Schweitzer Fachinformationen
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DER RUMPREDIGER
Wir wollen dir vom Rumprediger erzählen. Selbst wenn du nie in der Gegend gewohnt hast, hast du sicher vom Rumprediger gehört. Nach sechs Jahren sind falsche Geschichten und wahre Geschichten so miteinander vermischt, dass beide gut klingen. Die Leute glauben, dass alles zur Hölle gegangen ist, nachdem sich der Teufel Lillamae Perkins' bemächtigt hat, aber wenn du Pastor Hector Bligh von der Heilig-Grab-und-Evangeliums-Kirche des Apostels Thomas gekannt hättest, dann wüsstest du, dass er schon lange zuvor auf dem Weg zur Hölle war.
Bevor Pastor Bligh nach Gibbeah kam, hat niemand von uns je einen Mann Gottes trinken sehen. Angeblich steht im Zweiten Buch Johannes, Vers eins bis elf, dass Jesus Wasser in Wein verwandelt hat, also muss er auch Wein getrunken haben. Die drei Männer, die den lieben langen Tag draußen vor der Bar sitzen, sagen, dass er schließlich ein Mann gewesen sei und dass ein Mann das Recht hat, sich zu betrinken, so wie er das Recht hat, sich an den Eiern zu kratzen oder seine Frau zu verprügeln, wenn sie sich nicht benimmt, wie sich's gehört.
Bligh hat getrunken, als würd' das Trinken bald außer Mode kommen. Den ganzen Samstagabend ist er an der Bar gesessen, hat Rum getrunken und sich über anderer Leute Angelegenheiten ausgelassen, anstatt sich für die Kirche vorzubereiten. Und wenn's dann Zeit war zu predigen, hat er nicht gewusst, was er sagen sollte. Wir hatten solche Predigten nie zuvor erlebt. Wenn Bligh betrunken war, hat man nur ein Murmeln gehört. Wenn Bligh nüchtern war, hat er sich angehört wie dieser verrückte Kapitän in dem Moby-Dick-Film, den sie im Majestic gezeigt haben. Der Pastor vor ihm, der hatte Feuer. Hector Bligh hat nichts gehabt außer Eis. Vielleicht war es unser Fehler, weil die Leute auf dem Land die Dinge eben nehmen, wie sie sind, als würd' uns der weiße Mann verprügeln, wenn wir was ändern.
Lillamae.
Lillamae Perkins. Heute früh sind's zwei Jahre, seit ihr Vater aufwachte und sofort gesehen hat, dass sein ganzes Bett rot war und Blut wie ein Springbrunnen da rausschoss, wo sein Penis mal gehangen hatte. Niemand hat gesehen, was geschehen ist, aber alle haben Lillamae gesehen, wie sie vor ihrer Gartentür gestanden und ausgesehen hat, als hätt' man sie verhext, ein Messer in der einen Hand und den blutigen Schwanz in der anderen. Sie hat grüne Papayas gegessen, um das Baby loszuwerden.
Zwei Jahre später, es ist Sonntag, und Pastor Bligh ist wie immer betrunken. Er wirft sich in den Stuhl des Pastors neben der Kanzel, als würd' er sonst auf den Boden knallen. Lillamae geht vor zum Altar, damit man ihr ihre Sünden und die Lasterhaftigkeit austreibt, obwohl der Pastor heute noch niemanden nach vorn gerufen hat.
Alle haben sie gehört.
»Herr Jesus Christus! Herr Jesus Christus! Verzehrendes Feuer! Verzehrendes Feuer! GOOOOOOOTT!!!«
Lillamae wirft sich auf den Boden. Ihre Beine werden zu einer Schere, sie macht sie auf, dann zu, dann wieder auf, und alle haben sie ihre fischige Pussy sehen können, weil sie kein Höschen angehabt hat. Dann hat sie Lucinda gesehen, die den Heiligen Jesus Christus angerufen hat.
»Was wird Jesus für dich tun, du Hafenhure? Der Satan hat von Anfang an gesehen, wie du den Tee gemischt hast«, sagt Lillamae. Die Leute schreien und rennen und fallen hin und treten aufeinander und schreien noch mehr, weil eine Männerstimme aus ihrem Mund gekommen ist, als sie ihn aufgemacht hat. Dann sieht sie den Pastor, und die Hölle bricht los. Fünf Diakone rennen zum Altar. Bei den Kirchgängern und auch den Sündern sind sie als »Die Fünf« bekannt.
»Ein Idiot, zwei Säufer, ein Schwächling und einer, der seine Frau verprügelt. Wer ist jetzt wer? Wer ist wer?«, sagt sie. Die Fünf umringen sie, versuchen sie zu überwältigen, aber niemand kann Lillamae auf den Boden werfen. Sie rutscht einem durch die Finger und zerkratzt einem anderen das Gesicht. Sie tritt einem Diakon in den Sack, und aus fünf Männern werden vier. Lillamae verdrischt sie alle. Sie verdreht dem zweiten den Hals, bricht dem dritten alle Finger, verprügelt den vierten so, dass er wieder Asthma hat, und schlägt dem letzten Diakon das linke Auge aus.
Niemand weiß, woher das Messer kam. Manche sagen, dass sie gesprungen ist, andere, sie sei geflogen. Wenn dich der Dämon mal gepackt hat, bist du zu allem fähig. Jeder hat gesehen, wie sie den Pastor mit dem Messer angesprungen und er seine Hand rausgestreckt hat, als wollte er sie fangen, und sie ihn direkt mitten durch seine linke Hand gestochen und ihn wie den heiligen gekreuzigten Jesus an die Wand genagelt hat.
»Du Narr. Das hättest du vor zwei Jahren tun sollen, als ich allein war. Jetzt sind wir eins und sieben«, mehr hat sie nicht gesagt. Pastor Bligh hat gebrüllt und geschrien, aber niemand wird sich mit einem Mädchen anlegen, das acht Dämonen in sich trägt. Dann hat sie geschrien und ist aus der Kirche gelaufen.
Zwei Tage vergingen, und niemand hat Lillamae finden können. Dann hat ein kleiner Junge ihre Leiche den Two Virgin River hinuntertreiben sehen. Pastor Bligh war betrunken, als man sie begrub. Danach sind viele Leute nicht mehr in die Kirche gegangen.
Pastor Bligh verließ die Bar und machte sich schwankend wie ein betrunkener Koloss auf den Heimweg. Aber das Feuer fraß Löcher in seine Eingeweide und ließ Flammen in seine Schenkel fahren, die schrien: Lass mich raus! Er ging an den Straßenrand und erleichterte sich. Der Strom gelber Pisse hinterließ einen schwarzen Ring auf dem Straßenbelag. Die Sonne wärmte seinen Rücken, und plötzlich war der Morgen mit einer gewissen Leichtigkeit erfüllt. Bligh hatte vor langer Zeit gelernt, dem Glück nie zu trauen. Aber etwas kam über ihn, das ihm sowohl Vergnügen als auch eine Spur Angst bereitete. Er verliebte sich in den rosa gestreiften Himmel und die schillernden Tautropfen und in die Hähne, die sich selbst wachkrähten, so albern es auch schien. Bligh war immer noch sehr betrunken. Seine Hose lag um seine Knöcheln, und als er losgehen wollte, stolperte er, fiel rückwärts auf den Hinterkopf und wurde ohnmächtig.
Eine Kirchenschwester sah ihn zuerst. Sie war aus ihrem Haus gekommen, um ihre Hibiskusstauden zu gießen, und dachte, ein Verrückter oder ein Säufer sei tot auf der Straße umgefallen. Sie näherte sich ihm vorsichtig, aus Angst, er sei vielleicht nur eingeschlafen und würde just in diesem Augenblick aufwachen und sie mit seinen schwieligen Händen und dreckigen Fingernägeln packen und vergewaltigen. Als sie das Gesicht von Pastor Bligh sah, verfinsterte sich ihr Antlitz vor Ekel, doch überrascht war sie nicht. »Eine Schande«, sagte sie. Und trotzdem war sie, wie viele im Dorf, erleichtert über Pastor Blighs Verhalten. Er war so sehr von seiner Sündhaftigkeit gepeinigt, dass es ihm nie gelang, sie der ihrigen zu überführen. Ihr Blick, der über seinen Körper schweifte, hielt in der Mitte inne. An dieser Stelle starrten sein dunkler Penis und seine Eier zurück, so achtlos ausgestreckt wie er selbst, nur eingerahmt von seinen Oberschenkeln und den losen Hemdzipfeln. Sie vergaß seine Arme; der rechte war ausgestreckt, und der linke lag unter seinem Rücken. Sie vergaß sein hageres, graues Gesicht mit dem offenen Mund, aus dem Speichel troff. Sie vergaß seine braunen, schmutzigen Schuhe, die zu einem großen Teil von seiner um die Knöchel gewickelten Hose verdeckt wurden. Da war nur noch dieses Ding zwischen seinen Beinen, leblos und doch so ungeheuerlich wie eine Schlange in der Genesis. Ihr dunkles Gesicht wurde weiß, sogar rosa, als sie zurück in ihr Haus rannte.
Er war mehrere Minuten bewusstlos. Minuten, welche alte Frauen entsetzten und Kinder, die auf ihrem Schulweg vorbeikamen, in Angst und Schrecken versetzten. Lucinda, die den Vorfall nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, berichtete dennoch in der ersten Person davon, und in jenem Tonfall, den sie für besondere Fälle von Ketzerei bereithielt.
Nach dem Piss-Vorfall hatten die besorgten Bewohner des Dorfes und insbesondere Lucinda genug.
»Der wird seinen Stuhl in der Kirche nächsten Sonntag noch mit dem Klo verwechseln, passt bloß auf«, sagte ein Beobachter, aber da er nicht zur Kirche ging, hörte niemand ihm zu oder nahm ernst, was er sagte. Kurzum, dieser Beobachter war nicht Lucinda, die eine Briefkampagne zur Entfernung Pastor Blighs aus seinem Amt begonnen hatte. Lucinda besaß sehr wenig Schulbildung, und sie kannte kaum etwas außer der Bibel, sodass sie mehr Höllenfeuer und Verdammnis in den Text packte als eigentlich beabsichtigt. Sie schrieb an jede Kirche, die sie kannte, sogar an die Erzdiözese, obwohl Pastor Bligh kein Katholik war. Bligh war nur Gott verantwortlich, und Jesus sagte nichts, was Lucinda hören wollte.
Niemand antwortete auf Lucindas Briefe. Sie verfluchte Gott nicht, aber sie erinnerte Ihn daran, dass Sie genau aus diesem Grund noch zu einem anderen betete. Dann führte das Majestic Cinema eine Matinee am Sonntagmorgen um zehn Uhr ein und reduzierte die schon um die Hälfte zusammengeschmolzene Kirchengemeinde auf ein Viertel. Der Pastor trank nun Tag und Nacht. Er taumelte in den Abgrund und hätte das Dorf mit sich gerissen, wäre da nicht der andere gewesen, der sie stattdessen in ein Licht führte, das schwärzer war als die finsterste Dunkelheit.
Er kam wie ein Dieb in einer silberfarbenen Nacht. Er kam auf zwei Rädern, und der Auspuff stieß einen Dunst aus, der die Kinder im Schlaf husten ließ. Als sein Motorrad die Brillo Road hinauffuhr, zog es eine schlangenförmige Staubwolke hinter sich her. Es gab keine Zeugen seines Erscheinens außer einer Eule, dem Mond und...
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