Schweitzer Fachinformationen
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Hast du sie gesehen, die Frau ohne Augen? Sie läuft nachts durch die Gänge.
Sadie hat eine besondere Gabe: Sie ist empfänglich für das Übernatürliche. Das führt dazu, dass ihr Leben immer mehr außer Kontrolle gerät. Die Nachforschungen über ihre Herkunft und die schwarze Sekte, der ihre Mutter diente, treiben sie in den Wahnsinn. Währenddessen wird im abgelegenen Morris Inn eine junge Frau von einer unheimlichen Erscheinung heimgesucht. Ein böser Geist wandelt durch die Hallen des Hotels und ernährt sich von den Leiden der geplagten Gäste - bis sie einen grausamen und unerklärlichen Tod sterben. Sadie muss eine Entscheidung treffen: Wird sie der Vergangenheit den Rücken kehren und ein neues Leben beginnen? Oder wird sie sich in das düstere Hotel wagen und nach dem Faden suchen, der den dortigen Schrecken mit ihrer verfluchten Mutter verbindet?
Der Spuk im Morris Inn ist der vierte Roman der erfolgreichen Beckoning Dead-Reihe.
1
Die rote Nadel des Tankanzeigers flirtete heftig mit dem E für leer.
JoJo hatte zuletzt ein paar Meilen hinter Akron getankt. Wie in Trance war sie durch ganz Ohio gefahren, und erst das riesige Billboard »Willkommen in Indiana!« hatte sie wieder so weit in die Wirklichkeit zurückgerissen, dass sie einen genaueren Blick aufs Armaturenbrett riskierte. Doch so eine Digitalanzeige blieb eben immer irgendwie nichtssagend und zeigte nur eine Reihe von blinkenden Strichen an, wo normalerweise der geschätzte Kilometerstand abzulesen war. Erschrocken darüber, dass sie wohl bald auf dem Trockenen saß, würgte JoJo Bob Dylan mit einem energischen Knopfdruck auf das Autoradio ab, als ob die Stille noch Sprit für ein paar Meilen aus dem Tank saugen könnte.
Ihre vor Müdigkeit geröteten Augen blieben an einem blauen Werbeplakat hängen, das am Straßenrand stand und auf dem der verblasste Schriftzug »Willkommen in Montpelier!« prangte. Der Name Montpelier sagte ihr nichts. Die gleichförmige Landschaft, die sich bis an den Horizont erstreckte, unterschied sich durch nichts von jedem anderen Landstrich im Mittleren Westen der USA. Sie begann, mit steifem Nacken nach einer Tankstelle Ausschau zu halten, doch es war keine in Sicht. Wieder fraß der Wagen auf dem Weg nach Westen einige Meilen. Das Asphaltband im Rückspiegel wurde länger, aber vor ihr erstreckten sich nur weitere, größere Maisfelder, ab und an unterbrochen von einem von der Sonne ausgeblichenen Werbeschild.
Aber dann bemerkte sie noch etwas anderes.
Ein Gebäude tauchte ganz plötzlich nach einer sanften Kurve hinter einem Hügel auf und machte den Eindruck eines Wanderers am Ende seiner Kraft. Und damit den - so konnte man wohl sagen - eines verwandten Geists. Ganze zwei Stockwerke aus Holz mit einem Fundament aus Stein, einer Fassade aus hässlichen Schindeln und zierlichen, verschnörkelten Ziergittern vor den Fenstern, die allerdings auch schon bessere Tage gesehen hatten. Ein malerisches Eichenschild schaukelte an zwei rostigen Ketten von einem Holzpfosten herab und verriet, dass es sich um das Morris Inn handelte. Eröffnet 1928.
»Ein Hotel?«, murmelte sie in sich hinein. »Hier draußen im Nirgendwo?«
Verblüfft starrte sie das Haus an, halb überzeugt davon, dass es sich nur um eine Art Fata Morgana handeln konnte. Das Morris Inn blieb allerdings sichtbar, auch als sie näher kam. An der Hinterseite des Hauses erstreckte sich ein kleines Wäldchen; die leeren Wege, die das Grundstück säumten, führten in eine unbekannte Ferne, in der vereinzelte Scheunen und ein paar baufällige Schuppen verstreut waren.
Ein großer, mit schieferfarbenem Kies bestreuter Parkplatz erschien plötzlich im Vorbeifahren zu ihrer Rechten, doch irritierenderweise stand kein Auto darauf. Mittig führte ein breiter, geradezu prächtiger Fußweg mit einem halben Dutzend Stufen zum Haupteingang hinauf. Vor jedem der Fenster hingen weiße Gardinen, doch die Zimmer dahinter wirkten unbewohnt. Aber an der verglasten Haustür hing ein Schild ZIMMER FREI, was jeden Gedanken daran, das Hotel sei aufgegeben oder geschlossen worden, im Keim erstickte.
Ohne lange nachzudenken, zog JoJo das Lenkrad nach rechts. Nach der stundenlangen Fahrt waren ihre Armmuskeln steif, noch immer schmerzten ihre Fingerknochen von den Prügeln, die sie, noch in Pittsburgh, dem Armaturenbrett vor lauter Wut verpasst hatte. Seit dem Streit letzte Nacht hatte sie keinen Krümel mehr gegessen und wegen der Morgenübelkeit auch kaum Flüssigkeit bei sich behalten können. Ihre Beine waren taub und wie gelähmt, fast als wären sie nur Stöcke, mit denen sie die Pedale bediente.
Der Sedan holperte auf den mit Kies bestreuten Parkplatz. Die Reifen wirbelten Staub auf. Sie parkte links vom Haupteingang im Schatten eines hoch aufragenden Baums, dessen Krone sich in irgendwie geschäftiger Manier über den Gehweg beugte. Der Motor erstarb mit einem - so klang es jedenfalls in ihren Ohren - Seufzen der Erleichterung, kaum dass sie den Schlüssel aus dem Zündschloss gerissen hatte und mit der Stirn aufs Lenkrad gefallen war.
JoJo kniff die brennenden Augen zu und atmete tief durch.
Dieses Hotel schien so gut wie jeder andere Ort geeignet, einfach vom Radarschirm der Welt zu verschwinden.
Bernard Lavigne spähte aus dem Fenster hinaus auf den dunkelblauen Sedan mit dem Nummernschild aus Pennsylvania. Dann setzte er die Tasse mit Darjeelingtee wieder auf dem Untertellerchen ab. So war das ja immer, kaum hatte er sich an einem Tag, an dem sonst nichts los war, die Mühe gemacht, einen heißen Tee aufzugießen, erschien ein Gast, bevor er auch nur einen Schluck davon hatte trinken können, und hielt ihn beschäftigt, bis der Tee kalt war. »So ist eben das Leben als Hotelier«, murmelte er ergeben in sich hinein und erhob sich von seinem Schreibtisch, der im Büro hinter dem Empfangstresen stand.
Seine schwarzen Hosen waren nach Stunden des Herumsitzens zerknittert, also glättete er sie vor dem antiken Spiegel in der Ecke des Foyers und rückte sich auch gleich den ohnehin ordentlichen Windsorknoten seiner Krawatte zurecht. Nach einem kurzen Zögern legte er hastig noch einen Tropfen Polo Green auf. Der Duft war unauffällig und kam bei allen angenehm an. Er stellte sich hinter den Rezeptionstresen und setzte ein strahlendes Lächeln auf, noch bevor der neu angekommene Gast durch die gläsernen Doppeltüren hereingekommen war.
»Willkommen im Morris Inn!«, verkündete er mit einem Nicken seines sorgfältig rasierten Schädels.
Eine einzelne Frau betrat die Lobby, der Schnürsenkel in einem ihrer Sneaker war aufgegangen, ihre Kleidung ausgebeult und ein wenig abgetragen. Sie hatte langes blondes Haar, das wahrscheinlich schon eine lange Zeit keine Bürste mehr gesehen hatte und ihr in unordentlichen Locken bis über die Schultern hing. Man sah kein Gepäck bei ihr und das Einzige, was darauf hindeutete, dass sie wohl einiges an Lasten mit sich herumschleppte, waren die dunklen Ringe unter ihren Augen. Sie verunstalteten das jugendliche Gesicht, dessen dünne Lippen in einem permanenten Schmollen festgefroren zu sein schienen. Als sie mit einer ausgeblichenen, pinkfarbenen Brieftasche vor der Rezeption stehen blieb, erkannte Bernard, dass ihre Augen gerötet waren.
Also mit so einer kriege ich es heute zu tun. Dann wollen wir doch mal schauen.
Die junge Dame war offenbar gerade erst volljährig geworden. So wie sie aussah, hatte sie in letzter Zeit viel Kummer erlitten und nicht annähernd genug Schlaf bekommen. Welche Laus ihr da wohl über die Leber gelaufen ist? Vielleicht ist sie von zu Hause abgehauen?, fragte er sich. Nein, dazu ist sie zu alt. Der Freund hat sich davongemacht. Oder hat sie direkt vor dem Altar stehen lassen, überlegte er. Ja, das könnte sein. Aber andererseits . Auch dazu ist sie wahrscheinlich zu jung.
Bernard glättete noch einmal das dunkle Menjoubärtchen, das seine Oberlippe zierte, und beugte sich freundlich über den Tresen. »Willkommen im Morris Inn, Miss«, wiederholte er. »Mein Name ist Bernard Lavigne und ich bin der Besitzer dieses Hotels. Möchten Sie ein Zimmer?«
Die junge Dame nickte hastig und strich sich ein paar der blonden Locken hinter das Ohr, wobei sie Fingernägel sehen ließ, die bis aufs Fleisch abgekaut waren. »Ja, bitte. Ein Einzelzimmer, wenn Sie eins haben.« Sie hatte eine recht mädchenhafte Stimme, süß und von der Art, die unweigerlich Sympathie weckte, wenn sie zusammen mit feuchten Augen oder zitternden Mundwinkeln auftrat.
»Sicher doch, Miss«, antwortete er tröstend, griff nach dem Gästebuch und rückte die Lesebrille auf dem Rücken seiner langen Nase zurecht. »Ich bräuchte allerdings einen Ausweis irgendeiner Art und eine der gängigen Kreditkarten. Aber Bargeld ist auch in Ordnung, wenn Ihnen das lieber ist. Dann sehen wir mal, was wir für Sie haben.«
Eigentlich war schon ein paar Tage niemand mehr im Morris Inn abgestiegen und Bernard hätte ihr jedes Zimmer in diesem ehrwürdigen Haus überlassen können, ohne auch nur einen Blick ins Gästebuch werfen zu müssen. Doch er behielt diese Tatsache für sich und gab mit beträchtlicher schauspielerischer Begabung vor, das schwarze Buch vor sich genau studieren zu müssen. »Ja«, fuhr er fort und musterte sie über den Messingrahmen seiner Brille hinweg. »Ich glaube, wir haben da noch etwas für Sie, Miss .«
Die junge Frau hatte schon den Ausweis und ein paar Kreditkarten aus ihrer Brieftasche geholt und über den Tresen hinweg zu ihm hingeschoben. Bernard nahm zuerst den Ausweis und studierte ihn eingehend und mit gerunzelten Brauen. Dieses Geburtsdatum macht sie . gerade mal 22. Der Führerschein ist erst vor ein paar Monaten in Pennsylvania ausgestellt worden. Lebt in einer Mietwohnung. Er warf aus den Augenwinkeln einen Blick auf ihre linke Hand und legte den Ausweis dann wieder ab. Kein Ehering.
»Miss . Josephine also?«, fragte der Hotelbesitzer.
»Sie können mich JoJo nennen«, flüsterte die Besucherin mit gesenktem Kopf.
»Ich verstehe. Und was führt Sie her, JoJo?«, wagte Bernard sich weiter vor. Er war neugierig, warum sie einen so offensichtlich aufgelösten Eindruck machte. »Sind Sie auf der Durchreise?«
Menschen, die vor irgendetwas davonliefen, waren keine Seltenheit in diesem Hotel, es war gewissermaßen ein Heim für die, die den Ärger suchten oder eben vor ihm davonliefen. Bernard, der Besitzer, der auch hier lebte, hatte viele Jahre Erfahrung damit,...
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