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Kein Wunder, dass Japans bekannteste Frauenaktivistin, die Soziologin Chizuko Ueno, in ihrem Nachwort zum Roman schrieb: »In der Sackgasse? Da hilft nur eins - Hiromi Ito!«
Wann kommst du denn wieder?, fragte meine Mutter. Wir telefonierten.
Diesen Monat noch nicht, Mutter. Ich hab hier noch viel zu tun.
Das ist gut. Viel zu tun haben ist immer gut, sagte Mutter.
Aber dann im August komme ich.
Ich telefoniere jeden zweiten Tag von Amerika aus mit meinen Eltern. Aber wenn ich nun, brave Tochter, die ich bin, nur von mir aus anrufe, vergessen sie womöglich, wie man das macht, und so pausiere ich manchmal drei Tage.
Zwei Tage, nachdem ich ihr erklärt hatte: diesen Monat noch nicht, aber im August, fragte sie wieder: Wann kommst du zurück?
Diesen Monat noch nicht, Mutter. Ich habe noch zu tun.
Aber im August komme ich.
Am dritten Tag, nachdem sie schon zweimal einverstanden war: viel zu tun haben ist immer gut, fragte sie wieder: Wann kommst du zurück?
Im August. Sag mal, gibt es etwas, das ich für dich tun soll? Im April hatte meine Mutter auch zum wiederholten Male wissen wollen, wann ich zurückkäme, und als ich mich erkundigte, warum, meinte sie: Na ja, so wichtig ist es nicht, aber ich will, dass du für mich zum Postamt gehst. Ich kehrte im Mai nach Japan zurück und ging für sie zum Postamt.
Na ja, so wichtig ist es nicht, sagte meine Mutter auch diesmal. Ich will, dass du zur Klinik gehst. Die Chirurgie, wo wir neulich schon waren. Die sind auf Thrombosen spezialisiert. Der Doktor sagt, wenn ich's operieren lasse, wird es wieder. Deshalb komm doch mit mir mit, damit er's uns erklärt. Es eilt ja nicht. Der Doktor meinte, es reicht im September.
Am 24. August traf ich in Kumamoto ein.
Es war entsetzlich heiß.
Die Leute meinten, so schlimm sei's doch nicht, aber für meinen Körper, der das trockene Klima Südkaliforniens gewöhnt ist, war es eine Qual, als ob ich verbrannt oder wachsweich geschmolzen würde. Meine Tochter, die ich mitgebracht hatte, war sofort am ganzen Körper schweißnass, und ihre feinen, weichen Haare klebten überall fest. Ich konnte es kaum mitansehen.
Warum hörst du auch nicht, was ich sage? Du kennst den japanischen Sommer doch nicht! Du musst mir gehorchen, schalt ich sie schweißgebadet. Ich hab dir doch gesagt, du sollst die Haare zum Zopf flechten.
Am folgenden Tag ging mein PC kaputt. Er ließ sich nicht mehr hochfahren. Ich hatte schon lange vorgehabt, einen neuen anzuschaffen, daher ging ich gefasst ins Geschäft, kaufte einen PC mit Monitor, Keyboard und Software und wollte ihn in Betrieb nehmen, aber dann merkte ich, dass ich einen Fehler begangen hatte. Er hatte ein neues Betriebssystem. Mit anderen Worten, es war, als ob ich mich vom bisherigen Leben verabschiedet und ein neues Leben begonnen hätte, ich verstand weder rechts noch links, nichts lief, wie es sollte, nichts konnte ich schreiben, wozu war der PC eigentlich nutze? Ich konnte noch nicht einmal Mails auf Japanisch schreiben; endlich war die japanische Dichterin in die Heimat zurückgekehrt und musste in Alphabetschrift im Betreff HIER ITO HIROMI und dann DRUCKFAHNEN OK schreiben, das ist doch reine Idiotie! Derweil hatte meine Mutter keine Ahnung, in welcher Klemme ich steckte und wie sehr ich mich mit meinem neuen PC rumschlagen musste. Jedes Mal, wenn wir meine Eltern besuchten, fing sie an, von ihrem Bein zu sprechen, und zeigte es mir. Ein Bein voller Falten. Ein Bein, von der Wade bis zum Knöchel mit schwarzen Flecken gesprenkelt.
Guck mal, dieses Bein, klagte meine Mutter. Das ist doch kein Bein von einem Menschen. So was Fleckiges! Was soll denn das? Muss ja nicht sofort sein, aber ich möchte, dass du zu dem Chirurgen Sowieso mitkommst und dass er's uns beiden erklärt. Der Doktor hat gesagt, wenn er's operiert, wird's wieder gut.
Geht das im September?, fragte ich, worauf Mutter sagte: Der Doktor meinte, ich solle im September kommen. Aber am folgenden Tag, sobald meine Mutter mich sah, fing sie wieder mit ihrem Bein an.
Hör mal, Mutter! Ich glaubte, ihr klar und deutlich erklärt zu haben: Im September fängt Aikos Schule an. Dann habe ich mehr Zeit, und dann gehen wir, ja?
In Ordnung. Der Doktor sagte ja, ich solle im September kommen.
Nein, abgesehen von dem Beinproblem (und dem Postamt) ist Mutter zwar alt geworden, aber sie lebt ein normales Leben, und wir können uns normal unterhalten.
Das ist eine Depression, sagte mein Vater, als meine Mutter einmal nicht da war. Mein Vater, der sich kaum noch bewegen kann, nachdem er einen Teil seines Magens durch Krebs verloren hat und gebrechlich geworden ist, außerdem schwerhörig, und der es meidet, mit Menschen zu reden, lebt, gestützt durch Mutters Pflege und ihr Schimpfen, ein kümmerliches Leben.
Das ist eine Depression. Sie will nur von hier weg.
Früh am Morgen des nächsten Tages rief Mutter an und sagte unvermittelt: Gehen wir heute nicht zur Klinik? Du hast doch gestern gesagt, wir gehen im September, sagte ich, worauf Mutter meinte: Ich will aber heute. Du brauchst ja nicht mitzukommen. - Ich soll nicht mitkommen? (Wenn nicht ich, wer geht denn dann mit?), protestierte ich leise. Natürlich sprach ich nicht aus, was in der Klammer steht.
Natürlich wär es am besten, du kämst mit.
Gestern hast du doch noch gesagt, September ist in Ordnung. Warum musst du denn heute gehen?, fragte ich. Seit gestern tut es furchtbar weh, antwortete sie.
Wenn's wehtut, kann man nichts machen, also ließ ich alles stehen und liegen und nahm Mutter und meine Tochter Aiko in die Klinik mit, die für Thrombosebehandlung bekannt ist.
Ein Krankenhaus ist ein trüber Ort. Das Gebäude ist alt, schief und hier und da verrottet. Versuchen Sie da mal, mit dem Stock zu gehen. Sofort entstehen Löcher im Boden. Man bleibt im Loch stecken und kommt gar nicht wieder raus. So war's auch mit dieser chirurgischen Klinik. Auf dem langen Flur warteten Dutzende Leute mit geschwollenen Beinen, die meisten alt wie meine Mutter, sie warteten still, als ob sie schon tot wären. Und während sie so warteten, wussten sie nicht mehr, worauf sie warteten und auf wen. Warum gab es kein Bestellsystem? Wie würde es sich anfühlen, wenn man endlich von dieser Warterei erlöst wurde? Mit so viel Zeit hätte ich doch lesen oder eine Arbeit mitbringen können, aber dafür fehlte mir die Konzentration. Warum eigentlich? Während ich all das überlegte, verstrich Schritt für Schritt die Zeit.
Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr, klammerte sich Aiko an mich. Lies das! Ich gab ihr ein Buch. Ich hab alles im Kopf, alle Wörter. Ich hab's schon zigmal gelesen. Seit ich von Kalifornien weg bin, behauptete Aiko. In der Tat, das Buch hatte sie von zu Hause mitgebracht, sie las es im Flughafen, im Flugzeug, und in Japan hatte sie nichts zu lesen, also hatte sie es immer wieder zur Hand genommen. Wie mickrig amerikanische Paperbacks doch sind! Es war schon fast zerfleddert. Ich wünsch mir. Wenn ich jetzt einen Gameboy hätte, murmelte Aiko vorwurfsvoll.
Gameboy. Alle ihre Freundinnen in Kalifornien haben einen Gameboy.
Mutters Bein war von der Wade bis zu den Zehenspitzen mit violetten Flecken gesprenkelt und dick geschwollen. Stellenweise gab es Geschwüre, Entzündungen, Löcher mit schwarzen Rändern. Es gab kein Feuer und kein Fieber, doch diese Stellen waren wie verbrannt.
Wie ich Ihnen neulich schon mitteilte, sagte der Chirurg, der das Bein meiner Mutter hielt und es mit einem Gerät abhörte. Es ist nicht so schlimm, dass man einen chirurgischen Eingriff vornehmen müsste. Die Venen sind durchblutet. Ich denke, das gehört in den dermatologischen Bereich. Gehen Sie doch zum Dermatologen, sagte der Chirurg und setzte einen Brief für den Dermatologen auf. Als wir die Klinik verließen, stolperte meine Mutter und fiel hin, obwohl es nichts zum Stolpern gab. Ein Mann eilte herbei und versuchte, sie aufzurichten. Mutter wand sich eine Weile und richtete sich wacklig auf. Meine Güte, da hab ich mich ja richtig hingelegt, und lächelte verschämt.
Und am nächsten Tag besuchten wir den Dermatologen.
Im Wartezimmer Dutzende von Leuten, die schweigend ihren Juckreiz, Ausschlag und Quaddeln ertrugen und warteten; Aiko, die »ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr« stöhnte, gab ich etwas Kleingeld: Geh raus und kauf dir einen Saft.
Ist das in Ordnung? Ein Kind, das gerade aus dem Ausland gekommen ist und sich hier gar nicht auskennt, einfach allein gehen zu lassen, sagte Mutter. Geh nicht mit jemand mit, Aiko. Hast du verstanden?
Sie denkt, ich weiß nichts, ich kann nichts, grummelte Aiko auf Englisch, ging erhobenen Hauptes hinaus und kam überstürzt zurück. Die Maschine hat verschluckt. Das Geld. Ich hab nix bekommen. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Sie war wirklich ein ahnungsloses Kind. Ich musste mitgehen und den Leuten im Laden die Sache erklären.
Meiner Ansicht nach ist das ein Venenproblem, sagte der...
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