II. Motivated Reasoning:
Mit Wunschdenken beeinflussen
Die Menschen glauben fest an das, was sie sich wünschen.
Julius Caesar
Der satanische Verhandlungskünstler manipuliert uns nicht nur mit klug gesetzter Vorinformation, sondern mit unseren eigenen Wünschen und Träumen. Das Gute für ihn: Alle Menschen haben Wünsche und Träume. Er muss sie nur in einem Vorgespräch erfahren und anzapfen - und schon läuft die Verhandlung ganz in seinem Sinn. Dabei nutzt er eine kognitive Verzerrung, die in der Forschung als motivated reasoning bezeichnet wird.20 Dieser Begriff beschreibt die Tatsache, dass Menschen durch eine vorhandene Motivation ihr Denken in eine bestimmte Richtung lenken, damit sie das von ihnen gewünschte Endergebnis bekommen. Oder umgekehrt formuliert: Menschen wollen keine Argumente suchen, die zu Schlussfolgerungen führen, die sie nicht akzeptieren möchten.
Diese kognitive Verzerrung ist verwandt mit dem sogenannten Bestätigungsfehler (confirmation bias), bei dem wir bevorzugt jene Informationen konsumieren, die unsere Sichtweise bestätigen. Es ist ein alltägliches Phänomen: Konservative Wähler lesen bevorzugt konservative Zeitungen. Liberale Wähler lesen bevorzugt liberale Zeitungen. Und so wird die eigene Sichtweise immer weiter bestätigt. Alternative Sichtweisen möchte der Mensch in der Regel ausblenden, weil sie das eigene Meinungssystem stören.
Das motivated reasoning kann man als die nächste Stufe des Bestätigungsfehlers betrachten, weil es nicht bloß um die Suche nach Informationen und deren Interpretation geht, sondern um das eigenständige Konstruieren von Argumentationsketten, bei denen aber das (gewünschte) Ergebnis von vornherein feststeht. Wir selbst konstruieren Gründe für eine These, deren Wahrheit wir unbedingt bestätigen wollen - auch wenn es Gegenargumente gibt. Diese blenden wir aus, weil wir ja nur eine bestimmte Schlussfolgerung tolerieren wollen. Wie lässt sich nun diese kognitive Verzerrung in einer Verhandlung gegen uns einsetzen?
Die beiden Manipulationsschritte beim »motivated reasoning«
Der satanische Verhandlungskünstler wird im ersten Schritt unsere Motivation auf einen für ihn günstigen Wunschzustand lenken und uns weismachen, dass es unser eigener Wunschzustand ist. Im zweiten Schritt wird er uns beim Bauen der Argumentationsketten für diesen Wunschzustand helfen. Denn ein ganz wichtiges Prinzip ist jedem fiesen Verhandler klar: Menschen können sich nicht gegen Argumente wehren, die von ihnen selbst stammen!
Fall 7a: Der Online-Marketer und seine Vision für einen Kunden
Melanie möchte als Yoga-Lehrerin erfolgreicher sein. Sie gibt aktuell Yoga-Stunden an der Volkshochschule, doch der Stundensatz dort ist ihr zu gering. Sie möchte versuchen, mithilfe von Facebook-Werbung eigene Teilnehmer für ihre Kurse zu finden, und eine höhere Kursgebühr verlangen. Auf der Suche im Internet stößt sie auf den Online-Marketer Olaf, der sie wie folgt motiviert: »Melanie, ich sehe bei dir sehr viel Potenzial. Mit kluger Facebook-Werbung wirst du mit meiner Hilfe zum Leuchtturm der Yoga-Branche. Du wirst die Yoga-Lehrerin Nummer eins in Deutschland. Du siehst gut aus, hast bereits zufriedene Teilnehmer - jetzt können wir dich, mit etwas Werbebudget, deutschlandweit bekannt machen. Schon nach ein paar Wochen kannst du dich vor Anfragen gar nicht mehr retten! Was denkst du, wie sollen wir dich am besten präsentieren? Mit Fotos und Videos?«
Ist das nicht ein traumhafter Wunschzustand? Wie kann Melanie da widerstehen? Die Nummer eins in Deutschland? Das ist eine so attraktive Vision, dass kein Selbstständiger sich davor schützen kann. Denn wer will nicht der Leuchtturm seiner Branche sein? Was bei diesem Beispiel besonders deutlich auffällt ist, wie Olaf durch treffende Begriffswahl Melanie diesen Wunschzustand verkauft. Die schöne Metapher des Leuchtturms, der paradiesische Zustand der zahllosen Kundenanfragen - da wird fast jeder schwach.
Wichtig ist auch Olafs letzte Frage: Hier soll Melanie selbst ins Nachdenken kommen und sich Argumente überlegen, die für Fotos oder Videos sprechen. Sie wird sich die Werbung nun bildlich vorstellen. Der kognitive Prozess wurde also von Olaf durch eine emotionale Vision auf ein bestimmtes Ergebnis hin ausgelöst. Und wenn er seine diabolische Arbeit gut macht, dann wird er Melanies Argumenten vorbehaltlos zustimmen. Er wird sie für ihre Ideen loben und ihre Argumentation gutheißen.
Dass nicht mal er mit all seiner Erfahrung vorhersagen kann, ob die Facebook-Werbung profitabel sein wird und Melanie gut zahlende Kunden findet, wird er geflissentlich verschweigen. Seine Arbeit ist hiermit getan. Melanie ist begeistert von »ihren« Ideen und »ihrer« Zukunftsvision.
Neueste Forschungsansätze21 sprechen dafür, dass dieses motivierte Denken sich im Gehirn in anderen Regionen abspielt und qualitativ anders ist als unemotionales, rein analytisches Denken. Und tatsächlich ist es ja eine ganz andere Art des Räsonierens, wenn ein Mensch, emotional durch ein Wunschziel angestachelt, seine Argumentation mit aller Kraft in eine bestimmte Richtung biegt und alles, was dagegenspricht, ausblendet. Motivated reasoning verblendet uns Menschen manchmal so stark, dass wir gemäß einer Studie22 Gegenargumente nicht nur ausblenden, sondern diese dazu führen, dass wir unseren eigenen Argumenten noch mehr Glauben schenken. Es ist eine Art Abwehrmechanismus, bei dem wir uns mit aller Kraft an unsere eigenen Begründungen klammern. Trotz gegenteiliger Information. Erst dann, wenn die gegenteilige Information überwältigend wird, geben wir unsere eigenen geliebten Argumente auf. Doch unser satanischer Verhandlungskünstler wird schon dafür sorgen, dass gegenteilige Begründungen für uns erst gar nicht sichtbar werden.
Wie wehrst du dich gegen das »motivated reasoning«?
So wie die Bienen vom Nektar, so wird auch unser Gehirn von unserem Wunschzustand angezogen. Wenn wir schon mal einen Wunschzustand definiert (bekommen) haben, können wir uns kaum dagegen wehren. Das Gegengift? Es ist ausgerechnet ein alter Grundsatz des römischen Rechts, der uns aus der Patsche hilft. Er lautet: Auditur et altera pars - Man höre auch die andere Seite.
Bevor ein Richter in der Antike zu seinem Urteil kommen durfte, musste er in einem Rechtsstreit unbedingt auch die gegnerische Seite anhören. Davor durfte er kein verbindliches Urteil fällen. Dahinter stand natürlich der Gedanke: Möglicherweise hat die andere Seite recht. Wenn du zufällig auch Rechtswissenschaften studiert hast, dann hast du Glück: Denn gerade Juristen werden im Studium darin geschult, Argumente und Gegenargumente gegeneinander abzuwägen. Doch was Juristen können, kannst du natürlich auch! So wie das Zähneputzen, so sollten auch das Suchen und Finden von Gegenargumenten für dich zur täglichen Routine werden.
Unsere Yoga-Lehrerin aus dem letzten Verhandlungsbeispiel sollte sich daher die Gegenargumente zu den Ausführungen des Online-Marketers überlegen. Sie könnte ihm folgende kritische Fragen stellen: »Wie kommt er darauf, dass ich >viel Potenzial< habe?«, »Ist es wirklich möglich, mit meinen Voraussetzungen zum Leuchtturm der Yoga-Branche zu werden?«, »Habe ich das Zeug zur Nummer eins in Deutschland?«, »Kann man >mit etwas Werbebudget< wirklich deutschlandweit bekannt werden?« All das sind unangenehme Fragen. Doch wenn wir uns auf das Wunschdenken fokussieren und die Gegenargumente ausschalten, dann können wir gegen das motivated reasoning einfach nichts unternehmen. Daher: Frage dich immer, was gegen das Eintreten deines Wunschzustandes spricht. Auch wenn es unangenehm ist.
Wenn nichts geht, nimm einen Bumerang!
Bleiben wir noch einen Moment bei unserem Beispiel mit Yoga-Lehrerin Melanie. Angenommen, unser Online-Marketer hat es geschafft, sie von der Nützlichkeit der Facebook-Werbung zu überzeugen. Sie entschließt sich also, 1000 Euro monatlich von ihrem hart ersparten Geld in Online-Werbung zu investieren. Nach einem Monat ist nichts passiert. Auch nach dem zweiten Monat gibt es einfach keine gut zahlenden Yoga-Schüler für sie. Heißt das jetzt, dass sie den Vertrag kündigen wird? Die Vernunft würde es gebieten. Wäre da nicht der sogenannte backfire effect (Bumerang-Effekt)! Der satanische Verhandlungskünstler wird auch diese Situation geschickt für sich ausnutzen können. Was wird er sagen, damit Melanie weiterhin fleißig in Online-Werbung investiert? Kann er es vielleicht sogar schaffen, dass Melanie trotz des ausbleibenden Erfolgs sogar noch mehr Geld in die Hand nimmt? Er kann!
Fall 7b: Der Online-Marketer und sein diabolischer Pitch
Melanie beschwert sich, dass sich nach 2000 in Facebook-Werbung investierten Euro immer noch kein einziger Kunde gemeldet hat. Daraufhin führt unser Online-Marketer Folgendes aus: »Melanie, es ist ganz einfach. Wir stehen kurz vor dem Durchbruch, die Zahlen sind in Wirklichkeit sehr gut. Damit wir ganz sicher erfolgreich sein können, musst du einfach das Werbebudget erhöhen. Mehr Sichtbarkeit bedeutet mehr Chancen, dass sich jemand meldet. Und da sind 1000 Euro im Monat einfach zu wenig. Dass es noch nicht klappt, ist ein objektiver Beweis dafür, dass wir bisher nicht genug Geld in die Hand genommen haben. Wenn du Erfolg sehen willst, und das schnell, musst du...