Schweitzer Fachinformationen
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Wie ereignet sich Kunst? Als Moment, der einen Wendepunkt in der Geschichte markiert, als widersprüchliche Einheit von Form und Sinn des einzelnen Kunstwerkes oder als Aktualisierung in der ästhetischen Betrachtung? Max Imdahls kunsthistorische Schriften leisten nicht weniger als die Synthese dieser verschiedenen Ereignisstufen anhand der Analyse einzelner Kunstwerke, die von der ottonischen Buchmalerei bis zur abstrakten Nachkriegskunst des 20. Jahrhunderts reichen. Anlässlich von Imdahls 100. Geburtstag versammelt dieser Band eine Auswahl seiner Texte aus vier Jahrzehnten. Sie öffnet neue Perspektiven auf Imdahls bedeutendes Werk und eignet sich vorzüglich als Einführung in sein Denken.
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Die farbige Erscheinung moderner Bilder geht von bestimmbaren Inhalten aus: von der Wertung der Farbe als Materie, ihrer Schönheit an sich, ihrer suggestiven Macht im ursprünglichen oder in einem zugleich auf die Dinge verweisenden Sinne. Neben diesen unmittelbaren Wirkungen ist auch das Unmittelbare des Lichtes Inhalt neuerer Farbgebung.
August Macke hatte sich vielen Kunstabsichten seiner Zeit geöffnet, und die Frage, wie er das Licht gemalt hat, umgreift durchaus nicht sein ganzes Werk. Gleichwohl ist sein Beitrag zur Darstellung des Lichtes nicht der geringste.
Die Lichtdarstellung in dem frühen Bild Elisabeth am Schreibtisch von 1909 (Abb.1) enthält nichts Ungewöhnliches. Das Licht beleuchtet einen Raum und die Dinge darin. Aus der Lichtführung ergeben sich Licht- und Schattenzonen. Auffallend, auch in der Farbe, sind die Partien im Licht. Das Auge verweilt auf der kostbaren Rotfläche des Sessels im Hintergrund, trennt davon das Blau des Kleides als Farbe eines anderen Objektes und »liest« dort die vom Schatten ins Licht führenden Wandlungen. Die Farben gehören den Dingen zu und unterscheiden sich nach deren Stellung im Licht. Farbige Dinge reagieren auf Licht, aber in diesem mittelbaren Vergegenwärtigen des Lichtes ist nicht das Licht selbst, sondern sein Wirken auf Körper, Farben und Raum Inhalt der Darstellung.
Abb.1: August Macke, Elisabeth am Schreibtisch, 1909, 22×15,5 cm, Öl auf Leinwand. Privatbesitz.
Im späteren Bild Leute am blauen See von 1913 (Abb.2) sind die Farben reicher und intensiver. So erscheint das Gesicht der Frau rot, aber das Rot gilt nicht als rotes Gesicht. Denn die Farben des Bildes sind frei von den Farben der Dinge. Sie gelten für sich und nehmen, wie aus eigenem Wollen begrenzt, das silhouettenhaft Dingliche in sich auf, breiten sich aber auch oft darüber hinweg. So malten die Expressionisten. Sie befreiten die Farbe von der Oberfläche der Dinge und brachten sie auf der Leinwand zu sich selbst, damit sie von dort aus als Ausdruck auf die Dinge zurückwirke. In Mackes 10Bild kommt jedoch solche Spannung nicht auf. Man empfindet die Farben nicht als Ausdruck, sondern als wirkliche Helle.
Abb.2: August Macke, Leute am blauen See, 1913, 60×48,5 cm, Öl auf Leinwand. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle.
Die wichtigsten Farben des Bildes sind Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett: das in Einzelfarben zerlegte Licht. Ordnet man diese Farbwerte zum Kreis und mischt die dort benachbarten zu gleichen Teilen, so enthält der Farbkreis zwölf Stufen, die alle durch den gleichen Abstand getrennt sind (Abb.3).
Abb.3: Farbenkreis.
Rot und Grün, Blau und Orange, Gelb und Violett bilden jeweils Komplementärkontraste, deren Farben sich gegenseitig im Auge erzeugen. Wird nämlich, wie Goethe es ausdrückte, die in den Komplementärfarben gegebene »Farbentotalität von außen dem Auge als Objekt gebracht, so ist sie ihm erfreulich, weil ihm die Summe seiner eigenen Tätigkeit als Realität entgegenkommt.«[1]
11Sieht man die Farben eines Komplementärkontrastes gleichzeitig, so steigern sie ihre Intensität und entgegnen sich klar. Andere, ebenfalls zugleich gesehene Farbpaare, z.B. Rot und Gelb, sind für das Auge unklar. Rot mischt sich mit Violett, der Komplementärfarbe von Gelb; Gelb mischt sich mit Grün, der Komplementärfarbe von Rot: der Kontrast irritiert, dehnt sich in Rotviolett und Gelbgrün und fordert zu seiner Klärung das zwischen Rot und Gelb auf der anderen Seite des Kreises liegende Blau. Optisch ungeschieden ist auch der Kontrast zwischen Blau und Grün, auch er bedarf zur Trennung seiner Werte des Rotorange gegenüber. Ganz dicht benachbarte Farben wie Grün und Grüngelb verbinden sich dagegen spannungslos als Abwandlung nur eines Farbwertes.
Der zwölfstufige Farbkreis ist demnach ein Energiebereich sich klar entgegnender, irritierender, gegen-seitig sich klärender und in sich ähnlicher Wertgruppen. Die Gesetze dieser unterschiedlichen Kontrastwirkungen im Auge hat der französische Chemiker Chevreul schon vor der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts der Malerei bewußt gemacht.[2]
In Mackes Bild spürt man diese Gesetze. So steigert das Rot des Vordergrundes das Grün von Rasen und Laub. Klar antwortet das Blau des Himmels und des Sees dem Orange auf dem Weg, dem rechten Baum und auf dem Hut des Kindes. Auch das Kleid der Frau enthält Blau und Orange. Das Violett der Figur des Mannes, im Stamm links und an der Wurzel ganz rechts ergänzt das Gelb von Laubwerk und Weg. Dies alles sind Komplementärkontraste. Wichtiger noch ist das Beieinander nicht-komplementärer Farben, z.B. oben im Bild die für das Auge erregende Spannung zwischen Blau und Grün, aber sie wird gelöst von dem Rotorange des Frauengesichtes; zugleich klärt das Grün dann wieder die heftige Dissonanz zwischen Rot und Blau. Die Farben Rot, Grün und Blau greifen ineinander und gruppieren sich vielfältig, so daß sie Dissonanzen erzeugen und in eins wieder lösen, das Auge reizen und in eins wieder entspannen. Ungeschieden sind auch unten am Weg Rot und Orange, solange das Blau auf dem Kleid nicht hinzukommt, aber auch das Blau eliminiert wieder das Rot und verweist es auf Grün. Spannungslos ist indessen der häufige Wechsel zwischen Gelb und 12Gelbgrün, Rot und Rotorange, Blau und Blauviolett oder Blau und Blaugrün. Er bestätigt jeweils nur eine Farbe.
Die Farben des Bildes gelten nicht derart, daß der Blick sie durchwandert und im Nacheinander des Hinsehens das Ganze ermißt. Alle vielseitig sich verschränkenden Kontraste fordern das Auge im ganzen Bildbereich, öffnen es weit, damit es, immer und überall beansprucht, ein Zugleich aller Farben erzeugt. »Das Spezielle am Bilde ist eben das Gleichzeitige und das Nacheinander. Jedes Nacheinander heißt soviel wie: das Auge irrt umher« (Macke).[3] Aber in diesem Zugleich stehen die Farben nicht still, sondern sie handeln, denn sie sind alle in die Bewegtheit eingespannt, die im Empfinden des Auges unausweichlich ist. Lebendige Ereignisse im Auge beleben die Farben und bedingen damit die Darstellung des Lebendigen. Das Auge sieht die Farbe nicht an, sondern es vollzieht sie, dehnt, mischt und trennt sie von sich aus zugleich im Gegen- und Ineinander der Wertgruppen, die es selber setzt.
Es wäre abwegig, hier von Farben ohne Gegenstand zu sprechen, wenn damit gesagt sein soll, daß diese Farben keine reale Erscheinung ins Bild bringen. Zwar ist sie nicht das gefärbte Ding, nicht dessen Erscheinung, wohl aber eine andere, gleichermaßen gegenständliche Realität: das nicht im wandernden, vielmehr im weit geöffneten, das Bild simultan erfassenden Auge gleichzeitige Sich-Einstellen konsonanter und dissonanter Farbereignisse, und zwar als physiologische Reizung, als Bewegtheit im Auge, nicht aber als Bewegung des Auges. Was in dieser das Auge simultan beanspruchenden und im Auge lebendig sich vollziehenden Aktivität erzeugt wird, steht für das Licht. Denn auch das Licht wird als simultane Aktion verstanden. Die Farben bilden das Licht nicht ab, daß man es betrachte, sondern ihre Ereignisse im Auge sind das Äquivalent für das Licht. Antwortend leistet das Auge das Licht.
Zuerst haben die Impressionisten Monet, Pissaro und Sisley mit den reinen Farben des Spektrums und ihren Kontrasten Bilder gemalt, die aus flimmernden, kommaförmigen Farbpartikeln bestehen. Man nennt ihren Stil am besten Divisionismus.[4] Er hat die Kontrastaktionen der Farben im Auge dem Lichteindruck dienstbar 13gemacht. An der Sicherung der Bildgestalt selbst nimmt indessen die divisionistische Farbgebung keinen Anteil. Sie überläßt dies der Zeichnung. Perspektivische oder sonst geometrische, jedenfalls längst gültige Regeln linearer Ordnung liefern ein meist strenges Bildgerüst, von dem sich die vielfältig handelnden Farben ins Auge befreien. Nur dort haben sie Geltung. Es gibt gar keine bildnerisch erklärbare, für die Bildform gesetzmäßige Wirklichkeit der Farben auf der Leinwand, sie rechtfertigen sich...
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