Schweitzer Fachinformationen
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31. Oktober 1924 Blue Peacock Manor
Hilf mir! Vater im Himmel, steh mir bei, bitte!
Angeliques Herz hämmerte, getrieben von rasender Furcht, als sie barfuß zur Hintertür hinein und durch die Küche hastete. Ihre Füße klatschten laut auf die kalten Fliesen. Sie musste eine Möglichkeit finden, sich selbst und ihre Kinder zu retten. Um Himmels willen, sie musste sie retten, unbedingt!
Ihr langes weißes Kleid bauschte sich um ihre Beine. Panisch raffte sie mit einer Hand den zerrissenen Saum des schmutzigen, mit Grasflecken übersäten Kleidungsstücks, um schneller rennen zu können. Ihre Beine waren nass und schlammbespritzt.
Ihre Schenkel verschmiert mit Samenflüssigkeit.
Beweis dafür, dass der Bastard sie vergewaltigt hatte.
Bei diesem Gedanken drehte sich ihr der Magen um.
Sie durchquerte das Speisezimmer. Im Flur neben dem großen Gesellschaftsraum tickte die alte Standuhr ihrer Großmutter. Tick. Tick. Tick. Sekunde um Sekunde ihres Lebens verstrich. Sie gelangte ins Foyer, von dem aus eine breite Treppe in die oberen Stockwerke hinaufführte, umfasste das polierte Geländer und hastete nach oben, vorbei an der ersten Etage, in der noch Licht brannte, weiter die Treppe hinauf, höher und immer höher, nahm Stufe um Stufe in diesem Monstrum von Haus, ihrem Zuhause, in dem sie einst so glücklich gewesen war.
Das er für sie errichtet hatte.
Für sie allein.
Weil er sie so liebte.
Dummkopf!
Lauf! Lauf! Lauf!
Er darf dich nicht noch einmal erwischen!
Lock ihn weg von den Kindern!
Ihr Atem ging keuchend, ihre Lungen brannten, ihr Körper fühlte sich schwer an wie Blei, die Stäbe ihres Korsetts knackten. Sie erreichte den Treppenabsatz und meinte, unter sich schwere Schritte zu hören.
Eins der Kinder?
Nein, das konnte nicht sein.
Er?
O Gott!
Schweißüberströmt blieb sie im zweiten Stock stehen und spähte in den dunklen Flur. Sie sah die Kinder vor sich - die schutzlosen, unschuldigen Geschöpfe.
Hilf ihnen! Mon Dieu, bitte . HILF MIR!
Sei's drum, wenn sie sterben müsste. Das würde sie akzeptieren, aber doch nicht die Kleinen! Bei dem Gedanken an den niedlichen Jacques und die anderen, älteren Kinder traten ihr die Tränen in die Augen. Sie wären es, die büßen mussten. Die unerschütterliche Ruth, die liebe Helen, Louis mit den traurigen Augen . Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Das alles war ihre Schuld, die Unschuldigen würden leiden, auf grauenvolle Art und Weise ihr Leben aushauchen, und das allein ihretwegen.
Wegen der Frau, die geschworen hatte, sie zu beschützen.
Sie blickte die schwindelerregende, geschwungene Treppe hinunter. Gedämpftes Licht warf einen flackernden Schein auf die Treppenabsätze unter ihr und malte unheimliche Schatten auf die Wände. Starr vor Angst spähte sie in die Tiefe.
Aber sie durfte ihre Angst nicht die Oberhand gewinnen lassen. Nicht jetzt.
Komm schon, du Widerling. Folge mir! Lass sie in Ruhe! Doch noch bevor sie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, wurde ihr klar, dass er die Kinder nicht ungeschoren davonkommen lassen würde. Das war einfach nicht seine Art. Bewiesen nicht die Narben, die sie davongetragen hatte, wie grausam er sein konnte, der Mann, den sie einst geliebt hatte?
Sie hörte, wie sich quietschend die Haustür öffnete und dann mit einem lauten Knall wieder zufiel. Panisch schlug sie die Hand vor den Mund. Bleib ruhig. Du kannst ihn überlisten. Du musst ihn überlisten. Herr im Himmel .
Seine Stiefel stapften laut über den Hartholzboden des Foyers, dann knarzte die unterste Treppenstufe.
Eilig riss sie den Kopf zurück, damit er sie hier oben nicht entdeckte. Ihre Haut kribbelte, und sie biss sich fest auf die Lippe, um nicht zu schreien vor Angst.
Le monstre hideux kam näher.
Genau wie sie es vermutet hatte.
Sie umklammerte das silberne Kreuz, das an der feinen Kette um ihren Hals baumelte, und wagte es, einen weiteren Blick übers Geländer nach unten zu werfen. Sein Schatten, schwarz, zuckend, bedrohlich, erstreckte sich bis zur Decke. Unaufhaltsam kam er näher. Er hielt etwas in der Hand. Sie kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Und dann erkannte sie es: eine Axt!
Sie krümmte sich bei der Vorstellung, wie er das scharfe, schwere Blatt auf sie niedersausen ließ in der Absicht, sie zu zerhacken. Welche Chance hatte sie, diesem brutalen Akt der Gewalt zu entrinnen?
Sie hätte zu den Stallungen laufen sollen, erkannte sie. Zu spät. Sie hatte diesen Einfall verworfen, weil sie fürchtete, sich mit ihrer Stute nicht durch Regen und Nebel über die schlammige Straße zur nächsten Stadt durchschlagen zu können, auch nicht querfeldein oder durch den Wald. Die von Gaslaternen erleuchteten Straßen von Stewart's Crossing waren ihr unendlich fern erschienen. Und selbst wenn es ihr gelungen wäre, die Stadt zu erreichen, wie hätte sie den Sheriff davon überzeugen können, dass sie nicht etwa dem Wahnsinn verfallen war? Wie hätte sie es schaffen können, rechtzeitig zurückzukehren, um die Kinder zu retten? Also war sie dummerweise ins Haus zurückgelaufen und nicht in die Scheune mit den dazugehörigen Stallungen, in denen die Pferde untergebracht waren. In dem großen Holzgebäude befanden sich aber nicht nur verschiedene landwirtschaftliche Gerätschaften und Futter für die Tiere, sondern auch die Werkzeuge - Beile, Äxte, Hämmer und Sensen.
Sie wartete.
Ihre einzige Hoffnung war, dass er ihr aufs Dach hinauf folgen würde. Vielleicht hätte sie dann eine Chance - eine klitzekleine nur, aber immerhin eine Chance - oder aber zumindest die Gelegenheit, den Spieß umzudrehen. Wenn sie schon nicht ihr eigenes Leben retten konnte, würde sie den Bastard vielleicht mit sich nehmen können.
Und was ist mit dem Baby? Willst du das ungeborene Leben etwa ebenfalls opfern?
Tränen brannten in ihren Augen.
Erneut warf sie einen Blick über das geschwungene Geländer. Da war er, im ersten Stock, setzte gerade den Fuß auf die unterste Stufe, um weiter nach oben zu steigen.
JETZT!
Sie beugte sich übers Geländer und brüllte, so laut sie konnte: »Lauft!«
»Was zum Teufel .?«, blaffte er und blickte zu ihr herauf. Seine blauen Augen über dem dunklen Bart blitzten bösartig.
»Ruth! Helen!«, schrie sie verzweifelt, in der Hoffnung, dass die Kinder sie hörten. »Nehmt die Kleinen und lauft weg, so schnell ihr könnt!«
»Sie werden niemals entrinnen«, knurrte er und kräuselte verschlagen die Lippen, die sie einst so leidenschaftlich geküsst hatte. Wie hatte sie nur so dumm sein können? So naiv? Er lachte. Der stechende Geruch von Alkohol stieg ihr in die Nase. Er kam immer näher.
Sie wirbelte herum und schoss über den Teppichläufer zum anderen Ende des Flurs, wo eine Treppe zum Dachboden hinaufführte.
»Dirne!«, brüllte er ihr nach. »Verfluchte Hure, komm zurück!«
Niemals!
Sie schickte ein stummes Gebet für die geliebten unschuldigen Kinderseelen gen Himmel.
Vater unser im Himmel .
Unten schlug die alte Standuhr die Stunde.
Geheiligt werde dein Name .
Seine Schritte wurden schneller. Eilig griff sie in die Tasche ihres ausladenden Kleides und suchte nach dem Schlüsselring. Es war gar nicht so einfach, in der Dunkelheit den richtigen Schlüssel zur Dachbodentür zu finden.
Beeil dich!
Ihr Puls raste, als sie mit schweißfeuchten Fingern mit dem Schlüsselring kämpfte. Er glitt ihr aus den Händen, und sie bückte sich rasch, um ihn wieder aufzuheben.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe.
Wie im Himmel, so auf Erden.
Die Uhr schlug noch immer, das sonst so vertraute Hallen klang wie eine finstere Drohung.
Vor Angst nach Luft schnappend, probierte sie einen weiteren Schlüssel.
Nichts!
»Glaubst du, du könntest mir entkommen?«, tönte er. Seine Worte wurden als Echo zurückgeworfen und ließen sie frösteln. »Glaub mir, es gibt kein Entrinnen!« Sein Lachen klang abstoßend, obszön.
Ihre Kehle schnürte sich zusammen.
Mit zitternden Händen rammte sie den nächsten Schlüssel ins Schloss und drehte ihn hektisch, bevor sie einen Blick über die Schulter warf und feststellte, dass er oben angekommen war. Mit einem abstoßenden Grinsen schlenderte er auf sie zu, ohne Eile, genoss die letzten Minuten, bevor er sie ein letztes Mal traktieren würde.
Klick.
Das Schloss sprang auf!
Hastig drückte sie die Tür auf, die zur Dachbodenstiege führte.
Soll er nur kommen.
Irgendwie, mit ein klein wenig Glück, würde es ihr gelingen, ihre Kinder zu retten, wennschon nicht sich selbst. Die Luft war abgestanden und nasskalt. Sie knallte die Tür hinter sich zu, sperrte mit zitternden Fingern von innen ab, dann kletterte sie die engen, steilen Stufen hinauf in die alles verschlingende Dunkelheit.
Sie hörte das unverwechselbare Fiepen einer Fledermaus und aufgeschrecktes Flügelflattern, doch sie achtete nicht darauf.
Denk nach, Angelique, denk nach. Er darf dich nicht überwältigen! Ihre Gedanken rasten so schnell, wie ihre nackten Füße über den kalten Boden huschten. Das war ihre Chance, sich ihm entgegenzusetzen, sich eine Waffe zu schnappen, mit der sie sich verteidigen konnte. Doch ihr blieb nicht viel Zeit. Hastig kletterte sie vom Dachboden die letzte Treppe empor, eine schmale Wendeltreppe, die zu einer...
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