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Groß ist nicht groß genug - der Griff nach der absoluten Marktmacht
»Monopol« und »Monopolismus« sind hässliche Wörter. So hässlich, dass niemand in »Every«, jenem amerikanischen Digitalkonzern, den der amerikanische Autor Dave Eggers für seinen gleichnamigen Roman erfunden hat, solche Begriffe überhaupt jemals aussprechen darf. Sie sind tabu. In diesem Social-Fantasy-Roman ist allerdings für die meisten die Frage einer Monopolstellung von »Every« völlig irrelevant, solange der Monopolist den Menschen das bietet, was sie wollen: ein gutes und moralisch einwandfreies Leben. »Every«, dieses Monopol, das nicht so heißen darf, ist angelehnt an die tatsächlich existierenden Giganten der digitalen Neuzeit. Wir alle kennen sie gut und nutzen ihre Produkte täglich. Eggers' Schöpfung ist eine Art Mischung aus Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft - jenen »Big Five«, die wir kurzerhand »Gafam« nennen.
»Monopol«: Das bedeutungsschwere Wort aus dem Altgriechischen, zusammengesetzt aus »monos« (allein) und »polein« (verkaufen), geht angeblich auf Aristoteles zurück. Im ersten deutschsprachigen Lexikon Mitte des 18. Jahrhunderts wird »Monopol« als »alleinige Verkauffungsfreyheit« definiert. Als Chance einer Person, eine Ware ganz allein verkaufen zu können. Daraus wird dann geschlossen: »Und heissen so denn diejenigen, welche dergleichen Freyheiten haben, Monopolisten.« Für den liberalen Wirtschaftstheoretiker und Eisenbahnpionier Friedrich List allerdings war »Monopol« schon im 19. Jahrhundert ein »verrufenes und gebrandmarktes Wort«.
In diesem Buch wird der Begriff »Monopol« nicht strikt als Synonym für »Alleinanbieter« verwendet, so etwas kommt sehr selten vor, sondern für Unternehmen, die sich extrem hoher Marktanteile erfreuen und somit eine bestimmende Wirkung haben. Davon ist auszugehen, wenn ein Konzern rund 40 Prozent eines Marktes beherrscht oder drei Konzerne auf 60 Prozent kommen.
Mit dermaßen »alleiniger Verkauffungsfreyheit« ausgestattet, sehen sich die Chefs der »Big Five« selbstredend nicht. Sie sehen sich vielmehr an der Spitze von erfolgreichen Firmen, die, umringt von konkurrierenden Diensten, klassische Unternehmertugenden verwirklichen und dabei die Welt demokratischer und besser machen. In Eggers' Roman - Utopie oder Dystopie? - wird daher auch lieber verniedlichend von »menschenfreundlicher Marktbeherrschung« geredet. Aber hat nicht der »Newspeak«, der »Neusprech«, schon bei George Orwell in »1984« den Übergang in totalitäre Zeiten markiert?
Bis vor wenigen Jahren hielten wir Monopole mehr oder weniger für eine Erscheinung aus der längst überwundenen frühkapitalistischen Sodom-und-Gomorrha-Welt des 19. Jahrhunderts, als noch alles erlaubt war, als die Räuber der sich entwickelnden Märkte - sei es für Kohle, Stahl, Eisenbahnen, Maschinen - immer räuberischer wurden, sodass man sie in den USA wahlweise »Räuberbarone« oder auch »Raubritter« nannte, so wie einst die adligen Plünderer in ihren Burgen am Mittelrhein, die von den Schiffern Zoll abpressten. Es waren vier Investoren, die in den Vereinigten Staaten am Anfang über die erste transkontinentale Zugstrecke verfügten und mit den formal selbständigen Firmen Central Pacific und Southern Pacific auch die wichtigsten Eisenbahngesellschaften kontrollierten, ehe die beiden dann offiziell fusionierten.
Aber im Laufe der Zeit schien es sich, dank der sozialen Bewegungen und der Kartellpolitik, nur noch um Gruselmärchen aus der Entstehungszeit eines dynamisch-exzessiven Wirtschaftssystems zu handeln, das uns - systemisch gezähmt - vor allem in den Jahrzehnten nach 1945 Wohlstand und Wohlfahrt, Güterreichtum und Gesundheit, Luxus und Lebensqualität gebracht hat. Das Mittelstand geschaffen hat und eine Mittelschicht, die heute das Ideal der »emerging markets« sind, der wirtschaftlich aufstrebenden Länder.
Viele der Monopole, mit denen unsere Vorfahren zu tun hatten, haben wir in Deutschland tatsächlich der Reihe nach abgeschafft: das Postmonopol, das Branntweinmonopol, das Zündwarenmonopol, das Feuerversicherungsmonopol, das Kehrmonopol bestimmter Schornsteinfeger, das Glücksspielmonopol. Auf regionaler Ebene sind unter öffentlicher Regie noch Monopole zur Trinkwasserversorgung und zur Abwasserentsorgung anzutreffen. Und das Gewaltmonopol des Staates zur Durchsetzung des Rechts besteht verständlicherweise fort.
Ist es da nicht leicht einzusehen, dass man sich bei der deutschen Monopolkommission, einem seit 1973 existierenden ständigen Beratergremium der Bundesregierung, vorsichtig gefragt hat, ob man den Namen nicht vielleicht ändern sollte. So etwas wie »Wettbewerbskommission« läge nahe, oder vielleicht »Vielfaltskommission«, irgendein schöner Begriff, der auch zu »Every« in Dave Eggers' Roman gut passen würde.
Alles, bloß nicht »Monopol«, dieses hässliche, verrufene Wort! Es lässt uns schaudern und gruseln. Genauso wie die Bezeichnung »Quasimonopol«, die für große Oligopole üblich geworden ist - so nennt man die wenigen Anbieter, die mit hohen Marktanteilen ein Geschäft beherrschen. Gerade solche Quasimonopole neigen zur Bildung von Kartellen, in denen Preise, Produktionsmengen, technische Standards oder Marketingmethoden abgesprochen werden.
Das Wort »Monopol« deutet auf ungebührliche Alleinherrschaft, auf wirtschaftliche Übermacht. Auf Raffkes im Konzerntower. Auf Diktatoren der Märkte, die wir einst doch bei den »vielen« in guten Händen sahen: den vielen Unternehmern, den vielen Produzenten, den vielen Händlern, den vielen Geldverleihern, den vielen Investoren. Vielfalt erschien uns als Garant des Wettbewerbs, jenes Motors der Marktwirtschaft, der uns in Deutschland nach 1945 unaufhörlich als vorbildlich gepriesen wurde. Wettbewerb, das war Lektion eins der »Reeducation«: Freie Unternehmer treffen auf freie Konsumenten, ein freies Angebot auf eine freie Nachfrage, und das alles bei flexiblen, also wahrhaft freien Preisen. Das ist das Erbe Ludwig Erhards.
Auf einmal aber stellen wir fest, dass dieses System, das wir als »Marktwirtschaft« würdigen, dabei ist, sein zentrales Mittel, den Wettbewerb, auf der Sonderdeponie eines neuen Kapitalfeudalismus zu entsorgen. Der alte Motor läuft nicht mehr. Wie weit ist es gekommen, dass selbst ein US-Präsident, der sich als »stolzer Kapitalist« bezeichnet, öffentlich erklären muss: »Kapitalismus ohne Wettbewerb ist kein Kapitalismus, sondern Ausbeutung.« Joe Bidens Diktum aus dem Sommer 2021 ist die Notreaktion auf all die Ansagen, die wir seit einigen Jahren aus dem Silicon Valley und aus Seattle, den Verkündungsorten einer neuen digitalen Wirtschaftsreligion an der US-Westküste, gehört haben. Die Bündelung dieser Botschaften von gerade mal fünf Konzernen kann man getrost als die große Wirtschaftsideologie des 21. Jahrhunderts bezeichnen, als das neue Narrativ der Erfolgreichen: Dieser neue Ismus heißt nicht mehr Sozialismus oder Kapitalismus, sondern Monopolismus. Sein Motto: Wettbewerb ist etwas für »Verlierer«, für Ewiggestrige, für die Kleingeister der Vor-Fortschrittswelt, für die Verzagten aus der Vergangenheit. Und die war geprägt vom Analogen und vom Glauben an Pluralismus und lebendige Konkurrenz.
Entsprechend nennen sich die lautesten Propagandisten des Digital- und Plattformkapitalismus bezeichnenderweise »Evangelisten«. Das Logo des Apple-Konzerns, der angebissene grüne Apfel, ist für den Münchner Kardinal Reinhard Marx ein »sehr gezielt ausgesuchtes Symbol«: ein Hinweis auf das Paradies, auf die verbotene Frucht, von der Adam und Eva aßen - jene Frucht, die vom Baum der Erkenntnis stammt. Und Apple ist just jene Aktiengesellschaft, die am 3. Januar 2022 erstmals in der Geschichte der Konzerne mehr als drei Billionen US-Dollar wert war. Das war deutlich mehr als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Frankreichs oder des Vereinigten Königreichs und entspricht der Wirtschaftsleistung des gesamten afrikanischen Kontinents. Die neuen Monopolisten, wahre »Superstarfirmen«, haben nicht nur die Größe, sondern auch das Selbstverständnis von Staaten. Ihre gigantischen Börsenwerte ließen sie in Billionen-Dollar-Sphären schweben, weit herausgehoben über irdischere Unternehmen. Ihre Prosperität ist Folge von weit gefassten »Ökosystemen«, die nichts anderes sind als »Märkte in sich und für sich«. Das ist der neue Stil.
Dieses inständige Streben nach einem Monopol, dieser Griff nach der absoluten Marktmacht, durchaus verbunden mit politischer Macht, umweht ein besonderer Glaube, dessen knappes Mantra sich so resümieren lässt: »the bigger the better«, je größer, desto besser. Dieses Mantra hatte schon vor dem Aufstieg von Google & Co viele Gütermärkte erfasst. Es ist die Ideologie von einer ökonomischen Dominanz, die angeblich im Dienst der Allgemeinheit, ja der Menschheit, steht und nicht nur im Dienst irgendwelcher Milliardäre oder der Schar einiger Großaktionäre und kleinerer Follower, die so auch etwas abhaben wollen vom Run auf die Märkte.
Und so kommt es, dass ein Gespenst nicht nur in den USA umgeht, sondern auch in Europa und überall auf der Welt: das Gespenst des Monopolismus. Karl Marx und Friedrich Engels haben bekanntlich 1848 das »Gespenst des Kommunismus« als neue Kraft benannt, die den Regierungen und Mächten dieser Welt zusetzen würde, eine Bewegung von unten, die mit der Losung »Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!« angefeuert wurde. Die beiden Theoretiker sahen eine immer weiter fallende Profitrate und...
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