Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Global- und Weltgeschichten der Sklaverei haben Konjunktur. Das war früher in der Geschichtsschreibung Frankreichs und Kubas so, heute ist der englischsprachige Bereich führend in der Ausbildung einer Art Sklaverei-und Rassismus-Wissenschaftsindustrie, die vor allem an Elite-Unis der USA und in Großbritannien betrieben wird. Oft auch als reine, unhistorische Sprach- und Literaturtheorie. Die globalhistorisch angelegte Geschichtsschreibung, in den USA und darüber hinaus auch als New History of Capitalism (NHC) bezeichnet, ist mit wenigen Ausnahmen im imperial-nationalen Zugriff auf Sklaverei im Süden der USA, auf Baumwolle sowie deren Wirtschaftsgeschichte und auf Sklavereien in der britischen Karibik fixiert. Wirklich globalhistorisch angelegt sind die Forschungen zur Global History of Slavery (mit Zentrum an der Universität Leiden1) und zur sogenannten Second Slavery (begründet vom historischen Soziologen Dale W. Tomich an der Universität von Binghampton in den USA), die die »zweite«, industriell begründete Sklaverei der Plantagengebiete im 19. Jahrhundert als Teil des weltweiten Kapitalismus oder überhaupt als Kapitalismus begreift.
Die Pionier-Historiographien zur globalen Sklaverei sowie zur Rolle der industrialisierten Plantagensklaverei des 19. Jahrhunderts in der globalen Entwicklung (Kuba) und - konzentriert auf Frankreich - der Sklavenhandelssysteme waren auch sehr auf den national-imperialen Bereich fokussiert: in Frankreich meist auf Kultur sowie Mentalitäten von Sklavenhändlern des atlantischen Frankreich und der französischen Kolonialsphäre, in Kuba wiederum auf die weltweit wichtigste industriell begründete Second Slavery im zentralen Westen Kubas sowie auf die Kulturgeschichte der Versklavten, kaum aber auf Spanien, die Kolonialmacht im 19. Jahrhundert. Beide Pionier-Historiographien konnten und können sich in der internationalen Wahrnehmung heute kaum gegen die Hegemonie der oben genannten extremen Fülle von Texten, Websites, Dokumentationen, Filmen, Büchern und Forschungsarbeiten aus den USA oder England oder der aufstrebenden niederländischen Sklavereiforschung behaupten.
Bei all der Fixierung auf traditionelle Historiographien und »nur USA sowie Europa und ein paar Kolonialgebiete« gibt es aber einen wirklichen neuen Star der Globalgeschichte der Sklaverei unter Einschluss von Forschungen zur Second Slavery und zu Versklavten (Sklaven, Sklavinnen und Sklavenkindern): Brasilien. Diese reale Hauptrolle Brasiliens und seiner Sklaverei-Historiographie ist in der medialen Wahrnehmung von Wissenschaftseliten Deutschlands, die im Wesentlichen auf die USA und den englischsprachigen Bereich fixiert sind, mit Ausnahme des Forschungszentrums in Bonn (s.u.) noch kaum angekommen. Ebenso wenig wie die oben genannten Pionierarbeiten der kubanischen und der französischen Historiographie.
Die Forschungen in Frankreich hatten und haben allerdings damit zu tun - ich will es auch in dieser Einleitung nicht verbergen -, dass die französische Sklaverei-Geschichtsschreibung wegen der Beendigung der Entwicklung der realen französischen Sklaverei im atlantischen Raum (von Martinique sowie Guadeloupe abgesehen) durch die einzig erfolgreiche Sklavenrevolution der Weltgeschichte, in Saint-Domingue/Haiti (1791-1803), in der heute wichtigsten globalen Debatte (Sklaverei ungleich Kapitalismus/Sklaverei und Sklavenhandel als Teil des weltweiten Kapitalismus oder sogar Sklaverei/Sklavenhandel = Kapitalismus) im atlantischen Bereich (Westeuropa eingeschlossen) keine Rolle spielt. Das könnte sich mit dem vorliegenden monumentalen Band »Welten der Sklaverei« ändern.
Für Deutschland und die deutschsprachigen Gebiete Europas ist der Fall einerseits noch viel komplizierter, andererseits wegen günstiger institutioneller und innerwissenschaftlicher Dynamiken (sowie natürlich auch des Interesses von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern) seit ungefähr 2010 einfacher.
Bis vor etwa zehn Jahren waren Deutschland und die deutschsprachigen Gebiete Europas in der nationalen Mainstream-Historiographie sklaverei- und sklavenfrei. Heute sind Deutschland und die Schweiz von Peripherien der atlantischen Sklaverei zu eigenen Subjekten der Sklaverei- und Sklavenhandelsforschung avanciert. Um nicht immer über Fugger und Welser zu sprechen, will ich nur einige wenige Akteure des 18. und 19. Jahrhunderts erwähnen:
Die sächsischen Schimmelmanns als massive Profiteure von Sklavenhandel und Sklavenwirtschaft im dänischen Kolonialreich; ein Friedrich (von) Romberg, sauerländischer Spitzenunternehmer zu Ende des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, der Sklaven- und Kolonialhandel mit Produktion (Baumwolltextilien) sowie mit Transport und Hochfinanz verband; recht viele Deutschsprachige in Sklaverei-, Versicherungs- und Bankengeschäften (oft auch in Großbritannien oder den USA); ein Daniel Botefeur aus Hannover, der zunächst Sklavenmediziner und Sklavenhändler in Afrika war und später in Kuba Sklaven- und Plantagenbesitzer, Arzt sowie steinreicher Sklavenhändler und Schmuggler; ein Cornelius Souchay aus einer reformierten Familie in Hanau, der in Kuba die größte Sklaven-Kaffeeplantage seiner Zeit führte. Er war am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt und spekulierte mit den Profiten; viele Hamburger und Bremer Kaufleute, die Sklaven kauften und verkauften sowie von der technologischen Modernität der Sklaven-Plantagenwirtschaften massiv profitierten; ein Friedrich Ludwig Escher aus Zürich, Onkel von Alfred Escher (dem »Begründer der liberalen Schweiz«), der in Kuba über zwanzig Jahre lang eine Kaffeeplantage mit über achtzig Sklavinnen und Sklaven führte, eine Tochter mit einer seiner Sklavinnen hatte und sein Erbe der Schweizer Familie vermachte; und schließlich viele Schweizer und Deutsche in der Second Slavery Brasiliens. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einem immer größer werdenden Bild, das wir uns von deutschsprachigen Sklavenhaltern und Sklavenhändlern machen können.
Von all dem ist allerdings bei der Masse der deutschen Wissenschaftseliten sowie in der Erinnerung der breiteren Öffentlichkeit, um mit dem Globalhistoriker Sebastian Conrad zu sprechen, »nur wenig angekommen«2. Unter Aktivisten des Antirassismus, der lokalen Erinnerungsorte und der Diversität in Bezug auf nicht weiße Menschen in deutschsprachigen Gebieten geht es sehr dynamisch zu. Die Entwicklung der wissenschaftlichen Sklaverei-, Sklavenhandels- und Sklavenforschung ist noch viel dynamischer.
Ich will die Hauptlinien dieser Wissenschaftsentwicklung in Deutschland knapp nachzeichnen, auch um zu zeigen, wie willkommen das vorliegende Buch aus dem Sklavereiforschungs-Pionierland Frankreich ist. Der Anfang wurde sicherlich gemacht mit einem Vortrag des Globalhistorikers Jürgen Osterhammel unter dem Titel »Sklaverei und die Zivilisation des Westens« (2000). Auch wenn Osterhammel dabei annahm, dass die Geschichte der deutschsprachigen Gebiete in der Moderne »sklaverei- und sklavenfrei« gewesen sei, war damit ein Startschuss gefallen. Intensive, meist von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Thyssen-Stiftung oder der VW-Stiftung und der Gerda-Henkel-Stiftung geförderte Projekte waren bereits vor 2010 an den Universitäten von Köln und Hamburg und von Hamburger Absolventen an anderen Institutionen (wie der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder) im Gange. Sie führten bis etwa 2015 zu wichtigen Einzelpublikationen (z. B. Schwarzes Amerika von Jochen Meissner, Ulrich Mücke und Klaus Weber) und einer ersten Globalgeschichte der Sklaverei auf Deutsch. Dann wurde mehr und mehr deutlich, dass deutsche Territorien in der Geschichte der Atlantic Slavery (darunter werden Sklavereien an Land und der atlantische Sklavenhandel vor allem der großen Sklavenhandelsmächte Europas - Portugal, England/Großbritannien, Spanien, Frankreich - sowie Dänemark und weitere Ostseeanrainer wie Brandenburg-Preußen und Schweden verstanden) eine wichtige und eigenständige Rolle spielten, ebenso wie in der Geschichte der Sklaverei von Menschen aus Afrika und aus anderen Gebieten (vor allem des Mittelmeergebietes und des Osmanischen Reiches) in deutschsprachigen Territorien. Zunächst wurden die deutschsprachigen Gebiete als »Hinterland«3 sowie »globalized peripheries«4 der Atlantic Slavery bezeichnet, doch dann, wie gesagt, mehr und mehr als eigenständige Sklavereiräume mit konkreten Akteuren »beyond exceptionalism« begriffen, unter denen auch Religionsgemeinschaften, vor allem die protestantische Mission, eine Rolle spielten5. In Bezug auf die intensiven Forschungen zu Sklavereien und Sklaven in deutschsprachigen Gebieten sowie in Bezug auf Akteure aus diesen Gebieten im atlantischen Sklavenhandel und in unterschiedlichsten Sklavereiregimen in Kolonialgebieten, in den USA und im Kaiserreich Brasilien würde heute sicherlich nicht mehr von Peripherie oder Hinterland gesprochen. Beide Konzepte haben aber, in der Mehrzahl der Fälle unausgesprochen, immer noch eine extrem wichtige Bedeutung in der Globalgeschichte mindestens der atlantischen Welt unter Einschluss Afrikas und Amerikas:...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.