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Vier Tage nachdem die Autobombe in Mailand hochgegangen war, reiste Roger Ferris mit Hani Salaam, dem Chef des jordanischen Geheimdienstes, nach Berlin. Der Nachrichtenverkehr im CIA-Büro in Amman hatte die Ausmaße eines digitalen Blizzards angenommen, in den oberen Etagen schrien sie lauthals nach irgendwelchen brauchbaren Informationen über die Bombenleger von Mailand, die der Direktor dem Präsidenten präsentieren konnte. Aber im Hauptquartier schrie man ständig nach irgendetwas, und Ferris erschien die Reise mit Hani im Augenblick wichtiger. Wie sich herausstellte, sollte er damit ganz recht behalten.
Ferris hatte schon viele Geschichten über die Großtaten des jordanischen Geheimdienstes gehört. Bei der CIA hießen die Jordanier nur «die Herzen», einerseits natürlich wegen ihres Kryptonyms, QM HEART, andererseits aber auch, weil sie ihre Operationen immer recht beherzt angingen. Bis zu seiner Berlinreise hatte Ferris die Herzen allerdings noch nie in Aktion erlebt. Die Sache an sich war nicht besonders aufregend. Die Planungen und Vorbereitungen hatten zwar Monate in Anspruch genommen, aber als die Operation schließlich zur Durchführung kam, war sie ein Kinderspiel. Ferris machte sich dabei keine Gedanken über die komplexen Zusammenhänge außerhalb seines Blickfelds: Das Labyrinth war so perfekt konstruiert, dass man gar nicht auf die Idee kam zu fragen, ob es nicht vielleicht Teil eines größeren Labyrinths sein könnte. Und der Ausgang war so leicht zu finden, dass man nicht lange überlegte, ob er nicht vielleicht ein Eingang zu etwas anderem war.
Sie waren auf dem Weg in einen der Außenbezirke Ostberlins, der sich nie richtig davon erholt hatte, dass er 1945 von der Roten Armee niedergewalzt worden war. Während eine bleiche Oktobersonne dem wolkigen Himmel einen leicht metallischen Glanz verlieh, war das Stadtviertel darunter ein erdiges, mattes Braun: hellbrauner Putz an den Häuserwänden, ölig schillernde Pfützen aus bräunlichem Wasser in den Schlaglöchern der Straßen. Selbst der stumpf gewordene Lack eines klapprigen Trabbis am Straßenrand hatte eine unbestimmte, schlammbraune Farbe. Am anderen Ende der Straße spielten ein paar türkische Jungs Fußball, man hörte den Verkehrslärm von der einen Block entfernten Hauptstraße. Sonst war alles still. Vor ihnen lagen die trostlosen Wohnblocks, die vor Jahrzehnten für die Arbeiter der nahe gelegenen Fabrik gebaut worden waren. Inzwischen waren sie so heruntergekommen, dass nur noch Aussiedler und Hausbesetzer darin wohnten und ein paar alte Leute, die schon zu senil oder zu demoralisiert waren, um noch wegzuziehen. Aus den wenigen offenen Fenstern roch es nicht nach Kohl oder Schnitzel, sondern nach Knoblauch und billigem Olivenöl.
Ferris war knapp eins achtzig groß, hatte widerspenstiges schwarzes Haar und weiche Züge. Ständig schien ein Lächeln um seinen Mund zu spielen, und in seinen Augen lag ein Funkeln, das Neugier und Interesse signalisierte, auch wenn er nichts dergleichen empfand. Seinen einzigen körperlichen Makel, ein leichtes Humpeln, verdankte er einer Panzerfaust, die sechs Monate zuvor auf einer Straße nördlich von Balad im Irak auf seinen Wagen abgefeuert worden war. Ferris hatte Glück gehabt: Sein Bein war zwar von Granatsplittern durchsiebt worden, aber er hatte überlebt, während der irakische Agent, der den Wagen fuhr, gestorben war. Gute Geheimdienstagenten sind angeblich farblose Menschen, deren Gesicht man in einem belebten Raum gleich wieder vergisst. Daran gemessen hatte Ferris den falschen Beruf gewählt. Ihm sah man auf den ersten Blick an, dass er hungrig und ungeduldig war und etwas zu suchen schien, was er bisher noch nicht gefunden hatte.
Hinter Hani und dessen Assistenten Marwan stieg Ferris über den Abfall, der aus den überquellenden Mülltonnen auf den Weg gefallen war, und arbeitete sich bis zum Hintereingang vor. Die Hauswände waren mit Graffiti beschmiert, große, dicke Lettern, ein Mischmasch aus Türkisch und Deutsch. Gleich neben der Tür stand ein Wort, das man als «Allah», aber auch als «ABBA» lesen konnte. Hani legte den Finger an die Lippen und deutete zu den Fenstern im dritten Stock hinauf. Hinter schmutzigen braunen Vorhängen schimmerte etwas Licht hervor. Die Zielperson war zu Hause, aber das war nicht weiter verwunderlich. Hanis Leute hatten die Wohnung seit Monaten unter Beobachtung. Sie machten keine Fehler.
Der Jordanier Hani Salaam war ein gewandter, elegant gekleideter Mann. Sein Haar war glänzend schwarz, zu schwarz für jemanden Ende fünfzig, aber der graumelierte Schnurrbart verriet sein wahres Alter. Er leitete das General Intelligence Department, das GID, wie sich die jordanische Geheimpolizei nannte, und er war ein ehrfurchtgebietender, eloquenter Mann, der gewöhnlich mit dem osmanischen Ehrentitel «Hani Pascha» angesprochen wurde - in Jordanien sprach man das Wort mit einem weichen «B»-Laut, sodass es wie «Bascha» klang. Anfangs hatte Ferris sich ein bisschen vor ihm gefürchtet, aber nach ein paar Wochen fing er an, ihn als arabische Version von Dean Martin zu betrachten. Hani Salaam war ein cooler Hund, von den auf Hochglanz polierten Schuhen bis hinauf zu den rauchfarbenen Gläsern seiner Sonnenbrille. Wie die meisten erfolgreichen Männer im Nahen Osten wirkte auch er zurückhaltend, beinahe reserviert, und seine formvollendeten Manieren muteten zunächst fast britisch an, ein Überbleibsel des einen Semesters, das er vor langer Zeit einmal in Sandhurst verbracht hatte. Doch den Kern seines Wesens bildete der ebenso großherzige wie geheimnisvolle Geist eines beduinischen Stammesfürsten. Er war ein Mensch, der einem niemals alles sagte, was er wusste.
Als Hani zum ersten Mal mit Ferris durch das Hauptgebäude des GID in Amman ging, hatte er gescherzt, die Jordanier hätten solche Angst vor der Geheimpolizei, dass sie deren Hauptsitz gern als «Fingernagelfabrik» bezeichneten. «Das ist natürlich blanker Unsinn», fuhr er mit abschätziger Handbewegung fort. Er würde es seinen Leuten selbstverständlich niemals gestatten, jemandem die Fingernägel auszureißen. Das führte ja auch zu nichts: Die Gefangenen sagten einem alles, was man hören wollte, damit es nur nicht mehr wehtat. Hani hatte nichts dagegen, für grausam gehalten zu werden, aber er verabscheute den Gedanken, man könnte ihn für ineffizient halten. Bei dieser ersten Begegnung hatte er Ferris auch erzählt, wie er vorging, wenn er einen neuen al-Qaida-Gefangenen bekam: Er setzte ihn - meist waren es junge Kerle - in das Verhörzimmer, das in Jordanien nur «das blaue Hotel» hieß. Dann zwang er ihn, ein paar Tage lang wach zu bleiben, und zeigte ihm anschließend ein Foto seiner Mutter, seines Vaters oder auch seiner Geschwister. Häufig reichte das schon. Familienangehörige, hatte Hani Ferris anvertraut, bewirkten sehr viel mehr als tausend Hiebe vom Gefängniswärter. Sie untergruben die Bereitschaft zu sterben und stärkten den Lebenswillen.
Zu Hause in Langley bezeichneten sie Hani immer als «Profi». Darin lag etwas Herablassendes, wie bei einem Weißen, der über einen redegewandten Schwarzen sagt, er könne sich «gut ausdrücken». Doch vor allem verschleierte dieses Lob die Tatsache, dass die CIA inzwischen sehr viel abhängiger von Hani Salaam war, als ihr guttat. Als kommissarischer Leiter des Büros in Jordanien hatte Ferris die Aufgabe, für gute Beziehungen zum Chef der dortigen Geheimpolizei zu sorgen. Es war also eine große Sache, dass Dean Martin ihn zwei Tage zuvor höchstpersönlich darum gebeten hatte, sich einer Operation in Deutschland anzuschließen. Die Bürohengste aus der Nahost-Abteilung hatten natürlich protestiert: Er solle gefälligst an seinem Schreibtisch bleiben und Anfragen zu der Mailänder Autobombe beantworten. Aber da hatte Ed Hoffman, der Chef der Abteilung, eingegriffen. «Alles Idioten», hatte er über die Untergebenen gesagt, die Ferris' Reise verhindern wollten, und Ferris nur das Versprechen abgenommen, ihn gleich nach Abschluss der Operation anzurufen.
Vorsichtig schob der Jordanier die Hintertür auf und bedeutete Ferris und Marwan, ihm zu folgen. In dem dunklen, feuchten Flur lag ein modriger Geruch. Auf den Zehenspitzen seiner handgefertigten Slipper schlich Hani die Betonstufen hinauf, so leise, dass nur sein rasselnder Raucheratem zu hören war. Marwan folgte ihm. Er sah aus wie ein ziemlich heruntergekommener Schlägertyp, den man Ferris zuliebe ein bisschen hergerichtet hatte. An der rechten Wange hatte er eine Narbe, die bis zum Auge hinaufreichte, und sein ganzer Körper war so drahtig und gespannt wie der eines Straßenköters. Während Ferris hinter ihm die Treppe hinaufschlich, fing sein kaputtes Bein wieder zu schmerzen an.
Marwan zog seine automatische Pistole, deren Halfter sich deutlich unter seiner Jacke abzeichnete. Sie blieben dicht hintereinander und bewegten sich im Gleichschritt voran. Als im Stockwerk über ihnen eine Tür aufging, blieb Hani abrupt stehen. Er machte Marwan ein Zeichen, der nickte und stützte die Hand mit der Waffe auf dem Oberschenkel ab - doch es war nur eine ältere deutsche Dame, die mit ihrem Rollwägelchen zum Einkaufen aufbrach. Sie ging an den drei Männern vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Hani stieg weiter die Treppe hinauf. In Amman hatte er Ferris nur erzählt, dass er diese Operation schon seit Monaten vorbereite. «Kommen Sie doch mit, und schauen Sie zu, wie ich den Burschen erlege» - das waren seine Worte gewesen. Ferris war sich nicht sicher, ob Hani und Marwan tatsächlich vorhatten, jemanden zu erschießen....
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