Schweitzer Fachinformationen
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Die Arbeit untersucht die Debatte um genderbewusste Sprache aus diskursanalytischer Perspektive, mit Fokus auf antifeministische Muster. Analysiert wurden Beiträge aus Vereinszeitschriften dreier Sprachpflegevereine aus Deutschland, Österreich und der Schweiz von 1990 bis 2020. Die qualitative diskurslinguistische Mehrebenenanalyse umfasst die strukturorientierte Untersuchung des Diskursverlaufs, bei der zentrale diskursive Ereignisse und Schlagwörter identifiziert werden. Diese Begriffe dienen nicht nur der Benennung, sondern bewerten genderbewusste Sprache und verknüpfen den Gegenstand mit anderen antifeministischen Debatten. Auf der Ebene von konzeptuellen Metaphern wird genderbewusste Sprache häufig als Abweichung vom "Normalen" dargestellt. Kontextspezifische Topoi thematisieren Verständlichkeit, Lesbarkeit oder inszenieren genderbewusste Sprache als Einschränkung der Freiheit. Insgesamt zeigt sich eine dualistische Diskursstruktur, mit der genderbewusste Sprache als Gefahr für die Sprache und Geschlechterverhältnisse dargestellt wird. Zentral ist die Konstruktion der "totalitären Feministin" als Feindbild, das alle Kritik bündelt und symbolisiert.
Christine Ivanov, Leibniz Universität Hannover, Deutschland/Université de Genève, Schweiz.
Glaube nicht, es muss so sein, weil es so ist und immer so war.
Unmöglichkeiten sind Ausflüchte steriler Gehirne. Schaffe Möglichkeiten.
(Hedwig Dohm)
Die Ungleichheit der Geschlechter in unserer Gesellschaft,
die nach wie vor ungebrochene Dominanz des Männlichen,
lässt sich wohl an nichts deutlicher zeigen als an der Sprache.
Nirgends begegnen wir einem so hartnäckigen Widerstand gegen jede Bewusstmachung
wie gerade bei der Sprache - und zwar Widerstand von Männern wie von Frauen.
(Elfriede Huber-Abrahamowicz in der NZZ am 05. Oktober 1991)
Kaum ein sprachliches Thema wurde und wird im Deutschen so kontrovers und emotional in der Öffentlichkeit diskutiert wie genderbewusste Sprache.1 Es vergeht kein Tag, an dem nicht ein Beitrag zum Gendern2 in der Zeitung, im Fernsehen, im Radio oder in den sozialen Medien erscheint und wiederum neue Kommentare und Debatten entfacht.3 In den vergangenen Jahren hat die öffentliche und politische Auseinandersetzung dabei an Intensität, aber auch an Drastik zugenommen.4 Neben dem Versuch einer sachlichen metasprachlichen Auseinandersetzung mit den Zielen und Möglichkeiten geschlechtergerechter Kommunikation werden mit Bezeichnungen wie Genderideologie oder Genderwahn antifeministische "Kampfbegriffe" (Mayer, Ajanovic & Sauer 2018: 37) rezipiert. So wird die Debatte diskursiv an die seit Mitte der 2000er-Jahre zugenommenen öffentlichen Angriffe auf die Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitiken angeschlossen (vgl. Henninger & Birsl 2020; Näser-Lather, Oldemeier & Beck 2019; Roßhart 2007) und die wissenschaftliche, politische sowie alltagspraktische Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Sprache, Sprechen und Geschlecht delegitimiert und diskreditiert. Genderbewusste Sprache stellt damit, so meine These, einen Kristallisationspunkt von gegenwärtigem Antifeminismus dar oder anders formuliert, in der Debatte um genderbewusste Sprache artikuliert sich Antifeminismus.5
Wie im Eingangszitat der österreichisch-schweizerischen Schriftstellerin Elfriede Huber-Abrahamowicz aus dem Jahr 1991 deutlich wird, handelt es sich jedoch keineswegs um eine neue Debatte, denn bereits seit über 50 Jahren beschäftigen sich (feministische) (Sprach-)Wissenschaftler?innen und Aktivist?innen mit der Notwendigkeit und den Möglichkeiten einer gerechten und respektvollen Ansprache der Geschlechter. Zunächst ging es in der Diskussion um die sprachliche Gleichstellung von Frauen. Hierzu wurden verschiedene sprachliche Mittel vorgeschlagen, mit denen Frauen sprachlich 'sichtbar' gemacht werden und die Sprache im Sinne einer aufklärerischen Sprachkritik geschlechtergerechter gestaltet werden sollte (vgl. Schoenthal 1989). Mit der Rezeption konstruktivistischer Theorien zu Geschlecht rückte zunehmend die soziale Konstruktion desselben und die Vielfalt der geschlechtlichen Identitäten in den Vordergrund. Im Deutschen existieren für die sprachliche Bezeichnung von Menschen jenseits der Binarität von Frau und Mann bzw. weiblich-männlich keine konventionalisierten Mittel. Die Vorschläge, die hierzu seit den 2000er-Jahren gemacht wurden, wie der sogenannte Genderstern (Asterisk), weisen über das Sprachsystem hinaus und irritieren naturalisierte Vorstellungen sowohl von Sprache als auch von Geschlecht. Sie sind ungewohnt und rufen kontroverse und abwehrende Diskussionen hervor (vgl. Kap. 2 zur Entwicklung der feministischen Linguistik).
Gleichwohl haben die Bemühungen der feministischen Linguistik, Sprachkritik und -politik, die die deutsche Sprache als androzentristisch kritisierten (vgl. Pusch 1984) seit den 1970er-Jahren nachhaltige Folgen hinterlassen und gendergerechte Sprache ist aus vielen Bereichen nicht mehr wegzudenken. Bereits in den 1980er-Jahren wurden Leitfäden in Institutionen für eine entsprechende sprachliche Praxis erstellt und umgesetzt (vgl. Christen 2004; Elmiger 2021; Elmiger 2022b; Elmiger 2024; Ivanov & Lieboldt 2023; Siegenthaler 2021; Siegenthaler 2023). Selbstverständlich werden in Ansprachen Frauen und Männer geschlechtsspezifisch adressiert (vgl. Müller-Spitzer, Rüdiger & Wolfer 2022), Arbeitsstellen entsprechend der Antidiskriminierungsgesetzgebung geschlechtergerecht ausgeschrieben (vgl. Hentschel & Horvath 2015; Spitzer, Tschürtz & Burel 2018), in Schulbüchern Geschlechterstereotype reflektiert (vgl. Moser 2013; Ott 2017; Pöschko & Prieler 2018), Schriften von Hochschulen sowie wissenschaftliche Texte (vgl. Acke 2019; Ivanov et al. 2019; Ivanov & Lange 2024) wie auch Nachrichten- und Radiobeiträge gegendert (vgl. Blake & Klimmt 2010; Jöckel, Dogruel & Bachofer 2021; Klimmt, Pompetzki & Blake 2008) usw. Im Jahr 2017 hat der Duden, wahrgenommen und angerufen als Autorität und vermeintlich normgebende Instanz in sprachlichen Fragen, sich mit der Veröffentlichung des Ratgebers Richtig gendern (vgl. Diewald & Steinhauer 2017) aktiv in die Debatte eingebracht. Für die sprachwissenschaftliche Forschung zu Sprache und Geschlecht registriert Susanne Günthner 2019 ein Revival, u.?a. ausgelöst durch die öffentliche und institutionelle Auseinandersetzung mit geschlechtergerechter Sprache und rechtlichen Veränderungen (vgl. zu genderbewusster Sprache und Recht Bauer 2020).6 Insbesondere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland zur sogenannten Dritten Option, d.?h. der rechtlichen Anerkennung der Vielfalt von Geschlecht und der entsprechenden Gesetzgebung zur Möglichkeit eines dritten positiven Geschlechtseintrags (vgl. Bundesregierung 2018)7, hat dem Thema neue politische und öffentliche Aufmerksamkeit beschert. Die bis 2018 bestehende "gesetzliche Verankerung der Zweigeschlechtlichkeit" (Spieß 2012b: 68-69), die sich im sprachlichen System, in Subjektivationen/Subjektivierungen wie dem Eintrag ins Geburtenregister, der Namensgebung, in sozialen Praktiken der Kleiderordnung, aber auch in Objektivationen/Vergegenständlichungen wie architektonischen Bauweisen und z.?B. Toiletten oder Produkten für Frauen und Männer niederschlägt, wurde (rechtlich) aufgebrochen.8 Die Veränderungen haben weitreichende Konsequenzen und gehen mit neuen Bezeichnungsnotwendigkeiten einher. Genderbewusste Sprache stellt aktuell aber nicht nur in Deutschland ein zentrales mediales und politisches Konfliktfeld dar, sondern wird in allen deutschsprachigen Ländern in unterschiedlichem Ausmaß diskutiert, was sich u.?a. an der Notwendigkeit zeigt, dass sich der Rat für deutsche Rechtschreibung als transnationales Gremium, welches den Schreibgebrauch im deutschen Sprachraum beobachtet und das amtliche Regelwerk verantwortet, seit 2018 kontinuierlich mit Fragen geschlechtergerechter Schreibung auseinandersetzt.9
Die Bemühungen um eine nichtsexistische oder genderbewusste Sprache wurden dabei von Beginn an von Kontroversen sowohl in der germanistischen Linguistik (vgl. Kalverkämper 1979a; Kalverkämper 1979b; Pusch 1979) als auch in der medialen, politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit begleitet und haben teils sehr emotionale Reaktionen evoziert, denn genderbewusste Sprache stellt Ordnungen infrage - sowohl der Sprache als auch der Geschlechter. Mit feministischer (vgl. für einen Überblick Schoenthal 1998) und später queer-feministischer Sprachkritik und -politik (vgl. u.?a. Ängsal 2018; Ängsal 2020; Motschenbacher 2012; Hornscheidt 2006b) stellen Akteur?innen, die bislang wenig Zugang zur öffentlichen Kontrolle von Sprache hatten, Forderungen für Selbstbezeichnungen, gleichberechtigte Repräsentation und eine emanzipatorische sprachliche Praxis auf und hinterfragen damit traditionelle und als 'natürlich' angenommene Verhältnisse der Geschlechter und ihrer Repräsentation, was aufseiten der dominanten Gruppe(n) notwendigerweise Widerstände erzeugt (vgl. Hellinger & Schräpel 1983: 42; Müller-Spitzer 2022: 34-37). Denn feministische Sprachkritik zielte über Sprachveränderungen auf Bewusstseinsveränderungen im Sinne veränderter mentaler Repräsentation und letztlich auf gesellschaftliche Veränderungen zu Geschlechtergerechtigkeit: "Sprachkritik und Gesellschaftskritik sind diesbezüglich aufs Engste miteinander verbunden" (Ängsal 2020: 66). Mitte der 1980er-Jahre geht Marlies Hellinger davon aus, dass weiterhin mit Widerständen gegen die Bemühungen um geschlechtergerechte Sprache gerechnet werden muss, und betrachtet neben der konsequenten Anwendung von nichtsexistischen sprachlichen Alternativen die Auseinandersetzung mit den Strategien und Argumentationen als notwendig, um auf diese konstruktiv reagieren zu können (vgl. Hellinger 1985: 260).10 Hildegard Gorny konstatiert zehn Jahre später, dass die Abwehr gegen eine nicht-sexistische Sprache weniger eine Abwehr gegen sprachliche Veränderung sei, sondern vielmehr eine gegen die damit verbundene Motivation,...
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