Schweitzer Fachinformationen
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Der Abteilungsleiter der Kriminaltechnischen Abteilung, Hans Schmidt, stand in Anne Holsts makellos sauberer Küche und beaufsichtigte zwei jüngere Techniker, die damit beschäftigt waren, Fingerabdrücke auf dem Küchentisch unter dem Fenster zum hinteren Garten zu sichern und den Siphon unter der Spüle auseinanderzunehmen, um mögliche Haare, Schuppen oder Fasern aus dem Ablauf sicherzustellen. Man wusste ja nie, ob der Mörder nicht der ordentliche Typ war, der sich die Hände wusch, nachdem er einen Menschen umgebracht hatte. Schmidt glaubte nicht daran.
Der Techniker mit dem Pinsel und dem Fingerabdruckpulver richtete sich auf und zeigte aus dem Fenster.
»Wer ist das?«
Schmidt sah zu der Gestalt in dem langen, schmalen Garten hin. Der große breitschultrige Mann mit den grauen, kurz geschnittenen Haaren und den in den Jackentaschen vergrabenen Händen stand unbeweglich mit dem Rücken zum Haus.
»Jakob Nordsted«, murmelte Schmidt.
Bei Schmidts Worten faltete sich der andere Techniker aus seiner verkrampften Haltung unter der Spüle auseinander und stand auf.
»Der Nordstedt? Jesus, ich dachte .«
»Du hast gar nichts gedacht. Und Gott sei Dank gibt es nur den einen.«
Der jüngste Techniker, der, wie Schmidt bereits wusste, ihn an dem Tag ablösen würde, wenn er sich nur noch um seine Frau, Kulturreisen und die Lachsfischerei zu kümmern brauchte, trat einen Schritt auf die Küchentür zu, wurde aber von seinem Chef gebremst.
»Wo, bitte, willst du hin?«
»Ich will ihm nur sagen, wo er langgehen muss, damit er nicht durchs Wohnzimmer latscht.«
Schmidt lächelte spöttisch hinter seiner Gesichtsmaske.
»Vergiss es. Jakob denkt nach. Jakob spürt nach. Voodoo. Außerdem weiß er längst, dass du hier stehst und ihn beobachtest.«
»Quatsch, wie soll das denn gehen? Hat er etwa Augen im Hinterkopf?«
»So ist es. Er war Soldat, und zwar keiner von denen, die hinterm Schreibtisch sitzen oder Soldatenmemoiren schreiben, ohne jemals einen Schuss gehört zu haben. Er war selbst da draußen.«
»Voodoo?«, fragte der andere.
Schmidt zuckte die Schultern.
»Nenn es, wie du willst, aber komm ja nicht auf die Idee, ihn dabei zu stören. Da ist der Abfluss, kümmere dich darum.«
Hans Schmidt nahm Jakob an der Tür in Empfang und überreichte ihm ein Paar blaue Schuhüberzieher.
Schmidt war der Beste in seinem Fach und einer der wenigen, dessen Meinung Jakob respektierte. Er folgte dem Kriminaltechniker ins Wohnzimmer, wo Anne Holst in der vollkommenen Entspannung des Todes auf dem grauen Teppich lag, mit einem Ausdruck letzten großen Erstaunens auf dem Gesicht. Ihre Haut war kalkweiß, die Bauchhöhle aufgebläht. Gestalten in weißen Schutzanzügen schwebten durch das abgedunkelte Haus wie Gespenster. Die Verdunklung war komplett, nachdem einer von Schmidts jungen Kollegen den letzten blickdichten Stoffschirm vor dem letzten Fenster angebracht hatte.
»Keiner rührt sich vom Fleck«, kommandierte Schmidt, worauf zwei Mann begannen, Teppiche, Wände, Möbel und alle Oberflächen im Wohnzimmer mit Luminollösung zu besprühen. Luminol verband sich mit dem Eisen in selbst mikroskopisch kleinen Blutspritzern, sogar auf Oberflächen, die mit allen gängigen Putzmitteln gereinigt worden waren. Unter einer bestimmten Lichtquelle fluoreszierten die Blutpartikel. Aus der Anordnung der Blutspritzer, ihrer Entfernung voneinander und dem Trocknungsgrad konnte der Tathergang rekonstruiert werden.
Theoretisch.
Die Blutlache, die sich wie eine lange Zunge von der Sofaecke aus in den Raum erstreckte, leuchtete bläulich in der Dunkelheit.
Das war alles. Kein einziger Tropfen irgendwo sonst. Kein Fußabdruck.
»Okay, entfernt die Scheißverdunklung wieder, damit wir was sehen können!«, rief Schmidt gereizt.
Er drehte sich mit vor der Brust verschränkten Armen zu Jakob um.
»Einen Versuch war's wert«, murmelte der tröstend.
Schmidt nickte energisch. »Natürlich.«
Der Kriminalkommissar sah ihn an. »Könntest du bitte den Mundschutz abnehmen, Hans? Ich gehe mal davon aus, dass die Gute nicht von Ebola dahingerafft wurde?«
Schmidt zog die Kapuze vom Kopf und nahm die Maske ab, unter der ein beeindruckender, äußerst gepflegter Schnurrbart zum Vorschein kam. Der Abteilungsleiter war weitsichtig, und die dicken Brillengläser gaben seinem Blick einen verschwommenen, zerstreuten Ausdruck.
Aber Schmidt war alles andere als zerstreut, wie Jakob wusste.
Sein Blick wanderte zu Schmidts lautlos arbeitenden, weiß gekleideten DNA-Jägern. Dann studierte er die südliche Zimmerwand, an der eine Auswahl authentischer Ethnografika aus Afrika hing.
Die penibel aufgeräumten Zimmer mit den vielen Büchern ließen auf eine Bewohnerin schließen, die die Gesellschaft ihrer Bücher der anderer Menschen vorgezogen hatte.
Jakob zeigte auf eine Stelle an der Wand. Dort deutete ein blasser Abdruck darauf hin, dass hier eine Stichwaffe mit kurzem Schaft gehangen hatte. Er sah Schmidt an.
Der Techniker nickte. »Eine nette Kollektion exotischer Mordwerkzeuge hatte sie hier hängen. Sieh dir das an.«
Sie gingen neben der Tatwaffe in die Hocke, die in einem durchsichtigen Beweismittelbeutel auf dem Boden lag.
Schmidt räusperte sich. »Nach einer ersten Beurteilung durch den Polizeiarzt ist die Tatwaffe direkt unterhalb des Brustbeins eingedrungen, dann weiter durchs Zwerchfell und den Herzbeutel hindurch direkt ins Herz. Sie ist innerhalb weniger Sekunden verblutet, der größte Teil des Blutes ist in die Bauchhöhle gelaufen. Darum ist auch verhältnismäßig wenig davon zu sehen. Sie ist an der Stelle umgefallen, an der sie erstochen wurde.«
»Gibt es Abwehrspuren an Händen oder Unterarmen?«, fragte Jakob.
»Nein. Sie hat mit nichts Bösem gerechnet.«
»Dann muss sie den Täter gekannt haben«, schlussfolgerte Jakob. »Wie üblich.«
»Vermutlich. Sie hat dem Betreffenden selbst die Tür geöffnet. Schloss und Türrahmen sind intakt, die Tür ist selbstschließend.«
Sie erhoben sich.
»Ein südafrikanischer Assegai«, murmelte Schmidt. »Grundgütiger, so was ist mir in meiner Karriere noch nicht untergekommen.«
»Das ist kein Assegai. Das ist ein Iklwa-Speer. Eine kurze Stichwaffe, die von dem mächtigen Zulu-König Shaka persönlich für den Nahkampf entwickelt wurde. Der Name beschreibt das schmatzende Geräusch beim Herausziehen des Speers aus dem Körper des getöteten Feindes. Sehr effektiv.«
Hans Schmidt wunderte sich schon lange nicht mehr über Jakob Nordsteds enzyklopädisches Wissen und bezweifelte keine Sekunde die Korrektheit der Informationen.
»Ein Ilkwa. Na gut.«
»Iklwa«, berichtigte Jakob geistesabwesend. »Und wer ist die Tote?«
Schmidt machte eine alles umfassende Geste Richtung Zimmer und Eingangsbereich.
»So nah am Durchschnitt der dänischen Statistik wie irgend möglich für ihre Altersklasse. Einundsiebzig Jahre alt. Buchliebhaberin. Nordic-Walkerin. Pensionierte Buchhalterin. Seit drei Jahren Witwe. Ihr Mann war Elektroingenieur, das Paar hat jahrelang in Afrika gelebt und gearbeitet. Danach in Kambodscha, Nepal und Bhutan. Das ist bislang die einzige Abweichung. Im Übrigen war sie ausgebildete Kraniosakraltherapeutin. Ob das auch eine Abweichung darstellt, kann ich noch nicht sagen.«
»Therapeutin, okay.« Jakob sprach das Wort wie eine hässliche Hautkrankheit aus. »Das ist wohl eher alltäglich. Wir sind inzwischen doch eine Nation aus Behandelnden und Behandelten.«
»Aber du bist doch selbst behan.«, setzte Schmidt an, verstummte jedoch augenblicklich, als er den warnenden Ausdruck im Gesicht des Kriminalkommissars sah.
Jakob schaute auf seine Uhr. »Seid ihr fertig mit ihr? Die Feuerwehrmänner frieren sich da draußen den Arsch ab. Todeszeitpunkt?«
Schmidt schielte zu einem digitalen Display auf dem Boden hin, das über ein weißes Kabel mit einer Temperatursonde im Rektum der Toten verbunden war. Die blinkenden roten Ziffern zeigten 25,7 Grad Celsius.
»Ausgehend von Kern- und Raumtemperatur würde ich sagen, vor ungefähr drei Stunden.«
»Was ist mit der Nordic-Walking-Truppe vor dem Haus?«
»Pünktlich wie die Uhr der Domkirche. Sie waren mit Anne Holst verabredet, um zum Maglesø zu laufen mit anschließendem Stullenpicknick beim Observatorium in Brorfelde. Eine von ihnen hat gesehen, dass die Haustür angelehnt war, und ist reingegangen. Sie liegt jetzt mit einem gehörigen Schock im Krankenhaus.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Jakob. »Die haben sich ihre Wanderung bestimmt anders vorgestellt.«
»Sie sind alle ziemlich gut in Form, wie es aussieht«, sagte Schmidt. »Dünn wie Windhunde.«
»Fußspuren auf dem Gartenweg?«
»Von einem halben Dutzend aufgeregt hin und her laufender Pensionäre.«
»Na, großartig. Well, follow me, my dear Watson«, murmelte Jakob und ging voran ins Esszimmer.
Er blieb am Esstisch stehen und betrachtete die leere Tasse und die hässliche Teekanne, in der ein paar Teebeutel hingen. Ein schmerzliches Zucken lief über sein Gesicht. Er stammte aus einer erzkonservativen Familie, für die Teebeutel in Teekannen gebrauchten Kondomen gleichkamen.
Und wieder checkte er seine rostfreie Rolex, was Schmidt nicht verborgen blieb. »Wartest du auf jemanden?«
»Auf irgendeine Kommissaranwärterin, die auf ihrer Rotationsrunde drei Monate in der Abteilung für...
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