Schweitzer Fachinformationen
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Dreiundzwanzigster Tag,
dritter Monat, achtes Jahr Keich?7
Sonnig, nachts ein Gewitter
Gestern nacht hatten wir ein fürchterliches Gewitter. Bei Tagesanbruch legte es sich, aber in mehrere Tore von Kitashirakawa und auch andernorts hat es eingeschlagen, und Gerüchten zufolge wurden in der Stadt Menschen vom Blitz getötet.
Als sich das Unwetter gegen Morgen verzogen hatte, war der Himmel klar und transparent, wie reingewaschen. Nach dem Frühstück fegte ich den Weg vor meiner Klause. Sie und der Garten waren vom Regen arg mitgenommen; überall lagen Zweige von Bäumen und Sträuchern herum. Der einzige Kirschbaum neben dem Brunnen trägt noch keine Knospen und hat daher trotz des Sturms kaum Schaden genommen.
Heute erhielt ich Besuch von Herrn Okano K?setsusai. Nun wohne ich schon elf Jahre hier, aber es ist das erste Mal, daß ich einen Gast empfange. Nachdem ich in meinem anderthalb Tatami großen Teezimmer im Kohlebekken ein Feuer entzündet hatte, nahm ich die schwarze Teeschale von Ch?jir? hervor, die Meister Riky? mir vermacht hat. An einer Stelle schimmert der Untergrund hindurch, weil die schwarze Glasur dort etwas zu dünn ist. Dies wirkt jedoch um so origineller und bringt die Schale, mit dem schwungvoll gerundeten Körper, dem etwas wulstigen Rand und dem zierlichen Standring gut zur Geltung.
Ich konnte mir kaum vorstellen, weshalb ein vornehmer Herr wie Okano K?setsusai eigens den Weg zu mir heraus macht, aber der Inhaber des Daitokuya, eines Handelshauses in Teramachi, zu dem ich seit Jahren gute Beziehungen unterhalte und für das ich häufig Kunstgegenstände schätze, hatte mir den Besuch schon angekündigt. So vermutete ich, daß es sich um eine Anfrage dieser Art handelte.
Ich war Herrn K?setsusai noch nie begegnet, aber ich erinnerte mich an einige Gerüchte, die mir in dem Jahr, bevor mein Meister starb, zu Ohren gekommen waren. Selbst als bei der Belagerung von Odawara die Niederlage des H?j?-Clans bereits besiegelt war, soll er bis zuletzt auf dessen Seite gekämpft haben. Nach der Übergabe der Burg wurde er vor Taik? Hideyoshi gebracht und angeklagt, den Fall seines Fürsten herbeigeführt zu haben. Herr K?setsusai soll erwidert haben, die Niederlage sei ein schicksalsgewolltes Unglück gewesen, das seinen Herrn heimgesucht habe, und ein einfacher Gefolgsmann wie er hätte sie nicht verhindern können. Trotz seines Scheiterns sei er als Samurai stolz darauf, für die gerechte Sache der H?j? ins Feld gezogen zu sein. Mehr habe er dazu nicht zu sagen. Im übrigen hoffe er nunmehr, schnellstmöglich enthauptet zu werden. Die letzte Äußerung soll den Taik? so beeindruckt haben, daß er Okano K?setsusai begnadigte. Nach Odawara war diese Geschichte in aller Munde, und Herr K?setsusai genoß den Ruf eines vortrefflichen Kriegsmannes.
Abgesehen davon wußte ich nichts über Okano K?setsusai, aber als der Inhaber des Daitokuya vor etwa zwanzig Tagen von dem heutigen Besuch sprach, erzählte er mir noch ein wenig von ihm. So erfuhr ich, daß dieser, als er noch Vasall der H?j? war, den Namen Itabeoka Y?sei geführt hatte. Sooft die Herrscher von Kant? Gesandte nach Odawara schickten, soll er als oberster Unterhändler fungiert haben. Als er nach der Niederlage der H?j? in den Dienst Hideyoshis getreten sei, habe er auf dessen Befehl den Namen Okano K?setsusai angenommen. Nach Hideyoshis Tod wurde er Gefolgsmann von Tokugawa Ieyasu und beriet diesen erfolgreich in der Schlacht bei Sekigahara. Anschließend stieg er als Ieyasus Vertrauter auf und erhielt ein Lehen in Fushimi.
»Warum sollte ein großer Herr wie er einen unbedeutenden Mönch wie mich aufsuchen?« fragte ich den Inhaber des Daitokuya.
»Diese Frage habe ich ihm auch gestellt, aber er sagte, er habe nur eine persönliche Bitte. Sonst hat er nichts geäußert. Ich vermute, es geht um einen Kunstgegenstand.« »Aber eine so hochgestellte Persönlichkeit wie er müßte sich doch nicht eigens zu mir bemühen. Ich wäre doch zu ihm gekommen.«
»Das sagte ich ihm auch. Und daß ich Euch zu ihm nach Fushimi begleiten könne, aber er lehnte ab und bestand darauf, Euch allein sprechen zu wollen. Und da er es einmal so beschlossen hatte, konnte ich es ihm nicht ausreden.«
Daher hielt ich mich also heute bereit, Herrn K?setsusai zu empfangen.
Er traf um die Stunde des Widders8 ein. Als ich ihn ohne Gefolge den kleinen Pfad hinaufsteigen sah, eilte ich ihm sogleich bis zum Ginkgobaum entgegen. Mein Garten ist eigentlich kaum mehr als ein leeres Feld, wie es alle Bauernhäuser in der Nachbarschaft haben.
»Bruder Honkaku?« sprach er mich freimütig an.
Vor mir stand ein Mann Mitte sechzig mit rasiertem Schädel und in einer Mönchskutte, aber seine breiten Schultern, die athletische Statur und seine kräftige Stimme paßten genau zu seinem Auftritt nach der Niederlage von Odawara. Sein Blick fiel auf die Veranda, die zum Garten wies.
»Laßt uns eine Weile hier draußen sitzen. Die Sonne ist so angenehm«, sagte Herr K?setsusai.
»Möchtet Ihr vielleicht zuerst Tee nehmen und dann reden? Wenn Ihr mit meiner ärmlichen Klause vorliebnehmen wollt, tretet ein«, sagte ich.
»Seid bedankt, also gehen wir hinein«, sagte er und folgte mir.
Wir durchquerten den Vorraum mit dem gestampften Lehmboden und das größere Mittelzimmer bis in mein kleines hinteres Teezimmer. Es hat keine Schmucknische, dementsprechend gab es weder Blumen noch eine Bildrolle.
»Es ist so bescheiden hier, daß ich noch nie jemanden empfangen habe.«
»Schon gut«, sagte er. »Dieser schlichte Raum birgt den wahren Geist des Wabi, und es ist mir eine Ehre, der erste Gast darin zu sein.«
Von diesem Augenblick an wurde es mir leichter ums Herz. Herr K?setsusai war in keinster Weise hochmütig, sondern ein vollkommener Gast.
»Es ist dreißig Jahre her, daß ich aus einer Schale von Ch?jir? Tee getrunken habe. Yamanoue S?ji hat ihn damals für mich bereitet«, sagte er nach dem Tee.
Voll Verwunderung hörte ich diesen Namen.
»Ihr kanntet Yamanoue S?ji?«
»In Odawara habe ich mich etwa zwei Jahre mit der Teekunst beschäftigt. Yamanoue S?ji war mein Lehrer. Übrigens bin ich heute gekommen, um Euch etwas zu zeigen, das Meister S?ji geschrieben hat. Nun, da wir mit dem Tee fertig sind, will ich zum Grund meines Besuches kommen.«
Herr K?setsusai knotete das Bündel auf, das er bei sich trug, nahm ein verhältnismäßig dickes japanisches Manuskript heraus und legte es vor mich hin.
»Hättet Ihr die Güte, Euch diese Schrift einmal anzuschauen? Herr S?ji hat auf meinen bescheidenen Wunsch hin eine Abhandlung, man könnte sagen, über die Geheimnisse oder die verborgene Tradition des Tees verfaßt. Für mich als bloßen Anfänger ist manches darin schwer verständlich. Es tut mir leid, Eure Zurückgezogenheit zu stören, aber ich möchte, daß Ihr sie lest und mir einige Punkte darin erläutert. Ich kann mir niemanden vorstellen, der dazu besser geeignet wäre als Ihr, der so lange an Meister Riky?s Seite gelebt hat.«
»Ihr meßt den Kenntnissen eines einfachen Mönchs zuviel Gewicht bei. Bis zu welchem Grad könnte ein kaum gebildeter Mann wie ich eine Schrift des erlauchten S?ji verstehen, des zweifellos besten Schülers meines Meisters? Doch wenn Ihr es wünscht, will ich sie mir gern anschauen. Ich bräuchte nur einige Tage ...«
»Nehmt Euch so viele Tage Ihr wollt.«
»Aber sie muß von unschätzbarem Wert für Euch sein. Wenn es Euch beliebt, könnte ich zu Euch kommen und sie mir in Eurem Hause anschauen.«
»Nicht nötig. Dies ist eine Abschrift, die ich angefertigt habe. Die von Meister S?ji verfaßte Originalrolle würde ich nie außer Haus geben. Seid also unbesorgt! Ihr könnt sie so lange bei Euch behalten, wie Ihr wollt. Falls Ihr sie nochmals abzuschreiben wünscht, habe ich nichts dagegen.«
Auch in dieser Angelegenheit kam Herr K?setsusai geradeheraus und unbeirrt zur Sache.
»So darf ich nach langer Zeit endlich wieder die Stimmen Meister Riky?s und Bruder S?jis vernehmen.«
Mein Herz jubelte. Ich nahm das Manuskript, betrachtete die Zeichen »Verfaßt von S?ji Yamanoue« auf dem Deckblatt und hob die Rolle zum Zeichen meiner Verehrung an mein Gesicht. Sodann erhob ich mich, um sie auf mein Studierpult im Nebenzimmer zu legen.
Anschließend fuhren wir mit unserer Unterhaltung fort. Auf Herrn K?setsusais Wunsch bereitete ich noch einmal Tee. Um diese Jahreszeit war es noch kühl, aber mein Kohlebecken reichte aus, um den kleinen Raum zu erwärmen. Draußen regte sich kein Lüftchen, und es herrschte vollkommene Stille.
»Wann hat der verehrte Yamanoue S?ji dieses Manuskript verfaßt?«
»Im zweiten Monat des siebzehnten Jahres Tensh?9
brach ich als Gesandter aus Odawara auf. Kurz zuvor hatte ich es erhalten. Demnach muß S?ji im Herbst des vorhergegangenen Jahres mit der Niederschrift begonnen haben. Kaum in Odawara angekommen, hatte man ihn im Hause H?j? bereits zum Teemeister gemacht. Überdies erteilte man ihm gewisse Zuwendungen. Vielleicht hat er die Schrift auch ein wenig aus Dankbarkeit verfaßt, obgleich das sicher nicht der einzige Grund war. Nach der Lektüre werdet Ihr es sicher wissen. Ich habe das Gefühl, er wollte ein schriftliches Zeugnis hinterlassen, da er ahnte, daß sein Schicksal sich jederzeit wenden konnte.«
»Wie lange weilte Herr S?ji in Odawara?«
»Drei oder vier Jahre.«
»Und wo hatte er sich zuvor...
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