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Man sucht es sich nicht aus, geboren zu werden. Man wird einfach geboren. Und deine Geburt ist dein Schicksal, sagen manche. Ich sage: Zur Hölle damit. Und ich sollte es wissen. Ich bin nicht nur einmal, sondern fünfmal geboren worden. Und fünfmal hab ich die gleiche Lektion gelernt. Manchmal im Leben muss man sein sogenanntes Schicksal an der Kehle packen und ihm den Hals umdrehen.
Mein japanischer Name ist Masaji Ishikawa und mein koreanischer Name lautet Do Chan-sun. Ich wurde (zum ersten Mal) im Viertel Mizonokuchi der Stadt Kawasaki, südlich von Tokio, geboren. Es war mein Pech, zwischen zwei Welten geboren zu werden - ich hatte einen koreanischen Vater und eine japanische Mutter. Mizonokuchi ist eine Gegend mit sanft abfallenden Hügeln, die heutzutage an den Wochenenden von Besuchern aus Tokio und Yokohama, die der Stadt entfliehen wollen und ein Bedürfnis nach frischer Luft haben, überfüllt ist. Doch vor sechzig Jahren, als ich ein Kind war, gab es hier kaum mehr als ein paar Bauernhöfe, zwischen denen vom Tama-Fluss gespeiste Bewässerungskanäle verliefen.
Damals wurden die Bewässerungskanäle nicht nur für die Landwirtschaft genutzt, sondern auch für Hausarbeiten wie Wäschewaschen und Geschirrspülen. Als Junge verbrachte ich lange Sommertage damit, in den Kanälen zu spielen. Ich legte mich in eine große Waschwanne und ließ mich den ganzen Nachmittag auf dem Wasser treiben, sonnte mich und beobachtete, wie die Wolken über den Himmel zogen. Für meine Kinderaugen ließ die langsame Bewegung dieser dahintreibenden Wolken den Himmel wie ein ungeheuer weites Meer erscheinen. Ich fragte mich, was geschehen würde, wenn ich meinen Körper mit den Wolken treiben ließe. Könnte ich das Meer überqueren und ein Land erreichen, von dem ich noch gar nichts wusste? Von dem ich noch nie gehört hatte? Ich dachte an endlose Möglichkeiten in meiner Zukunft. Ich wollte armen Leuten helfen - Familien wie meiner -, reicher zu werden, damit sie die Mittel hatten, ihr Leben zu genießen. Und ich wollte, dass die Welt friedvoll ist. Ich träumte davon, eines Tages Premierminister von Japan zu werden. Wie wenig ich doch wusste!
Oft kletterte ich in der Frische des frühen Morgens auf einen nahe gelegenen Hügel und fing Käfer. Zu Festzeiten lief ich dem tragbaren Schrein und den Tänzern mit den Löwenmasken hinterher. Alle meine Erinnerungen sind ganz wunderbar. Meine Familie war arm, doch meine Kindheitstage in Mizonokuchi waren die glücklichsten meines Lebens. Denke ich an meinen Heimatort, kann ich die Tränen selbst heute kaum zurückhalten. Ich würde alles dafür geben, diese glückliche Zeit noch einmal zu erleben, mich wieder so unschuldig und voller Hoffnung zu fühlen.
Am Stadtrand von Mizonokuchi gab es ein Dorf, in dem ungefähr zweihundert Koreaner lebten. Später fand ich heraus, dass die meisten von ihnen aus Korea mehr oder weniger verschleppt worden waren - sie sollten in der nahe gelegenen Munitionsfabrik arbeiten. Mein Vater, Do Samdal, war einer von ihnen. Geboren auf einem Bauernhof in Bongchon-ri, einem Dorf im heutigen Südkorea, wurde er im Alter von vierzehn Jahren abkommandiert - tatsächlich aber entführt - und nach Mizonokuchi gebracht.
Doch bis ich in die Grundschule kam, wusste ich noch nicht einmal, dass ich einen Vater hatte. Zumindest habe ich keine Erinnerungen an ihn, die weiter zurückreichen. Tatsächlich wurde mir die Existenz meines Vaters zum ersten Mal bewusst, als mich meine Mutter an einen seltsamen Ort mitnahm, der, wie ich später feststellte, ein Gefängnis war, um einen Mann zu besuchen, den ich nicht kannte. Das war der Tag, an dem meine Mutter mir sagte, wer mein Vater ist.
Schließlich erschien der Mann, den ich durch das Fenster des Besucherraums gesehen hatte, in unserem Haus. Er war in der Gegend dafür berüchtigt, ein rauer Kerl zu sein, und unsere Verwandten mieden ihn. Er war fast nie zu Hause, aber wann immer er da war, verbrachte er die meiste Zeit damit, stark riechenden Schnaps hinunterzukippen. Er konnte in kurzer Zeit ein paar Liter Sake verputzen. Was jedoch schlimmer war: Wann immer er zu Hause war, betrunken oder nicht, schlug er meine Mutter. Meine Schwestern waren so verängstigt, dass sie sich stets in einer Ecke wegduckten. Ich versuchte, ihn aufzuhalten, indem ich mich an sein Bein klammerte, aber er stieß mich immer weg.
Meine Mutter versuchte, nicht zu schreien, und ertrug die Qual mit zusammengebissenen Zähnen. Ich fühlte mich hilflos und hatte Angst um sie, konnte aber nichts machen. Mit der Zeit gab ich mir die größte Mühe, ihm einfach aus dem Weg zu gehen - was nicht so schwierig war, da er mir ohnehin nie besondere Aufmerksamkeit widmete. Aber es ging mir mehr als einmal durch den Kopf, dass ich, wenn ich erwachsen wäre, nach ihm kommen könnte.
Der Name meiner Mutter war Miyoko Ishikawa. Sie wurde 1925 geboren. Ihre Eltern betrieben einen Laden an der Ecke der alten Einkaufsstraße, in dem sie Hühner verkauften. Meine Großmutter, Hatsu, führte das Geschäft und ihre Arbeit war schwierig und schmutzig. Das Hühnerfleisch war nicht wie heute fein säuberlich geschnitten und verpackt - nichts dergleichen. Vor dem Laden standen, kreuz und quer verteilt, Käfige, und kam ein Kunde, griff sich meine Großmutter ein kreischendes Huhn aus seinem Käfig und schlachtete es auf der Stelle.
Meine Großmutter litt an Asthma, und so hatte sie häufig Hustenanfälle. Immer wenn sie mich erblickte, wenn ich aus der Schule, oder nachdem ich irgendwo spielen gewesen war, nach Hause kam, krümmte sie ihren Rücken und sagte: »Mabo, kannst du mir den Rücken rubbeln?« Dann streichelte und massierte ich ein paar Minuten lang ihren kleinen Rücken. Während dieses Beisammenseins sagte sie immer zu mir: »Du bist ein lieber Junge. Du solltest nicht wie dein Vater sein. Ich kann einfach nicht verstehen, warum deine Mutter den Fehler gemacht und ihn geheiratet hat.«
Ich konnte verstehen, warum sie das Wort »Fehler« verwendete. Die Familie Ishikawa wurde respektiert und hatte in der Gegend eine lange Tradition. In Mizonokuchi gab es viele Zweige der Familie Ishikawa. Sie und der Rest der örtlichen Bevölkerung bildeten eine eng verbundene Gemeinschaft. Mein Großvater, Shoukichi, starb, bevor ich geboren wurde, aber mir wurde immer wieder erzählt, dass er ein guter und freundlicher Mann war, der sich um seine Familie und um andere in seiner Gemeinschaft kümmerte. Er schickte meine Mutter auf eine höhere Schule für Mädchen und ermutigte sie, nähen zu lernen. Obwohl die Familie nicht gerade als reich bezeichnet werden konnte, tat er sein Bestes, seinen Kindern eine Art von Ausbildung zu ermöglichen.
Meine Mutter war eine Frau mit einem starken Charakter. Sie hatte ein ovales Gesicht, das auf seine Art schön war. Mein Vater seinerseits hatte scharfe, messerscharfe Augen, einen gut gebauten Körper und muskulöse Schultern. Ich weiß nicht, was meine Mutter an ihm fand - vielleicht fühlte sie sich von seinem Selbstvertrauen und seinen Überlebensinstinkten angezogen. Ich weiß allerdings, dass die örtliche Gemeinschaft fassungslos war, als die beiden begannen zusammenzuleben. Hinter ihrem Rücken nannten die Leute sie »die Schöne und das Biest« und fragten sich, warum meine Mutter einen so schrecklichen Mann geheiratet hatte.
Meine Großmutter sagte einmal zu mir: »Koreaner sind Barbaren.« Ich liebte sie, aber diese Bemerkung nahm ich ihr übel. Obwohl ich mich als Japaner empfand - und das aus voller Überzeugung -, war ich, wie sie genau wusste, Halbkoreaner. Die älteren Brüder meiner Mutter, Shiro und Tatsukichi, machten gelegentlich ähnliche Bemerkungen. Sie waren zum Dienst in der japanischen Armee in der Mandschurei eingezogen worden und beschrieben Koreaner stets als arm und ungepflegt, wie eine Horde Gorillas. Natürlich trauten sie sich nie, so etwas in Gegenwart meines Vaters zu sagen. Aber wenn mein Vater nicht in der Nähe war, sagte Shiro oft: »Miyoko sollte sich besser so bald wie möglich von ihm scheiden lassen. Koreaner sind einfach von Grund auf verdorben.« Obwohl ich immer ein ungutes Gefühl hatte, wenn er solche Dinge sagte, konnte ich nicht umhin, ihnen zuzustimmen. Ich hegte eine starke Abneigung gegen meinen Vater, der dem Ruf der Koreaner als Barbaren natürlich jedes Mal, wenn er meine Mutter schlug, gerecht wurde. Angesichts der Tatsache, dass wir dabei zuschauen mussten, wie er sie Tag für Tag quälte - und dabei mich und meine Schwestern zu Tode erschreckte -, war es kaum verwunderlich, dass mir die Koreaner, wie meiner Großmutter, immer mehr zuwider wurden.
Mein Vater stolzierte immer mit zwanzig oder dreißig koreanischen Mitläufern im Schlepptau durch unser Viertel. Er war einer der Platzhirsche in der koreanischen Gemeinschaft, und es machte ihm Spaß, sich mit jedem Japaner zu prügeln, der ihm auf die Nerven ging. Es war ihm egal, mit wem er es dabei zu tun hatte. Ein bestimmter...
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