiteln noch ausführlich eingehen. Als Beispiel sei hier noch die Emotions- und Aktivitätsebene erwähnt: Kindern gelingt aufgrund weniger ausgebildeter Exekutiver Funktionen die emotionale Selbstregulation noch nicht so gut; an der mit Süßigkeiten bestückten Supermarktkasse können sie oft ihre Wünsche noch nicht unterdrücken und fangen an zu schreien, wenn sie die ersehnte Süßigkeit nicht bekommen.
Diese weitgefasste Differenzierung der Exekutiven Funktionen ist eine Möglichkeit. Wir stützen uns jedoch auf eine andere, die häufig in der kognitiven Entwicklungspsychologie benutzt wird, nämlich auf die Analyse kognitiver Basisprozesse von Miyake et al. (2000); gerade diese Basisprozesse stehen oft im Mittelpunkt der Untersuchung des Einflusses der Bewegung auf die kognitiven Funktionen. Die Autoren ließen 137 Versuchspersonen die zur Bestimmung der Exekutiven Funktionen gängigsten Tests, wie z.B. den «Wisconsin Card Sorting Test» oder den «Turm von Hanoi Test», durchführen und werteten diese statistisch aus: Hierbei untersuchten sie die drei folgenden Basisdimensionen, die mehr oder weniger voneinander unabhängig sind:
- die Aufrechterhaltung, Überwachung und Weiterverarbeitung der Information im Arbeitsgedächtnis (updating),
- die Inhibition möglicher Antworten (inhibition)
- die kognitive Flexibilität (shifting).
Dies sind drei - auch für den Alltag - bedeutsame Fähigkeiten, die sich mit zunehmendem Alter verfeinern und im Folgenden anhand von Testbeispielen genauer erläutert werden. Dabei gibt es für jede Fähigkeit sehr viele verschiedene Tests. Wir haben versucht, die für jede Basisfähigkeit wichtigen Tests darzustellen (vgl. Miyake et al., 2000).
2.1.1 Updating
Betrachten wir zunächst die Aufrechterhaltung und Weiterverarbeitung der Information im Arbeitsgedächtnis. Es hat zwar eine begrenzte Kapazität und speichert Informationen nur kurzfristig, ist aber die Voraussetzung dafür, dass wir Aufgaben lösen und Informationen längerfristig speichern können (z.B. Eysenck & Keane, 2010). Wenn Kinder in der Schule eine Kettenaufgabe rechnen müssen, dann könnten sie dies ohne ein funktionierendes Arbeitsgedächtnis nicht tun, da alle Ergebnisse zwischengespeichert werden müssen, um die neu hinzukommende Zahl dazu addieren zu können. Beispielhafte Tests, um diese Fähigkeit zu untersuchen, sind der Zahlennachsprechtest oder der Corsi-Block-Test oder auch die n-back-Aufgabe.
Zahlennachsprechen (Wechsler, 1997):
Der Versuchsperson wird eine unterschiedliche Zahlen- bzw. Buchstabenfolge vorgesprochen und sie soll diese vorwärts oder rückwärts wiederholen. Gemessen wird, bis zu welcher Anzahl von Zahlen den Personen dies erfolgreich gelingt.
Corsi-Block-Test (z.B. Kessels et al., 2000):
Auf einem Brett sind neun hölzerne Blöcke fixiert. Diese Blöcke sind nummeriert, wobei die Nummern nur für den Versuchsleiter sichtbar sind. Der Versuchsleiter tippt in einer bestimmten Reihenfolge die Blöcke an. Danach erhält das Kind die Aufgabe, die Blöcke in dieser Reihenfolge oder in genau umgekehrter Reihenfolge anzutippen. Diese Aufgabe untersucht insbesondere die Leistung des visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnisses.
n-back-task (z.B. Kirchner, 1958):
Die Versuchsperson bekommt eine Reihe von Reizen (auf einem Monitor oder auditiv) präsentiert, z.B. folgende Buchstabenfolge: B K L R C L X T U V T A Y Y A C D
Bei einer 3-back-Aufgabe soll die Versuchsperson nun immer eine Taste drücken, wenn der Buchstabe, der gerade genannt oder präsentiert wurde, drei Stellen vorher aufgetreten ist. In unserem Beispiel wäre dies beim zweiten «L», beim zweiten «T» und beim zweiten «A» der Fall.
Diese Aufgabe ist in der 3-back-Version natürlich schwieriger als in der 1-back-Version, bei der die Taste bereits dann gedrückt wird, wenn der vorherige Buchstabe derselbe wie der nachfolgende ist. Dies wäre in unserem Beispiel bei der wiederholten Präsentation des Buchstaben Y der Fall.
2.1.2 Inhibition
Die Inhibition ist deshalb eine sehr wichtige Fähigkeit, weil wir Menschen einer Vielzahl von Reizen ausgesetzt sind. So ist es wichtig, dass wir diejenigen Reize ausblenden können, die nicht für das Lösen einer Aufgabe relevant sind, und auf jene Reize reagieren, die zielführend sind - eine bedeutsame Fähigkeit, die auch in der Schule häufig gebraucht wird. Müssen die Kinder z.B. eine Textzusammenfassung erstellen, ist es nötig, dass sie sich auf die Hauptfiguren und den Erzählstrang konzentrieren und alle nebensächlichen Beschreibungen ignorieren.
Beispielhafte Tests für die Inhibition sind die nachstehenden.
Go/No-Go Aufgabe (Drewe, 1975):
Ein Beispiel für eine Go/No-Go Aufgabe ist die sukzessive Präsentation von zwei verschiedenen Reizen, z.B. einem roten Quadrat und einem blauen Dreieck, auf dem Bildschirm in zufälliger Reihenfolge. Die Aufgabe der Versuchsperson besteht darin, immer nur dann eine Taste zu drücken, wenn z.B. das rote Quadrat präsentiert wird.
Flanker-Test (Eriksen & Eriksen, 1974):
Beim Flanker-Test werden fünf gleiche Symbole auf dem Bildschirm gezeigt, und die Versuchsperson soll auf den mittleren Reiz reagieren und eine von zwei bestimmten Taste drücken, je nachdem, ob der Reiz dieselbe Ausrichtung hat wie die umliegenden Reize (erste Zeile in Abb. 2) oder nicht (zweite Zeile).
Abbildung 2: Flanker-Test, beispielhaft in einer Version für Kinder. Dargestellt sind fünf Fische. Die Kinder müssen mit der «richtigen» Pfeiltaste markieren, in welche Richtung der mittlere Fisch schaut (z.B. rechte Pfeiltaste, wenn der Fisch nach rechts schaut). Dies ist einfacher, wenn die anderen vier Fische auch nach rechts schauen, im Gegensatz zu der Möglichkeit, dass die anderen Fische nach links schauen.
Stroop-Test (Stroop, 1935):
Bei der verbreitetsten Version des Stroop-Testes mit verschiedenen Farben wird der Versuchsperson die Aufgabe gestellt, die Farbe zu nennen, in welcher der Name einer Farbe (also das die Farbe bezeichnende Wort) gedruckt ist. Hierbei wird das Wort manchmal in der Farbe gezeigt, für die es steht, dann wiederum in einer anderen. Wer beispielsweise das Wort «blau» in gelber Farbe geschrieben sieht, benötigt länger, um mit der richtigen Antwort «gelb» zu reagieren, als wenn Farbname und Wortfarbe übereinstimmen. Die Benennung der Farbe eines visuell dargebotenen Wortes ist also verlangsamt, wenn der Inhalt des Wortes der Farbe widerspricht. Stimmen Inhalt und Farbe jedoch überein, ist dies schneller möglich. Der Stroop-Effekt tritt auf, obwohl die Person den Wortinhalt überhaupt nicht beachten soll, und zeigt, dass der automatisierte Prozess des Lesens nur schwer zu unterdrücken ist.
Das Arbeitsgedächtnis und die Inhibition sind die Grundlage für die dritte Komponente der Exekutiven Funktionen, die kognitive Flexibilität oder Shifting.
2.1.3 Shifting
Hierunter wird die Fähigkeit verstanden, zwischen zwei Aufgaben geistig hin und her zu wechseln. Diese Fähigkeit ist im alltäglichen Leben sehr bedeutsam. Wenn Sie z.B. mit Freunden einen Film oder ein gelesenes Buch diskutieren möchten, ist es wichtig, dass Sie die Argumentationsweise Ihrer Freunde jeweils verstehen können. Sie müssen sich auf die unterschiedlichen, möglicherweise sogar gegensätzlichen Sichtweisen Ihrer Kommunikationspartner einstellen und diese von den vorherigen Beiträgen immer wieder abgrenzen können. Im Folgenden seien zwei «Shifting-Aufgaben» dargestellt.
Shifting-Task für Kinder (Karbach & Kray, 2009):
Den Kindern werden zunächst Bilder einer Gemüsesorte oder einer Obstsorte auf dem Bildschirm gezeigt und sie sollen durch Drücken einer bestimmten Taste entscheiden, um was es sich...