Schweitzer Fachinformationen
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Die beiden Termine in Wiesbaden brauchten nicht so viel Zeit, wie ich eingeplant hatte. In meinem Kopf schwirrte ständig die Sorge um Julia. Gestern hatte man sie in eine andere Klinik gebracht. Die Ärzte in den Horst-Schmidt-Kliniken hielten es bereits zum jetzigen Zeitpunkt für angebracht, sie in eine Reha zu verlegen. Ihre Schussverletzungen heilten äußerlich gut. Ich mochte nicht daran denken, wie viele Kugeln sie getroffen hatten. Und dass ich die Schuld daran trug. Hätte ich sie nicht in meinen letzten Fall hineingezogen, wäre sie nie entführt worden. Nur weil ich der Polizei nicht getraut hatte, war ich mit dem Kopf durch die Wand und meinte, die Entführer angreifen zu müssen, obwohl das SEK schon Stellung bezogen hatte. Ich Idiot. Ihre Lungen arbeiteten nicht wie vorher, das rechte Schultergelenk bestand zu Teilen aus neuen Materialien. Ihre Ärztin befürchtete, dass es zu langanhaltenden sozialen Problemen kommen könne. Ob Julia die Stärke besitze, sich in vergleichbaren Situationen frei zu bewegen, ob auf Plätzen oder in der Nacht. Für eine Zeitungsredakteurin der Frankfurter Umschau nicht unwichtig. Ganz zu schweigen von unserer Beziehung, die sich noch gar nicht richtig entwickelt hatte, bevor es passiert war.
Ich bog in Niedernhausen auf die A3 in Richtung Köln. Eigentlich wollte ich erst morgen nach Bad Camberg fahren, aber ich konnte nicht solange warten. Die Tachonadel zuckte deutlich über die erlaubten 120. Nach einigen Minuten sah ich in der Ferne die riesigen Gebäude der Klinik, die an den westlichen Hängen des Taunus klebte.
Im modernen Foyer saßen Patienten und spielten Uno. Ich musste mit meiner Doppelkopfrunde dringend mal wieder die Karten dreschen, sonst suchten die sich noch einen anderen Mitspieler.
»Guten Tag, können Sie mir bitte sagen, wo ich Frau Zeiss finde?«
Die wohlbeleibte Dame am Empfang versprühte eine positive Gemütlichkeit. Sie nickte und tippte den Namen in die Computertastatur.
»Ihr Zimmer ist im vierten Stock, es ist allerdings keine Besuchszeit.«
»Aber wenn es der Heilung dient.« Ich schenkte ihr mein freundlichstes Lächeln.
»Da haben Sie natürlich recht. Verraten Sie mich nicht beim Arzt. Zimmer 442.«
»Ich danke Ihnen herzlich.«
Schon war ich im Lift verschwunden. Seit drei Tagen hatte ich Julia nicht mehr gesehen. Zuletzt ging es ihr den Umständen entsprechend gut. Diese Allzweck-Formulierung der Ärzte kreiste in meinem Kopf. Sie lehnten sich damit nicht zu weit aus dem Fenster und formulierten Hoffnung ohne ein Heilsversprechen.
Den vierten Stock hatten die Sanierungsmaßnahmen aus dem Foyer noch nicht erreicht. Der Teppichboden stellenweise durchgetreten, die Farbe der Wände nicht eindeutig definierbar.
Ich klopfte, wollte die Tür öffnen und hoffte auf einen freudigen Empfang. Das Zimmer war abgeschlossen.
»Wenn Sie Frau Zeiss suchen, die ist in einer Anwendung«, sagte eine junge Frau in einem weiß und gelb gestreiften Kasack, während sie an mir vorbeischlappte.
»Welche? Und wo?«, rief ich ihr hinterher.
»Krankengymnastik, Erdgeschoss.«
Ich fuhr wieder runter, versuchte, aus den vielen Hinweisschildern schlau zu werden, kurvte durch ein Labyrinth von Gängen, um schließlich die Sportabteilung zu finden. Zumindest die Geräusche und Sprüche des Personals erinnerten mich an ein Fitnesscenter.
»Ja, noch drei! Ziehen! Weiter! Jetzt nicht nachlassen!«
Eine drahtige Therapeutin feuerte Julia an. Sie zog mit Verzweiflung im Blick wieder und wieder ein kleines Gewicht an einem Seil hoch, während sie auf einem Hüpfball herumwackelte. In ihrem rechten Arm steckte keine Kraft, womöglich schmerzte ihre Schulter zu sehr. Ihre Hand lag in einer Schlaufe, das Seil lief über eine Rolle an einer Sprossenwand und endete an zwei Metallquadern. Sie sah mich und ließ los. Das Eisen krachte herunter, der Aufprall verursachte ein hässliches Geräusch.
»Der Herr Bernau. Du kannst für mich weitermachen, ich hör' auf. Spaß geht anders.«
Die Trainerin merkte erst jetzt, dass ich hinter ihr stand.
»Sie können nicht einfach hier rein marschieren. Und Sie«, sie wandte sich Julia zu, »die Geräte kosten verdammt viel Geld. Wir sind keine Muckibude. Ihre Kraft und die Mobilität der Gelenke lassen stark zu wünschen übrig. Sie geben auf, obwohl Ihnen noch der Löffel aus der Hand fällt. Das läuft nicht.«
»Ich schaue morgen wieder vorbei.«
Sie zog das Zopfband von den langen, braunen Haaren, die sich über ihre Schultern verteilten.
»Bitte?« Die Therapeutin machte die Augen weit auf. »Glauben Sie, die Reha ist ein Wunschkonzert? Sie wollen doch gesund werden!«
Julia hatte keinen Bock mehr, das war deutlich.
»Ich habe zu heftige Schmerzen. Es geht nicht. In den nächsten Tagen tut mir der Arm bestimmt weniger weh.«
Sie erhob sich vom Gummiball, griff ein Handtuch aus der Sprossenwand und ging um mich herum nach draußen. Die Angestellte schüttelte den Kopf.
»Warte einen Moment.«
Julia marschierte durch den Flur, ihre Arme arbeiteten sich vorwärts, der Oberkörper krümmte sich, als ob das Gewicht des Handtuchs ihre Schultern drückte.
»Blöde Therapie. Ich brauche meine Ruhe.«
»Möchtest du vielleicht mal raus, einen Spaziergang in die Umgebung machen?«
»Nicht in diesem Ton. Die sülzen mich hier schon den ganzen Tag voll. Zwischen Wellness und Aufbautraining, Fango und Schmerzmittel. Ich will ein Bier!«
Sie stoppte, drehte sich zu mir um und schaute mich aus hellbraunen Augen an, denen ich nichts abschlagen konnte. Warum auch. Sie schmiss das Handtuch in eine Wäschekiste am Ende des Flures und lief weiter Richtung Ausgang.
»Wo steht dein Auto?«
»Gleich da vorne, der Graue.«
Ich drückte auf die Fernbedienung, sie öffnete mit der linken Hand die Tür.
»Wo fahren wir hin?«, fragte ich.
»Schick, dein neuer Wagen. In der Altstadt soll es die eine oder andere nette Kneipe geben.« Klare Anweisung.
Während der Fahrt hielt sich Julias Gesprächigkeit in engen Grenzen. Ich parkte direkt gegenüber einer Kneipe. Das Schild über der Tür des Fachwerkhauses versprach ein vernünftiges Bier. Der Durchgangsverkehr donnerte durch die schmale Straße.
Die rothaarige Wirtin polierte die Gläser, grüßte kurz. An den rustikalen Tischen saßen für einen späten Nachmittag erstaunlich viele Gäste. Wahrscheinlich typisch für einen Kurort. Die Kurgäste hatten die Ruhezeiten einzuhalten, in manchen Kliniken schloss der Pförtner garantiert pünktlich ab. Also musste man zeitig zum Bier gehen. Die Leute hier sahen weniger kränklich, eher ziemlich gutgelaunt aus. Mitte Vierzig aufwärts, gerne etwas enger beisammen sitzend, als es vielleicht mit dem eigenen Ehepartner üblich wäre. Liebe auf Zeit? In Bad Wildungen hatte ich mal das Denkmal des Kurschattens gesehen. Julia steuerte auf einen Eckplatz an der nicht ganz so vollen Seite des Tresens zu. Wir setzten uns und zogen jeder die braunen Kunstledermappen heran.
»Eigentlich will ich noch gar nichts essen«, sagte sie und blätterte lustlos die eingeschweißten Seiten der Speisekarte durch. Bevor ich mir einen Überblick über die endlosen Möglichkeiten der Schnitzelzubereitung machen konnte, hörte ich die Wirtin mit ihrer rauchigen Stimme über meinen Kopf hinweg fragen.
»Wissen Sie schon, was Sie trinken möchten?«
»Ein Bier, groß.« Julia antwortete innerhalb einer Sekunde.
»Wir hätten ein süffiges Landbier, naturtrüb, nicht so herb.«
Julia nickte, ich schloss mich an. Wir saßen über Eck, unsere Knie berührten sich. Ich versuchte, dass Schweigen zwischen uns zu füllen. Langsam strichen meine Finger über ihre Hand.
»Was sagen die Ärzte, wie lange du in Camberg bleiben musst?«
»Noch knapp drei Wochen. Es reicht mir, anderthalb Monate in Wiesbaden und nun diese Reha. Da vergeht einem alles.«
Als ich ihre Hand umschließen wollte, zog sie ihre Finger zurück.
»Ich weiß, du bist nicht schuld. Diesen Mist habe ich mir selbst eingebrockt. Aber manchmal fühlt es sich anders an. Dann könnte ich dich .«
»Auf den Mond schießen? Gegen die Wand klatschen? In der Pfeife rauchen?«
Sie lachte.
»In dieser Reihenfolge.«
Jetzt legte sie ihre Hand auf...
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