Schweitzer Fachinformationen
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Tick. Tick. Tick.
Die Minuten verstrichen. Er verlor Zeit.
Verlor Tageslicht.
Die Sonne, die um diese Jahreszeit früh unterging, verschwand bereits hinter einem Hügelkamm, die letzten kalten Strahlen verwandelten sich in ein flammendes Rot, gedämpft von aufziehenden Wolken und den kahlen Zweigen der umstehenden Bäume.
Minute um Minute. Sekunde um Sekunde viel zu schnell vorbei.
Mit einer Routine, die er schon vor Jahren, schon vor seinem Militärdienst erworben hatte, legte er das Gewehr an. Er wusste genau, auf welche Stelle er zielen musste, um ein sauberes Resultat zu erzielen.
Nicht dass das Miststück den schnellen Tod verdiente, den er ihr zugedacht hatte. Viel lieber hätte er sie leiden sehen. Aber dafür blieb keine Zeit. Seine Geduld war am Ende, seine Haut prickelte bereits vor Erwartung.
Er kannte ihren Tagesablauf.
Ein letztes Mal spähte er durchs Visier, angespannt, wartete auf den richtigen Moment. Sein Atem bildete kleine weiße Wölkchen, trotz der kühlen Luft liefen ihm unter seiner Skimaske Schweißtropfen übers Gesicht.
Komm schon, komm schon, dachte er und verspürte einen Anflug von Panik. Was, wenn sie ausgerechnet heute mit ihren Gewohnheiten brach? Was, wenn sie aus irgendeinem Grund - wegen eines plötzlichen Telefonanrufs, eines überraschenden Besuchs oder einer Migräneattacke - ihr jährliches Ritual änderte? Was - Gott bewahre -, wenn das, was er seit über einem Jahr so sorgfältig geplant hatte, aufgrund einer bloßen Laune für die Katz war?
Nein. Das ist unmöglich. Bleib ruhig. Sei geduldig. Vertrau auf deine Instinkte. Lass deine Zweifel nicht die Oberhand gewinnen. Du weißt genau, was du zu tun hast!
Warum zum Teufel kam sie nicht endlich?
Langsam zählte er bis zehn, dann bis zwanzig, versuchte, seinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen, sich zu beruhigen, einen klaren Kopf zu bekommen. Zu seiner Rechten flatterte ein Vogel auf und landete ein Stück weit entfernt auf einem schneebedeckten Ast. Weißes Pulver rieselte zu Boden. Er warf einen raschen Blick über die Schulter, vergewisserte sich, dass er allein an diesem Ort war, an dem gleich ein Mord stattfinden würde - an einer wenig benutzten Langlaufstrecke, die vom See wegführte, hinein in die winterliche Natur.
Hier würde sie sterben.
Sein Finger spannte sich um den Abzug, aber nur ein kleines bisschen.
Und dann sah er sie. Aus dem Augenwinkel. Eine großgewachsene, schlanke Gestalt, die elegant auf ihren Ski dahinglitt.
Gut.
Rotes Haar schaute unter ihrer Skimütze hervor und flatterte leicht, als sie beschleunigte, schneller, immer schneller fuhr. Waghalsig. Draufgängerisch. Man nannte sie »dickköpfig«, »hartnäckig« und »unnachgiebig«. Wie sich ein Hund in seinen Knochen verbeißt, so verbiss sie sich in das, was sie erreichen wollte. Sie gab niemals auf, war stets bereit zu kämpfen.
Nun, bald nicht mehr. Er leckte sich die trockenen Lippen. In seinem Kopf machte sich ein Summen bemerkbar, ein vertrautes Geräusch, das er immer dann vernahm, wenn er kurz davorstand, jemanden zu töten.
Nur noch ein paar Sekunden .
Die Nerven angespannt wie Drahtseile, wartete er, bis sie die dichten Bäume hinter sich gelassen hatte und auf eine Lichtung lief. Jetzt war die Schusslinie frei. Sie sah in seine Richtung, das Kinn vorgereckt, suchte den umliegenden Wald ab mit ihren durchdringenden Augen, deren Farbe er als eisblau erinnerte.
Als würde sie seine Anwesenheit spüren, bremste sie ab und blieb stehen. Kniff die Lider zu schmalen Schlitzen zusammen und scannte wachsam die Umgebung.
Er drückte ab.
Krach!
Mit einem ohrenbetäubenden Knall löste sich der Schuss. Der Rückschlag traf ihn hart gegen die Schulter.
Ihr Kopf schnellte zurück. Sie wirbelte herum, stürzte hintenüber. Ihre Ski durchschnitten die klare Winterluft wie außer Rand und Band geratene Fleischmesser.
Reglos blieb sie am Boden liegen.
»Bingo«, flüsterte er, ganz aus dem Häuschen darüber, dass er sie zu Fall gebracht hatte, eine der bekanntesten Frauen in ganz Grizzly Falls, über die die Medien nur allzu gern berichteten. »Eine weniger .«
Nun überschatteten die Wolken auch noch die letzten kalten Sonnenstrahlen, und die ersten Schneeflocken fielen vom Himmel. Er schnallte seine eigenen Bretter an, stieß sich mit den Skistöcken ab und glitt durch den Schnee. Leichtfüßig, mit ausholenden Schritten schlängelte er sich durch die Bäume, ein Phantom, das seine ganz private Spur durch den Tiefschnee in den Bitterroot Mountains zog. Er hatte hier sein ganzes Leben verbracht und kannte diese Wildnis wie seine Westentasche. Er durchquerte eine steile Mulde, einen Bachlauf und glitt über eine kleine Fußgängerbrücke. Die Luft war nun, da es zu schneien begonnen hatte, knackig kalt, die immer dichter fallenden Flocken deckten seine Spuren zu. Er schreckte ein Kaninchen auf, das durch das vereiste Gestrüpp davonhoppelte und im weißen Winterwald verschwand.
Langsam senkte sich die Dämmerung herab. Er musste sich beeilen, bald schon war es stockdunkel.
Nach etwa zweieinhalb Meilen erreichte er endlich die Haltebucht an der Straße, an der er seinen Transporter abgestellt hatte. Insgesamt hatte er mehr als fünf Meilen zurückgelegt und war leicht außer Atem. Doch von Erschöpfung konnte nicht die Rede sein: Adrenalin peitschte durch sein Blut und brachte es zum Kochen, sein ganzer Körper wurde heiß bei der Vorstellung, was er gerade vollbracht hatte.
Wie lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet!
Er schnallte die Ski ab und verstaute sie vorsichtig in seinem Van, zusammen mit dem Gewehr. Dann legte er seine weiße Oberbekleidung ab - Skimaske, Skijacke und Skihose in winterlichen Tarnfarben, gut isoliert gegen die beißende Kälte -, zog warme Thermounterwäsche, Jeans, ein Flanellhemd und eine gefütterte Jacke an und stülpte sich seinen Stetson auf den Kopf: sein übliches Outfit.
Nachdem er den Laderaum des Transporters fest verschlossen hatte, setzte er sich hinters Steuer. Mein Gott, war das kalt hier drinnen! Mit klammen Fingern ließ er den Motor an und stellte die Heizung auf die höchste Stufe. Der alte Ford erwachte dröhnend zum Leben, und schon bald bog er von der abgelegenen Landstraße auf die Hauptstraße ein, auf welcher der Verkehr heute wegen der Feiertage und des heraufziehenden Schneesturms weit weniger dicht war als gewöhnlich. Nur ein paar beherzte Seelen verbrachten Weihnachten an diesem abgeschiedenen Fleckchen Erde, wo Strom und fließendes Wasser nicht selten als Luxus galten. Die meisten Blockhütten - von »Häusern« konnte oft nicht die Rede sein - in dieser Gegend waren auf die nötigste Ausstattung reduziert und dienten hauptsächlich Jägern als Nachtlager. Die Ferien dagegen verbrachten hier nur sehr wenige Naturliebhaber.
Was absolut perfekt war.
Die Straße schlängelte sich bergauf zu der Blockhütte, die ihm als Unterschlupf diente. Schnee knirschte unter den Rädern des Transporters. Um ihn herum war alles finster, nur einmal kam ihm ein Fahrzeug entgegen, kurz bevor er in seine Zufahrt einbog, wo der Schnee bereits die Spuren zudeckte, die er bei seinem Aufbruch hinterlassen hatte. Ja, hier wäre er in Sicherheit. Hier würde niemand nach ihm suchen. Er würde diesen Transporter irgendwo abstellen und gegen seinen Jeep eintauschen, aber zunächst wollte er seinen Erfolg feiern.
Nach etwa einer halben Meile umrundete er eine Felszunge, dann kam die Hütte in Sicht, ein A-Haus, das die meisten Mitglieder der Familie längst vergessen hatten. Als er vor zwei Stunden aufgebrochen war, war es noch hell gewesen, jetzt war alles dunkel. Er fuhr in die Garage, stellte den Motor ab und stieß die Luft aus.
Er hatte es geschafft.
Niemand hatte ihn bemerkt.
Niemand wusste, was passiert war . noch nicht. Er schleppte seine Ausrüstung ins Haus, dann schloss er die Garagentür und lauschte auf den Wind, der durch die Bäume heulte und im Canyon widerhallte.
Im Licht seiner Laterne, die er stets griffbereit in der Garage aufbewahrte, hängte er seine Ski an Halterungen neben der Tür. Er machte Feuer, reinigte sein Gewehr, während es in der Blockhütte langsam warm wurde, dann zog er sich aus und begann splitterfasernackt mit seinem Work-out. Er dehnte seine Muskeln, zählte stumm die Sekunden und arbeitete sich durch die Übungen, die er vor Jahren bei der Armee gelernt hatte. Diese selbstgewählte Askese war der Ausgleich für das gute Leben, das er führte, das Leben fernab von dieser kleinen Blockhütte. Es funktionierte - diese Routine hielt ihn in Form, und es verging kein Tag, an dem er davon abwich.
Wenn er mit den Übungen durch war, wusch er sich mit kaltem Wasser, so kalt, dass er scharf die Luft einzog, wenn es seine Haut berührte. Auch das war Teil seines Rituals, das ihn stets gemahnte, nicht zu verweichlichen, stets Bestleistungen zu erbringen und sich immer weiter anzutreiben. Er forderte Perfektion - für sich selbst genau wie für die anderen.
Während sein nasser Körper an der Luft trocknete, schenkte er sich ein Glas Whiskey ein und trat an den selbstgefertigten Schreibtisch, der an der Wand neben seinem Bett stand. Die Fotos lagen verstreut auf der Schreibtischoberfläche, allesamt Porträtaufnahmen, die Gesichter blickten direkt in die Kamera . seine Kamera, dachte er mit verstohlener Freude.
Er nahm das Foto der Frau zur Hand, die er soeben...
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