Schweitzer Fachinformationen
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Eins
In der Bibel heißt es ja, die Wahrheit wird euch freimachen. Aber ich muss die Ausnahme von der Regel sein, denn ich habe mich noch nie unfreier gefühlt als in diesem Augenblick.
»Lucy!« Mein Verlobter, Samuel Stone, kniet zusammengesunken mitten auf unserem Hof, und die Verzweiflung, mit der er auf dem Boden nach Antworten zu suchen scheint, ist beinahe mit Händen zu greifen. Es ist, als wäre er aus einem langen Schlaf erwacht und als der Mann zu mir zurückgekommen, den ich früher kannte. Doch der Duft seines Zwillingsbruders, der noch an meiner Haut hängt, lässt mich nicht vergessen, dass ich nicht mehr die Frau bin, die ich einst war.
»Ich bin hier, Sam.« Ich renne zu ihm. Ganz allein liegt er niedergeschmettert auf den Knien. Sein Kopf schnellt hoch, und seine Augen brauchen einen Moment, um sich auf mich zu fokussieren, weil er anscheinend immer noch in einer Vergangenheit verloren ist, an die er sich nicht richtig erinnern kann.
»Was ist los? Alles ist so . verschwommen.« Das verletzt mich zutiefst, denn bei mir ist es anders . ich erinnere mich an jedes einzelne Detail.
»Komm, lass uns reingehen, dann kann ich dich säubern.« Getrocknetes Blut klebt an seiner Schläfe und seinem Hals. Er hat gesagt, er wäre gefallen und hätte sich den Kopf angeschlagen. War es das, was seinem Gedächtnis wieder auf die Sprünge geholfen hat?
Sam starrt mich weiter so an, als versuche er zu begreifen, was hier eigentlich vor sich geht. »Warum ist Saxon da?« Und schon ist aus einem Sturm ein ausgewachsener Tornado geworden, der uns alle zerstören könnte.
»Ich erklär dir alles, wenn wir drinnen sind. Komm jetzt.« Ich reiche ihm meine Hand, weil er es ohne Hilfe nicht zurückschaffen wird. Er schaut zu unserem Haus und dann wieder hoch zu mir. Sam ist ziemlich starrköpfig - das hat sich nie geändert -, aber schließlich verschränkt er seine Finger mit meinen.
Sobald wir uns berühren, werden die Erinnerungen an die letzten Monate wach, und ich möchte mich sofort wieder von ihm lösen. Doch als ich seine Augen sehe, die mich nicht mehr voller Hass und Feindseligkeit anschauen, schiebe ich meine Bedenken beiseite.
Er atmet schwer aus, ehe er sich mühsam erhebt und vor mir aufrichtet. Dann streicht er mit dem Daumen über meine Fingerknöchel und mustert fragend mein Gesicht. »Ich habe das Gefühl, ich hätte dich seit Jahren nicht mehr gesehen.« In gewisser Weise liegt er damit nicht allzu weit daneben. »Irgendetwas . ist anders. Ich kann es sehen. Und spüren.«
Obwohl meine Finger mit seinen verflochten sind, ist meine Hand schlaff und der Körperkontakt weit entfernt von dem eines Pärchens, das kurz davor war, sich das Jawort zu geben.
Der Gedanke daran ist fast zu viel für mich, also konzentriere ich mich darauf, ihn zum Haus zu führen, denn ich brauche einen Moment, um meine Gedanken zu ordnen. Aber er bleibt stur. »Früher hast du mir alles erzählt. Nun kannst du mich nicht mal mehr ansehen.« Wie auf Kommando senke ich den Blick, was seine Behauptung bestätigt. »Red mit mir, Baby. Ganz egal, was passiert ist, wir stehen das durch. Ich liebe dich.«
Jetzt entreiße ich ihm doch meine Hand. Ich kann das nicht ertragen. »Ach Sam, lass das.«
»Was? Meiner Verlobten zu sagen, dass ich sie liebe?«
Ich streichle den Diamantring, den er mir geschenkt hat, und denke an all die bitteren Erinnerungen, die damit verbunden sind. Ich hätte ihm den Ring schon vor Wochen zurückgeben sollen.
»Lass uns reingehen«, wiederhole ich, kurz davor zusammenzubrechen. Die Atmosphäre ist drückend, aber schließlich stimmt er zu.
Wir gehen Seite an Seite, allerdings nicht mehr Hand in Hand, weil Sam gemerkt hat, dass da irgendetwas nicht stimmt. Er lässt mich in Ruhe, wofür ich ihm dankbar bin, doch ich weiß, dass die Atempause nicht allzu lang dauern wird.
Als wir in die Küche kommen, muss ich sofort daran denken, wie ich zum letzten Mal dort war. Aus Angst umzukippen, halte ich mich an der Theke fest. Die Unordnung vom Abendessen gestern bestätigt, dass alles real ist. Die Töpfe und Pfannen weichen in der Spüle ein, was zweifellos Piper zu verdanken ist, die genau das getan hat, worum ich sie gebeten hatte. Niemand hat Saxon und mich gefunden, sodass ich für ein paar wunderbare Stunden einmal wieder glücklich sein konnte. Das Problem ist nur, dass ich dieses Glück in den Armen eines Mannes gefunden habe, der der Zwillingsbruder meines Verlobten ist.
»Ich hol nur schnell etwas Verbandszeug. Bin gleich wieder da.« Ich warte Sams Reaktion nicht ab.
Sobald ich im Flur bin, drücke ich eine Hand auf den Mund, um mein fassungsloses Wimmern zu dämpfen. Ich muss stark sein, schließlich ist das erst der Anfang. Ich wühle in den Schubladen im Bad und suche die Erste-Hilfe-Sachen heraus, die ich brauche.
Als ich den Medizinschrank wieder schließe, sehe ich mich im Spiegel und halte einen Augenblick inne, um nachzudenken. Samuel ist zu mir zurückgekommen; er ist wieder der Mann, den ich von ganzem Herzen geliebt habe. Ich streiche mir über den Nacken - den Saxon mit Küssen bedeckt hat -, und mir wird klar, dass alles sich geändert hat.
»Frag sie, ob sie die Damen noch immer in der letzten Reihe stehen lässt .«*
* Zitat aus: J. D. Salinger, Der Fänger im Roggen, übersetzt von Eike Schönfeld, Köln 2004, S. 52.
Saxons Tattoo ist die Erklärung für das, was mir immer gefehlt hat, aber das Traurige ist, dass ich bis vor wenigen Minuten gar nicht wusste, mit einer Lüge gelebt zu haben. Ich schaue mich noch ein letztes Mal im Spiegel an und entdecke, dass Sam recht hat - ich sehe anders aus, weil ich anders bin.
Entschlossen laufe ich durch den Flur, um das einzufordern, was mir zusteht. Samuel sitzt an der Theke und hat den Kopf in die Hände gestützt. Er wirkt völlig fertig, und das bricht mir das Herz. »Hey.«
Er schreckt hoch, als hätte meine Stimme ihn in die Gegenwart zurückgeholt.
Als er sich langsam umdreht und über die Schulter blickt, liegt der Hauch eines Lächelns auf seinen Lippen. »Hey.« Ich hatte fast vergessen, wie es sich angefühlt hat, von diesem Lächeln verführt zu werden. Es hat eine Zeit gegeben, in der ich für dieses Gefühl gelebt habe, doch nun spüre ich nichts mehr.
Zögernd gehe ich zu ihm, lege das Verbandszeug auf die Theke und unterdrücke das Zittern meiner Hände. »Du bist also hingefallen?«
Sam nickt. »Ja, ich bin in der Dusche ohnmächtig geworden. Es war, als hätte ich einen Schlag auf den Kopf bekommen, und dann wurde alles dunkel.« Seine blutigen Fäuste erinnern mich daran, wie brutal er auf Saxon eingeschlagen hat. Offenbar weiß er, was wir getan haben, hat aber keine Ahnung, was uns dazu gebracht hat.
Sanft ziehe ich seine Hände unter den Hahn und spüle das Blut ab. Ich kann es kaum ertragen zu sehen, wie sehr er Saxon wehgetan hat. Sam summt, als ich über seine Knöchel streiche und das warme Wasser seine Sünden fortwäscht. »Samuel .«
»Was ist los? Du kannst mir alles sagen.«
Unfähig, mich seinem Urteil zu stellen, konzentriere ich mich auf unsere Hände. »Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll«, gestehe ich traurig. Ich bin kurz davor zu hyperventilieren.
»Wie wär's mit dem Anfang?« Der praktische Sam ist wieder da.
»Wie wär's, wenn ich dich erst verarzte?« Das ist sicher die richtige Vorgehensweise. Gleich mit dem Schlimmsten zu beginnen kommt mir etwas grausam vor. Aber Sam lässt sich nicht beirren.
»Sag's mir einfach.«
Nachdem ich seine Hände gesäubert habe, stelle ich das Wasser ab und trockne sie ab. Ich tue alles, was ich kann, um ihn hinzuhalten, denn wie soll man das schrecklichste Erlebnis seines Lebens in nur wenigen Worten zusammenfassen?
»Lucy? Bitte .« Seine Niedergeschlagenheit rührt mich, schließlich würde ich an seiner Stelle auch Bescheid wissen wollen.
Ich reiße mich zusammen und hebe langsam den Blick. In Sams sehe ich kein Urteil, bloß Neugier und . Liebe. Mir wird übel. »Also . an unserem Hochzeitstag hattest du einen Autounfall.« Samuel wird blass, doch ich fahre fort. »Du warst schwer verletzt. Die Ärzte waren nicht sicher, ob du es schaffen würdest.« Bei der Erinnerung daran schüttelt es mich. »Aber das hast du. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich war, ich hatte . so große Angst, dich zu verlieren, Sam. Als du allerdings aus dem Koma erwacht bist, hattest du Amnesie.« Ich befeuchte meine Lippen. »Du hattest keine Erinnerung . an mich.«
»Was?«, fragt er ungläubig und schüttelt heftig den Kopf. »Das kann nicht wahr sein.«
»Ist es aber. Sosehr ich mir auch wünsche, ich könnte etwas anderes sagen, so war es. An manche Sachen und Menschen hast du dich erinnert, an mich jedoch nicht. Und deswegen . hast du mich gehasst. Und dass wir eine Beziehung hatten.«
»Nein.« Sam bricht in Tränen aus. »Wie ist denn das möglich? Ich weiß nicht . ich weiß gar nicht . oh nein.«
»Das habe ich mich auch jeden Tag gefragt, aber je mehr ich mich bemüht habe, deine Erinnerungen zu wecken, desto mehr hast du dich zurückgezogen. Du warst ein ganz anderer Mensch. Den ich nicht wiedererkannt habe.« Eine Träne rollt über meine Wange, und ich wische sie hastig weg. »Saxon .«
Abrupt richtet Sam sich auf, einen Ausdruck von Angst und Schrecken auf dem Gesicht. »Was hat er getan?«
Diese schnelle Schuldzuweisung ärgert mich...
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