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2 DANSE MACABRE
Gedanken an Dominik schwirrten durch meine fahrigen Träume und überlagerten die Ödnis meiner Tage.
Nachts trug ich meinen Kummer wie einen Umhang. Als hätte ich mich in einen schweren Mantel gehüllt, und je fester ich mich darin einwickelte, desto näher fühlte ich mich Dominik.
Während meiner wachen Momente widmete ich mich den Angelegenheiten des Todes.
Die Beerdigung kam und ging, und meine Schwester Fran und mein alter Freund Chris blieben ein paar Tage, obwohl sie kein Paar mehr waren. Ich hatte das Gefühl nie so richtig ablegen können, dass die beiden meine Beziehung zu Dominik nicht vollkommen verstanden oder akzeptiert hatten. Daher schaffte ich es irgendwie, auch wenn es mir das Herz zerriss, die Ausrüstung für die kinky Sexspiele zu finden, die Dominik überall im Haus verborgen hatte, um sicherzugehen, dass die beiden nicht versehentlich über ein Stück Bondage-Schnur oder einen Flogger stolperten.
Viel war es nicht. Dominik hatte nie viel übriggehabt für all das Drum und Dran von kinky Sex. Handschellen und Paddle waren nicht sein Stil. Im Schlafzimmer gegeneinander zu kämpfen und uns zu ergeben, lag in unserer Natur, aber dazu hatten wir nie Gerätschaften benötigt. Er hatte ein paar Dinge gesammelt, entweder aus Neugier, aus dem Wunsch, mich zu erfreuen, aufzureizen oder zu quälen, oder auch nur, um neue Gefühle zu erkunden, vor allem, da für mich alles so neu war und ich wie ein Kind im Spielwarenladen alles ausprobieren wollte, von Kerzenwachs bis zu Elektrofolter.
Bevor meine Gäste eintrafen, hatte ich alles, was ich nur ungern neugierigen Blicken aussetzen wollte, hastig in die tiefen, verschließbaren Schubladen des niedrigen Schränkchens geräumt, das neben der Eingangstür als Ablagetisch diente, und den Schlüssel versteckt. Solange sie blieben, verhielt ich mich so, wie ich mich meiner Ansicht nach verhalten sollte. Wie sie es von mir erwarteten.
Mit dem starren Gesicht einer trauernden Witwe lag ich auf der Couch, ließ mir von ihnen Becher mit heißem Tee bringen, ließ sie an die Tür gehen, wenn es klingelte, und bei den Stadtwerken und der Autoversicherung anrufen, um alles auf meinen Namen umschreiben zu lassen.
Die Versicherung abzuändern, erwies sich als unmöglich. »Wir müssen mit dem Versicherungsnehmer persönlich sprechen«, hörte ich eine laute, leiernde Stimme am anderen Ende sagen. »Sie begreifen es nicht«, zischte Fran zurück. »Er ist tot.«
An Dominik adressierte Briefe fielen nach wie vor durch den Briefkastenschlitz und landeten genauso sanft auf dem Boden wie alle anderen, ganz gleich, wie sehr der Schock, seinen Namen gedruckt zu sehen, auf meinem Herzen lastete. Die Formalitäten des Todes nahmen anscheinend kein Ende, und von allen banalen Möglichkeiten, wie ein Mensch fortbestehen kann, waren Werbesendungen und Stromrechnungen die schlimmsten.
Anfangs trug ich das Armband mit dem winzigen Vorhängeschloss, das er beim Musikpavillon versteckte hatte, nur wenn ich allein war, wobei ich es nachts im Schlaf meist mit der Hand umklammert hielt. Ich schämte mich nicht für das, was es symbolisierte, oder dafür, mich öffentlich als Dominiks Sub erkennen zu geben. Mir erschien es nur zu persönlich und zu perfekt zum Vorzeigen, und ich wollte es nicht mit der Gewöhnlichkeit des Alltagslebens entehren.
Nachdem sich all meine Freunde, Familienangehörigen und diverse wohlmeinende Bekannte allmählich zurückgezogen hatten, stand ich von der Couch auf und stürzte mich in Aktivitäten.
Die öffentliche Summer und die private Summer. Die Gegensätzlichkeit meiner beiden Seiten kam mir so natürlich vor. Und der Unterschied ließ mich erkennen, wie schrecklich einsam ich ohne Dominik geworden war. Er war der einzige Mensch, dem ich mein Selbst vollständig offenbart hatte, mit all meinen Mängeln, seltsamen Sehnsüchten und verworrenen Gefühlen.
Zum ersten Mal seit dem Tag, an dem er gestorben war, betrat ich sein Arbeitszimmer und betrachtete den dunklen Computerbildschirm, die ungleichen Papierstöße, Nachschlagewerke und Mappen auf seinem Schreibtisch. Bemerkte das schwache rote Licht an seiner Stereoanlage; sie war die ganze Zeit an gewesen, und ich hatte vergessen, sie auszuschalten.
Sein Verleger hatte angefragt, wie weit Dominik mit seinem neuen Buch vorangekommen war. Dominik hatte es sich immer zur Regel gemacht, nicht über seine laufende Arbeit zu sprechen, und ich hatte keine Ahnung, ob der Roman über einen ersten Entwurf überhaupt hinausgekommen war.
Ich versuchte zu ergründen, welche Ausdrucke tatsächlich zu dem Projekt gehörten, über das ich nichts wusste, und zwischen beiläufigen Notizen, alten Vorlesungsentwürfen, Haushaltsrechnungen, Bankauszügen und Schmierzetteln zu unterscheiden, doch es war zwecklos.
Stattdessen bewegte ich die Maus, sah den Bildschirm erwachen und bestellte Umzugskartons von Argos, die am Nachmittag geliefert werden sollten. Dominik hätte über meine Impulsivität geschimpft, Geld für einen teuren Kurierdienst auszugeben, wenn ich genauso gut ein paar Tage auf freie Lieferung hätte warten können. Aber ich brachte es einfach nicht über mich, das Haus zu verlassen.
Der blau uniformierte Bote kam zwei Stunden später, beladen mit einem riesigen Karton, der neun weitere Kartons enthielt, dazu Klebeband und verschiedenfarbige Filzstifte. Wortlos zeichnete ich die Lieferung ab, schloss die Tür, baute die Kartons zusammen und begann, die Überreste von Dominiks Leben zu entsorgen.
Meine Erinnerungen an Dominik waren wie fest in meiner Faust verschlossene Perlen. Je mehr Zeit verging, desto schneller würden sie sich in Rauch auflösen, an den Rändern verschwimmen und davontreiben, das wusste ich. Doch in diesem Moment war ich nicht besonders sentimental, was seine Besitztümer anbelangte. Meinetwegen hätte das ganze Haus bis auf die Grundmauern niederbrennen können. All das war nichts ohne ihn.
Ich fing mit dem Einfachsten an. Die Abendschuhe, Krawatten und Manschettenknöpfe, Sachen, die er nur anzog, wenn der Anlass es erforderte, und die mir daher nicht wie ein Teil von ihm vorkamen. Ich konnte ihn mir sogar grinsend vorstellen, während die Beweise für geschäftliche Konferenzen, Networking-Events und die gelegentliche Hochzeit eines Bekannten in der anonymen Tiefe eines braunen Pappkartons verschwanden und mit Klebeband verschlossen wurden.
Meine hektische Betriebsamkeit kam jedoch zu einem abrupten Halt, nachdem ich die Schränke von belanglosen Gegenständen befreit hatte und zu denen kam, die ihm tatsächlich etwas bedeuteten oder die er tagtäglich benutzt hatte. Den Sachen, an denen immer noch sein Geruch hing. Warm, maskulin und tröstlich. Er hatte so viel Schwarz getragen. Schwarze Jeans, schwarze Hosen, schwarze Kaschmirpullover, schwarze Schals, schwarze Lederhandschuhe. Dominiks Alltagskleidung war die für eine Leiche, und daher ließ ich sie in seinem Schrank.
Ich ging zu den Dingen auf unseren Flurregalen über, plante, seine Bücher neu zu ordnen und zumindest einige davon einzulagern. Er war ein Sammler gewesen, und am Ende war die schiere Anzahl der Bände, die er angehäuft hatte, kaum noch zu bewältigen. Wir hatten sogar darüber gesprochen, einen Speicher anzubauen, um seine ständig wachsende Sammlung aufzunehmen, denn dieses Hobby würde er nie aufgeben. Es gehörte so sehr zu ihm, dass ich mich nicht überwinden konnte, ihn davon abzubringen, selbst wenn das möglich gewesen wäre (dabei hatte ich immer gewusst, dass es nicht ging).
Ich öffnete irgendeinen Band, hielt ihn ans Gesicht und atmete tief ein. Der eigentümliche Geruch alter Bücher traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Das war derselbe Geruch, der auf meine Sinne eingestürmt war, als ich zum ersten Mal in dieses Haus kam, und er erinnerte mich so sehr an Dominik, dass sein Geist, wenn ich die Augen schloss und weiter einatmete, so lebendig und plastisch neben mir auftauchen würde, als stünde er wirklich da.
Ich zog ein Buch nach dem anderen heraus und warf sie auf den Boden; triviale Thriller und Gruselromane, billige Detektivgeschichten im Taschenbuch und Nackenbeißer, oft mit vollbusigen Blondinen auf dem Umschlag und Werbesprüchen wie »Er warf nur einen Blick auf sie und schwor sich, sie zu besitzen«. Schwere, literarische Hardcoverbände mit Goldschnitt, dicke Fantasyromane, Fotobände in Hochglanz und eine ungewöhnlich große Anzahl Bücher mit antiken Karten, dünne Lyrikzeitschriften mit losen Blättern und zahllose Biografien von Schriftstellern, Entdeckern und Musikern. Eines nach dem anderen fiel mit einem dumpfen Aufschlag oder flatternd zu Boden, bis ich von Büchern umgeben war. Dann sank ich zwischen ihnen auf die Knie, krümmte mich zusammen und begann zu schluchzen.
Wer warst du, Dominik?, wollte ich schreien. Abgesehen von gelegentlichen Zeitschriften oder einem rasch erstandenen Thriller, um mir die Zeit auf Flughäfen, in Flugzeugen oder Hotelzimmern zu vertreiben, wenn ich auf Reisen war, las ich fast nie. Warum hatte er sich mit all diesen imaginären Welten umgeben? Ich wusste, dass er sie in einer bestimmten Ordnung gehalten hatte. Doch ich hatte keine Ahnung, welche das war. Plötzlich kam es mir wie das Wichtigste auf der Welt vor, wie er seine Bücher geordnet hatte. Warum hatte ich ihn nie danach gefragt?
Das waren die ersten echten Tränen, die ich seit seinem Tod vergossen hatte, und sie flossen in Strömen, bis ich keine Tränen mehr hatte. Ausgelaugt und erschöpft senkte ich den Kopf, drückte meine Wange gegen die Seiten eines Taschenbuchs und fiel in einen unruhigen...
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