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Die allgemeine Zahngesundheit heben
Wer Ressourcen von der Gesellschaft will, begründet den Anspruch. Die grosse Verbreitung der Zahnkaries ermöglichte der Schweizer Zahnärzteschaft in den 1910er-Jahren, die Verfügbarkeit vieler gut ausgebildeter Fachleute als allgemeines Interesse darzustellen. Ein Streit mit handwerklichen Zahnbehandlern um das Behandlungsmonopol im Mund machte die Gründung einer neuen Ausbildungsstätte an der Universität Bern in der Zahnärzteschaft mehrheitsfähig. Mit den damaligen Anstrengungen zur zahnmedizinischen Erfassung der ganzen Bevölkerung begann die prophylaktische Ausrichtung der Disziplin. Nach der Jahrhundertmitte diskutierten Exponenten der Berner Zahnmedizin über Massnahmen zur kollektiven Kariesprophylaxe und halfen beim Aufbau der Schulzahnpflege im Kanton sowie bei der Etablierung neuer Berufe wie jenem der Dentalhygienikerin.
Karies als gesamtgesellschaftliches Problem
Die Berner Zahnärztegesellschaft beriet im Juni 1905 erstmals die Errichtung einer neuen «Schule für Zahnärzte». Nein, ein Bedürfnis nach einer solchen Ausbildungsstätte bestehe nicht, berichtete darauf Präsident Charles Berguer an Universitätsrektor Philipp Woker und an die kantonale Direktion des Unterrichtswesens. Gegenüber einer Neugründung habe Vorrang, dass es «bei zwei richtig geleiteten und gut besuchten Schulen» in Genf und Zürich bleibe.8 Was die praktizierenden Zahnärzte 1905 hingegen befürworteten, war die Errichtung einer zahnärztlichen Poliklinik, also einer niederschwelligen Anlaufstelle für Menschen mit Zahnproblemen, an der auch zahnheilkundlicher Unterricht stattfinden würde.
1905 gehörten Zahnbehandlungen - genauer: das Extrahieren von Zähnen - in Bern zu den Dienstleistungen der Chirurgischen Poliklinik unter der Leitung des späteren Nobelpreisträgers Theodor Kocher. Diese Einrichtung war der Eintrittspunkt zahnheilkundlicher Expertise in die Universität. 1907 ernannte der Regierungsrat den Zahnarzt Otto Schürch zum Dozenten für Zahnheilkunde. Ab nun überwies die Chirurgische Poliklinik die Zahnpatientinnen und -patienten an ihn. An der Universität unterrichtete Schürch ab Sommer 1907 bis zu zehn Medizinstudenten sowie Studierende der Zahnheilkunde. Letztere durchliefen in Bern die Ausbildung in den naturwissenschaftlichen und medizinischen Grundfächern zusammen mit den Medizinern, bevor sie an eines der beiden zahnärztlichen Institute in Genf und Zürich wechselten. Die Studierenden lernten Zahnextraktions- und Narkosetechniken sowie Füllungen anzubringen und zu entscheiden, «ob ein Zahn dem Krankheitsbilde nach entfernt oder erhalten werden soll».9
Dozent Otto Schürch sah keinen Bedarf an einer neuen «Zahnarztschule».
Als Vorreiter einer Berner «Zahnarztschule» sah sich Schürch nicht. Sein Lehrangebot vermittelte angehenden Landärzten grundlegende zahnärztliche Fähigkeiten, um in Gegenden ohne Zahnarzt Menschen mit Zahnschmerzen zu helfen. Den Studierenden der Zahnheilkunde wollte Schürch den Übertritt an die Institute in Genf und Zürich erleichtern. Dank seinem Unterricht sollten sie dort den Vorlesungen und Übungen «mit mehr Verständnis» folgen können. Dass ihnen die Universität Bern keine Fortsetzung zum Grundstudium anbot, bedauerte Schürch nicht. Er erachtete ein eigenes Institut in Bern wie schon die Zahnärztegesellschaft 1905 als überflüssig. Am Ende seines Rechenschaftsberichts über das erste Unterrichtsjahr schrieb er: «Es ist auch nicht nötig, dass solche Institute plötzlich aus dem Boden herausschiessen wie die Pilze nach einer lauwarmen Gewitternacht. Solche Neuerungen müssen gründlich studiert werden, zumal sie mit nicht unbedeutenden Kosten verbunden sind. Lieber ein vollendetes Ganzes, angepasst den Errungenschaften der Neuzeit, als ein Flickwerk, das in kurzer Zeit wieder eingeschmolzen werden muss.»
Otto Schürch verstarb 1909 im Alter von 41 Jahren - im selben Jahr, in dem Kocher den Nobelpreis erhielt. Es dauerte sechs Jahre, bis der Regierungsrat den Medizinern in der Chirurgischen Poliklinik wieder einen Zahnarzt zur Seite stellte. Im Winter 1914/15 habilitierte sich der spätere Gründer des Zahnärztlichen Instituts Oscar Müller mit einer Arbeit zur Anästhesie des Unterkiefers an der Medizinischen Fakultät. Darauf ernannte ihn der Regierungsrat wie zuvor Schürch zum Privatdozenten für Zahnheilkunde.
Oscar Müller leitete die Institutsgründung schrittweise ein.
Müller war in Grenchen und Burgdorf als Sohn eines Zahnarztes aufgewachsen. Auf die Matura folgten die Ausbildung am Zahnärztlichen Institut der Universität Zürich und die Eröffnung einer Zahnarztpraxis 1911. Daneben schlug er eine akademische Laufbahn ein. 1913 verlieh ihm die Philosophische Fakultät der Universität Bern auf Antrag des Zoologieprofessors und promovierten Mediziners Theophil Studer den Doktortitel für eine Untersuchung über Blindschleichen. Jetzt erfolgte der Wechsel an die Medizinische Fakultät zu Kocher. In dessen Auftrag richtete Müller nach seiner Habilitation eine neue «Poliklinik für Zahnkrankheiten, verbunden mit Extraktionskurs», in der Chirurgischen Poliklinik ein. An der Universität las er über «Krankheiten der Zähne» und «Ausgewählte Kapitel über die Prothesentherapie bei Kieferdefekten».10 Sein Engagement für die Errichtung eines zahnärztlichen Instituts begann Müller im April 1918. Was hatte sich zwischen 1909 und 1918 verändert, dass Müller eine neue Ausbildungsstätte in Bern für notwendig hielt?
Müllers Engagement hatte einen universitätsinternen Grund. Im Juli 1917 war Theodor Kocher gestorben. Mit dessen Nachfolger Friedrich «Fritz» de Quervain musste Müller die Zusammenarbeit neu aushandeln. Er machte sich für den Ausbau seiner zahnärztlichen Abteilung und für die Verstetigung seiner Anstellung stark. Müller hatte die beiden bestehenden zahnärztlichen Räume an der Chirurgischen Poliklinik aus eigenen Mitteln ausgerüstet. Nun verlangte er von de Quervain mehr Räume und finanzielle Unterstützung. Die Gründung eines zahnärztlichen Instituts nach Genfer oder Zürcher Vorbild bezeichnete er zu diesem Zeitpunkt als längerfristiges Ziel, das nicht sofort umsetzbar sei. In einem Schreiben an die kantonale Unterrichtsdirektion bemerkte er: «Ich glaube nicht, dass der Staat Bern jemals in der Lage sein wird, nun auf einmal eine solche Summe für ein zahnärztliches Institut auslegen zu können. Es muss vor allem einmal angefangen werden. Das Weiterbauen wird sich viel leichter machen lassen. Was jetzt sehr gut zu machen ist, das ist die Einrichtung der zahnärztlichen Poliklinik, wie ich sie Herrn Prof. Dr. de Quervain vorgeschlagen habe, und damit die Schaffung einer ständigen Lehrstelle.»11 Auf diese Weise sei es möglich, nach und nach ein zahnärztliches Institut zu erlangen.
Neben diesem universitätsinternen Zusammenhang hatte der Erste Weltkrieg die Rahmenbedingungen zahnärztlicher Tätigkeit verändert. Der Weltkrieg war ein Stellungskrieg, den die Armeen aus Schützengräben heraus führten. Die Soldaten erlitten häufig Schussverletzungen im Gesicht. Zur Behandlung dieser Verletzungen arbeiteten Chirurgen und Zahnärzte zusammen. Schweizer Zahnärzte sammelten in den Lazaretten der Krieg führenden Nachbarstaaten Erfahrungen mit der Kriegsmedizin. Oscar Müller erstattete 1917 aus einem Wiener Kieferlazarett dem höchsten Schweizer Militärarzt Bericht.12 Ein weiterer, in die Gründung des Berner Instituts involvierter Akteur mit Kriegserfahrung war Fritz Egger. Er war bereits im ersten Kriegsjahr als Kieferspezialist nach Paris und Lyon gereist.
Fritz Egger, Zahnarzt mit Kriegserfahrung und 1920 Präsident der SOG.
Egger hatte Medizin studiert, sich aber Anfang der 1910er-Jahre mit seiner Dissertation zu Unterkieferbrüchen in das Grenzgebiet zur Zahnheilkunde begeben. Die in Zürich entstandene Arbeit betreuten Ferdinand Sauerbruch, von 1910 bis 1918 Direktor der Chirurgischen Klinik am Kantonsspital Zürich, und Giovanni Ambrogio Stoppany, der in Zürich die Zahnärztliche Poliklinik leitete. Egger ging dann in die USA an die University of Pennsylvania in Philadelphia. Von dort kam er mit dem Titel eines «Doctor of Dental Surgery» nach Bern und eröffnete eine Zahnarztpraxis. Das sich 1914 angeeignete Wissen zum Umgang mit zerschossenen Gesichtern wandte Egger zusammen mit dem Chirurgen Hermann Matti am Salemspital zur Behandlung verwundeter Kriegsgefangener an, welche die Krieg führenden Staaten in die Schweiz überführten. In der Fachzeitschrift «Schweizerische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde» kommentierte Egger: «Darauf darf unsere zahnärztliche Wissenschaft und unsere Technik stolz sein, Hand in Hand mit der medizinischen Technik und Wissenschaft Grosses leisten zu können.»13
Wertete der Weltkrieg die medizinische Bedeutung zahnärztlicher Fähigkeiten auf, drohte die Etablierung der Zahnmedizin als Wissenschaft im Inland in den Kriegsjahren unterwandert zu werden. Die Schweizer Zahnärzte sahen sich einem ähnlichen Problem...
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