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Gegen Ende Januar 1939 kamen Wystan Auden und ich mit dem Schiff aus England in New York an. Die Ereignisse und Entscheidungen, die zu dieser Reise führten, habe ich in meinem Buch Christopher und die Seinen beschrieben. Es war unser zweiter Besuch in New York. Bereits im Sommer 1938 hatten wir, als wir aus China nach England zurückkehrten, einige Tage dort verbracht. Jetzt schien es so, als würden wir für längere Zeit, vielleicht sogar für immer bleiben, auch wenn unsere Pläne noch nicht endgültig feststanden.
Unser erster Besuch war touristischer Natur gewesen und hatte einen einzigartigen Zauber ausgeübt. Was mich betraf, so würde sich dieser nicht wiederholen lassen. Dank der zeitlichen Begrenzung war das Leben in New York von prickelnder Spannung gewesen. Jetzt begann es mich zu demoralisieren. Weniger als zwei Monate nach unserer Ankunft schrieb ich in mein Tagebuch:
Für mich eine schlimme, unfruchtbare Zeit. Ich habe praktisch nichts getan. Jeden Tag denke ich: Ich brauche Beschäftigung, ich muss anfangen zu arbeiten. Aber woran? Mein Geld geht zur Neige. Wystan hat die Aussicht auf einen Lehrauftrag, später. Mein ganzer Instinkt wehrt sich dagegen, Vorlesungen zu halten oder mir auf irgendeine Weise mein Ansehen zunutze zu machen. Ich hätte gern eine regelmäßige bescheidene Anstellung. Berlin habe ich kennengelernt, weil ich dort eine Arbeit verrichtete, die mich auf anonyme, unprätentiöse Weise mit meinem sozialen Umfeld in Verbindung brachte: als Ausländer, der seine Muttersprache unterrichtet. Ich muss anonym bleiben, bis ich hier ein neues Ich entdecke, ein amerikanisches Ich. Wystan ist so energiegeladen, wie ich träge bin. Er schreibt viel, nach seiner besten Art - Gedichte, Artikel und Rezensionen -, er hält Reden, geht auf Partys und zu Gesellschaften, ist unglaublich gesprächig. Es ist, als hätten er und ich die Rollen vertauscht. Jetzt ist er der Selbstbewusste. Er fühlt sich bereits heimisch.
So verzweifelte ich und tat nichts. Für meine Nervosität machte ich New York verantwortlich. Heute begreife ich, dass sie weder von New York noch von meinen Geldsorgen, ja nicht einmal von der Wahrscheinlichkeit eines Krieges in Europa ausgelöst wurde, sondern von einer inneren Leere, die mir damals noch nicht ganz bewusst war.
Ich war innerlich leer, weil ich meinen politischen Glauben verloren hatte - die linken Parolen, die ich in den letzten Jahren von mir gegeben hatte, konnte ich nicht mehr hören. Es war nicht so, dass ich nicht mehr an das glaubte, wofür sie standen, aber ich war nicht mehr mit dem Herzen dabei. Mein Selbstverständnis als Linker war ins Wanken geraten durch das zunehmend aggressive Bewusstsein meiner Homosexualität und die kürzlich gemachte Entdeckung, dass ich Pazifist war - damit gehörte ich gleich zwei Minderheiten an, was mich immer wieder in Konflikt mit der linken Mehrheitsideologie brachte.
Ich nannte mich Pazifist, weil Heinz, der junge Deutsche, mit dem ich in den dreißiger Jahren fünf Jahre lang zusammengelebt hatte, kurz vor der Einberufung in die Nazi-Wehrmacht stand und mir der Gedanke unerträglich war, jemals etwas zu seinem Tod beitragen zu sollen, und sei es noch so indirekt. Daher hatte ich beschlossen, sollte es zum Krieg kommen, jede Beteiligung an den Kriegsanstrengungen zu verweigern. Dies war jedoch nur eine negative Entscheidung. Was ich nunmehr lernen musste, waren positive pazifistische Werte, eine pazifistische Lebensweise, ein Ja, um mein Nein zu bekräftigen. Es war der Mangel an Werten, der dazu geführt hatte, dass ich mich so unsicher fühlte. Die Stärke, die Wystan im Gegensatz zu meiner Schwäche zeigte, beruhte auf den christlichen Werten, die er als Kind von seiner Mutter empfangen und nie ganz aufgegeben hatte. Damals sprach er mit mir nicht darüber, denn er wusste, welch heftige Vorurteile ich gegen die bloße Idee von Religion hegte, so wie ich sie damals verstand.
Der Pazifismus war die Grundlage einer Freundschaft, die ich mit John van Druten schloss. John war locker, witzig und charmant, durch und durch ein Mann des Theaters, aber er war auch Moralist, darauf bedacht, seinem Leben und seinen Stücken ethische Normen aufzuerlegen, selbst wenn es sich um die leichtesten Komödien handelte. Nach eingehender Diskussion erstellten wir eine Liste von Fragen zur Rolle des Pazifisten in Kriegszeiten und schickten sie an drei prominente Pazifisten: George Lansbury, Rudolph Messel und Runham Brown. Sie alle machten sich die Mühe, uns zu antworten.
Messel war der Radikalste der drei. Er wollte, dass die Pazifisten die Kriegsmaschinerie sabotierten, und forderte vollständige, notfalls auch einseitige Abrüstung. Er hoffte, der Krieg werde in eine Revolution umschlagen. Der Nazi-Aggressor müsse in ein Land einmarschieren können, ohne dass Widerstand geleistet werde. Ein unblutiger Sieg, fügte Messel hinzu, wäre ohnehin keine Werbung für den Nazismus.
Brown schrieb, ein Pazifist solle stets versuchen, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein. In Kriegszeiten solle er härter denn je an einer Art sozialem Hilfsprogramm arbeiten, unabhängig von staatlicher Kontrolle und ohne jede Verbindung mit den Kriegsanstrengungen. Ohne Rücksicht auf die Folgen solle er gegenüber dem Aggressor zivilen Ungehorsam üben.
Lansburys Brief stimmte im Wesentlichen mit Browns Auffassung überein. Sein Tonfall berührte John und mich zutiefst. Man konnte fast die Stimme dieses sanften, furchtlos aufrichtigen achtzigjährigen Kriegers für den Frieden hören: »Wie viele andere finden Sie es äußerst schwierig, Ihren Idealismus inmitten der Welt, in der wir leben, zu verwirklichen. Dennoch, Genosse: Die Wahrheit von gestern ist auch die Wahrheit von heute. Wenn Sie und Millionen anderer junger Männer aller Nationalitäten ein weiteres Mal in die Hölle des Krieges gestürzt werden, wird nichts anderes dabei herauskommen als mehr und mehr Unordnung. Unsere Methode des passiven Widerstands ist noch nie erprobt worden, Krieg dagegen ist durch alle Jahrhunderte hindurch erprobt worden und hat völlig versagt.«
Das Engagement und der Mut dieser drei Männer waren inspirierend, doch in meiner jetzigen Lage waren sie nicht sonderlich hilfreich. Sie lebten in England und bereiteten sich darauf vor, ihre Rolle in der bevorstehenden Kriegskrise zu spielen. Selbst wenn ich zurückkehrte, würde ich mit ihnen nicht meine persönlichen Probleme besprechen können. Sie wären viel zu beschäftigt. Vielleicht würden sie mir Aufgaben zuweisen, aber ich war mir meiner selbst noch nicht sicher genug, um ihr Gefolgsmann zu werden. Ich brauchte mehr Zeit zum Nachdenken und jemanden, der mir dabei half, meine Gedanken zu sortieren.
So kam mir immer mehr Gerald Heard in den Sinn. Er und sein Freund Chris Wood waren 1937 nach Los Angeles ausgewandert, zusammen mit Aldous Huxley und seiner Frau Maria. Als sie noch in London lebten, hatte ich mich mit Gerald und Chris oft getroffen, und Gerald kannte ich gut genug, um auf sein Verständnis hoffen zu können. Aldous und Maria Huxley war ich noch nie begegnet, und ich brannte darauf, mit Aldous zu diskutieren, dessen zwei Jahre zuvor veröffentlichtes Buch Ziele und Wege als ein pazifistisches Grundlagenwerk galt.
Gerüchteweise wusste ich, dass Heard und Huxley sich mit dem Kult des Yoga, mit Hinduismus oder dem Vedanta beschäftigt hatten - noch ließ ich mich nicht dazu herab, genauer herausfinden zu wollen, was diese Begriffe bedeuteten. Mir war dieses ganze asiatische Zeugs in höchstem Maße zuwider. Allerdings war mein Widerwille ein anderer als der, den ich gegenüber Christen empfand. Christen sah ich als griesgrämige Lebensverächter und Sexhasser, die heuchlerisch ihre im Verborgenen lauernden Gelüste leugneten. Hindus sah ich als gefühlige Geheimniskrämer, deren Hokuspokus eher lächerlich als bedrohlich war. Dass Heard und Huxley sich von derlei Unfug beeindruckt zeigten, war bedauerlich. Ihren Fehltritt erklärte ich mir damit, dass es für Schwerintellektuelle typisch war, sich von Zeit zu Zeit von ihren Gefühlen überrumpeln und in die Irre führen lassen. Aber ein solcher Fehltritt konnte doch bestimmt nur vorübergehend sein? Ich nahm mir vor, jede Erörterung des Themas mit ihnen so taktvoll wie möglich zu vermeiden. Schließlich war es ihr Intellekt, den ich zu Rate ziehen wollte.
So begann ich denn, mit Gerald zu korrespondieren. Zu meiner Überraschung und Erleichterung erwähnte er nichts von Yoga. Was er schrieb, war im Gegenteil beruhigend pragmatisch. Sein Gedanken galten vor allem der Bildung von Gruppen. Pazifisten müssten sich in Gruppen organisieren, die klein genug seien, um Zusammenhalt zu gewährleisten, wobei jedes Mitglied die volle Verantwortung für jedes andere übernähme. Der Unordnung und der Zerstörung müssten Ordnung und schöpferische Akkuratesse entgegengesetzt werden. Wir müssten ein Doktorat psychisch gesunder, gut gerüsteter Heiler schaffen . Geralds Ausdrucksweise erschloss sich mir nicht immer, aber sie hatte etwas Autoritatives. Er schien zu wissen, was er wollte. Die Vorstellung, einer Gruppe Gleichgesinnter zuzugehören, reizte mich sehr. Seit meiner Entscheidung, Pazifist zu werden, hatte ich mich isoliert gefühlt, da ich befürchtete, viele meiner Freunde würden sie nicht gutheißen.
Als ich Gerald das erste Mal schrieb, war nicht ich es, der vorschlug, nach Kalifornien zu reisen, vielmehr drängte er mich in seinem Antwortbrief dazu. Von da an hielt ich es für selbstverständlich, dass ich ihn früher oder später aufsuchen würde. Abgesehen von dem Wunsch, mit Gerald und Huxley zu...
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