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Kapitel 2
Jane
Den Kopf auf die Hand gestu¨tzt saß sie am Cafeteria-Tisch und sah Calvin dabei zu, wie er seine Instantnudeln umrührte. Er brachte sie sich fast jeden Tag mit und bat die Dame an der Essensausgabe um heißes Wasser. Die sah ihn immer ganz mitleidig an und füllte ihm seinen Plastikbecher Yum-Yum-Nudeln bis oben hin auf.
»Bist du sicher, dass du nicht die Hälfte von meinem Sandwich haben willst?«, fragte sie ihn.
»Ich kann dir doch nicht immer alles wegessen, J. P.«
Das war noch so eine Angewohnheit von Cal, der seit dem ersten Jahr der Junior Highschool ihr bester Freund war. Er sprach alle Leute bei ihren Initialen an, sogar die Lehrer, was die meisten von ihnen gar nicht lustig fanden.
»Du würdest es mir nicht wegessen. Ich hab überhaupt keinen Hunger, ehrlich.«
»Du musst mehr essen, Kleines.«
»Ach, ich müsste auch mehr lernen und öfter meine Haare kämmen, da hab ich aber gar keine Lust zu«, erwiderte Jane und zuckte die Achseln. Ihr war bewusst, wie sie heute wieder herumlief. Sie hatte verschlafen - zum siebten Mal in diesem Monat - und war - ebenfalls zum siebten Mal - zu spät zum Unterricht erschienen. Sie wusste auch nicht, warum es ihr an Schultagen so schwerfiel, morgens aufzustehen. Und sie hörte ihren blöden Wecker ja auch immer, doch sie stellte ihn halt einfach aus und schlief weiter. Irgendwann kam dann ihre Mutter wie eine Furie ins Zimmer gestürmt, riss ihr die Bettdecke vom Körper und schrie, dass sie nicht schon wieder zu spät kommen dürfe. Weil sie schon schlecht genug in der Schule sei und am Ende noch die zehnte Klasse wiederholen müsse. Sie wusste ja, dass ihre Mom recht hatte, und trotzdem hasste sie sie jeden Tag aufs Neue für ihre Militärmethoden. Sollte sie sich doch um ihren eigenen Kram kümmern. Warum konnte sie sie nicht einfach in Ruhe lassen?
Wie auch immer, sie war wieder mal spät dran gewesen, hatte sich schnell die alten Sachen vom Vortag angezogen, die noch auf dem Boden verteilt herumlagen, hatte sich, statt die Zähne zu putzen, nur schnell einen Kaugummi in den Mund gesteckt, und sich die Papiertüte mit ihrem Lunch, die ihre Mom ihr auf den Flurtisch gestellt hatte, geschnappt. Sie hatte sich aufs Fahrrad geschwungen und erst auf halbem Weg zur Schule gemerkt, dass sie vergessen hatte, sich die Haare zu kämmen.
Egal. Wer achtete schon auf ihre Haare? Die meisten Kids an der Montgomery High beachteten sie doch überhaupt nicht, wussten wahrscheinlich nicht einmal, dass sie existierte. Klar, vor anderthalb Jahren war sie kurz Gesprächsthema gewesen, ein paar der Cheerleaderinnen hatten ihr mitleidige Blicke zugeworfen, nur um sie eine Woche später schon wieder zu ignorieren. Wahrscheinlich kannte keine einzige von ihnen ihren Namen.
Damals hatte Jane noch Freundinnen gehabt, die sich aber alle ganz schnell abwandten, als sie zum Zombie mutierte. Irgendwann war sogar ihre beste Freundin Brianna gegangen, mit einem traurigen Ausdruck in den Augen, der das Ende ihrer langjährigen Freundschaft bedauerte. Nur Calvin war geblieben.
Früher war Cal stets der Typ gewesen, der lieber mit Mädchen abhing als mit anderen Jungen, und der deswegen oft für schwul gehalten wurde, bevor er mit Tessie Fielding ging und alle Gerüchte aus der Welt schaffte. Als er dann kurz nach ihrem schweren Verlust lieber bei Jane war, um sie zu trösten, statt mit Tessie zum weihnachtlichen Schulball zu gehen, machte diese mit ihm Schluss. Es schien Cal nicht allzu viel auszumachen. Er wollte für sie da sein, und das war er. Er war der Einzige, auf den sie sich verlassen konnte. Ihr einziger wahrer Freund, sie wüsste überhaupt nicht, was sie ohne ihn machen sollte.
Jetzt sah sie ihn über den Tisch hinweg an, seine dunklen Haare fielen ihm ins Gesicht, seine Kleidung war so düster wie ihre. Aus Solidarität hatte er nach dem Tod ihres Dads angefangen, gemeinsam mit ihr Schwarz zu tragen, und auch als sie nicht damit aufgehört, sondern sich in diesen Zombie verwandelt hatte, war er mitgegangen.
Sie liebte Cal über alles, platonisch natürlich, er war der einzige Mensch auf der Welt, der sie verstand.
»Nun nimm endlich das blöde Sandwich«, sagte sie und schob es ihm rüber.
Er griff danach und schlang es hinunter, als hätte er seit Tagen nichts gegessen, während seine Nudeln langsam die weiche Konsistenz annahmen, die es benötigte, um sie essen zu können. Jane fragte sich, wie Cal sie überhaupt noch zu sich nehmen konnte - hingen sie ihm nicht langsam zum Hals heraus?
»Danke«, sagte er. »Das war echt lecker. Ich wünschte, meine Mom würde mir Schulsandwiches machen.«
»Ich geb dir gerne meine Mom«, sagte sie.
»Hattet ihr wieder Streit?«
»Ach, immer dasselbe. Sie wollte mich gestern ausquetschen, wollte wissen, wie es in der Schule läuft und so.«
»Und was hast du gesagt?«
»Na, von der Sechs in Spanisch hab ich ihr jedenfalls nichts gesagt.«
»Und was machst du wegen der Unterschrift?«
»Die hab ich inzwischen ziemlich gut drauf.«
»J. P., wenn das irgendwann rauskommt . Was, wenn mal irgendein Lehrer deine Mom zu sich bestellt?«
»Das wird nicht passieren. Sie haben Angst davor, sie zu treffen. Genauso wie sie sich davor fürchten, mich näher wegen der Umstände anzusprechen, die für meine schlechten Noten verantwortlich sind. Sie wissen doch alle, was passiert ist. Sie lassen es durchgehen. Ich krieg nicht mal Briefe mit, weil ich ständig zu spät bin.«
»Du tust ihnen eben leid, J. P.«
»Ihr Mitleid können sie sich sonst wo hinstecken.«
»Ich sehe schon, du bist heute nicht allzu gut drauf. Wollen wir später einen The-Walking-Dead-Marathon machen?«
»Klar, da bin ich immer dabei. Funktioniert euer Netflix wieder?«
»Nope. Noch immer kein Zugang.«
Cals alleinerziehende Mutter hatte vor ein paar Monaten ihren Job im Kaufhaus verloren und konnte die Rechnungen nicht mehr zahlen. Deshalb gab es auch nur noch japanische Instantnudelsuppen zum Lunch - die gab's für einen Dollar den Becher. Seit sie pleite waren, ging Cals Mom nur noch im Dollar Tree einkaufen.
Cal rollte ein paar Nudeln auf seine Gabel und schlürfte sie aus der Suppe, dass es spritzte.
»Dann komm eben mit zu mir«, schlug Jane vor.
»Ist das okay für deine Mom?«
»Ich denk schon. Sie ist doch froh, wenn ich überhaupt noch Freunde hab. Sie glaubt nämlich, ich mutiere zur totalen Einsiedlerin.«
»Dann wollen wir ihr mal beweisen, dass das nicht der Fall ist, oder?« Er lächelte sie an.
»Du hast da irgend so eine Alge zwischen den Zähnen«, sagte sie, und Cal versuchte, sie sich mit dem Finger wegzuwischen. »Nein, nicht da. Warte .« Sie langte über den Tisch und kratzte ihrem Freund das grüne Ding aus der Zahnritze. Als wäre es das Normalste der Welt.
»Oh Gott, ihr seid wie so'n altes Ehepaar«, hörte sie hinter sich und musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es Aiden war.
»Hey, A. D.«, grüßte Cal ihn.
»Alles klar?«, fragte Jane.
»Mir geht's bestens. Ich lass mir heute Nachmittag ein neues Tattoo stechen«, erzählte Aiden aufgeregt und setzte sich auf den Platz neben Calvin.
»Noch eins?« Jane betrachtete den Typen, den sie nicht unbedingt einen Freund nennen würde, der aber genauso ein Außenseiter war wie sie beide, weshalb sie manchmal mit ihm abhingen. Er bezeichnete sich selbst als Rocker, obwohl er eher wie ein Punk rüberkam, da er grün gefärbte Haare hatte und so viele Piercings und Tattoos, dass man sie nicht mehr zählen konnte.
»Yep!«, erwiderte er. »Das Triad, eins der Logos von Thirty Seconds to Mars. Ich will es mir, genau wie Jared Leto, auf den Unterarm stechen lassen.«
Jared Leto, der Sänger der Rockband, war Aidens absolutes Idol. Er sang selbst auch in einer Band, die nicht nur Thirty-Seconds-to-Mars-Songs, sondern auch die von einigen Neunzigerjahre-Bands wie den Red Hot Chili Peppers, den Foo Fighters oder Green Day coverte. Sie hatte Aiden schon oft sagen hören, dass er wünschte, er würde in den Neunzigern leben.
Das Einzige, was Jane über die Neunzigerjahre wusste, war, dass ihre Mom und ihr Dad sich da kennengelernt hatten. Auf der Junior Highschool. Allerdings hatten sie einander zu der Zeit völlig ignoriert und sich erst auf dem College unsterblich verliebt.
Sie wusste, dass Aiden glaubte, Cal und sie wären ebenfalls ineinander verknallt, würden es nur vor anderen nicht zeigen wollen. Aber so war es wirklich nicht, sie beide waren einfach nur die besten Freunde, die man sich vorstellen konnte.
Sie bemerkte jetzt erst, dass Aiden und Cal sich angeregt über Tattoos unterhielten und dass sie mal wieder vor sich hin geträumt hatte. Das tat sie oft, ganz unbewusst, so als würde sie sich selbst davonträumen wollen, weil die Realität einfach zu schwer zu ertragen war.
Sie hörte den Jungs zu, bis es zum Ende der Mittagspause klingelte.
»Bist du mit dem Fahrrad da?«, fragte Cal sie noch, bevor sie sich trennten, um in ihre verschiedenen Kurse zu gehen.
»Ja.«
»Ich auch«, sagte er, der manchmal auch mit dem Schulbus kam. »Dann treffen wir uns nach dem Unterricht und fahren zusammen zu dir?«
»Musst du nicht vorher zu Hause nachfragen, ob das klargeht?«
Er schüttelte den Kopf. »Meine Mom arbeitet doch ab heute Abend in dem Truck-Stop-Diner an der Hauptstraße....
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