Schweitzer Fachinformationen
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Dass ausgerechnet ich einmal über Mental Health schreiben würde, hielt ich noch vor wenigen Jahren für ausgeschlossen (und vermutlich auch alle, die damals meine Arbeit verfolgt haben).
2020 erschien in Kollaboration mit der Illustratorin Julia Feller mein zweites Buch Dear Girlboss, we are done, das von den negativen Effekten handelt, die die Offenbarung der eigenen Traumata für Frauen online zur Folge hat. Ich habe das Buch nach dem Erscheinen nie wieder in die Hand genommen, und doch kann ich mich vage daran erinnern, dass ich darin Influencerinnen und Journalistinnen, die auf Social Media offen über ihre psychischen Probleme schreiben, abwertete.
Ich verstand nicht, warum sie sich in Zeiten von Hasskommentaren, Stalking und der internetimmanenten Gier nach Voyeurismus und traurigen Geschichten freiwillig auf großen Medienportalen die Blöße gaben, fremde Menschen in die eigenen seelischen Abgründe mitzunehmen.
Die Offenlegung der weiblichen Psyche war für mich nicht in erster Linie politisch, sondern in erster Linie privat - und gefährlich. Ich fand es seltsam, wenn sich kluge Frauen, in meiner damaligen Wahrnehmung, darauf reduzieren, an einer psychischen Störung zu leiden, und fortan ihr gesamtes Online-Dasein darauf ausrichten, mit einer bestimmten Diagnose in Verbindung zu stehen.
Vielleicht tat ich das, weil ich mir selbst lange Zeit nicht eingestehen wollte, krank zu sein. Bis ich im Mai 2022, im Alter von 30 Jahren, eine Speichelprobe an ein Berliner Labor schickte.
Ich hatte gerade das anstrengendste Jahr meines Lebens hinter mir.
Innerhalb von zwölf Monaten zog ich von Berlin aufs Land in Dippoldiswalde und wieder zurück nach Berlin, wo ich während des dritten Pandemie-Winters ein juristisches Masterstudium aus der Ferne abschloss und gleichzeitig vier Tage die Woche als Change-Managerin bei einem Consulting-Unternehmen arbeitete.
Mein Alltag war die Hölle.
Ich verbrachte den Großteil des Tages damit, sinnlose Powerpoints im Wert von mehreren zehntausend Euro zu erstellen (wovon ich natürlich nur einen Bruchteil abbekam), und arbeitete zwischendurch am Exposé meiner Masterarbeit im Fachbereich des Wettbewerbsrechts.
In manchen Monaten gab es weniger als sechs Tage, an denen ich lachte und so etwas wie Freude oder Sinn empfinden konnte. Meine Lebensunlust war nicht mehr zu leugnen.
Trotzdem hätte ich mich nicht als "depressiv" bezeichnet, denn schließlich kam ich jeden Morgen aus dem Bett, schrieb neben dem Consulting-Job eine juristische Masterarbeit, ging joggen und verdiente genügend Geld, um im Supermarkt nicht auf die Preise von Milch und Butter achten zu müssen.
Ich hatte es geschafft, mich aus dem journalistischen Prekariat zu befreien, in einer anderen Branche anzufangen und mich gleichzeitig in einen neuen, unfassbar komplizierten Bereich einzuarbeiten, ohne zuvor das erste deutsche juristische Staatsexamen abzulegen. Freunde, die selbst Jura studiert hatten, gratulierten mir - und staunten gleichzeitig über meine bestandenen Prüfungen. Scheinbar war ich immer noch so ehrgeizig wie mit 21 - allerdings nach fünf Jahren Selbstständigkeit inklusive einiger kurzer, notgedrungen eingeschobener Festanstellungen ungefähr fünfmal so ausgebrannt.
Ich hatte seit 2017 keine richtige Pause mehr gemacht, und mit richtig meine ich, länger als zwei Wochen am Stück auf dem Rücken zu liegen und an die Decke zu starren. Ohne Handy, ohne Laptop, ohne Auftraggeber, die bis 15 Uhr ein volles Word-Dokument von mir wollen.
Der Preis für meine Funktionalität war hoch.
Mein Nervenkostüm war so dünn wie eine Frischhaltefolie.
Mein Privatleben glitt mir aus den Händen.
* * *
Triggerwarnung: selbstverletzendes Verhalten, Selbsthass
An einem unspektakulären Montagvormittag entdeckte ich eine Parkstrafe über 50 Euro hinter meiner Windschutzscheibe, weil ich vergessen hatte, ein Ticket für den Gratis-Parkplatz beim Supermarkt zu ziehen (klingt unlogisch, war es auch).
Es regnete heftig, und ich versuchte, die Angelegenheit gleich zu regeln. Ich lief also in den Supermarkt und wieder hinaus, ich versuchte, mit dem Parkwächter zu sprechen. Aber keine Chance. Der kostenlose Besucher-Parkplatz war über Nacht kapitalisiert worden. Schließlich kam ich auf die Idee, auf das Ticket eines anderen Fahrzeugs mit derselben Ankunftszeit zu setzen, dessen Besitzer es mir - so der Plan - nach seiner Abfahrt freiwillig überlassen könnte. Mit diesem fremden, nicht zuordenbaren Ticket hätte ich die Strafe vielleicht abwenden können.
Doch bevor ich ein passendes Ticket finden konnte, kündigte sich in meiner Magengegend bereits ein Nervenzusammenbruch an. Mein Gehirn blockierte jegliche Rationalität und schüttete eine unverhältnismäßig große Dosis Adrenalin aus. Stück für Stück breitete es sich in jeder Zelle meines Körpers aus. Meine Pupillen erweiterten sich. Meine Herzfrequenz stieg an. Hilflos rief ich meinen besten Freund an, um ihm von der Situation zu erzählen, die im Grunde genommen eine kleine, unnötige Lappalie war. Statt mich von ihm trösten zu lassen, fing ich an, Öl ins Feuer zu gießen.
Die Leute auf dem Parkplatz starrten mich an, was mich nicht daran hinderte, in voller Lautstärke weiter ins Telefon zu schreien. Da war ich also: die Verrückte, die bei Regen auf einem Parkplatz auf- und ablief und dabei weinte, als ob sie gerade einen Arm verloren hätte. Die, die doch sonst stundenlang Argumente hin- und herwälzen konnte und sich beruflich auf sehr viel schwerere Problemszenarien einlassen musste.
She lost it.
Schließlich beendete ich das Telefonat, indem ich auflegte, und fuhr nach Hause. Dass ich unterwegs keinen Unfall verursachte, war purer Zufall - denn durch meine verheulten Augen habe ich nicht mehr viel von der Straße gesehen.
In der Wohnung verschlimmerte sich mein Zustand. Ich hatte die Verbindung zu mir selbst verloren.
Warum passiert so etwas immer mir?
Warum bin ich so dumm und kann nicht lesen?
Warum muss ich ausgerechnet diesen Parkplatz nehmen?
Kann ich nicht besser auf mich aufpassen?
Meine Selbstabwertung nährte sich erfolgreich von dem kleinen Fehler, den ich in Eile begangen hatte, und stürzte mich kopfüber in eine Abwärtsspirale. Sie gipfelte darin, dass ich meinen Mid-century-Schreibtisch mit beiden Händen an die Wand schleuderte und ihn anschließend wie eine Hyäne in seine Einzelteile zerlegte. Ich riss die Schubladen samt Inhalt heraus und warf sie gemeinsam mit meiner Tastatur und einem Haufen Bücher auf den Parkettboden. Das 70 Jahre alte Teil war in weniger als drei Minuten zu einem Haufen Brennholz geworden.
Ich befand mich mitten in einem Blackout. Am Ende des Massakers hielt ich ein Tischbein in der Hand und hatte mehrere Schrammen an meinen Beinen. Als ich endlich zu mir kam, nahm ich mich aus der Vogelperspektive laut schluchzend und panisch atmend in der Embryonalstellung auf dem Bett liegend wahr.
Um mich herum und in mir drinnen: Chaos.
Der einzige Gedanke in mir war nun: "Endlich. Jetzt kann es raus. Jetzt kann alles raus".
Die Prämenstruelle Dysphorische Störung (PMDS) ist eine Krankheit, deren Ursachen bislang wenig erforscht sind. Fest steht allerdings, dass Menschen mit Zyklus, die an der schwersten Form der Prämenstruellen Störung leiden, in den Tagen nach dem Eisprung bis zum Einsetzen der Monatsblutung an unterschiedlich stark ausgeprägten Depressionen, Ängsten, Aggressionen und Wahrnehmungsstörungen leiden, die bis hin zu Body-Dysmorphia, selbst- und fremdverletzendem Verhalten sowie Suizidalität führen können.
Bei einigen Menstruierenden halten die Symptome zehn, bei anderen 20 Tage an. Bei einigen sind sie durchgehend vorhanden, was eine Abgrenzung zu anderen psychischen Erkrankungen schwer macht. Treten die beschriebenen Symptome lediglich in der Zeit ab dem Eisprung auf und hören sie abrupt rund um das Einsetzen der Blutung wieder auf, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um PMDS handelt. Um dies zu diagnostizieren, sollte über mindestens drei Monate ein Tagebuch geführt werden, in dem die unterschiedlichen Symptome täglich auf einer Skala bewertet werden.
Ein Progesteronmangel kann, muss aber kein Grund für das Auftreten der Prämenstruellen Dysphorischen Störung sein. In meinem Fall konnte durch eine Speichelprobe ein eindeutiger Progesteronmangel festgestellt werden. Unzählige Jahre des Leidens und 150 Euro kostete mich dieser Erkenntnisgewinn, der nicht von Krankenkassen übernommen wird.
Die Ursachen meines Progesteronmangels sind bislang ebenso unklar wie die genaue Entstehung von PMDS. 3-8 % aller Menstruierenden leiden daran. Und niemanden interessiert es! Warum das so ist, liegt auf der Hand: Frauengesundheit ist historisch bedingt kein besonders relevantes Thema. Das wissen wir spätestens seit der Lektüre von Caroline Criado Perez, die in ihrem Buch Invisible Women. Exposing Data Bias in a World Designed for Men die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der medizinischen Forschung einem breiten Publikum offenlegte.
Die meisten Betroffenen kommen meist erst dann mit ihrem Progesteron-Wert in Berührung, wenn sie nicht schwanger werden können. Wenig überraschend wurde auch ich von den meisten Ärzten gefragt, ob ich Nachwuchs plane - obwohl ich eigentlich nur wissen wollte, was genau nach dem Eisprung in meinem Gehirn...
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