Schweitzer Fachinformationen
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Die Gärten kleideten sich in neuen Farben, Cruci spürte den warmen Wind aus dem Süden, während sie am offenen Fenster stand. Sie konnte schwören, es war der Scirocco, den Duft hätte sie überall erkannt.
Sie war unruhig. Sie vermisste ihre Heimat, ihre Familie, schon sechs Monate hatte sie fern von ihr verbracht. Sie seufzte, atmete noch einmal tief ein und verließ dann ihr Zimmer Richtung Aula.
Heute stand Geschichte der Parteigründung an. Wie oft hatte sie den Entstehungsmythos des PCI schon gehört. Die Aula schüchterte Cruci inzwischen weniger ein, sie hatte sich an den großen Raum und die Erwartungen, die sich damit verknüpften, gewöhnt.
Lucia und Antonio saßen schon in der ersten Reihe. Lucia winkte ihr zu. «Wir haben dir einen Platz freigehalten», rief sie.
Antonio lächelte unbestimmt. Cruci setzte sich zwischen sie und wandte den Blick zum Podium. Schnellen Schrittes betrat Sergio Rossi die Bühne.
«Genossen, wir haben heute viel vor. Lassen Sie uns keine Zeit verlieren. Und im Anschluss wird ein Gruppenfoto von uns allen für die Schulzeitung gemacht.»
Wieder einmal hatte Cruci Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Sie würde den Stoff abends in Ruhe nacharbeiten, das fiel ihr leichter. Lucia schob ihr einen Zettel zu. «Geht es dir gut?», stand mit schwarzer Tinte darauf geschrieben. Sie drehte sich zu ihrer Freundin um und zuckte mit den Schultern.
«Und denken Sie immer daran», sagte Rossi gerade, «die einzig wahre Schule ist die Partei selbst.»
Cruci sah die Wortfetzen an sich vorbeiziehen. Sie spürte, dass Antonio ebenfalls unruhig war, aber sie hatte keine Kraft, ihm sein Unbehagen zu nehmen. Ihr Blick schweifte zu dem Gemälde von Guttuso, den hohen Fensterfronten, zu den Feldern draußen. Das Gras wehte heftig. Der Scirocco wühlte alles auf. Cruci wusste, vordergründig wirkte er angenehm und frisch, aber die Lage konnte schnell kippen, und er verwandelte sich in einen Sturm. Sie kritzelte ein wenig in ihrem Heft herum, Zeichnungen ohne Form, Inhalt, Sinn.
«Als Gramsci, Bordiga, Togliatti, Tasca und Terracini am 21. Januar 1921 im Teatro San Marco die Partei gründeten, stand kurze Zeit später auch schon die Gründungserklärung. Die wichtigsten Prinzipien waren folgende .»
Seit ihrer ersten Verabredung hatten Antonio und sie kein einziges Mal gestritten, sie fühlte sich wohl in seiner Gegenwart, er ließ sie ganz sie selbst sein. Dass sie ihn zwang, ihre Beziehung geheim zu halten, bereitete ihr ein schlechtes Gewissen. Aber es war der einzige Weg.
«Neuntens, nur der proletarische Staat kann alle für das Eingreifen in die Ökonomie notwendigen Maßnahmen systematisch durchführen .»
Sie hatte die ganze Stunde noch kein Wort mitgeschrieben. Nun hörte sie Rossi sagen: «Genossen, lassen Sie uns für heute den Kurs beenden und uns gemeinsam hier vor dem Gemälde für das Foto versammeln.»
Lucia und Antonio standen auf, Lucia berührte Cruci an der Schulter.
«Komm. Wir müssen los.»
Cruci folgte den beiden, Antonio streichelte kurz, ohne dass es jemand bemerken konnte, ihre Hand, was sie wahrnahm, aber nicht erwiderte.
Die Klasse versammelte sich vor dem Gemälde, Sergio Rossi sorgte dafür, dass sie sich nach Körpergröße aufstellten. Cruci hasste es, fotografiert zu werden.
«Carla, kommen Sie hier hin. Paolo, Sie hier, und Gianluca, stellen Sie sich dort auf. Antonio, Sie müssen in die Mitte.»
Bevor Antonio den Platz wechselte, berührte er abermals ihre Hand.
«Genossin Crocifissa, Sie müssen ganz nach vorne, und Lucia, Sie direkt dahinter. Ja, so ist es gut.»
Er war nun sichtlich zufrieden.
«Haben Sie das Gemälde und die Flagge im Blick?», fragte er den Fotografen, der in Jeans und mit offenem Hemd hinter der Kamera stand und den Daumen nach oben streckte.
Hoffentlich hat das alles bald ein Ende, dachte Cruci. Sie wartete nur noch auf die Kaffeepause, um sich endlich in ihr Zimmer zurückzuziehen.
«Also, seid ihr bereit? Drei, zwei, eins. Lächeln!», sagte der Fotograf. Cruci hörte das Klicken der Kamera. Sie versuchte, die Mundwinkel anzuheben, zeigte die Zähne und wusste, wie albern es aussah.
«So, und jetzt noch mal, aber alle ein bisschen freundlicher.»
Cruci gab sich Mühe, ohne Erfolg.
«Sehr gut, wir sind durch. Fünfzehn Minuten Kaffeepause, und dann geht es weiter», sagte Rossi, und die Masse bewegte sich in Richtung Ausgang.
«Cruci. Antonio. Kommt mal kurz her», rief Lucia. «Lasst uns noch ein Foto von uns dreien machen.»
«Warum das denn?», sagte Cruci. Sie ärgerte sich über ihre Freundin. Das würde nur die Aufmerksamkeit auf sie und Antonio lenken.
«Es ist doch nur ein Foto. Ich will euch für immer in Erinnerung behalten. Ist das zu viel verlangt?»
Antonio zuckte die Achseln.
Cruci konnte darauf nichts erwidern. Sie wollte keine Spielverderberin sein. Sie sah, wie Lucia zum Fotografen ging, der gerade seine Objektive einpackte und dann alles wieder rausholte. Er platzierte die drei Freunde gegenüber der Fensterfront. Cruci links, Antonio rechts, Lucia in der Mitte.
«So sieht es gut aus. Sehr schön», sagte der Fotograf.
Klick - Klick - Klick - Klick - Klick.
Dann war es vorbei. Cruci eilte zum Ausgang, Antonio lief ihr hinterher.
«Cruci. Cruci», rief er.
Sie drehte sich um.
«Wollen wir einen Kaffee trinken?»
Ihr Körper spannte sich an, doch statt nein zu sagen, nickte sie und folgte ihm in die Küche. In der Halle kamen sie an Carla und Beatrice vorbei, die sie vielsagend angrinsten.
«Siehst du, ich hab's dir doch gesagt», hörte Cruci Carla flüstern.
Cruci erstarrte, vergrößerte sofort den Abstand zu Antonio und sah ihn entsetzt an.
Alle wussten Bescheid. Sie hatten es nicht geschafft, ihre Beziehung geheim zu halten, dabei hatte Cruci sich so große Mühe gegeben: Nie waren sie zusammen in die Bar gegangen, nie hatten sie sich im Schulgebäude zu zweit gezeigt, immer war Lucia dabei gewesen. Nur jetzt nicht.
«Cruci, mach dir nichts draus», sagte Antonio.
Sie blieb stehen. «Ich soll mir nichts draus machen?» Sie schüttelte den Kopf und ließ ihn einfach stehen.
In ihrem Zimmer trat Cruci ans Fenster. Es hatte begonnen zu regnen, sie öffnete es und atmete die Luft ein. Ja, es war der Scirocco. Der Duft der Felder und von auf Asphalt verdampfendem Regen ließ sie zur Ruhe kommen.
Es klopfte an die Zimmertür. Antonio? Sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen.
«Cru, mach auf. Ich bin's.» Es war Lucias Stimme.
Cruci drehte den Schlüssel um und öffnete ihrer Freundin. Noch im Türrahmen nahm Lucia sie in den Arm.
«Es ist nicht das Ende der Welt», sagte sie, als Cruci sich von ihr löste.
Cruci setzte sich aufs Bett, Lucia blieb stehen.
«Früher oder später musste es rauskommen. Du hast doch auch damit gerechnet.»
Cruci suchte nach Worten, sie fand keine.
«Ist doch viel besser so: Nun wissen es alle, und ihr könnt aufhören, euch zu verstecken.»
Sie lächelte, aber es wirkte nicht echt.
«Lucia, du weißt besser als ich, was das bedeutet. Ich werde als eine dieser Frauen gelten, die eigentlich auf die Frauenschule hätten gehen müssen, weil sie sich nicht beherrschen können.»
Lucia suchte nach einem Aschenbecher, fand keinen, ließ die Asche aus dem offenen Fenster fallen. Schwarze Flocken. Sie wandte den Blick nicht von Cruci ab.
«Verstehst du?», fuhr Cruci fort. «Ich habe es meinem Vater versprochen. Ich wollte die Schule mit Bravour meistern. Und jetzt bin ich verbrannt - für immer.»
Lucias Katzenaugen fixierten sie. Ihre Freundin schien einen Augenblick zu überlegen, dann rief sie: «Das ist doch Schwachsinn. Du hast dich verliebt - na und? Du musst das Spiel nicht mitspielen, das sie uns Frauen aufzwingen wollen. Du kannst beides haben: Liebe und Karriere. Außerdem bist du die Lieblingsschülerin des Direktors, schon vergessen? Was willst du denn noch?»
«Wie kommst du darauf?»
Cruci spürte, wie ihr Herz höherschlug. Machte Lucia ihnen beiden nicht gerade etwas vor? Frauen konnten nicht Liebe und Karriere haben. «Ach ja, wer hat denn beides?» Sie sah Lucia auffordernd an.
«Darum geht es nicht. Du bist nicht irgendwer, Crocifissa.»
Cruci verzog das Gesicht, sie war es leid. Lucia tat so, als ob sie nicht verstand, dabei wusste sie genau, wie die Sache lief. Schließlich hielt sie sich doch selbst von allen Beziehungen fern, keinen ließ sie an sich ran. Und nun stand sie vor ihr, rauchte und versuchte, sie zu belehren.
«Hör bitte auf. Wir wissen, wie es ausgeht, wenn ich mich weiter mit ihm treffe. Wir wissen es beide. Was soll ich nur tun?»
Lucia setzte sich neben sie aufs Bett, atmete laut aus, nahm Crucis Hände in ihre. «Willst du Antonio weiter sehen oder nicht?»
Lucias Frage traf Cruci wie ein Blitz. Sie musste eine Entscheidung treffen. Und war nicht bereit dazu.
«Ich weiß, wie es laufen könnte», fügte Lucia hinzu. «Aber du und ich sind in der Lage, den Lauf der Dinge zu...
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