Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Vier Wochen zuvor
Klick!
Das leise Geräusch reichte aus, um Eugenia Cahill aus dem Schlaf zu reißen. In ihrem Lieblingssessel im Wohnzimmer des ersten Stocks in ihrem Landhaus schlug sie blinzelnd die Augen auf. Verwundert darüber, dass sie tatsächlich eingedöst war, rief sie nach ihrer Enkelin. »Cissy?« Sie rückte ihre Brille zurecht und warf einen Blick auf die antike Uhr über dem Kamin, in dem Gasflammen leise zischend an den schwarzen Keramikscheiten leckten. »Cissy, bist du das?«
Natürlich war es Cissy. Sie hatte vorhin angerufen und ihren gewohnten wöchentlichen Besuch angekündigt. Sie wollte ihr Baby mitbringen . Doch der Anruf lag Stunden zurück. Cissy hatte versprochen, gegen 19.00 Uhr da zu sein, und jetzt . Tja, die Stadtuhr im Foyer schlug gerade mit leisen, beruhigenden Tönen die achte Abendstunde. »Coco«, sagte Eugenia mit einem Blick auf das Körbchen, in dem ihr kleiner weißer Schoßhund schlummerte, der daraufhin kaum den Kopf hob. Das arme Ding wurde auch langsam alt, verlor bereits Zähne und litt an Arthritis. »Wenn man alt wird, geht man vor die Hunde«, sagte Eugenia und lachte über ihr eigenes kleines Wortspiel.
Warum war Cissy nicht gleich heraufgekommen, in den Wohnbereich, wo Eugenia den Großteil des Tages verbrachte? »Ich bin hier oben«, rief sie laut, und als keine Antwort kam, verspürte sie ein erstes kleines Kribbeln der Angst, das sie rasch abschüttelte. Die Furchtsamkeit einer alten Frau, weiter nichts. Doch sie hörte keine eiligen Schritte auf der Treppe, kein Rumpeln des alten Aufzugs, der von der Garage aus knirschend hinauffuhr. Sie stemmte sich aus dem Queen-Anne-Sessel hoch, griff nach ihrem Stock und wurde von einem leichten Schwindelgefühl erfasst. Das war ziemlich untypisch für sie. Steifbeinig ging sie zum Fenster, durch dessen feuchte Scheibe sie die Straße und die Stadt überblicken konnte. Obwohl eine Nebelbank langsam über die Stadt hinwegzog, war die Aussicht aus dem Fenster, wie auch aus den meisten anderen des alten Hauses, atemberaubend - eines Hauses, erbaut um die Jahrhundertwende, na ja, um die vorletzte Jahrhundertwende, auf den höchsten Kuppen des Mt. Sutro in San Francisco. Der alte Ziegelbau im Stil eines Landklubhauses erhob sich drei Stockwerke hoch über einer an den Berg gebauten Garage. Vom Wohnzimmer im ersten Stock aus konnte Eugenia an klaren Tagen die Bucht sehen, und sie verbrachte viel Zeit damit, die übers graugrüne Wasser gleitenden Segelboote zu beobachten.
Doch manchmal erschien ihr dieses alte Haus in den Parnassus Heights so schrecklich leer. Eine alte Festung mit elektronisch gesteuerten Toren und zugewucherten Gärten voller Rhododendron und Farn. Das Grundstück stieß zwar an das weitläufige Gelände der medizinischen Fakultät, es wirkte aber trotzdem manchmal sehr isoliert vom Rest der Welt.
Oh, sie war nicht wirklich allein. Natürlich verfügte sie über Personal, doch wie es aussah, hatte die Familie sie verlassen.
Um Himmels willen, Eugenia, reiß dich zusammen. Du bist schließlich nicht irgendeine alte Frau. Du willst hier wohnen, als eine Cahill, wie es schon immer war.
Hatte sie sich nur eingebildet, unten ein Schloss klicken zu hören? Hatte sie womöglich geträumt? Neuerdings drangen ihre Träume, wenngleich sie es sich ungern eingestand, selbst bis in ihr Wachbewusstsein vor, und darin wurzelte die unausgesprochene Angst, dass sie sich vielleicht schon im Frühstadium einer Demenz befand. Lieber Himmel, hoffentlich nicht! In ihrer Familie war bisher nie Alzheimer aufgetreten; ihre eigene Mutter war mit sechsundneunzig gestorben, im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte, bevor ein schwerer Schlaganfall sie dahinraffte. Aber an diesem Abend fühlte sich Eugenia doch ein bisschen benommener als gewöhnlich.
Ihr Blick wanderte nach draußen, zur Straße hinter dem elektronisch gesteuerten Tor, dahin, wo der Zivilwagen der Polizei beinahe vierundzwanzig Stunden lang gestanden hatte. Jetzt war der Chevy in der Parkbucht knapp außerhalb des bläulichen Lichtkegels der Straßenlaterne nicht mehr zu sehen.
Wie merkwürdig.
Warum hatten sie sich so schnell wieder entfernt, nachdem sie ihr vorgeworfen hatten, ihrer Schwiegertochter bei der Flucht aus dem Gefängnis geholfen zu haben? Diese unhöflichen Detectives, die vor ihrer Tür gestanden und behauptet hatten, sie würde einer Kriminellen Unterschlupf gewähren. So ein Quatsch! Sie waren geblieben, hatten das Haus beobachtet und waren ihr, wie sie vermutete, heimlich gefolgt, als Lars sie zum Friseur fuhr, zum Bridge spielen und zum Cahill House, wo sie ihre Zeit opferte, um Zuflucht suchenden, unverheirateten Schwangeren im Teenageralter oder knapp darüber zur Seite zu stehen.
Natürlich hatte die Polizei nichts herausgefunden.
Weil sie vollkommen unschuldig war. Trotzdem war sie nach wie vor darüber verärgert.
Eugenia blickte in die Nacht hinaus - und fror plötzlich. Sie sah ihr eigenes Spiegelbild, das gespenstische Bild einer kleinen Frau vor dem weichen Licht antiker Lampen, und es überraschte sie, wie alt sie aussah. Ihre Augen, vergrößert durch die Brille, die sie seit ihrer Staroperation vor ein paar Jahren trug, erinnerten an eine Eule. Ihr einstmals leuchtend rotes Haar war jetzt adrett frisiert und eher blass apricotfarben als rötlich blond. Sie schien um Zentimeter geschrumpft, kaum noch eins fünfzig groß zu sein. Ihr Gesicht war zwar erstaunlich faltenlos, doch es begann schlaff zu werden, und das verabscheute sie. Sie verabscheute es, alt zu werden. Verabscheute es, zum alten Eisen gezählt zu werden. Sie hatte schon erwogen, sich die Augen »machen« oder das Gesicht »straffen« zu lassen, hatte sogar schon an Botox gedacht, aber warum eigentlich?
Eitelkeit?
Nach allem, was sie durchgestanden hatte, erschien es ihr banal.
Gut, sie war schon über achtzig. Na und? Sie wusste, dass sie nicht mehr jung war, ihre arthritischen Knie waren Beweis genug, aber sie war noch längst nicht reif für irgendeine Art von betreutem Wohnen oder eine Seniorenresidenz. Noch nicht.
Knaaarrr!
Das Geräusch einer sich öffnenden Tür?
Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
Dieses letzte Geräusch entsprang nicht ihrer Einbildung. »Cissy?«, rief sie erneut und warf einen Blick auf Coco, der auf das Geräusch hin kaum sein müdes Köpfchen hob und kein warnendes Bellen von sich gab. »Liebes, bist du das?«
Wer sonst?
Sonntag- und montagabends war sie gewöhnlich allein; ihre »Gesellschafterin«, Deborah, fuhr dann meistens zu ihrer Schwester aufs Land, das Hausmädchen ging um 17.00 Uhr, und Elsa, die Köchin, hatte zwei Tage frei. Lars machte jeden Abend um 18.00 Uhr Feierabend, es sei denn, sie benötigte seine Dienste, und normalerweise störte sie es nicht, allein zu sein. Sie genoss den Frieden und die Stille. Aber an diesem Abend .
Auf ihren Stock gestützt, ging sie in den Flur, der den Wohnbereich von ihrem Schlafzimmer trennte. »Cissy?«, rief sie die Treppe hinunter. Sie schimpfte sich einen Angsthasen. Brachte ihr fortgeschrittenes Alter etwa auch Verfolgungswahn mit sich?
Doch der Zweifel fuhr mit kaltem Finger über ihren Rücken und sagte etwas anderes, und obwohl die Heizung summte, kroch eine Kälte, eisig wie das tiefe Wasser der Bucht, bis in ihre Knochen. Sie hatte das Geländer erreicht, hielt sich an dem glatten Treppenlauf aus Rosenholz fest und spähte hinunter ins Erdgeschoss. Im abendlichen Dämmerlicht sah sie den glänzenden Fliesenboden, den Louis-XVI-Intarsientisch und die Ficus Benjamini vor den abgeschrägten Fenstern neben der Haustür.
Alles war wie immer.
Aber Cissy war nicht da.
Merkwürdig, dachte Eugenia erneut und rieb sich die Arme. Noch merkwürdiger war, dass ihr Hund sich so passiv verhielt. Coco war zwar alt und litt unter Arthrose, aber er hörte noch gut und brachte gewöhnlich genug Energie auf, um beim geringsten Geräusch zu knurren und zu bellen. Doch an diesem Abend lag er nur träge in seinem Körbchen neben Eugenias Strickbeutel, mit offenen Augen, aber leerem Blick. Beinahe, als stünde er unter Drogen .
Ach, um Himmels willen! Sie ließ sich gehen, ließ ihrer lebhaften Phantasie allzu sehr die Zügel schießen. Innerlich gab sie sich einen Ruck. Das hatte man davon, wenn man sich fünf Abende hintereinander Alfred-Hitchcock-Filme ansah.
Also, wo zum Teufel steckte Cissy?
Sie kramte in der Tasche ihres dicken Pullovers nach dem Handy. Nicht da. Das verflixte Ding war weg; wahrscheinlich hatte sie es auf dem Tisch bei dem Strickzeug liegen gelassen.
Als sie sich wieder zum Wohnzimmer umwandte, hörte sie das leise Scharren von Schritten, Ledersohlen auf Holz.
Ganz nahe.
Der Duft eines Parfüms, den sie fast vergessen hatte, wehte ihr in die Nase, und es sträubten sich ihr die Nackenhaare.
Ihr Herz blieb beinahe stehen, als sie einen Blick über die Schulter zurückwarf. Im Schatten des unbeleuchteten Flurs vor ihrem Schlafzimmer bewegte sich etwas. »Cissy?«, fragte sie wieder, doch es war kaum mehr als ein Flüstern, und ihr Puls raste vor Angst. »Bist du das, Liebes? Du, das ist nicht witzig .«
Die Worte blieben ihr im Halse stecken.
Eine Frau, halb im Dunkeln verborgen, trat plötzlich triumphierend hervor.
Eugenia erstarrte.
Die Zeit schien stillzustehen.
»Du!«, schrie sie. Panik ergriff ihren ganzen Körper, und die Frau vor ihr lächelte, ein Lächeln, so kalt und niederträchtig wie das Herz des Satans.
Eugenia wollte davonlaufen,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.