Schweitzer Fachinformationen
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Samstag, 25. September 2021, 10.30 Uhr
»Wenn uns endlich der junge Herr in der Dreisternezelle die Freude machen würde aufzuwachen, sich sein Rechtsbeistand her bequemte, und dann auch noch beide die Güte hätten, uns zu empfangen, dann bringen wir's hinter uns.«
»Sehr wohl, Herr von und zu Zorn«, flötete Bertling, die Achill bisher selten so missgelaunt erlebt hatte.
»Ist ja auch kein Wunder, erst schlägt man sich die Nacht wegen diesem besoffenen Wichtigtuer um die Ohren, und nun macht der Kerl noch Sperenzchen. Seit vorgestern sind meine Frau und Hannah endlich aus Nanjing zurück, und wir wollten heute mal alle drei ausgiebig brunchen, und nun das hier.«
Bertling nickte mitfühlend. Sie wusste, was es Achill bedeutete, nun endlich seine Familie wieder komplett zu haben. Obwohl er selten darüber sprach, hatte er anfänglich die einjährige Trennung durch die befristete Versetzung, oder wie es in Businessdeutsch hieß »Delegation«, nach China unterschätzt.
»Und nun, am Tag eins nach ihrer Rückkehr, sitze ich hier, statt zu Hause bei ihnen zu sein. Und ein verwöhnter Adelssprössling und Jurastudent, der sich zügellos besoffen hat und dabei einem unschuldigen Jungen, der ihn nur warnen wollte, die Halsschlagader aufgeschlitzt hat, und sein Anwalt lassen uns hier seit drei Stunden warten.«
Bertling lachte. »Das nenn ich auf den Punkt gebracht, aber vielleicht auch etwas voreingenommen. Ich würde das vor seinem Anwalt nicht wiederholen. Er ist eigens aus Heidelberg angereist. Professor Doktor Hasso von Lychow gibt sich höchstselbst die Ehre.«
»Auch das noch. Gegen den ist jeder Aal so griffig wie ein Winterreifen. Und ein Großkotz und Wichtigtuer ist er obendrein.«
»Selbst schuld. Du hattest es in der Hand. Ich hatte dir angeboten, das heute Morgen alleine zu machen. Bernd Scherer wollte mich sogar dabei unterstützen. Er hat ja gestern schon ordentliche Vorarbeit geleistet.«
»Ja, ich weiß das sehr wohl zu schätzen. Und dass ihr gute Polizisten seid, ist mir auch bewusst. Aber Bernd meint, dass Kriminaldauerdienst bedeutet, dass er dauernd im Dienst ist. Er hat sich nach der Schicht gestern auch etwas Schlaf verdient«, erwiderte Achill versöhnlich.
Insgeheim musste er sich eingestehen, dass Bertling recht hatte. Sie war nach dem Studium zu ihm ins Team gekommen und hatte sich hervorragend entwickelt. Trotzdem konnte er es sich nicht abgewöhnen, wichtige oder unangenehme Befragungen lieber selbst zu übernehmen. Dabei wusste er nicht einmal, ob er sie nur entlasten wollte oder ob er immer noch glaubte, es besser zu können.
Bertlings Smartphone vibrierte. Sie öffnete die Messenger-App und las. »Oh, es gibt gute Nachrichten. Die beiden sitzen schon im Befragungszimmer. Im Raum daneben heult sich noch die kleine Freundin des Opfers die Augen aus dem Kopf. Die Psychologin ist bei ihr. Die Arme.«
Achill beobachtete, wie sich über Bertlings Blick ein Schleier legte.
»Das geht dir sehr nahe, stimmt's?« Er strich ihr mitfühlend über den Oberarm. Sie nickte nur und kämpfte mit den Tränen.
Wenige Minuten später betraten sie gemeinsam den erst kürzlich modernisierten Befragungsraum, der vor Technik nur so strotzte. Die Schallschutzpanels an der Decke, die von dort herunterhängenden Mikrofone und die frontal vor und seitlich vor dem Befragungstisch angebrachten fischäugigen Videokameras ließen ihn eher wie ein kleines Studio erscheinen. Die Zeiten, in denen sich hinter verspiegelten Glasscheiben der Staatsanwalt und die Kollegen drängten, waren wohl wenigstens hier endgültig vorbei.
Achill schätzte ganz besonders den verdeckt von einer blendfreien Scheibe unterhalb der Tischplatte montierten PC, auf dem der befragende Beamte Hinweise und Informationen aus dem Nebenzimmer erhalten konnte. Doch heute verzichtete er darauf, schließlich war der Fall nicht sonderlich komplex, und er wollte lieber Bertling die Chance geben, direkt hier an seiner Seite der Befragung beizuwohnen.
Rechtsanwalt Professor Doktor Hasso von Lychow und sein Mandant, Felix von Leinhardt, hatten schon am Befragungstisch Platz genommen und warteten.
Von Lychow war ein feister, kahlköpfiger Endfünfziger, dessen linke Wange eine lange Narbe, wahrscheinlich von einer Mensur aus Verbindungszeiten, zierte.
Er thronte selbstgefällig hinter dem Tisch, der in Anbetracht seiner Leibesfülle wie die Einrichtung eines Kinderzimmers wirkte. Im Gegensatz zu seiner ausladenden vitalen Erscheinung war von Leinhardt mager und sichtlich angeschlagen. Seine Gesichtsfarbe war gelblichweiß, was wohl auf den noch nicht ganz ausgestandenen Kater zurückzuführen war.
Der frische schwarze Rollkragenpullover und die gleichfarbige Stoffhose, mit denen ihn wohl sein Rechtsbeistand versorgt hatte, verstärkten noch den erbärmlichen Eindruck.
Achill hatte sich fest vorgenommen, von Lychow, den er bereits von anderen Fällen kannte, keinen Raum für eine zeitraubende Selbstdarstellung zu bieten. Er wollte daher nach einer knappen Begrüßung gleich zur Sache kommen und mit der Belehrung des Verdächtigten beginnen.
Doch von Lychow kam ihm zuvor. »Welche Ehre, der Leiter der Mordkommission höchstselbst. Ich hoffe doch, wir haben diesen Umstand nur einer temporären Personalknappheit zu verdanken. Kann doch in diesem Falle ein Tötungsdelikt sozusagen ab initio, also von Anfang an, kategorisch ausgeschlossen werden.«
Achill reagierte nicht auf von Lychows Einwurf. Er schob stattdessen das Mikro in die Tischmitte und begann in einem fast unbeteiligten Säuselton.
»Polizeipräsidium Rheinpfalz in Ludwigshafen, Samstag, 25. September 2021, 11 Uhr. Befragung von Felix von Leinhardt, geboren am 17.1.1998 in Neustadt an der Weinstraße, in Begleitung seines Rechtsbeistandes Doktor Hasso von Lychow.«
»Professor! So viel Zeit muss sein«, korrigierte von Lychow.
Achill fuhr ohne Pause fort: »Polizeiseitig sind anwesend: Kriminalhauptkommissar Frank Achill und Kriminaloberkommissarin Verena Bertling.«
Von Lychow griff in die Innentasche seines Jacketts und zog ein Smartphone hervor. »Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mitschneide?«, merkte er an und war im Begriff, die Aufnahme-App zu starten.
»Doch das habe ich, ich bitte Sie ausdrücklich, das zu unterlassen!«, fuhr Achill streng dazwischen. »Sie haben jederzeit das Recht auf Einsichtnahme in die Ermittlungsakten, deren Bestandteil auch unsere Video- und Tonaufzeichnungen sind.« Dabei wies er mit der Hand auf die gegenüber von Lychow an der Wand montierte Kamera sowie das Deckenmikrofon, das über seinem Kopf hing.
»Wenn Sie erlauben, würde ich nun mit der Aufklärung Ihres Mandanten fortfahren.«
Er wandte sich nun dem jungen Mann zu. »Ihnen wird vorgeworfen, in der heutigen Nacht gegen 1.50 Uhr auf dem Vorplatz des Saalbaus in Neustadt unter Alkoholeinfluss mit einer Hieb- und Stichwaffe eine Weinflasche geöffnet zu haben. Dabei haben Sie in fahrlässiger Weise den dort anwesenden Thorsten Keller, wohnhaft in Neustadt-Hambach, tödlich verletzt.«
Achill machte eine kurze Pause und fuhr dann fort. »Sie dürfen die Aussage verweigern. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Von dem Sie durch den heute anwesenden Rechtsanwalt Professor Doktor von Lychow Gebrauch machen.« Dabei legte Achill eine besondere Betonung auf das Wort »Professor«.
Was von Lychow mit einem wohlwollenden Nicken honorierte.
»Natürlich steht es Ihnen frei, Beweisanträge zu stellen. Worüber Sie Ihr Rechtsbeistand sicherlich bei Bedarf aufklären wird. Ich mache Sie ferner darauf aufmerksam, dass Ihre Aussage Ihrer Verteidigung dient, aber auch als Beweis gegen Sie Verwendung finden kann. Haben Sie das verstanden?«
Von Leinhardt nickte schlaff.
»Sie, werter Herr Professor Doktor von Lychow, möchte ich vorsorglich darauf hinweisen, dass Sie sich gemäß Paragraf 163a in Verbindung mit Paragraf 168c, Absatz 2, der Strafprozessordnung in keiner Weise an der Vernehmung beteiligen dürfen. Auch sind Sie nicht befugt, den Beschuldigten vor der Beantwortung von Fragen zu beraten.«
Von Lychow nickte gelangweilt.
»So, nun zur Sache. Ich möchte Sie bitten, die Umstände, die zum Tod von Herrn Thorsten Keller geführt haben, aus Ihrer Sicht zu schildern.«
Von Leinhardt schluckte und räusperte sich. Er setzte zu einer Erwiderung an, als von Lychow ihm die Hand auf den Oberschenkel legte und ihn mahnend anschaute.
Von Leinhardt brach ab und schluckte erneut.
»Herr Professor Doktor von Lychow, ich möchte Sie ausdrücklich auf das von mir eingangs erwähnte Verbot der Beteiligung an der Befragung hinweisen.«
Von Lychow hob abwehrend die Hände. »Ich wollte nur von meinem Beratungsrecht Gebrauch machen und Herrn Leinhardt, der sicherlich noch unter Schock steht, auf sein Aussageverweigerungsrecht hinweisen.«
Von Leinhardt schluckte erneut. Sein Adamsapfel zuckte in seinem langen schlanken Hals aufgeregt auf und ab. Dann begann er mit heiserer, krächzender Stimme: »Ich möchte von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen.«
Sein Rechtsanwalt nickte ihm anerkennend zu, als gelte es, eine besondere Leistung zu würdigen.
»Werte Frau Bertling, werter Herr Achill, ich habe meine Hausaufgaben gemacht und mich heute Morgen bereits im gestern anwesenden Freundeskreis von Herrn von Leinhardt umgehört. Wie Sie sich sicher auch schon selbst überzeugen konnten, trifft meinen Mandanten keinerlei Schuld am Tode...
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