Eva legte die Zeitung beiseite und weinte sich auf der roten Couch in den Schlaf, zu weh taten die Erinnerungen. Als das Telefon schellte, wurde Eva wach und ging schlaftrunken in der rot gestrichenen Diele zum Telefon, nahm den Hörer ab und meldete sich mit "Hallo?"
"Ja, hallo, hier ist Mark, ich wollte dich heute Abend in meine Kneipe einladen, hast du Lust?"
"Nein, habe ich nicht, sei mir bitte nicht böse, aber danke, Mark."
"Ach komm, Eva, lass dich nicht so gehen und komm mit", bettelte Mark. "Ich habe wirklich keine Lust, außerdem weißt du, was ich von Männern halte, die zu viel Alkohol trinken, nämlich gar nichts. Ich wünsche dir aber trotzdem einen schönen Abend." Dann legte Eva auf. Können die Männer sich nur in der Kneipe amüsieren, dachte Eva, warum nicht mal abends am Rhein spazieren gehen? Da kann man sich doch auch was mitnehmen und sich irgendwo hinsetzen und was trinken, warum immer in die verqualmten Kneipen? Aber Männer lieben es nun mal, wenn sie an der Theke stehen und ihr Bier trinken. Es ist ja nicht so, dass ich gar nicht in die kleine Kneipe gehe, aber immer? Gerade hatte Eva den Telefonhörer aufgelegt, klingelte das Telefon schon wieder. Eva nahm den Hörer ab und hörte Toni in den Telefonhörer laut reinrufen: "Hallo Eva, ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, mit mir ins Kino zu gehen?"
"Eigentlich schon, aber ich bin mal wieder ziemlich deprimiert, ich habe heute einen Bericht über den Kindstod in der Frauenzeitschrift gesehen, zwar nicht gelesen, aber es kam alles wieder hoch."
"Aber dann ist es doch gut, wenn du mit mir ins Kino gehst, dann kommst du wenigstens auf andere Gedanken, oder nicht?"
"Ich überlege mir das noch, ich rufe dich in zehn Minuten an, ob ja oder nein." Eva rief Toni nach fünfzehn Minuten an und sagte: "Also gut, Toni, kommst du mich mit dem Auto abholen oder treffen wir uns am Kino?"
"Natürlich", rief Toni voller Freude in den Telefonhörer, "komme ich dich abholen."
Als Toni kam, staunte Eva nicht schlecht, so gut sah Toni in ihrem langen schwarzen Rock, ihrem engen schwarzen, tief ausgeschnittenen Top und einer gelben Lederjacke, die sie darüber trug, aus. Eva dachte etwas neidisch, die langen roten Haare sind das i-Tüpfelchen zu ihrem Outfit. "Wenn du dich so fein gemacht hast, muss ich mich ja auch noch umziehen. In der Jeanshose und dem T-Shirt gehe ich bestimmt nicht mit dir mit, ich sehe ja wie eine graue Maus neben dir aus und das möchte ich auf gar keinen Fall." Eva ging schnell nach oben und zog sich um, in der Zeit rauchte Toni eine Zigarette. Und dann kam Eva in einem langen hellblauen Rock mit Rüschen und Golddruck und dem passenden Oberteil die Treppe runter. Toni guckte zu ihr rauf. "So wie du aussiehst, Eva, stiehlst du mir aber heute Abend die Show", scherzte sie. "Man soll eben nicht sehen, dass ich schon 43 Jahre alt bin", scherzte Eva.
Am Kino angekommen fragten sie sich: "Welchen Film sollen wir uns denn ansehen?" Toni riet zu dem Film "Bis zur bitteren Neige", das sei ein etwas sadistischer Erotikfilm. "Oh, darauf stehe ich", gestand Eva und lachte. Nach dem Film unterhielten sie sich: "Na, wie fandest du den Film?"
"Den Film als solches fand ich nicht schlecht, wobei ich sagen muss, dass ich beim Sex nicht auf Auspeitschen stehe." Toni musste lachen und fragte: "Wirklich nicht?"
"Komm, wir gehen irgendwo noch etwas trinken."
"Nein, Eva, ich möchte nach Hause."
"Ach komm, Toni, lass dich nicht so hängen, ich gebe dir auch einen aus."
"Darum geht es doch gar nicht, ich habe einfach keine Lust, in irgendeiner verqualmten Kneipe rumzuhängen, ich möchte einfach nur nach Hause." Eva guckte Toni lächelnd an und Toni gab nach. "Aber dann gehen wir in die "Kleine Kneipe" neben mir, dann kann ich nach Hause gehen, wenn ich keine Lust mehr habe." Eva war einverstanden. Der Wirt, der Dieter hieß, ein kleiner Mann mit dickem Bierbauch und einer Halbglatze, fragte: "Was möchtet ihr beiden Hübschen denn trinken?"
"Zwei Pils bitte und einen sauberen Aschenbecher", bestellte Toni und zündete sich sofort eine Zigarette an. Toni war gereizt, weil sie nicht wusste, was sie in der Kneipe sollte. Sie dachte, ich blöde Kuh gehe gegen meinen Willen mit Eva in die "Kleine Kneipe" und jetzt sitze ich hier gelangweilt rum. Etwas weiter an der Theke saß eine junge Frau, ganz allein. Nicht gerade hübsch, sie hatte kurze feuerrote Haare und war kein bisschen geschminkt, was zu ihrem blassen Teint besser ausgesehen hätte, zumindest etwas Wimperntusche auf ihre blonden Wimpern; sie war ca. 1,80 Meter groß und dürr. Plötzlich sagte Toni nach einiger Zeit zu Eva: "Die Frau tut mir richtig leid, das muss doch ziemlich blöd sein, so alleine an der Theke zu sitzen."
"Wenn sie dir sooo leidtut, dann frag sie doch, ob sie sich mit uns unterhalten möchte, aber das traust du dich ja sowieso nicht." Eva lachte, als sie das sagte. "Ich frag sie jetzt einfach." Toni ging auf die fremde Frau zu und sagte: "Hey, ich heiße Toni", und sie reichte der fremden Frau ihre Hand, voller Freude reichte die fremde Frau auch Toni ihre Hand und sagte: "Ich heiße Emma."
"Ich wollte dich fragen, ob du dich vielleicht zu uns setzen möchtest, bevor du hier an der Theke so alleine rumhängst?"
"Das mache ich gerne." Emma nahm ihr Glas Apfelschorle und ihre Handtasche, dann gingen sie zu Eva. Emma reichte Eva ihre Hand und sagte: "Ich heiße Emma."
"Und ich Eva."
"Wo wohnst du?", fragte Eva. "Ein paar Häuser weiter, genauer gesagt Hausnummer 45a", antwortete Emma. "Und ich wohne 23b", plapperte Eva drauf los. "Toni wohnt ein paar Straßen weiter, wo es ruhiger ist, nicht wahr, Toni? Aber so ist das nun mal, wenn man selbstständig ist, dann kann man sich eine bessere Wohnung leisten, die etwas ruhiger liegt. Ich, als kleine Friseuse, kann da nicht mithalten, wenn ich nicht das Trinkgeld kriegen würde." Toni ärgerte sich maßlos über Evas Aussage, hielt aber den Mund, um die Stimmung an dem Abend nicht kaputtzumachen. "Was machst du denn so?", fragte Eva die Emma. "Ich bin geschieden, habe eine zwölfjährige Tochter, die Claudin heißt, und bin seit einer Woche arbeitslos. Ich bin Altenpflegehelferin. Ich hatte einen Zeitvertrag für ein Jahr. Als das Jahr um war und ich das Haus und die Bewohner richtig kennengelernt hatte, 'durfte' ich gehen."
"Und warum bist du geschieden?", fragte Eva. "Ich glaube nicht, dass das ein Thema für die Theke ist, wo alle lange Ohren kriegen, wenn Frauen über Männer schimpfen. Aber wenn ihr wollt, könnt ihr mich ja mal besuchen kommen, dann werde ich euch erzählen, warum ich geschieden bin." Toni musste grinsen und dachte, die ist aber gut drauf und schlau. Eva dagegen bekam einen knallroten Kopf, als sie merkte, dass ihre Frage wohl zu persönlich war und sie entschuldigte sich bei Emma. Eva ärgerte sich über sich selbst und dachte: Warum musst du auch immer so direkt sein? Aber so bin ich nun mal, leider. Es war mittlerweile 1 Uhr und Eva war nicht mehr ganz nüchtern, weil sie mehrere Körnchen zum Bier trank. Toni dagegen trank nur ihr Bier und Emma ihre Apfelschorle. "Ich werde jetzt bezahlen und dann gehe ich nach Hause", sagte Toni. Ich muss morgen früh raus, auch wenn Sonntag ist. Ich habe noch einige Kundinnen außer Haus, so schön ist das, wenn man 'selbstständig' ist, um etwas mehr Geld reinzukriegen für die laufenden Kosten, die man als Selbstständige hat." Eva verstand schon, dass die Anspielung ihr galt, aber sie ignorierte sie. Emma und Eva zahlten auch, draußen gab Emma den beiden noch ihre Telefonnummer und sagte: "Es wäre schön, wenn ihr mich besuchen kommt, ich backe auch einen Kuchen." Dann verabschiedeten sie sich und gingen nach Hause.
Als Emma zu Hause war, schlief ihre Mutter Marie schon, die eine Woche bei ihr Urlaub machte und an diesem Abend auf Claudin aufpasste. Emma ging auch sofort ins Bett.
Am nächsten Tag, als Eva gegen Mittag wach wurde, hatte sie einen dicken Kopf. Sie dachte, Gott sei Dank, dass Sonntag ist. Sie trank zwei Tassen schwarzen Tee, aß ein halbes Brötchen mit Käse und legte sich wieder ins Bett. Aber sie konnte nicht mehr einschlafen, stand nach einer Stunde wieder auf und ging duschen. Nach der Dusche ging es ihr schon etwas besser, aber sie dachte so für sich: Nie wieder Alkohol! Als Emma aufstand, waren ihre Mutter Marie und ihre Tochter Claudin schon auf und frühstückten, Emma erzählte gleich am Tisch: "Ich habe zwei Frauen kennengelernt, eine Eva und eine Toni."
"Und wie findest du die beiden?"
"Tja, Mama, bei Eva weiß ich noch nicht so genau, sie ist etwas vorlaut und redet drauflos, ohne viel zu überlegen. Zum Beispiel hat sie ihre Freundin Toni fast beleidigt, weil sie ihr indirekt vorgeworfen hat, dass sie in einer besseren Wohngegend wohnt. Das heißt, die Gegend, wo Toni wohnt, ist viel ruhiger als hier in unserer Straße, aber dadurch natürlich auch teurer. Und Eva meinte noch, das kann sie sich nur leisten, weil sie ja selbstständig ist. Toni war ganz schön sauer auf Eva, das habe ich ihr angesehen, sie sagte aber nichts, wahrscheinlich, um uns den Abend nicht zu verderben, so taktvoll schätze ich die Toni ein. Toni ist zurückhaltender mit ihren Äußerungen, sie hört eher zu und lässt andere...