NEUER LEBENSABSCHNITT
Mit 13-1/2 Jahren kam ich aus der Schule. Ich fing eine Ausbildung als Näherin in meinem Geburtsort Hochdahl in einer größeren Schneiderei an, wo ich aber nichts lernen konnte, weil der Meister mich nicht mochte. So wie ich gehört hatte, konnte er mit Kindern beziehungsweise mit Jugendlichen nicht umgehen, weil er selber keine Kinder hatte. Meine Ausbildung bestand nur aus Bügeln, Einkaufen vor der Frühstückspause für alle Mitarbeiter und freitags Saubermachen der Näherei. An eine Nähmaschine, um nähen zu lernen, kam ich überhaupt nicht. Als ich das nicht mehr aushielt, erzählte ich das meiner Mutter, als sie von der Arbeit kam. Voller Stolz, weil meine Mutter das auch nicht gut fand, gingen wir beide zu dem Meister, um mit ihm über meine Situation zu reden. Er erzählte meiner Mutter, ich hätte überhaupt kein Interesse, an einer Nähmaschine zu nähen, was überhaupt nicht stimmte. Als ich mich rechtfertigen wollte, bekam ich von meiner Mutter vor dem Meister mitten ins Gesicht eine gescheuert und ich hatte den Mund zu halten. Ich fühlte mich total erniedrigt.
Nach einem Jahr wurde der Ausbildungsvertrag im gegenseitigen Einverständnis aufgelöst. Nicht lange danach fand ich wieder eine Ausbildung in Mettmann. Meine neue Chefin hatte eine Näherei im Keller mit zwei Angestellten, wo das eine Jahr Ausbildung mit angerechnet wurde. Es gefiel mir sehr gut bei meiner Chefin, auch die Arbeit. Sie nähte wunderschöne Abendkleider mit viel Spitze, was ich sehr liebte. Nach einem Jahr erklärte mir meine Chefin, sie ziehe mit ihrem Atelier nach Wolfshagen, wo sie sich in jemanden verliebt hat. Ich könnte ja mitziehen und meine Lehre bei ihr zu Ende machen, wenn meine Eltern damit einverstanden sind.
Sie sprach mit meinen Eltern und versicherte ihnen, ich hätte Kost und Logis frei, hätte ein wunderschönes Apartment, würde 20,-- DM Taschengeld die Woche bekommen und der Rest von meinem Lehrgeld käme auf ein Sparbuch. Was nie angelegt wurde, wie ich nach Jahren feststellen musste.
Ich habe mich riesig gefreut, als meine Eltern zustimmten, und so kam es dann, dass ich mit 15-1/2 Jahren auszog und meine Ruhe, nach der ich mich ja schon in der Kindheit sehnte, bekam und noch eine eigene kleine Wohnung dazu.
Aber auch da wurde ich nur ausgenutzt. Ich hatte kaum Freizeit. An den Wochenenden, wenn meine Chefin unter Termindruck stand, musste ich auch arbeiten. Ohne Lohn!
Eines Nachts haute ich ab, so sehr hatte ich die Schnauze voll. Ein Freund brachte mich nach Naumburg, wo es noch schlimmer war. Er fuhr mich zu einer Kneipe, wo ein Ehepaar eine Arbeitshilfe suchte. Meine Arbeit bestand aus Küchenarbeit, Kellnern und Putzen ohne Freizeit, ohne Lohn, nur Kost und Logis frei. Nach einem Jahr haute ich auch da wieder nachts ab. Ein Bekannter fuhr mich zum Bahnhof, wo ich die halbe Nacht saß, bis morgens um 7 Uhr der Zug kam. Das Fahrgeld hatte ich mir von dem Trinkgeld, was ich von den Gästen bekam, gespart. So kam es dann, dass ich mit 18 Jahren wieder zu Hause war.
Nach drei Monaten lernte ich meinen Ehemann Robert kennen, den ich nach einem halben Jahr geheiratet habe. Aber nur, weil ich wieder von zu Hause weg wollte.
MEINE HOCHZEIT
Am 20.10.1970 haben wir geheiratet. Zwei Monate später war ich schwanger und ich wohnte wieder beengt mit meinem Mann in der Wohnung seiner Eltern, die sehr schmutzig war. Wir schliefen im Wohnzimmer auf der Couch.
Dank meiner Mutter, die sich für uns in Hochdahl um eine Wohnung bemüht hatte, konnten wir bei meiner Schwiegermutter ausziehen. Jetzt hatten wir zwar eine wunderschöne Souterrain-Wohnung von 80 qm und eine wunderschöne Terrasse, aber keine Möbel, nicht einmal ein Bett zum Schlafen, aber eine Matratze. Zwei Decken und zwei Kissen bekamen wir von meiner Mutter. Aber wir waren glücklich über die Wohnung.
So nach und nach bekamen wir gebrauchte Möbel von Bekannten und Freunden, entweder für kleines Geld oder geschenkt. Da mein Mann als Maurer arbeitete, konnten wir uns ein neues Bett kaufen. Ich fing als Kellnerin an zu arbeiten, ungefähr bis zum fünften Monat, dann musste ich aufhören. Mein Frauenarzt sagte mir, ich würde eine Frühgeburt erleiden, wenn ich mit dem Kellnern nicht aufhöre. Mein Baby liege für den fünften Monat viel zu tief, das käme durch die Lauferei, ich bräuchte viel Ruhe und müsste viel liegen. Was ich dann auch bis zur Geburt befolgte.
Ich hatte eine schwere Schwangerschaft. Im sechsten Monat bekam ich eine Nierenbeckenentzündung, welche die Wehen auslöste. Ich hatte sehr starke Schmerzen im Rücken, Schüttelfrost und 41°C Fieber und bekam am Abend auch noch in Abständen Unterleibschmerzen. Meine Oma saß seit mittags bei mir am Bettrand. Als die Schmerzen im Abstand von etwa 10 Minuten kamen, sagte meine Oma, die früher im Krieg Hebamme war: "Du musst sofort ins Krankenhaus, das sind die Wehen." Sofort rief mein Mann einen Krankenwagen und ich kam in das Ev. Krankenhaus nach Mettmann, wo ich sofort an den Wehentropf kam, damit die Wehen aufhörten. Ich bekam Medikamente, damit die Gebärmutter sich nicht öffnete. Ich konnte die Medikamente überhaupt nicht vertragen, aber der Arzt sagte mir: "Wenn Sie Ihr Kind nicht verlieren möchten, müssen Sie die Medikamente nehmen." Ich nahm die Medikamente. Mein Kind verlieren, dass wollte ich auf gar keinen Fall!! Nach zwei Wochen durfte ich nach Hause.
Dann kam ich wieder für drei Wochen wegen dieser Nierenbeckenentzündung ins Krankenhaus. Dann endlich am 2.9.1971 verlor ich morgens das Fruchtwasser und kam wieder ins Krankenhaus. Ich habe mir gedacht: Jetzt hast du es bald überstanden. Um 14.30 Uhr kamen die ersten Presswehen und um 17.30 Uhr war mein Sohn geboren. Es war eine schwere Geburt, ich musste Sauerstoff einatmen, damit mein Kind während der Geburt nicht erstickt oder womöglich durch den Sauerstoffmangel im Mutterleib geistig behindert wird, denn eigentlich hätte der Arzt mein Kind mit einem Kaiserschnitt zur Welt holen müssen. Aber das hat er zu spät erkannt. Als der Arzt zu mir kam, sagte er: "Da ist ja schon das Köpfchen zu sehen."
Dann bekam ich eine Betäubungsspritze und ich war weg. Als ich wieder wach wurde, war mein Sohn Andreas geboren. Dadurch, dass ich zu eng war, gab es eine Zangen- und Glockengeburt. Mein Sohn kam mit einer schweren Gelbsucht zur Welt, was bedeutete, dass ich ihn nicht stillen durfte. Das heißt, Milch abpumpen und in den Kühlschrank stellen, für die anderen Kinder auf der Station. Ich war eine richtige Milchkuh, sagten mir jedenfalls die Schwestern.
Als ich entlassen wurde, hat mir kein Arzt gesagt, wie sehr mein Baby wirklich krank ist.
Das heißt: Erst bei einer Routineuntersuchung beim Kinderarzt wurde festgestellt, dass der Kopfknochen (Fontanelle) unter der Haut gespalten ist als Folge der Zangen- und Glockengeburt. Man hat aber von außen nichts gesehen, weil der Kopf gut geformt war. Der Kinderarzt sagte mir, nach so einer schweren Geburt wird der Kopf geformt und dann könne so etwas "schon mal" passieren. Er gab mir eine Überweisung für die Uniklinik in Düsseldorf, wo ich dann zweimal im Monat drei Jahre lang hinfahren musste, um mein Kind gesund zu bekommen. Die Ärzte und meine Oma sagten mir: "Mach dir keine Hoffnungen, deinen Sohn bekommst du nicht groß."
Dank all meiner Mühe und Liebe wird mein Sohn am 2.9.06 35 Jahre alt!
Dann wurde ich wieder schwanger und alles ging von vorne los. Krankenhausaufenthalte und Nierenbeckenentzündungen.
Mein Frauenarzt, der in einer privaten Frauenklinik in Hilden arbeitete, wo ich stationär lag, meinte zu mir, ich solle mir noch keine Umstandskleidung kaufen, bei einer solch schweren Nierenbeckenentzündung bekommt man sehr oft eine Frühgeburt. Der Arzt hat das dahingefaselt, als wenn das nichts Schlimmes wäre, aber für eine werdende Mutter bzw. für mich war das schon sehr schlimm. Aber ich sah ihm das nach und dachte, für ihn ist das alles normal, er hat ja jeden Tag damit zu tun, und trotzdem gehört sich das nicht, so mit den werdenden Müttern zu reden.
Ich habe es auch diesmal geschafft. Am 2.3.1973 kam mein Sohn René durch eine Sturzgeburt zur Welt. Gesund, dachte ich!
Mit meinen 21 Jahren hatte ich jetzt zwei Kinder und einen Ehemann zu versorgen.
Mein Mann war kein Familienmensch und schon gar kein Vater. Er kümmerte sich nicht um uns. Aber damit musste ich erst mal leben.
Die Souterrain-Wohnung war zwar sehr schön, aber wir hatten nur Ungeziefer in der Wohnung. Regenwürmer, Spitzmäuse und ganz, ganz viele Ohrenkneifer. Wenn mein Mann morgens zum Frühstück kam, weil er in der Nähe arbeitete, nahm er den Staubsauger und ich machte die Terrassentüre auf. Dann saugte er alle auf, die sofort reinmarschierten, als hätten sie darauf gewartet, dass die Türe endlich aufging. Ich hatte das Ungeziefer im Kühlschrank, in den Schränken und in den Betten. Eines Mittags, als ich nachsah, ob André und René noch schlafen, sah ich eine sehr, sehr große Spinne an der Wand. Da meine Schwester Monika gleich im Haus nebenan wohnte und ich wusste, dass mein Schwager Hans, der bei der Post arbeitete, mittags immer zum Essen nach Hause kam, bin ich rübergelaufen und erzählte ihm von der Monsterspinne. Er kam sofort mit und entsorgte sie.
Allmählich schwand meine Begeisterung für die Wohnung. André war gerade mal elf Monate, als er schwer krank wurde. Mein Mann und ich fuhren jeden Nachmittag zum Kinderarzt. Er hatte eine schlimme Magen-Darm-Grippe. Der Arzt verschrieb immer wieder neue Medikamente....