Schweitzer Fachinformationen
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Die Lichter in der Königlichen Handelsniederlage draußen am Hafen wurden bei jedem neuen Windstoß beinahe vom Zugwind ausgeblasen. Zwischendurch konnte es still wie im Grabe sein. Dann fing es an, in dem schweren Gebälk zu knacken, und der Sturm packte die braungeteerten Holzhäuser wieder mit seinem würgenden Griff. Jämmerlich stöhnte es in allen Winkeln, die Luken des Packhauses rissen und zerrten an ihren eisernen Krampen, auf den Grasdächern flackerte es wie wilde Flammen. Eine schwere Brandung wälzte sich um die steinige Landspitze Tinganaes und hüllte ganz Thorshavn in einen Schauer von Salz und Regen.
Im Lager waren Ole Hosetager und Rebekkas Paul damit beschäftigt, Jacken zu sortieren. Sie saßen in dem engen Lichtkreis einer Laterne. Sonst lagen die Packhäuser dunkel. Nur im Laden hatten sich einige Leute eingefunden.
Man war gekommen, um Neuigkeiten zu hören. Von einem Boot aus, das östlich von Nolsö zum Fischen gewesen war, hatte man ein Schiff gesichtet. Sie meinten, daß es die «Fortuna» sei, die mit Waren für die Handelsniederlage von Kopenhagen erwartet wurde. Aber bei diesem Wetter konnte sie nicht einlaufen. Dem Boot war es geglückt, im letzten Augenblick vor Ausbruch des Sturmes an Land zu kommen.
Die Männer standen unbeschäftigt herum und unterhielten sich über das Schiff. Es waren alles Thorshavner, Hafenleute, gleichzeitig Soldaten der Bastion, Packträger bei der Handelsniederlage und Fischer auf dem rauhen Meer, wenn das Wetter es erlaubte und der Kommandant sie fahren ließ. Sie lehnten sich über den Ladentisch. Die Unschlittkerze beschien ihre schlaffen Gesichter und glitzerte in den mürrischen, rotgeränderten Augen. Sie spuckten und gähnten melancholisch. Wie eine Prieme Tabak wurde die Neuigkeit immer wieder durchgekaut. Gabriel, der Verkäufer, stand hinter dem Ladentisch an seinem Pult. Bisweilen blickte er von seinen Rechnungen auf und warf ein Wort ins Gespräch.
Ob das Schiff zwei oder drei Maste gehabt habe? So - zwei Maste. Ja, dann konnte es wohl die «Fortuna» sein.
Die Kellerkatrine erkämpfte sich den Eingang in den Laden. Wie ein böser Geist war ihr der Sturm auf den Fersen. Mit einem Krach schlug die Tür hinter ihr zu. Schüchtern bot sie guten Abend, ganz erschrocken über den Wind, der mit ihr eindrang. Die Männer spuckten etwas kräftiger und gaben so zu erkennen, daß sie sie bemerkt hatten. Sie legten dabei keinen großen Wert auf Vornehmheit, weder Springus noch Puntenniels noch Vippensamuel oder der Tangfloh, aber noch weniger Wert legten sie auf weibliche Einmischung in ein streng sachliches Gespräch über Schiffahrt. Katrine hatte dafür volles Verständnis. Lange stand sie zaghaft da und war bloß die Kellerkatrine - oder eigentlich noch nicht einmal das, sondern so gut wie gar nicht vorhanden. Doch ihre Augen waren wachsam und zielbewußt. Sie hatte ihren kleinen Angriff durchzuführen, und als Gabriel einmal, ziemlich zufällig, zu ihr hinsah, war sie gleich bei der Hand: «Gott mit dir, Gabriel, ich möchte heute abend noch gern diesen Krug voll Sirup!»
Dabei schob sie vorsichtig einen Krug über den Ladentisch.
«Zum Satan! Warum kommst du denn schon wieder angezogen? Bist du nicht heute schon mal hiergewesen und hast Mehl und Grieß gekauft?»
«Gott segne dich! Bloß der Kinder wegen, damit sie heute abend was zu schlecken haben.»
«Ach, scher dich weg», schrie Gabriel empört. «Warum kauft ihr, zum Teufel, nicht alles auf einmal?»
«Heute morgen konnten wir nicht mehr aufs Buch nehmen, weißt du. Aber nun hat Markus heute so gut gefischt -»
«Bildest du dir ein, ich hätte nichts anderes zu tun, als jedesmal nach der Siruptonne zu springen, sobald Markus einen Stichling fischt?»
Er ging ärgerlich zur Tonne, beugte seinen fetten Rücken und ließ den zähen Sirup in den Krug laufen. Katrine sah gespannt zu. Es ging so langsam. Wenn es ihm nur nicht mittendrin leid wurde! Gabriel stöhnte und fluchte vor sich hin. Schließlich richtete er sich auf und stieß den Krug auf den Tisch: «So - da!»
Er nahm ihr Kontobuch und schrieb ein. Katrine ging. Die Männer spuckten.
Gabriel war von Natur gutmütig, aber von Amts wegen etwas aufgeblasen. Sein großer, voller Mund sprudelte von freundlicher Frechheit geradezu über. Müßiggang hatte ihn fett gemacht, und bei dem täglichen Stehen hinter dem Ladentisch war die Sucht, zu necken, eine Art Krankheit bei ihm geworden. Über die Kunden herrschte er wie ein König und teilte unter die kleinen Leute auf der andern Seite des Ladentisches mit derselben Freigebigkeit Korn und Kandis, Schnupftabak und Sticheleien aus. Und nun fing dies Gerede über das Schiff an, ihn zu langweilen. «Na», sagte er plötzlich und wandte sich zu dem Tangfloh, «du hast wohl heute keinen Grindwal gesehen?»
Der Tangfloh spuckte kurz aus. Er hatte das Signal verstanden. Nun sollte er aufgezogen werden. Sein Kopf drehte sich ruckweise rasch nach rechts und links, und seine Augen flackerten wachsam. Lachten sie über ihn?
«Grindwale? Wer sieht denn im November Grindwale? möchte ich wissen.»
«Ich dachte, du tätest es vielleicht. Du siehst doch Wale, wenn sonst niemand welche sieht.»
Daß diese Geschichte nie in Vergessenheit geriet! Der Tangfloh hatte einmal einen Flug tauchender Eidergänse für Grindwale gehalten, in seinem Eifer Lärm geschlagen und allerhand Verwirrung damit angerichtet. Ähnliches Pech hatten auch schon andere gehabt. Was brauchte man nach so vielen Jahren noch darüber zu reden? Er wurde wütend, sooft davon gesprochen wurde.
Die Männer lachten. Der Tangfloh stierte sie an und maß einen nach dem andern mit seinem mürrischen, gekränkten Blick von oben bis unten, während er nach Worten suchte. Beim Vippensamuel machte er halt. «Na, du, Samuel, du solltest wirklich lieber das Maul halten! Ich liege jedenfalls nicht, wie du, auf der Bastion und schlafe, wenn ich Wache habe, während mir die Grindwale gerade vor der Nase vorbeischwimmen!»
«Ich?»
Samuels Mund war ganz steif vor gekränkter Verblüfftheit.
Die andern glucksten vor Lachen, denn diese Geschichte war ebenso bekannt. Bloß Samuel wußte rein gar nichts davon. Seine Augen sprühten vor Zorn. Er musterte den elenden Tangfloh. Was wagte der ihm anzuhägen?
Aus dem Zweikampf mit Blicken wurde ein Zweikampf mit Worten. Beide hatten Branntwein getrunken und waren voll gekränkten Selbstgefühls. Sie waren ganze Kerle, das wollten sie sich gegenseitig schon klarmachen. Sie taten ihre Pflicht, oder konnte vielleicht jemand etwas anderes behaupten?
Sie fingen an, auf den Ladentisch zu schlagen. Gabriel fühlte sich in seinem Element. Sein Spiel war im Gang. Ab und zu warf er eine todernste, äußerst sachliche Bemerkung dazwischen, die die Kampfstimmung gewaltig anregte. Ein Wendepunkt im Streit trat ein, als der Tangfloh plötzlich, wie durch eine geheime Eingebung, das Wort Flibustier erwischte und es seinem Gegner ins Gesicht schleuderte, ohne zu wissen, was es eigentlich bedeute. Es trat eine Stille ein. Vippensamuel richtete sich auf und starrte den Tangfloh an.
«Ich? Ein Flibustier?»
Er wußte ebensowenig, was ein Flibustier war. Aber das machte die Bezichtigung nicht weniger ehrenrührig. Hier mußte etwas geschehen.
«Nein!» rief er gefaßt und setzte sich voller Würde in Bewegung. Alle sahen verblüfft zu. Er ging hinter den Ladentisch! Ging zwischen die Tonnen und Säcke bis zu Gabriels Pult. Dort stellte er sich auf.
«Nein, du bist ein Flibustier!» brüllte er und schlug dröhnend auf die Kontobücher. Dann sandte er dem Tangfloh einen vernichtenden Blick und ging den langen Weg auf seinen Platz zurück wie ein Mann, der seine Sache gut gemacht hat.
Die Augen des Tangflohs flackerten wild. Das hatte getroffen.
«Ich! Ich? ein Flibustier?»
Sollte er wirklich einer sein? Er stand mit offenem Munde da.
Dann fand er sein Selbstbewußtsein wieder und erklärte entschlossen: «Nein. Du, du, ja du!»
Er schleuderte seine Pantoffeln weg, trat hinter den Ladentisch, ging zum Pult und schlug darauf, indem er mit weinerlicher Stimme sagte: «Du bist ein Flibustier!»
Darauf kehrte er umständlich auf seinen Platz zurück und schlüpfte in die Pantoffeln.
War Vippensamuel erstaunt gewesen, als ihn die Beschuldigung zum erstenmal getroffen hatte, so war er es diesmal nicht minder. Er hatte überhaupt eine seltene Begabung, über die Bosheit der Welt erstaunt zu sein und sie mit Seelenstärke zu ertragen. Doch hier mußte widersprochen werden!
Er ging also ruhig wieder ans Pult, stellte sich auf, zielte und gab Feuer wie ein Soldat, der er ja auch war. Das Pult knackte. «Nein! Du bist ein Flibustier!»
Der Tangfloh duckte sich etwas. Unangenehm diese Flankenangriffe! Wachsam drehte er seinen Kopf rasch nach rechts und links, seine mürrischen Augen spähten schielend umher. Nein, das war mehr, als man sich bieten lassen durfte. Pantoffeln weg. Hin zum Pult. Er war auch Soldat und verstand sich auf Volltreffer. Das wollte er ihnen schon zeigen. Er legte die ganze Empörung seiner mißhandelten Seele in den gekränkten Blick und alle Körperkraft in die zornige Faust: «Nein! Du - bist - ein - Flibustier!»
Das letzte Wort schrie er und begleitete es mit drei kleinen Extraschüssen, einer Salve auf dem Pult. Dann kehrte er wieder zurück und zog siegreich seine Pantoffeln an. Jetzt hatte er es Samuel gegeben.
Samuel war von diesem brutalen Überfall peinlich berührt. Nach und nach erholte er sich jedoch einigermaßen und setzte sich, wie immer etwas gebückt, aber mit wiedergewonnener tragischer Größe, von neuem in Bewegung. Und so...
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