Grundlagen des somatischen Trainings
Ursprung und Geschichte des somatischen Trainings
Das somatische Training basiert auf einem faszinierenden Grundgedanken: Der Körper ist nicht nur eine physische "Hülle", die den Alltag bewältigt, sondern so viel mehr: Ein intelligentes, fühlendes System, das mit dem Geist in ständigem Dialog steht. Eine besondere Rolle spielt hierbei auch die Bewegung: Im somatischen Sinne ist auch sie viel mehr als ein bloßer Muskelakt - sie ist Ausdruck von Leben, Persönlichkeit und einem Zusammenspiel unzähliger fein abgestimmter Prozesse. Das somatische Training lädt dazu ein, sich dieser Verbindung bewusst zu werden und den eigenen Körper nicht als "Werkzeug", sondern als Verbündeten zu begreifen. Doch wo genau hat das somatische Training eigentlich seine Wurzeln? Um dies herauszufinden, lohnt sich ein ganzheitlicher Blick in die Vergangenheit: Der Begriff "somatisch" leitet sich vom griechischen Wort "soma" ab, was so viel wie "Körper" bedeutet. Anders als in der klassischen Fitness- oder Sportwelt, wo oft die Maximierung der eigenen Leistung im Vordergrund steht, geht es im somatischen Training darum, in den Körper hinein zu spüren, Bewegungsmuster zu erkennen und sie achtsam zu optimieren. Das Ziel ist hierbei nicht, den Körper zu "disziplinieren", sondern vielmehr ihn zu verstehen und mit ihm zusammenzuarbeiten - sozusagen eine innere Partnerschaft aufzubauen.
Dieser Ansatz wurde im frühen 20. Jahrhundert von Pionieren wie Moshe Feldenkrais, Frederick Matthias Alexander und Ida Rolf geprägt. Sie stellten eine revolutionäre Frage: Was wäre, wenn Sie sich selbst neu entdecken könnten, indem Sie Ihre Bewegungen neu lernen?
Um sich der Antwort auf diese Frage anzunähern, lohnt sich ein Blick auf die großen Vordenker, die körperliche Bewegung als Bewusstseinsschulung betrachtet und damit den Weg zum somatischen Training geebnet haben:
- Moshe Feldenkrais (1904 - 1984) erkannte schon früh, dass viele körperliche Beschwerden nicht auf Verletzungen oder Krankheiten zurückzuführen sind, sondern vielmehr auf unbewusste, ineffiziente Bewegungsmuster. Sein Ansatz: Über achtsame, ungewohnte Bewegungen lernt das Gehirn, alte Gewohnheiten zu "verlernen" und neue, gesündere Muster langfristig zu etablieren. Seine Methode sieht Bewegung als Sprache, mit Hilfe derer der Körper und das Nervensystem kommunizieren.
- Frederick Matthias Alexander (1869 - 1955), der Gründer der sogenannten Alexander-Technik, forschte viel zur "Macht der Gewohnheiten". Er beobachtete, wie Menschen durch falsche Haltungsmuster ihre Bewegungsfreiheit einschränken und begann, Wege zu entwickeln, um diese "Blockaden" zu lösen. Sein Ansatz: Veränderung beginnt mit Bewusstheit - nicht mit Kraft. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in der nach ihm benannten Methode wider: Die Alexander-Technik zielt darauf ab, festgefahrene Gewohnheiten, zum Beispiel körperliche Fehlhaltungen, die sich körperlich durch Verspannungen und Schmerzen äußern, bewusst wahrzunehmen, zu verstehen und schließlich durch gezielte Selbsthilfe abzulegen.
- Ida Rolf (1896 - 1979), die Schöpferin des Rolfing - einer nach ihr benannten komplementärmedizinischen Behandlung - betrachtete den Körper aus einer strukturellen Perspektive. Sie stellte fest, dass Verspannungen und Fehlhaltungen oft tief in den Bindegeweben (Faszien) sitzen. Ihre Arbeit zielte darauf ab, den Körper ins Gleichgewicht zu bringen - und damit nicht nur mehr Bewegungsfreiheit, sondern auch ein neues Körpergefühl zu schaffen.
All diese Ansätze haben jedoch einen gemeinsamen Grundgedanken, der auch für das somatische Training zentral ist: Der Körper funktioniert nicht nur rein mechanisch, sondern ist vielmehr als ein lernfähiges, intelligentes System zu verstehen. Er ist in der Lage, sich zu "merken", wie er sich bewegt, welche Haltungen er einnimmt und wie er auf Stress oder Freude reagiert. Im Laufe des Lebens entwickeln sich daraus Gewohnheiten, was nicht zwingend negativ sein muss. Im Gegenteil: Manche Gewohnheiten fördern sogar die Gesundheit und das Wohlbefinden. Andere Gewohnheiten führen wiederum zu Verspannungen, Schmerzen und einer eingeschränkten Beweglichkeit. Und um genau diese negativen Gewohnheiten geht es beim somatischen Training - oder besser gesagt: Es geht darum, sie abzulegen und Bewegungen neu zu erfahren.
Die Verlockung ist groß, den eigenen Körper aufgrund diverser Schmerzen und Verspannungen als "Problemfall" zu bezeichnen. Das somatische Training verfolgt jedoch einen von Grund auf anderen Ansatz: Es betrachtet den Körper als unseren Partner, der flexibel und lernfähig ist. Mit Hilfe von speziellen Übungen werden Bewegungen langsam, bewusst und achtsam ausgeführt. Dadurch wird der Körper dazu eingeladen, neue Möglichkeiten zu entdecken und negative Gewohnheiten abzulegen. Dabei geht es jedoch keinesfalls um eine "perfekte" Ausführung, sondern vielmehr darum, jede Bewegung neugierig zu erkunden: Wie fühlt sie sich an? Was verändert sich, wenn ich ein kleines Detail anders mache?
Wichtig zu verstehen ist außerdem, dass das somatische Training nicht nur eine körperliche Praxis ist, sondern es auch eine tiefgreifende Wirkung auf den Geist hat. Indem durch die Durchführung spezieller Übungen die Aufmerksamkeit geschärft wird, entsteht ein Zustand von Präsenz und Achtsamkeit, der oft als meditativer Flow beschrieben wird.
Definition: Meditativer Flow
Der meditative Flow ist ein Zustand, in dem sich Körper und Geist in perfekter Harmonie befinden und man völlig vertieft und frei von äußeren Ablenkungen ist. Dieser Zustand fühlt sich völlig frei und natürlich an und sogar die Zeit spielt dabei keine Rolle. Man geht völlig im Moment auf, so dass äußere Umstände für den Moment irrelevant werden. Ursprünglich wurde dieser Begriff durch die Flow-Theorie des Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi geprägt. Der meditative Flow wird jedoch durch achtsame Meditation ergänzt. Ob beim Meditieren, beim Praktizieren von Yoga oder sogar bei alltäglichen Aufgaben - der meditative Flow ermöglicht es, vollkommen im Moment zu sein und eine tiefe innere Ruhe zu erleben.
Das Training ermutigt Sie dazu, auf die Signale Ihres Körpers zu hören und völlig im Moment zu leben, statt auf "Autopilot" und völlig automatisiert durch den Tag zu gehen.
Gut zu wissen:
Auch in der Wissenschaft findet das somatische Training Anklang. Mit der Weiterentwicklung der Neurowissenschaft hat das somatische Training zusätzliche Bestätigung gefunden. Die Entdeckung der Neuroplastizität - also der Fähigkeit des Gehirns, sich lebenslang zu verändern - zeigt, dass neue Bewegungsmuster nicht nur im Körper, sondern auch im Nervensystem verankert werden können.
Gleichzeitig haben moderne Strömungen wie die Faszienforschung, Achtsamkeitsmeditation und Bewegungsansätze wie Yoga und Pilates das somatische Training inspiriert und stetig weiterentwickelt. Kurzum: Beim somatischen Training handelt es sich um einen dynamischen und lebendigen Ansatz, der sich ständig an neue Erkenntnisse anpasst.
Doch was genau macht somatisches Training eigentlich für die heutige Zeit so relevant? In einer Welt, die oft von Hektik, Bildschirmarbeit und Bewegungsmangel geprägt ist, erinnert das somatische Training an die verlorene Kunst, den eigenen Körper bewusst zu erleben. Es hilft nicht nur, Schmerzen zu lindern oder Beweglichkeit zurückzugewinnen - es lädt ein, eine tiefere Verbindung zu sich selbst aufzubauen und den Körper als Quelle von Kraft und Freude (wieder) zu entdecken.
Unterschiede zu herkömmlichen Trainingsmethoden
Während viele herkömmliche Trainingsmethoden den Fokus auf Leistung, Kraftaufbau oder Kalorienverbrauch legen, steht beim somatischen Training etwas ganz anderes im Mittelpunkt: das bewusste Wahrnehmen und Verändern von Bewegungsmustern. Hierbei geht es nicht darum, den Körper zu "pushen", sondern vielmehr darum, ihn besser zu verstehen, im Einklang mit ihm zu leben und mit ihm zusammenzuarbeiten.
In der Welt des herkömmlichen Trainings regieren oft Zahlen: mehr Gewicht stemmen, längere Strecken laufen, schneller Fortschritte sehen. Das Ziel ist meist messbar - eine definierte Muskulatur, eine bessere Kondition oder ein bestimmtes Gewicht. Das somatische Training hingegen folgt keiner solch messbaren Logik. Es geht hierbei nicht um mehr, sondern um besser: besser spüren, besser bewegen, besser im eigenen Körper zuhause sein. Beim somatischen Training wird Bewegung als Prozess verstanden - nicht als Wettkampf.
Außerdem gilt: Langsam statt schnell - Qualität vor Quantität! In herkömmlichen Trainingsmethoden wird oft Wert auf Wiederholungen und Intensität gelegt. Im somatischen Training wird das Tempo hingegen bewusst verlangsamt. Diese Langsamkeit hat auch einen guten Grund: Sie ermöglicht es, in den Körper hineinzuspüren und jede Bewegung präzise zu erkunden und bewusst wahrzunehmen. Es geht nicht darum, wie viele Kniebeugen oder Liegestütze gemacht werden, sondern darum, wie sie sich anfühlen. Welche Muskeln spannen an? Welche Bereiche des Körpers bewegen sich mit?
Im Fokus steht hierbei ein ganzheitlicher Ansatz, der Körper und Geist in Einklang bringen soll. Während herkömmliches Training oft stark auf den Körper als "Mechanik" ausgerichtet ist, bezieht das somatische Training auch die mentale Ebene mit ein. Es geht darum, Bewegungen nicht nur auszuführen, sondern sie bewusst wahrzunehmen. Dieser Fokus auf die Verbindung zwischen Körper und Geist fördert nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern auch ein tieferes Verständnis für die eigenen...