Schweitzer Fachinformationen
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Ein weiser Spruch lautet: "Zukunft braucht Herkunft". Der Haken an der Sache ist jedoch, dass wir uns immer dann äußerst unwillig der Vergangenheit zuwenden, wenn sie mit unangenehmem Erleben verknüpft ist. Dabei gäbe es genau in dieser Vergangenheit besonders viel zu lernen. Wir bevorzugen es stattdessen, uns lockenden Zukunftsverheißungen hinzugeben und sie in den schönsten Farben zu malen. Auf deutsch: Wir träumen lieber, als dass wir reflektieren.
Dabei vermögen wir mit genügend Abstand gerade das, was hinter uns liegt, viel klarer und deutlicher zu erkennen, wie die vielfach eingesetzte Metapher des Rückspiegels zeigt. Mit dessen Hilfe lässt sich der fließende Verkehr nur präzise beobachten, wenn er sich hinter und nicht etwa neben uns befindet.
Solange wir im Verkehr mitschwimmen, birgt der Blick in den Rückspiegel das, wovor uns bereits die Fahrschule warnt: die Gefahr des toten Winkels. Das gilt im Übrigen für das Autofahren und die Analyse historischer Ereignisse gleichermaßen. Es braucht beides: die geputzte Scheibe für die klare Sicht nach vorne und ausreichend Abstand beim Blick in den Rückspiegel.
24Überwinden wir also einmal unseren intuitiven Widerwillen, sich mit lästiger Vergangenheit zu befassen, spulen noch einmal kurz zurück und schauen mit strukturiertem Blick an diese hochspannende Kante. Eine Kante zwischen "alter" Arbeitswelt und dem häufig beschworenen "neuen Normal", das sich im Zuge der Pandemie in allen gesellschaftlichen Systemen entwickelt hat. Möglicherweise zeigt genau dort GOOD WORK sein Gesicht.
Die Kunst besteht nun darin, ein Ereignis, eine abrupte Veränderung zwar in ihrem Kontext zu betrachten, aber das erkennbare Muster aus seinem Zusammenhang herauszulösen und seine Erklärungskraft für aktuelle Fragestellungen zu nutzen. So können Lernerkenntnisse abgeleitet werden, die im besten Falle universellen Charakter haben und uns zweckdienlich zur Seite stehen, unabhängig davon, welche neuen Herausforderungen sich stellen. Gibt es so etwas wie ein Muster, eine Blaupause in der Art und Weise, wie Menschen ihre Arbeitskontexte neugestalten und strukturieren, die Zusammenarbeit mit Kunden, Kollegen, Geschäftspartnern organisieren, Prozesse gänzlich neu geformt und um bislang kaum beachtete Aspekte ergänzt haben? Zumindest lässt sich aus den Gesprächen - insbesondere über den Zeitraum der ersten 6 Monate - ein phasenhafter Verlauf des Energielevels der Menschen und ihrer Stimmungen erkennen. Diese Stimmungs- und Aktivitätsphasen taugen gleichsam als Psychogramm der Krise und erinnern damit an eine Kurve, die uns im Kontext von Transformationen nur allzu häufig über den Weg läuft.
Wenn es in der Literatur für Veränderungsprozesse eine ikonographische Darstellung gibt, dann ist es die sogenannte Change Kurve. Die Change Kurve beschreibt die subjektiven psychologischen Reaktionsmuster von Menschen auf große Veränderungen. Auf der X-Achse des Schematas wird der zeitliche Verlauf betrachtet, die Y-Achsenbeschriftung variiert, je nach Quelle, zwischen "Moral", "Produktivität", "Arbeitseinsatz" oder einfach "Leistung".
25Die Kurve nimmt in ihrem Verlauf zu Beginn einen steilen Anstieg, fällt nach einem Wendepunkt abrupt bergab bis unterhalb des Ausgangsniveaus und zittert sich allmählich wieder auf dieses Plateau oder sogar leicht darüber zurück.
Insgesamt beschreibt die Kurve einen Verlauf mit 7 Etappen, die zur Veranschaulichung im Folgenden kurz skizziert werden.
Etappe 1 - Schock
Der Schock - und damit umreißt die Change Kurve bereits zu Beginn den Referenzrahmen - ist eine universell beobachtbare, menschliche Reaktion auf ungewollte und von außen verursachte Veränderungen. Er beschreibt das initiale Verharren und Innehalten und damit die Vermeidung von Aktionen, die in Anbetracht des Ereignisses vermutlich angebracht wären. Im Zusammenhang von organisationalen Veränderungen wird davon ausgegangen, dass diese Schockstarre häufig mit einem Produktionsverlust einhergeht.
Etappe 2 - Verneinung, Widerstand
Auf den Schock folgt dem Modell zufolge die Verneinung, der innere Widerstand der Menschen, die sich mit großer Kraftanstrengung gegen die Veränderung stellen und an Bekanntes und Vertrautes klammern. Diese Ablehnung, dieses Nicht-Wahrhaben-Wollen führt nicht selten zu Aktionismus bei den Betroffenen.
Etappe 3 - Einsicht
Die rationale Einsicht ist der Punkt im Prozess, an dem die Menschen anerkennen, dass die Veränderung nicht mehr abzuwenden ist und ihr Widerstand sie nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Erkenntnis ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Einverständnis und so bleibt es in dieser Phase häufig bei Ratlosigkeit und Verzagtheit.
Etappe 4 - Akzeptanz
Im sogenannten "Tal der Tränen" gelangen Menschen am Tiefpunkt der Veränderung an. Sie akzeptieren das Unausweichliche, durchdringen das Ausmaß der Veränderung nicht nur rein kognitiv, sondern spüren es auch emotional. Es ist eine Phase der Trauer, des aufrichtigen Bedauerns und der erschöpften Resignation.
Etappe 5 - Ausprobieren, Lernen
Ist das Tal der Trauer, der emotionalen Akzeptanz durchschritten, so besagt es das Modell, öffnen sich Menschen allmählich für Neues. Typischerweise werden zu diesem Zeitpunkt neues Verhalten, neue Strategien ausprobiert und sich an die neue Situation herangetastet. Die Akzeptanz für Fehler ist in diesem Abschnitt dem Modell zufolge besonders ausgeprägt.
26Etappe 6 - Erkenntnis
In der Erkenntnisphase lernen die Menschen zu entdecken, welche Möglichkeiten sich aus der Veränderung für sie persönlich ergeben. Es setzt ein Perspektivwechsel ein, der den klareren Blick auf eine wünschenswerte Zukunft freiräumt. Im Fokus steht die Vorfreude auf das Neue und die Bereitschaft, den Wandel mitzugestalten.
Etappe 7 - Integration
Typischerweise ist der finale Prozessschritt der Integration geprägt von einer Selbstverständlichkeit. Die neue Situation wird in einem Maß akzeptiert, dass sie als neue Normalität erlebt wird. Neue Verhaltensweisen, neue Strukturen werden in den (Arbeits-)Alltag integriert.
Das Muster der soeben beschriebenen Change Kurve ist nicht die Erfindung von Change Beratern. Im Ursprung entstammt sie nicht einmal dem Feld des Change Managements, wenngleich sie in diesem Zusammenhang besonders häufig zitiert wird. Autoren dieser Zunft haben sich die Kurve sozusagen einverleibt und in vielerlei Varianten an ihre Thematik adaptiert. Der ursprüngliche Kontext der Kurve ist ein gänzlich persönlicher, um nicht zu sagen intimer Zusammenhang. Die Kurve handelt vom Umgang mit dem Tod.
Die Schweizer Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross setzte sich zeitlebens intensiv mit dem Prozess des Sterbens und damit, wie Menschen ihren Abschied vom Leben empfinden, auseinander.2 1969 veröffentlichte sie in ihrem Buch "On the death and dying" erstmalig ihre gesammelten Erkenntnisse auf Basis zahlreicher Interviews, die sie mit Sterbenden, Angehörigen und Seelsorgern geführt hatte. In der Conclusio ihrer Auswertung beschreibt sie fünf erkennbare Sterbephasen, die ein jeder Mensch im Angesicht seines nahenden Todes durchlaufe: 1. Nicht-wahrhaben-Wollen (Leugnen), 2. Die Frage nach dem Warum ich? (Zorn) 3. Wunsch nach Aufschub (Verhandeln) 4. Trauer um vergebene Chancen (Depression) 5. Das "Neue" annehmen (Akzeptanz). Die Kongruenz zur eingangs beschriebenen Change Kurve ist augenfällig und selbsterklärend.
Mit dieser Prozessbeschreibung und der dazugehörigen Veröffentlichung hat Elisabeth Kübler-Ross in der Sterbeforschung einen Kristallisationspunkt geschaffen, der bis heute auch jenseits dieser Disziplin als mindestens so durchdrungen wie kritikwürdig 27gilt. Auch wenn die Analogien zwischen von außen herbeigeführten Veränderungen (in Unternehmen) und dem Sterbeprozess an sich naheliegend zu sein scheinen, bleibt dennoch die Frage im Raum, inwiefern dieser Vergleich legitim ist. Dem Vergleich liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen Veränderungen, die sie nicht selbst in die Wege geleitet haben, als existentiell bedrohlich erleben.
Schematische Darstellungen und Visualisierung von theoretischen Modellen verfügen oft über eine bestechende Überzeugungskraft, vor der sich rein verbal beschriebene Konstrukte nur mit Ehrfurcht verneigen können. Die Kübler-Ross-Kurve hat - ebenso wie die daraus abgeleitete Change-Kurve - eine steile Karriere hinter sich und gehört in die Kategorie von Methodenklassikern. Die Darstellung ist anschlussfähig, überzeugend, hinreichend simpel und einprägsam. Damit erfüllt sie viele Kriterien, die Theorien benötigen, um sich nachhaltig in den Köpfen vieler Menschen festzusetzen.
Der Erfolg der Veränderungskurven ist möglicherweise aber genau der Quell ihrer größten Schwäche. Eben weil sie so überzeugend, prägnant und simpel sind, werden sie leichtfertig für jedwede Veränderung im Organisationskontext herangezogen. Das verwässert ihre Aussagekraft und macht sie schnell zum beliebigen Allerweltsmodell. Die Veränderungskurven bilden Kontexte ab, die sich diametral von trivialen, alltäglichen Anpassungen...
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