Schweitzer Fachinformationen
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Cascade Mountains
1. Dezember
Du Mistkerl!« Mühsam gegen die Tränen ankämpfend, hämmerte Megan aufs Lenkrad ihres kleinen Toyotas, dann gab sie Gas. Die Reifen drehten durch, Schnee und Kies spritzten auf, als sie ruckartig zurücksetzte, den Gang einlegte und die lange Zufahrt entlangraste, die von James Cahills Farmhaus zur Straße führte. Die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer glitten über die schneebedeckte Landschaft. Dieser verfluchte Betrüger! Und als säße er neben ihr auf dem Beifahrersitz, tobte sie weiter: »Wie konntest du nur? Wie zur Hölle konntest du mir das antun?«
Sie hätte nicht überrascht sein dürfen.
Einmal ein Betrüger, immer ein Betrüger.
Warum hatte sie erwartet, dass er zu ihr stehen würde, der Mann, den sie für die Liebe ihres Lebens gehalten hatte, für ihren Seelenverwandten, für den »Einen«, wenn man denn an diesen romantischen Unsinn glaubte? War doch klar, dass er früher oder später sein wahres Gesicht zeigen und sich als untreues Arschloch entpuppen würde.
Energisch blinzelte sie gegen die Tränen an, die ihre Wangen hinabrollten. Sie erreichte die Landstraße, bog knapp vor einem Schneepflug auf die rechte Spur ein und fuhr mit hoher Geschwindigkeit durch den dunklen Abend Richtung Stadt, mit dem Handrücken immer wieder über ihr nasses Gesicht wischend. Zaunpfosten und Felder, umhüllt von einer weißen Decke, zogen verschwommen an ihr vorbei. Vor einem Stoppschild bremste sie ab, riss das Lenkrad herum und raste nach Westen, um das Zentrum von Riggs Crossing zu umfahren und sich durch die nahezu menschenleeren Nebenstraßen dieser verschlafenen Kleinstadt zu schlängeln. Hier lebten lauter brave, gottgefällige Einwohner, aber Megan wusste so gut wie jeder andere, dass der äußere Schein nicht selten trog.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine ältere Dame, die einen kleinen schwarzen Scottish-Terrier mit Pullover Gassi führte. Unter ihrer roten Baskenmütze schauten graue Löckchen hervor. Als Megan an ihr vorbeizischte, blieb sie unter einer Straßenlaterne stehen, schüttelte den Kopf und drohte ihr mit dem Finger. Gleichzeitig machte sie mit der anderen Hand eine beschwichtigende Geste, um ihr zu bedeuten, dass sie langsamer fahren solle.
Megan interessierte das nicht. Im Gegenteil - sie musste sich große Mühe geben, der Frau nicht den Mittelfinger zu zeigen. Es gelang ihr gerade noch, sich zu beherrschen.
Kein Grund, so auszuflippen.
Auch wenn ihr Herz gebrochen war und in ihrem Inneren ein absolutes Gefühlschaos herrschte.
Warum, warum, warum war sie so dumm gewesen, sich in James Cahill zu verlieben? Sie hätte es doch besser wissen müssen. »Unsinn.« Sie hatte es besser gewusst. Im Rückspiegel sah sie, wie die ältere Dame ihr Handy aus der Tasche zog, vermutlich um die Neun-eins-eins zu wählen und eine unberechenbare Autofahrerin zu melden, die die für gewöhnlich so ruhigen, idyllischen Sträßchen von Riggs Crossing, der gemütlichen Kleinstadt inmitten der Berge im Bundesland Washington, unsicher machte.
Pech.
Trotzdem nahm sie den Fuß vom Gas.
Wollte keinen Strafzettel riskieren. Durfte keinen Strafzettel riskieren.
Sie war nicht blind, sie hatte gesehen, wie James die Neue im Café angestarrt hatte. Genau so hatte er einst sie angeschaut. Was hatte sie erwartet? Wusste sie nicht aus persönlicher Erfahrung, wie leicht man James den Kopf verdrehen konnte? Die Frauen flogen nur so auf ihn, einen hochgewachsenen, gut aussehenden Kerl mit einem draufgängerischen Lächeln, das selbst das argwöhnischste Herz erobern konnte. Auch wenn sie nicht mal ahnten, wie reich er war und wie reich er sein würde, wenn er den Rest seines Anteils am gigantischen Familienvermögen erbte, verliebten sie sich reihenweise in ihn.
Genau wie sie selbst.
»Du bist so ein Dummkopf«, schalt sie sich nicht zum ersten Mal.
Oh, sie konnte es kaum erwarten, zu ihrer Schwester nach Seattle zu kommen. In Rebeccas Wohnung würde sie sich eine Flasche Wodka zu Gemüte führen und den Bastard vergessen.
»Verlogener Weiberheld«, knurrte sie.
Er gehörte zu ihr!
Kapierte er das denn nicht?
Vielleicht noch nicht.
Aber er würde es kapieren, und zwar schon bald, dafür wollte sie sorgen.
Doch dazu musste sie erst einmal verschwinden.
Damit er sie vermisste.
Damit er zutiefst bereute, dass er sie betrogen hatte.
Ja, das war das Geschickteste.
Das würde sie tun. Für eine Weile untertauchen, bei ihrer Schwester.
Schniefend wischte sie sich erneut die Tränen ab, dann umfasste sie das Lenkrad noch fester. So fest, dass ihre Finger schmerzten, als sie aus der Stadt hinausfuhr und die umliegenden Berge ansteuerte. Es schneite heftiger. Megan stellte die Scheibenwischer an.
Rebecca erwartete sie.
Ihre Schwester. Gott sei Dank. Sie konnte sich kaum noch vorstellen, dass James sich zuerst für Rebecca interessiert hatte. Und - wer hätte das gedacht? - auch Rebecca, die Eiskönigin, hatte sich in ihn verliebt.
Zum Glück war sie über ihn hinweg.
Schon lange.
Oder etwa nicht?
Egal, redete Megan sich ein und blinzelte mit trotzig vorgerecktem Kinn durch die Windschutzscheibe. Schneeflocken wirbelten und tanzten im Scheinwerferlicht. Ihre Schwester hatte den Verlust bestimmt schon verschmerzt. Sie war schon immer hart im Nehmen gewesen.
Rebecca.
Ihre große Schwester. Sie würde wissen, was zu tun war.
Das wusste sie immer. Und wie immer würde Rebecca Megan mit eiserner Entschlossenheit helfen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Rebecca war Megans Fels in der Brandung. Ganz gleich, welche Gefühle ihre Schwester für James auch hegen mochte.
Megan verspürte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Wie oft hatte sie sich schon auf ihre Schwester verlassen? Wie oft war sie heulend zu Rebecca gerannt, und wie oft hatte ihr diese schon geholfen? Sogar als .
Das schlechte Gewissen wuchs, wenngleich es vermutlich sogar noch um einiges größer hätte sein sollen. Sehr viel größer. Sie betrachtete ihr Konterfei im Rückspiegel.
Rot geränderte blaue Augen, die nicht unbedingt reuevoll dreinblickten. Wenn sie noch einmal hätte entscheiden, das Unrecht hätte wiedergutmachen können - sie hätte es nicht getan. Megan biss sich auf die Unterlippe und verbannte die Vorstellung aus ihrem Kopf. Ihr kleiner Wagen kämpfte mit der Steigung. Sie war kein schlechter Mensch. Nicht wirklich. Und James . Ach Gott, James .
Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle. Der Corolla legte Meter um Meter bergauf zurück. Je höher sie kam, desto dichter wurde der Schneefall, eine weiße Schicht bedeckte den Asphalt, am Straßenrand türmten sich Schneehaufen, die ein Schneepflug dorthin geschoben hatte. Megan stellte die Heizung höher und schaltete die Scheibenlüftung ein, weil die Fenster beschlugen.
Nichts tat sich.
Die Lüftung war defekt. Seit Wochen schon.
»Verdammt.« Sie nahm die gebrauchte Serviette aus dem Coffeeshop aus dem Becherhalter und wischte den Beschlag weg, so gut sie konnte, dann spähte sie angestrengt hinaus in die Dunkelheit.
So spät am Abend herrschte nur wenig Verkehr. Bald darauf war sie allein auf der kurvigen Bergstraße und schraubte sich mit jaulendem Motor immer höher in die tief verschneiten Cascade Mountains hinauf. »Komm schon«, feuerte sie ihren Corolla mit zusammengebissenen Zähnen an und trat fester aufs Gas. »Komm schon!« Die Sicht war inzwischen gleich null. Nichts als ein Vorhang aus Schneeflocken vor der beschlagenen Scheibe. Sie griff erneut nach der Serviette. Anscheinend war sie mitten in einen Schneesturm geraten.
»Großartig.«
Sie dachte wieder an James, und ihr Herz zog sich schmerzerfüllt zusammen. Eine Flut von Erinnerungen überrollte sie, und abermals flossen Tränen. Sie gab Gas, um auf der steilen Straße die nächste scharfe Kurve zu nehmen.
Ihre Reifen drehten durch.
Der Wagen geriet ins Rutschen.
Hastig nahm sie den Fuß vom Pedal. »Reiß dich zusammen«, murmelte sie, als sie den Wagen wieder unter Kontrolle hatte und sich weiter bergauf kämpfte. Millionen Flocken wirbelten vor ihr im Scheinwerferlicht.
Ihre letzte Auseinandersetzung war die schlimmste gewesen. Noch nie zuvor waren Zorn und hässliche Worte in körperliche Gewalt umgeschlagen, doch heute Abend war ihre Wut außer Kontrolle geraten.
Weitere Tränen.
Tränen, die sie blind machten, genau wie ihr Zorn.
Sie schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben, und wischte noch einmal über die beschlagene Scheibe. Plötzlich ging es steil bergab.
»Herrje!«
Sie erstarrte.
Sah eine weitere Kurve auf sich zukommen, eng wie eine Serpentine.
Automatisch trat sie auf die Bremse.
Die Hinterreifen drehten durch.
Der Corolla traf auf Eis und fing an, langsam, aber stetig zu kreisen.
»Nein . nein, nein, nein!« Sie befand sich hoch oben in den Bergen, auf einer Seite die steile Felswand, auf der anderen die Gipfel der riesigen Tannen, die an den Abhängen der tiefen Schlucht neben ihr emporwuchsen. »O Gott!« Sie nahm den Fuß von der Bremse, gab auch kein Gas, lenkte nicht, machte gar nichts . So reagierte man doch in einer solchen Situation, oder? Sollte man sich nicht einfach drehen lassen, ohne dagegen anzulenken? Ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren.
Wie in Zeitlupe sah sie den Straßenrand auf sich zukommen, die hohen Schneehaufen, die die Leitplanke verdeckten, sofern es denn eine gab.
Bleib ruhig, Megan. Keine Panik....
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