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Ivor Hicks machte Kälte normalerweise nicht viel aus, doch es gefiel ihm gar nicht, dass er gezwungen war, so kurze Zeit nach einem Schneesturm in diesem Teil der Berge zu Fuß unterwegs zu sein. Hier konnte jederzeit eine Lawine runterkommen, wenn er zu laut hustete, und husten würde er über kurz oder lang, denn seine Lungen rasselten, als ob er eine Krankheit ausbrütete.
Wahrscheinlich sind diese Aliens schuld, entschied er, schüttelte den Gedanken aber rasch wieder ab. Kein Mensch glaubte ihm, dass er Ende der Siebziger von Aliens entführt worden war, die Experimente mit seiner Lunge, seinem Blut und seinen Geschlechtsteilen durchgeführt hatten. Die verfluchten E. T.s hatten seinen ausgelaugten, erschöpften Körper in einer Schneewehe zwei Meilen von seinem Haus entfernt in den Bergen abgelegt. Als er aus dem drogeninduzierten Koma erwachte, lag er, nur mit einer Unterhose bekleidet und halb erfroren, bei einem hohlen Baumstamm, in dem ein Stachelschwein und Käfer hausten, neben sich eine leere Flasche Roggenwhiskey. Aber keiner von diesen elenden Gesetzeshütern hatte ihm glauben wollen.
Der Deputy Sheriff, bei dem er damals Anzeige erstattete, ein kleiner Klugscheißer von etwa dreißig Jahren, hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, sein ungläubiges Grinsen zu verbergen. Er hatte nur flüchtig ein Protokoll aufgenommen und Ivor dann ins örtliche Krankenhaus geschleppt, wo er seine Frostbeulen und die Unterkühlung behandeln lassen sollte. Doc Norwood hatte zwar nicht allzu deutlich gezeigt, dass er ihm nicht glaubte, doch als er Ivor dann ins Krankenhaus in Missoula überwies, hatte er ihm psychiatrische Behandlung angeraten.
Die Idioten.
Sie alle hatten den Aliens lediglich in die Hände gespielt. Crytor, der Anführer der Schar, die ihn in ihr Mutterschiff teleportiert hatte, lachte wahrscheinlich heute noch über die Erklärung der vertrottelten Erdlinge, dass Alkohol, Dehydration und Halluzinationen die Ursache seiner »Verwirrung«, wie die Ärzte es nannten, gewesen seien.
Tja, wohin man sah, nur Dummköpfe.
Sich auf seinen Gehstock stützend, stapfte Ivor den Cross-Creek-Pass hinauf. Seine Wanderstiefel knirschten im Schnee, der Himmel war wie Seide und blau wie das Meer, das er allerdings noch nie gesehen hatte. Aber Flathead Lake hatte er gesehen, und das war ein ziemlich großer See. Das Meer war bestimmt ähnlich, nur viel, viel größer, wenn man den Liveübertragungen von Hochsee-Angelausflügen im Jagd-und-Angeln-TV glauben wollte.
Schwer atmend schleppte er sich den Pfad hinauf, der sich zwischen vorspringenden schneebedeckten Felsbrocken und uralten Tannen, die bis in den Himmel zu reichen schienen, am Berg hochwand. Er blieb stehen, um Luft zu schnappen, sah, wie sein Atem eine Wolke bildete, und verfluchte die Aliens, die ihn zwangen, den Berg hinaufzukraxeln, obwohl ihm seine Arthritis so zu schaffen machte. Die Schmerzen, davon war er überzeugt, hatten sich durch die Experimente, die sie an ihm ausgeführt hatten, und durch den in seinen Körper eingepflanzten Chip noch verschlimmert.
»Ich geh ja schon, ich geh ja«, sagte er, als er wieder dieses leichte Stechen in der Schläfe spürte, das ihn aus dem Bett getrieben hatte, noch bevor die Sonne über den Berggipfeln aufgegangen war. Er hatte nicht mal einen Schluck Kaffee getrunken, geschweige denn ein Schlückchen Jim Beam. Crytor, verflucht sei seine orangefarbene Reptilienhaut, war ein schlimmerer Sklaventreiber, als es Lila je gewesen war, Gott hab sie selig. In Erinnerung an seine verstorbene Frau schlug er das Kreuzzeichen über der Brust, obwohl er nicht katholisch war, es nie gewesen war und auch nie sein würde. Es erschien ihm lediglich so, als wäre es hier angemessen.
Crytor schien es nicht einmal zu stören.
In einer Gruppe von Tannen entdeckte er Elchspuren und -dung im Schnee und wünschte sich, seine Flinte mitgenommen zu haben, obwohl zurzeit nicht Jagdsaison war. Wer würde das schon mitbekommen?
Na ja, Crytor eben.
Nach einer Wegbiegung erhaschte er einen Blick tief nach unten ins Tal.
Er blieb wie vom Donner gerührt stehen, wäre um ein Haar abgerutscht.
Sein sechsundsiebzig Jahre altes Herz hätte ihm beinahe den Dienst versagt, als sich seine Augen, scharf wie eh und je, auf eine einzeln stehende Kiefer und eine nackte, an deren Stamm gefesselte Frau hefteten.
»Heilige Mutter Maria«, flüsterte er und lief den Berg hinunter. Sein Gehstock bohrte sich tief in den Schnee, bis zum gefrorenen Boden hinab, so eilig rannte er.
Kein Wunder, dass die Aliens ihm das da zeigen wollten.
Wahrscheinlich hatten sie sie entführt, mit ihr getan, was sie wollten, und sie dann hier in diesem eisigen, abgelegenen Tal zurückgelassen. So waren sie nun mal, die Aliens.
Er wünschte, er hätte ein Handy, wenngleich er gehört zu haben meinte, dass die Dinger so hoch oben in den Bergen sowieso nicht funktionierten. Zu weit weg von irgendwelchen Funktürmen. Er glitt aus, fing sich jedoch wieder und hastete den vertrauten Weg hinunter. Wahrscheinlich lebte sie noch. War nur durch Betäubung gefügig gemacht worden. Er konnte sie in seine Jacken hüllen, zurücklaufen und Hilfe holen.
Ivor grub seinen Stock rasch und tief in den Schnee und eilte die Serpentinen hinunter zur Talsohle, wo eine Schneeeule leise in der ansonsten gespenstisch stillen Schlucht schrie.
»Hey!«, rief er im Laufen, ziemlich außer Atem. »Hey!«
Doch bevor er die an den Baum gefesselte Frau erreicht hatte, blieb er abrupt stehen und erstarrte.
Das hier war nicht das Werk von Aliens.
Hölle, nein, das war es nicht.
Es war das Werk des Teufels persönlich.
In seinem faltigen Nacken sträubten sich die Haare. Diese Frau, eine Asiatin, war längst tot. Ihre Haut war bläulich verfärbt, Schnee puderte das dunkle, glänzende Haar, die Augen starrten leblos ins Leere, und gefrorenes Blut bedeckte hier und da ihren Körper. Ihr Mund war geknebelt. Die Seile, die sie an den Baum fesselten, hatten tiefe Einschnitte, Blutergüsse und Striemen an Armen, Brust und Taille hinterlassen.
Irgendwo ächzte ein Ast unter der Schneelast, und Ivor hatte das Gefühl, als würden ihn unsichtbare Augen beobachten.
Nie im Leben hatte er solche Angst gehabt. Noch nicht einmal als Gefangener Crytors.
Wieder wünschte er sich sein Jagdgewehr herbei, bewegte sich langsam rückwärts, schlich verstohlen auf demselben Weg zurück, den er gekommen war, bis er sich, am Bergpfad angekommen, umdrehte und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen.
Derjenige, der dieser Frau das angetan hatte, musste das schiere, tödliche Böse selbst sein.
Und es war noch zu spüren.
Detective Selena Alvarez ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen. Es war zwar noch nicht mal sieben Uhr morgens, aber sie musste stapelweise Papierkram durcharbeiten, und die ungelösten Fälle der beiden toten Frauen, die im Abstand von fast einem Monat aufgefunden worden waren - aneinandergekoppelte Fälle aufgrund der Tatsache, dass beide Leichen im Schnee zurückgelassen worden waren -, ließen ihre Gedanken nicht los.
Es reichte schon aus, sich diese Leichen vorzustellen - wie sie nackt, an Bäume gefesselt, geknebelt und im Schnee zum Sterben zurückgelassen worden waren -, um ihr das Mark in den Knochen gefrieren zu lassen. In den letzten Jahren waren in Pinewood County und Umgebung nur selten und in großen Zeitabständen Leichen gefunden worden, gewöhnlich als Folge von Jagd-, Angel-, Ski- oder Wanderunfällen. Einmal war ein Jogger von einem Puma beinahe tödlich verletzt worden, und immer mal wieder geriet ein Ehestreit außer Kontrolle, angeheizt durch Alkohol oder Drogen, wozu dann noch eine griffbereite Waffe kam. Aber Mord war in diesem Teil des Landes ungewöhnlich. Mehrfache Morde waren noch seltener. Ein Serienmörder in dieser Gegend? Unerhört.
Doch hier hatten sie wahrhaftig einen.
Sie brauchte sich nur auf ihrem Monitor die Leichen von Theresa Kelper und Nina Salvadore anzusehen, zwei Frauen, die sonst wenige Gemeinsamkeiten hatten, um zu wissen, dass sich ein Psychopath in der Nähe aufhielt oder durchgereist war.
Mit einem Mausklick holte sie die Fotos von der Leiche des ersten Opfers, Theresa Kelper, auf ihren Monitor. Noch ein paar Klicks, der Bildschirm teilte sich und öffnete nun ein Foto vom Führerschein der Frau, ausgestellt von der Kraftfahrzeugbehörde in Idaho, ein Foto von dem Wrack des grünen Ford Eclipse mit der Kennzeichnung Tatort eins und eine weitere Aufnahme von einer einzelnen Tanne in einem verschneiten Tal, an deren Stamm die Frau gefesselt war, unterschrieben mit Tatort zwei. Das letzte Bild zeigte einen Zettel, der über dem Kopf der Frau an den Stamm genagelt worden war und ihre Initialen aufwies: TK. Sie waren in Blockbuchstaben unter einen Stern geschrieben, der nicht nur auf das weiße Papier gezeichnet, sondern außerdem noch etwa fünfzehn Zentimeter über ihrem Kopf ins Holz geritzt war. Das Labor hatte Blutspuren in der Schnitzerei gefunden, Blutspuren des Opfers.
Alvarez biss die Zähne zusammen und betrachtete die Hinterlassenschaften der Lehrerin aus Boise. Feinde waren nicht bekannt. Sie war seit zwei Jahren verheiratet, hatte keine Kinder, und der Ehemann war am Boden zerstört. Er hatte ausgesagt, sie sei zu Besuch bei ihren Eltern in Whitefish gewesen, was sich als wahr erwies. Die Eltern und der Bruder des Opfers waren außer sich vor Trauer und Schmerz. Der Bruder hatte verlangt, die Polizei solle endlich »das Monster finden, das ihr das angetan hat!«.
»Wir arbeiten daran«, sagte Alvarez zu sich selbst, schlug eine Akte auf und sah sich die...
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