Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
In der kleinen Stadt Vevey in der Schweiz gibt es ein besonders komfortables Hotel; aber es gibt dort natürlich viele Hotels, denn der Tourismus ist der Wirtschaftszweig des Ortes, der, wie viele Reisende sich erinnern werden, an einem bemerkenswert blauen See liegt - an einem See, den jeder Tourist einmal gesehen haben sollte. Am Ufer des Sees präsentiert sich eine endlose ansehnliche Reihe von Häusern solcher Art, in jeder Kategorie, vom »Grandhotel« neuesten Stils mit kreideweißer Fassade, unzähligen Balkonen und einem Dutzend flatternden Fahnen auf dem Dach bis hin zur kleinen Schweizer Pension älteren Datums mit rosa oder gelben Hauswänden, die ein Name in deutsch anmutender Schrift ziert, und einer in die Gartenecke gezwängten Sommerlaube. Eins der Hotels in Vevey jedoch ist berühmt, ja geradezu traditionsreich, und unterscheidet sich von vielen seiner benachbarten Emporkömmlinge durch eine Atmosphäre von Luxus und Gediegenheit. Den ganzen Monat Juni über gibt es in dieser Gegend außerordentlich viele amerikanische Reisende; man kann sogar sagen, dass Vevey in dieser Zeit fast schon den Charakter eines amerikanischen Kurortes annimmt. Dann beschwört so mancher Anblick oder Laut ein Bild oder Echo von Newport und Saratoga herauf. Dann herrscht ein Gewimmel hierhin und dorthin eilender »schicker« junger Mädchen, ein Geraschel von Musselinrüschen, ein Gedröhne von Tanzmusik schon am Vormittag und ein nie abreißendes Geplapper hoher Stimmen. Einen Eindruck von all dem bekommt man in dem ausgezeichneten Speiselokal des »Trois Couronnes«, ja man fühlt sich in Gedanken regelrecht wie ins »Ocean House« oder »Congress Hall« versetzt. Doch das »Trois Couronnes«, das muss hinzugefügt werden, hat noch anderes zu bieten, das sich von diesen Vorstellungen stark unterscheidet: gepflegte deutsche Kellner, die wie Legationssekretäre aussehen; russische Prinzessinnen, die im Garten sitzen; kleine polnische Jungen, die an der Hand ihrer Hauslehrer spazieren gehen; die Aussicht auf die schneebedeckten Gipfel der Dents du Midi und die malerischen Türme von Schloss Chillon.
Ich kann nicht beurteilen, ob es die Ähnlichkeiten oder eher die Unterschiede waren, die den jungen Amerikaner am meisten beschäftigten, der vor zwei oder drei Jahren im Garten des »Trois Couronnes« saß und ziemlich müßig einige der anmutigen Motive betrachtete, die ich soeben erwähnt habe. Es war ein schöner Sommermorgen, und wie auch immer der junge Amerikaner die Dinge betrachtet haben mag, sie müssen ihm bezaubernd erschienen sein. Er war tags zuvor mit dem kleinen Dampfschiff aus Genf gekommen, um seine Tante zu besuchen, die in dem Hotel abgestiegen war - Genf war schon seit Langem sein Wohnsitz. Aber seine Tante hatte Kopfschmerzen - seine Tante hatte fast immer Kopfschmerzen - und lag nun in ihrem abgedunkelten Zimmer da und atmete Kampferdämpfe ein, sodass er nach Belieben umherstreifen konnte. Er war etwa siebenundzwanzig Jahre alt; wenn seine Freunde von ihm sprachen, sagten sie gewöhnlich, dass er in Genf »studiere«. Wenn seine Feinde von ihm sprachen, sagten sie - aber Feinde hatte er im Grunde keine: er war äußerst liebenswürdig und allgemein beliebt. Ich sollte einfach nur erwähnen, dass gewisse Leute, wenn sie von ihm sprachen, betonten, dass er sich nur deshalb schon so lange in Genf aufhalte, weil er einer dort lebenden Dame überaus zugetan sei - einer ausländischen Dame, einer Person, die älter war als er. Nur sehr wenige Amerikaner - eigentlich keiner, glaube ich - hatten diese Dame, über die einige merkwürdige Geschichten kursierten, je gesehen. Doch Winterbourne empfand eine alte Zuneigung zu der kleinen Hauptstadt des Calvinismus; er war dort als Junge in die Schule gekommen und danach sogar, probeweise - das heißt, um die graue alte »Akademie« an dem steilen, steinigen Hang auszuprobieren -, aufs collège gegangen; all dies Umstände, die zu einer großen Anzahl Jugendfreundschaften geführt hatten. Er hatte viele davon aufrechterhalten, und sie waren ihm ein Quell großer Zufriedenheit.
Nachdem er an die Tür seiner Tante geklopft und erfahren hatte, dass sie unpässlich war, hatte er einen Spaziergang durch die Stadt gemacht und war danach zum Frühstück wieder hereingekommen. Diese Mahlzeit hatte er inzwischen beendet, aber er genoss noch eine kleine Tasse Kaffee, die ihm von einem der Kellner, die aussahen wie attachés, an einem kleinen Tisch im Garten serviert worden war. Schließlich war auch der Kaffee ausgetrunken, und er zündete sich eine Zigarette an. Bald darauf kam ein kleiner Junge den Weg entlang - ein Bengel von neun oder zehn, der auffallend klein war für sein Alter und einen altklugen Ausdruck in seinem blassen Gesicht mit den kleinen ausgeprägten Zügen hatte. Er trug Knickerbocker und rote Strümpfe, die seine armen spindeldünnen Waden erst so richtig betonten, und dazu ein leuchtend rotes Halstuch. In der Hand hielt er einen langen Bergstock, dessen scharfe Spitze er in alles hineinstieß, woran er vorbeikam - Blumenbeete, Gartenbänke, Schleppen von Damenkleidern. Direkt vor Winterbourne blieb er stehen und blickte ihn aus einem Paar strahlender, durchdringender kleiner Augen an.
»Geben Sie mir ein Stück Zucker?«, fragte er mit einer dünnen hohen, harten Stimme - einer Stimme, die unreif klang und dennoch irgendwie nicht mehr jung.
Winterbourne warf einen Blick auf den kleinen Tisch neben sich, auf dem sein Kaffeegeschirr stand, und sah, dass einige Stück Zucker übrig waren. »Ja, du darfst dir eins nehmen«, erwiderte er; »aber zu viel Zucker ist nicht gut für kleine Jungen, glaube ich.«
Dieser kleine Junge trat einen Schritt vor und suchte sich sorgfältig drei der begehrten Überbleibsel aus, von denen zwei in der Tasche seiner Knickerbocker verschwanden und das andere ebenso prompt an einer anderen Stelle. Er stieß seinen Bergstock, wie eine Lanze, in Winterbournes Bank hinein und versuchte, das Zuckerstück mit den Zähnen zu zerbeißen.
»Oh, zum Teufel, ist das harrrt!«, rief er, wobei er Vokale und Konsonanten treffsicher aller Geschmeidigkeit beraubte.
Winterbourne kam sogleich der Gedanke, dass er die Ehre haben könnte, hier einem Landsmann begegnet zu sein. »Pass nur auf, dass deine Zähne nicht kaputtgehen«, sagte er väterlich.
»Ich hab' keine Zähne, die kaputtgehen können. Die sind alle ausgefallen. Ich hab' nur noch sieben. Mutter hat sie gestern Abend gezählt, und gleich danach ist noch einer ausgefallen. Sie hat gesagt, sie ohrfeigt mich, wenn noch mehr ausfallen. Dabei kann ich gar nichts dafür. Es liegt alles an diesem alten Europa. Es liegt am Klima hier, dass sie ausfallen. In Amerika ist keiner ausgefallen. Es liegt an diesen Hotels.«
Winterbourne amüsierte sich köstlich. »Wenn du gleich drei Stück Zucker auf einmal isst, wird deine Mutter dich bestimmt ohrfeigen«, erlaubte er sich zu sagen.
»Dann muss sie mir eben Bonbons geben«, erwiderte sein junger Gesprächspartner. »Ich krieg' hier nirgends Bonbons - amerikanische Bonbons, mein' ich. Amerikanische Bonbons sind die besten Bonbons.«
»Und sind amerikanische kleine Jungen auch die besten kleinen Jungen?«, fragte Winterbourne.
»Weiß ich nicht. Ich bin ein amerikanischer Junge«, sagte das Kind.
»Ich sehe schon, du bist einer der besten!«, erwiderte der junge Mann lachend.
»Sind Sie ein amerikanischer Mann?«, fuhr der aufgeweckte Kleine fort. Und auf die bejahende Antwort seines Freundes hin verkündete er sodann voller Überzeugung: »Amerikanische Männer sind die besten.«
Sein Gegenüber dankte ihm für das Kompliment, und das Kind, den Bergstock mittlerweile rittlings zwischen den Beinen, stand einfach da und blickte sich um, während es ein weiteres Stück Zucker in Angriff nahm. Winterbourne fragte sich, ob er in seiner Kindheit genauso gewesen sei, denn er war in etwa demselben Alter nach Europa gebracht worden.
»Da kommt ja meine Schwester!«, rief sein junger Landsmann plötzlich. »Die ist ein amerikanisches Mädchen, jede Wette.«
Winterbourne blickte den Weg entlang und sah eine schöne junge Dame auf sich zukommen. »Amerikanische Mädchen sind die besten Mädchen«, sagte er daraufhin fröhlich zu seinem Gast.
»Meine Schwester nicht!«, erwiderte das Kind prompt. »Die schimpft mich immer nur aus.«
»Das ist vermutlich deine Schuld, und nicht ihre«, sagte Winterbourne. Die junge Dame war inzwischen näher gekommen. Sie war in weißen Musselin gekleidet, der mit unzähligen Rüschen, Falbeln und Schleifen aus pastellfarbenem Band verziert war. Weil sie keinen Hut trug, balancierte sie in der einen Hand einen großen Sonnenschirm mit einem breiten bestickten Rand; und sie war auffallend, ja erstaunlich hübsch. »Wie hübsch sie immer sind!«, dachte unser Freund und setzte sich auf seinem Platz auf, so als wollte er jeden Augenblick aufstehen.
Die junge Dame blieb vor seiner Bank stehen, nicht weit von der niedrigen Gartenmauer entfernt, von der man auf den See hinausblickte. Der kleine Junge hatte seinen Bergstock nun in einen Sprungstab verwandelt, mit dessen Hilfe er im Kies herumhüpfte und dabei nicht wenig davon aufspritzte. »Aber Randolph«, begann sie ganz unbefangen, »was machst du denn da?«
»Ich steig' die Alpen rauf!«, rief Randolph. »Genau so macht man das!« Und dabei vollführte er noch einen weiteren übertriebenen Sprung, dass Winterbourne die Kiesel um die Ohren flogen.
»Genau so stürzt man ab«, sagte Winterbourne.
»Er ist ein amerikanischer Mann!«, rief Randolph mit seiner harschen dünnen Stimme aus.
Die junge Dame schenkte diesem Umstand keine Beachtung, sondern sah ihren...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.