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Washington/Samarkand Januar 1979
1 Anna Barnes beendete ihre Ausbildung am dritten Mittwoch des Monats Januar im Jahr 1979, einen Tag, nachdem der Schah den Iran verlassen hatte. Kein allzu günstiger Zeitpunkt, um beim amerikanischen Geheimdienst anzuheuern. In jener Woche hatten sämtliche CIA-Leute in Europa und im Nahen Osten alle Hände voll zu tun, die vielen tausend Iraner zu retten, die einfältig genug gewesen waren zu glauben, das amerikanische Imperium könne in diesem Teil der Welt mehr als ein paar kurze Jahrzehnte überdauern. Und es sah ganz danach aus, als würden sie scheitern. In Teheran wurden die Freunde Amerikas - zugegebenermaßen meist keine allzu integren Persönlichkeiten - in Scharen verhaftet, nicht wenige waren bereits getötet worden.
Zeiten wie diese sind allen Geheimdiensten verhasst, weil sie ihr ganzes Konzept in Frage stellen. Jeder Geheimdienst fußt auf dem stillschweigenden Versprechen: Wir halten euch die Treue. Wir werden euch nie verraten, euch niemals dem Feind ausliefern. Aber wer konnte den Vereinigten Staaten ein solches Versprechen jetzt noch abnehmen? Natürlich war das immer gelogen, selbst in den guten Zeiten. Geheimdienste verraten ständig jemanden; sie schätzen es allerdings ganz und gar nicht, wenn dieser Umstand derart offensichtlich wird wie in den hektischen Wochen Anfang 1979, als die USA vor aller Welt vorgeführt und ihre Freunde zusammengetrieben wurden wie Schweine auf dem Schlachthof. Das sah einfach nicht gut aus. Und es schreckte neue Agenten ab.
Der Abschluss von Anna Barnes' Agentenausbildung gestaltete sich im Übrigen nicht gerade spektakulär. Am späten Mittwochnachmittag beendete ihr Dozent einen Vortrag zur Agentenrekrutierung mit den Worten: «Gut, das war's dann wohl.» Er gab ihr die Hand und verließ das Zimmer des Motels in Arlington, wo er Anna während der letzten beiden Wochen unterrichtet hatte. Und das war tatsächlich alles. Es gab kein Diplom, keinen warmen Händedruck vom Direktor, keinen tränenreichen Abschied von den Ausbildungskollegen, keine Pläne, sich nächsten Sommer mal auf einen Drink in Wien oder Peschawar zu treffen. Das einzige offizielle Zeichen, dass ihre Ausbildung nun abgeschlossen war, kam ein paar Tage später in Gestalt eines Briefs mit dem offiziellen Decknamen, den sie künftig für den internen Schriftverkehr verwenden sollte: Amy L. Gunderson
Das kann doch unmöglich alles gewesen sein, dachte sich Anna. Doch in ihrem Fall war es tatsächlich so. Sie hatte ihre Ausbildung nicht auf der «Farm» absolviert, hatte die CIA-Zentrale nie von innen gesehen und auch keinen einzigen Vortrag, keine Einsatzbesprechung oder Orientierungsveranstaltung besucht, an der noch andere künftige Agenten teilgenommen hätten. Ihre Ausbildung bestand ausschließlich aus Einzelsitzungen in Motels und sicheren Häusern rund um Washington. Die Sitzungen deckten den üblichen Lehrplan der Branche ab: unauffälliges Öffnen von Briefen, «Crashkurse» in Hochgeschwindigkeitsfahren, Selbstverteidigung, verschiedene Lektionen zum Rekrutieren und Aufbau externer Agenten. Doch immer hatte sie Einzelunterricht erhalten.
Auch wenn ihr das alles natürlich enorm schmeichelte, fühlte sich Anna, die noch im Jahr zuvor Doktorandin im Fachbereich Osmanische Geschichte gewesen war, während dieser Zeit doch ein wenig einsam. «Sie sind eben etwas Besonderes», hatte ein Dozent ganz am Anfang zu ihr gesagt, und sie war sich vorgekommen wie auf einer Sonderschule für Kinder mit Lernschwäche. Doch die geheimdienstinternen Strippenzieher wussten durchaus, was sie taten. Annas Ausbildung fand in einer Art Quarantäne statt, die das Ziel hatte, sie selbst innerhalb der CIA so geheim wie möglich zu halten. Denn Anna Barnes sollte als nicht offizielle Agentin verdeckt eingesetzt werden, als «NOC», wie man sie im Geheimdienstjargon bezeichnete: «Non-Official Cover».
Es gab eigentlich nur ein Ereignis, das zumindest gewisse Ähnlichkeit mit einer echten Abschlussfeier aufwies: ein Treffen Ende Januar mit Edward Stone, einem hohen Beamten im Innendienst. Er hatte mehr als zehn Jahre die Nahostabteilung geleitet, doch den Bemerkungen seines Mitarbeiters, der den Termin mit ihr vereinbarte, entnahm Anna, dass Stone inzwischen etwas anderes machte. Und zwar etwas, von dem niemand so genau wusste, was es war. Man sagte ihr nur, Mr. Stone habe von ihren außergewöhnlichen Fremdsprachenkenntnissen gehört - im Rahmen ihres Osmanistikstudiums hatte Anna Französisch, Türkisch, Persisch und Deutsch gelernt - und wolle deshalb unbedingt noch mit ihr reden, bevor sie zu ihrem Auslandseinsatz aufbrach.
Früher, in den ebenso guten wie schlechten alten Zeiten, hätte ein solches Gespräch in einer Suite des Madison stattgefunden, in einem Separée des Rive Gauche oder im Salon eines pensionierten Diplomaten in Georgetown. Doch man schrieb das Jahr 1979, und deshalb fand das Treffen im Holiday Inn an der Interstate 270 statt, am Rand eines Gewerbegebiets und direkt neben einem Restaurant in einem ausrangierten Güterwagon - ganz wie es sich gehörte. Stone konnte nichts dafür - es wurde inzwischen einfach so gemacht. Wenn sich herumgesprochen hätte, dass ein hoher CIA-Mitarbeiter sich mit seiner jungen Agentin in einem französischen Restaurant traf, hätte sich mit Sicherheit irgendein Kongressabgeordneter gefunden, der deswegen einen Aufstand machte.
Natürlich wollte Anna auf Stone einen guten Eindruck machen, doch trotz monatelanger Ausbildung war ihr immer noch nicht klar, wie man als weibliches Mitglied des Geheimdienstes eigentlich auszusehen hatte. Schlank oder kräftig? Hübsch oder hässlich? Streng oder sanft? Sie wusste es einfach nicht und hegte den Verdacht, dass es eigentlich auch sonst niemand wusste. Schließlich gab es Ende der Siebziger noch kaum Agentinnen, geschweige denn weibliche NOCs. Und das wiederum, beschloss Anna, bedeutete, dass sie aussehen konnte, wie sie wollte. Sie entschied sich für die schlichte Variante: blaues Kostüm mit weißer Baumwollbluse. Fast eine Art Uniform. Selbst in so einer langweiligen Aufmachung war sie mit ihren strahlenden, grünblauen Augen und dem schulterlangen, schwarzen Haar, dessen dunkle Farbe von ein paar frühzeitig ergrauten Strähnen noch unterstrichen wurde, eine attraktive Erscheinung. Sie hatte etwas von einer geschmeidigen Raubkatze, die zwar gezähmt war, das Leben in der Wildnis aber noch nicht ganz vergessen hatte.
Anna traf vor Stone im Holiday Inn ein und ging sofort auf das Zimmer, das so schäbig und bedrückend war, wie es nur Motelzimmer direkt an der Autobahn sein können. Sie zog die Vorhänge zu, setzte sich aufs Bett und sah sich um. In diesem ganzen Raum schien es nichts zu geben, was aus einem natürlichen Material bestanden hätte: weder die braunen, schwer entflammbaren Treviravorhänge noch die holzgemaserten Resopalplatten des Tisches und der beiden Nachtschränkchen, der schmutzig hellbraune Teppich oder die grüne Bettwäsche aus knisterndem Polyester. Anna war ganz in die Betrachtung dieser künstlichen Welt vertieft, als es kurz an die Tür klopfte und ein Mann, den eine Aura von Leder, Tweed und gestärkter Baumwolle umwehte, ins Zimmer trat.
«Guten Tag, meine Liebe», sagte Edward Stone höflich und reichte ihr die Hand. Ein gepflegter Herr Anfang sechzig.
«Wie geht es Ihnen, Sir?» Anna gab sich Mühe, so korrekt und militärisch zu klingen wie ein Offizier, was sie ja in gewisser Weise auch war.
«Es geht mir prächtig. Aber sagen Sie bitte nicht zu mir. Da fühle ich mich so alt.»
Aha, dachte Anna. Ein Charmeur.
«Ich habe Ihnen etwas mitgebracht», sagte Stone. Er ging zum Bett hinüber, setzte sich, griff in eine braune Einkaufstüte und förderte eine Flasche Champagner zutage. Als er sie öffnete, schoss der Korken mit einem Knall heraus und verfehlte dabei nur knapp den Rauchmelder an der Decke.
«Gläser habe ich leider keine dabei.» Stone ging ins Badezimmer und kam mit zwei Zahnputzbechern zurück, die er bis zum Rand mit Champagner füllte.
«Willkommen im Club», sagte er und hob sein Glas.
Anna prostete ihm ebenfalls zu und nahm einen großen Schluck. Die Champagnerbläschen kitzelten am Gaumen und in der Nase.
«Und auf einen erfolgreichen ersten Auftrag», sagte Stone.
«Auf dass es kein völliger Fehlschlag wird», gab Anna zurück. Stone lächelte. «Nur keine Sorge. Sie werden sehen, es ist im Grunde gar keine schwierige Aufgabe. Erschreckend einfach sogar, wenn alles nach Plan läuft.»
Sie nahmen in den Holiday-Inn-Sesseln am Fenster Platz, und Stone zog die Vorhänge auf, die Anna aus Sicherheitsgründen geschlossen hatte. Draußen glitzerte die Wintersonne auf den Kacheln am Boden des leeren Swimmingpools. Stone zog das Sakko seines grauen Nadelstreifenanzugs aus und knöpfte die Weste auf. Er wirkte ebenso elegant wie ermüdet.
«Immer die Vorhänge schließen», wiederholte Anna eine der Grundregeln, die ihre Dozenten ihr in den vergangenen Monaten eingeschärft hatten.
«Wir sind hier in Rockville», sagte Stone. «Da interessiert sich ohnehin kein Mensch für uns.»
Anna nickte. Sie kam sich vor wie ein richtiges Greenhorn.
Stone trank noch einen Schluck Champagner und musterte sein junges Gegenüber. «Erzählen Sie mir ein bisschen von sich», sagte er. «Wie ich höre, haben Sie Osmanistik studiert. Das klingt spannend.»
«Das finden die wenigsten», sagte Anna. «Mein Dissertationsthema lautete...
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