Schweitzer Fachinformationen
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1 ES LIEGT NICHT AN DIR, SONDERN AN MIR
Das Eichhörnchen war schuld.
Nach einem frühen Mittagessen im West Village nahe der Greenwich Avenue schlenderten Noah und April zum Washington Square Park. Das warme Sonntagswetter hatte die Menschen ins Freie gelockt. Ein Pianist hatte sein großes, fahrbares Instrument in den Schatten des Rundbogens geschoben und improvisierte schwungvoll über ein Klavierkonzert von Rachmaninow. Hier und da klimperten Gitarrenspieler Melodien vor sich hin, die in der schwülen Luft disharmonisch aufeinanderprallten. Weiter hinten saß die Taubenfrau an ihrem üblichen Platz und strickte eifrig. Rund um den Brunnen tauchten Kinder und Erwachsene die Zehen ins Wasser, während Touristen mit ihren Smartphones fotografierten. Bei den hohen Universitätsgebäuden auf der anderen Seite des Parks war ein Straßenmarkt aufgebaut worden, an dessen Ständen leckere Speisen, handgearbeiteter Schmuck oder Geschenkartikel angeboten wurden, die Noah nicht mal seinen ärgsten Feinden geschenkt hätte. Wobei er nicht glaubte, tatsächlich echte Feinde zu haben.
April hatte vorgeschlagen, in einem vegetarischen Gourmetrestaurant an der 6th Avenue, in das sie in letzter Zeit am liebsten ging, zu Mittag zu essen. Jetzt, eine knappe Stunde später, hatte Noah schon wieder Hunger, da die doch recht faden Speisen alles andere als appetitanregend gewesen waren. Vom Markt waberte der Geruch von gegrilltem Fleisch und gebratenen Zwiebeln herüber, und ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Er bedauerte, April nicht überredet zu haben, zu Totos Sushi-Laden an der Thompson Street zu gehen.
Händchen haltend schlenderten sie gemächlich die Wege entlang und bogen hinter dem Brunnen rechts ab, um der eingezäunten Hundewiese auszuweichen. Aprils schulterlanges Haar wehte leicht in der Brise.
Sie trug ein schlichtes bedrucktes Sommerkleid, das ihr bis knapp über die Knie reichte, ihre gebräunten Beine waren schlank und sportlich, ihre Schritte federnd in den flachen rosa Schuhen mit den dünnen Sohlen.
Zwei Kinder kamen auf Rollern um die Ecke geflitzt und schlängelten sich geschickt durch die Menge. Der blonde Junge in blauen Shorts und gelbem T-Shirt war etwa sechs Jahre alt. Begleitet wurde er von einem kleinen Mädchen mit einem riesigen grünen Sturzhelm, unter dem das runde Gesicht und die dunklen Augen kaum zu sehen waren, bloß der Ausdruck äußerster Entschlossenheit, als wollte es mit ihnen zusammenstoßen, wenn sie ihm nicht aus dem Weg gingen.
Bei dem Anblick musste Noah unwillkürlich lachen. April packte seine Hand fester. Sie gingen langsamer, machten sich auf den Zusammenprall gefasst, doch nur wenige Zentimeter vor ihren Füßen wichen die beiden Kinder mit einem geschickten Schlenker aus und rasten, ohne sie weiter zu beachten, vorbei, als gehörte der Park ihnen.
»Die Kleine war niedlich«, bemerkte April.
Noah lächelte.
»Da wird ein Platz frei.« April deutete auf eine Bank, von der sich gerade ein älteres Paar erhob. Ein Baum mit tief hängenden Ästen spendete Schatten.
»Komm, setzen wir uns.«
Sie hatten für den Nachmittag nichts vor. Noah überlegte, ob sie sich vielleicht später, gegen Abend, den neuen Michael-Mann-Film im Multiplex am Union Square anschauen sollten, aber bis dahin stand nichts auf dem Plan. Er wollte nur ein bisschen abhängen, sich eine Verschnaufpause gönnen vor all den Terminen, die er für den folgenden Tag im Büro angesetzt hatte. Außerdem wusste er, dass die nächsten achtundvierzig Stunden für April hektisch werden würden, da die Monatszeitschrift, bei der sie als Produktionsassistentin arbeitete, in Druck musste. Die meisten Sonntage ihrer Wochenenden verbrachten sie auf diese entspannte Weise.
Noah schwieg, während sie auf der Bank saßen. April unterbrach seine Träumereien nicht. Sie nahm einen Schluck aus ihrer Wasserflasche und bot sie ihm an. Er lehnte ab.
Für gewöhnlich war sie zufrieden damit, schweigend neben ihm zu sitzen, aber heute wirkte sie ungewöhnlich rastlos. Selbst nach beinahe zwei gemeinsamen Jahren beschwerte sie sich oft, sie könne ihn nicht richtig einschätzen, seine wechselnden Stimmungen nicht genauer deuten.
Schließlich brach sie das Schweigen.
»Beunruhigt dich etwas? Du wirkst so . abwesend.«
»Überhaupt nicht. Ich träume nur so vor mich hin.«
Ihn beschäftigte etwas, aber er konnte den Finger nicht darauflegen, es nicht näher benennen. Es entzog sich ihm, irritierte ihn.
Er blickte zu April, warf ihr einen Luftkuss zu. Ihr Haar glänzte golden, als die Sonne sich zwischen den Ästen hindurchstahl, in deren Schatten es größtenteils lag. Ihre bloßen Schultern hatten denselben warmen Farbton, noch immer gebräunt von ihrem gemeinsamen Sommerurlaub in Cancun.
Sie war einfach schön. Das fand er nach wie vor. Sein Goldmädchen.
»Ich liebe dich«, sagte April.
»Ich dich auch«, erwiderte er.
Das hatte er ganz automatisch gesagt, nicht zum ersten Mal, wie er wusste. Als wäre es keine Lüge, wenn er nicht entsprechend antwortete.
Andere Paare kamen vorbei, alte und junge, in Begleitung von Hunden oder Kindern, viele Hand in Hand, die Gesichter nichtssagend, ihre Körpersprache ein Rätsel für ihn.
Noah fühlte eine Enge in der Brust.
April legte die Hand auf sein rechtes Knie und drückte es.
Noah sah, wie ihre schlanken Finger den Stoff seiner Jeans packten.
»Oh .«
Sie ließ sein Knie los.
Ihr Blick war nicht mehr auf ihn gerichtet, sondern auf den Baum hinter der Bank gegenüber, auf der anderen Seite des Weges. April hielt die Luft an.
Er folgte ihrem Blick. Da gab es nichts Ungewöhnliches zu sehen.
Aprils Augen weiteten sich. »Wow .«
Schließlich entdeckte Noah, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Ein graues Eichhörnchen mit buschigem Schwanz lugte durch die Wegeinfassung, huschte vom Baum über das spärliche Gras, langsam, aber in gerader Linie wie ein Aufziehspielzeug. Seine dunklen Knopfaugen waren auf April gerichtet.
Zögernd streckte sie die Hand aus und versuchte es anzulocken.
Als das kühne Eichhörnchen ihre Einladung wahrnahm, wagte es sich durch die breiten Bögen der Einfassung und blieb auf dem belebten Weg hocken, ohne auf die Fußgänger zu achten oder zu fürchten, getreten oder überrannt zu werden. Dann näherte es sich vorsichtig der Bank, auf der April und Noah saßen.
»Es kommt auf mich zu«, flüsterte April.
»Das liegt an deinem einladenden Lächeln. Ist bestimmt ein männliches Eichhörnchen . Oder es meint, du hättest was zu fressen .«
Das kleine Tier schaffte es schließlich über den Weg und sah hoch, den Blick auf April gerichtet, deren glückliches Lächeln immer breiter wurde. Was erwartete es? Dass sie es streichelte, es fütterte?
April wühlte in ihrer kleinen Handtasche, suchte nach etwas, das sie dem Eichhörnchen anbieten konnte, aber da war nichts.
Sie schaute zu Noah in der Hoffnung, er könnte ihr helfen.
Er schüttelte den Kopf.
Das kleine Tier blickte sie an wie ein Bittsteller.
Behutsam streckte April die Hand in seine Richtung aus. Ihre Handfläche war nur noch ein kleines Stück vom Kopf des Eichhörnchens entfernt, als die beiden rasenden Rollerfahrer zurückkamen und das Tier wieder über den Weg in die Sicherheit des Rasens huschte, um nicht überfahren zu werden.
April richtete sich auf.
Noah spürte ihre Enttäuschung.
Sie schwiegen.
Hatte sie erwartet, das Eichhörnchen würde ihr die Hand lecken, sie küssen?
Ein dünnes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, während sie über das Geschehene nachdachte. Sie wirkte in sich gekehrt, fast verloren.
Endlich erkannte Noah ihre Stimmung. Es war nicht das erste Mal in den letzten Monaten, dass er sie so erlebte. Sie wurde grüblerisch, nicht unbedingt abwesend, eher rastlos, als fehlte etwas in ihrem Leben, in ihrer Beziehung.
Obwohl er das vor ihr nie offen zugeben würde, wusste er, dass sie recht hatte. Und seine Gefühle waren ganz ähnlich, auch wenn sie sich anders ausdrückten.
Sie wollte mehr.
Er wollte mehr - oder zumindest etwas anderes. Doch während April sich zweifellos im Grunde ihres Herzens klar darüber war, was sie suchte, war Noah es nicht, abgesehen von der Tatsache, dass ihrer beider Weg unmerklich auseinanderlief.
Eine Familie, alle eifrig an Eis in den unterschiedlichsten Pastelltönen leckend, kam mit zwei angeleinten, schwanzwedelnden Hunden vorbei.
»Willst du eins?«, fragte Noah.
»Was?«
»Ein Eis?«
April antwortete nicht.
»Hast du diese Woche irgendwelche Gigs?«, fragte sie stattdessen.
»Zwei. Nevsky Prospekt spielt im Bowery Ballroom, und die Holy Criminals haben einen unangekündigten Auftritt als Vorband in der Knitting Factory.«
Viggo Franck, jahrelanger Leadsänger der Criminals, hatte sich angeblich zurückgezogen oder eine Solokarriere gestartet, wobei er in letzterem Fall vertraglich nicht an Noahs Musikfirma gebunden war, sollte er etwas Neues herausbringen. Die Band hatte einen neuen Sänger gefunden und wollte fern von der Aufmerksamkeit der Presse und der Fans ausprobieren, ob er zu ihnen passte.
»Cool«, sagte April. »Kann ich mitkommen?«
»Kein Problem.«
Die Sache mit dem Eichhörnchen und den rollerfahrenden Kindern hatte mütterliche Gefühle in ihr geweckt, da war er sich sicher. Wieder mal.
Nach dem Ausflug in den Washington Square Park hatte April den Wunsch...
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